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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. April 2008; 18:57
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Wien/Reportage:

> Oesterreichischer Betrieb

Ein Tschecherl vor dem Zusperren und der oesterreichische
Alltagsrassismus

"Es stimmen nimmer alle Preise auf da Kart'n. A paar Sachn sind um ein
paar Cent teurer geworden. Aber wegen die paar Wochen schreim ma die
Kart'n a nimmer um". Die knapp 60-jaehrige Kellnerin, Frau Liesi
genannt, zuckt die Achseln. "Am 31. Mai spean ma zua. Da Chef geht in
Pension", sagt sie fast emotionslos. So vielen Stammgaesten hat sie in
den vergangenen Monaten die Botschaft ueberbracht. "Nachher kumm't
wahrscheinlich a tuerkisches Lokal rein. I geh dann wahrscheinlich in
Pension. Fuer an Tuerk'n arbeit i net. Interessiert mi net".

Ein Gast am Nebentisch schaut kurz auf, schuettelt bedauernd den Kopf
und wendet sich wieder seinem Achtel Rotwein zu, das Glas ā 1 Euro 50.
Hausmarke. In dem kleinen Lokal draengen sich die Gaeste an die
abgenutzte Holztheke. Es sind vor allem Pensionisten, ehemalige Bau-
und Lagerarbeiter, Pensionisten. Trainingsanzuege und abgetragene
Cordhosen sind die bevorzugte Kleidung. Kurz nach 12 Uhr am Samstag
haben alle ein Bier vor sich stehen oder ein Glas Wein. Bei den
meisten ist es sicher nicht das erste. Kurzes Schweigen, dann fallen
wieder Witze oder komische Bemerkungen. Die Stimmung ist nicht anders
als an anderen Samstagen. Mit dem bevorstehende Aus des Wirtshauses
scheinen sich die Stammgaeste abgefunden zu haben. Laufkundschaft ist
keine da. Das Lokal in der Brunnengasse mit der Aufschrift
"Oesterreichischer Betrieb" wirkt auf zufaellig vorbeikommende nicht
sonderlich einladend. Die Fenster koennten geputzt werden und die
Tafeln, auf denen die "Altwiener Kueche" beworben wird wirken auch
etwas vergilbt. "Des is das letzte oesterreichische Lokal do", sagt
ein Stammgast von der Theke her in meine Richtung, als ich frage, was
es mit dem Aufkleber "Oesterreichischer Betrieb" auf sich hat. "Vue
woanders ko man da nirgens mea hingehen ois Einheimischer". Es ist
der, den sie Joschko nennen. Er ist ein wenig spaeter gekommen als die
anderen und versucht mit ihnen aufzuschliessen, was die Menge der
konsumierten Getraenke betrifft. Er dreht sich zu seinem Glas und
seinen Bekannten um, man nimmt die alten Gespraechsthemen wieder auf.
"Franzi, wea wiad denn Meister", fragt ein Weisshaariger am Tisch
neben mir. Franzi, einer der Juengeren hier mit ungepflegtem Bart
schaut kurz von seinem Flaschenbier auf. "Rapid, wea sunst? Des Match
am Suntog schoff' ma scho". "Sicha?" "Eh kloa, die Buasch'n san jetzt
hoch motiviat". Kurzes Nicken, Franzi fixiert wieder sein Bier. Der
Mann am Nebentisch wendet sich wieder seiner Frau und vor allem ihrer
"Gebackenen Fledermaus vom Schwein" zu. Er schneidet sich ein Stueck
ab. Es ist eine der letzten Menueportionen heute, Frau Liesi holt die
Tafel gerade herein.
Die 13-Uhr-Nachrichten auf Radio Wien kommen. Der Radio steht schon so
lange da wie der Rest der Einrichtung, die an 80er-Jahre heimatliches
Neobiedermeier erinnert. Nicht einmal ein Kassettendeck hat das
Geraet. Auch am restlichen Mobiliar ist nichts geaendert worden,
seitdem es aufgestellt wurde. Die Tischplatten sind immer noch aus dem
gleichen Giftgruen, das im Lauf der Jahrzehnte etwas verblasst ist.
Auch die Teller duerften nicht viel neuer sein, dem Design nach zu
schliessen. Wie sich Teller in einem Wirtshaus so lange halten, frage
ich mich unwillkuerlich. Ich verkneife mir, die Kellnerin um Auskunft
zu bitten. Das koennte unhoeflich wirken.

Der Besitzer des Hauses sei Tuerke, erzaehlt sie mir. Und der habe das
Lokal schon weitverpachtet. "28 Joa woa i do. Jetzt wass i non net, ob
i in Pension geh oda woandas ofong. I hob a poa Angebote, oba i wass
net. Nu fia den neich'n Besitza obeit i sicha net". Ein Gast verlangt
nach einem weiteren Glas. Frau Liesi geht Richtung Theke. Der
Juniorchef zwaengt sich an ihr vorbei. "Wos sog'st", fragt Frau Liesi
einen Gast in hoerbar gespielter Aufregung. "Aus'm Buagenlond bin i?
Wuest mi beleidig'n?" "Wieso, stimm's leicht net?" "Pass auf, wos d'sogst.
Sunst londst glei in da Kinetten doat drueb'n".

Auch die anderen Gaeste an der Theke haben sich Dinge zu erzaehlen,
die sie bewegen. Oft ergeben sich die Themen aus dem morgendlichen
Studium der Tageszeitungen. "Host des g'heat mit die Rumaenen, die auf
da Autobaohn ois foische Polizisten untawegs waren?" fragt Joschko den
Mann neben sich, der dunkelblaue Plastiksandalen traegt. "Jo, daschoss'n
ham's an vo dene". "Leida. Schlecht g'schoss'n ham's, unsere Kiebara.
Nua ana. Olle drei haett'n sei suin. Des daten sie sie meak'n. Bei mia
gabat's do uebahaupt nix". "Host eh recht. Bei die Rumaenen muass ma
glei moi moch'n. Glei weah'n, sunst kumman no a poa". Ein dritter
nickt bedaechtig. Einen anderen interessiert das wenig. Er blaettert
durch die Karrierebeilage im Kurier und nippt an seinem Rotwein.

"I kum da schon seit Jahrzehnten her", erzaehlt der Weisshaarige vom
Nebentisch "35 Jahre hat's der jetzige Chef. Aber des Lokal hot's scho
g'eb'n, wie i no a Kind woa. I bin ja do aufg'wachs'n. Wenn i in Wien
bin, kum' ich gern dohea. I wohn jo jetzt in Klosterneuburg". Viel
habe sich geaendert, sagt der Weisshaarige mit etwas Wehmut in der
Stimme. "Heit' ist des ja a tiakisches Ghetto g'wurd'n. Unsere
Betriebe und Lokale gibt's ja nimma. Du konnst fast niagends mehr Ess'n
gehen. Aussa zur Muellerin am Yppenplatz und zum Kent. Fia an Tiak'n
geht der jo. Do gengan fost nua Oesterreicher hin, weia ea a bissal
teirer is ois die onder'n. Wonn dea zuahot, waas i net, ob i nu so oft
do fuatgeh, wenn i do bin". Eine Klage, die man oft hoert in der
Gegend. Nach und nach machen die Geschaefte, die von hier Geborenen
betrieben wurden zu. Meist folgen Tuerken nach, die in der Gegend, wo
viele Tuerken wohnen, auch tuerkische Waren anbieten wollen. Dennoch
ist der Brunnenmarkt keine reine Zuwanderergegend. Zunehmend lassen
sich hier Studenten nieder oder Jungfamilien mit akademischem
Hintergrund. Die Bobo's verdraengen die Proletarier, egal, aus welchem
Land die urspruenglich stammen. Die relativ guenstigen Mieten haben
aus dem Brunnenviertel eine Arbeitergegend werden lassen. Das erklaert
den sehr hohen Migrantenanteil. Es schwankt staendig zwischen gut
funktionierender Integration und Belagerungsmentalitaet, die am
meisten bei den oesterreichischen Arbeitern zu spueren ist. Wie hier
im Lokal definieren sie sich oft staerker ueber ethnische
Zusammengehoerigkeit als ueber soziale Gemeinsamkeiten. Nicht immer
finden sich Beruehrungspunkte. Zumindest nur bedingt in den Lokalen.
Anders sieht es auf den Markstaenden und bei den Fleischhauern aus.
Mit dem Oszillieren der Stimmungen koennte es in einigen Jahren vorbei
sein. Neue Lokale am oberen Ende des Brunnenmarkts, am Yppenmarkt,
verraten eine Aufbruchsstimmung. Allerdings eine, die eher den Bobos
entgegenkommt. Migranten oder heimische Arbeiter sieht man kaum dort.
Und irgendwann werden die Mieten steigen, lauten die Befuerchtungen
vieler hier Ansaessiger. Das wird die Arbeiter verdraengen, egal in
welchem Land sie geboren worden sind.

Der Chef kommt raus, in seinem weissen Kittel. Der duenne,
weisshaarige Mann schuettelt ein paar Gaesten die Haende und serviert
meinem Nachbarn ein Achterl Rot. "Heast, ma merkt, du servierst net so
oft", sagt Frau Liesi. "Wieso?" fragt der Chef interessiert. "Sunst
tat's d' wiss'n, dass dea nu an kuehlt'n Rotwein trinkt". Der Wirt
macht Anstalten, das volle Glas abzuraeumen und dem Gast ein neues zu
bringen. "Loss des. Des ane hoit i scho aus".

"Jo schau, der Hea Buagamasta" ertoent es aus der Runde an der Theke,
als ein neuer Gast das Lokal betritt. Mit Michael Haeupl hat er eher
weniger Aehnlichkeit. "Serwas". "Jetzt haest di scho fost net
einitraut" begruesst ihn Frau Liesi mit ihrem rauen Charme. "Na jo,
hob ja net g'wusst, ob da Tiak scho do herinnen is. Hob eascht schau'n
miass'n". "A geh, bis Ende Mai hom ma jo no off'n". "Na donn is eh
guat. Wo i nochhea hingeh, waass i eh non et".

"Serwas" begruesst der Wirt freundlich einen weiteren Neuankoemmling
und geht ihm entgegen. Der Neue laechelt zurueck. "Wie geht's?" fragt
er ein wenig schuechtern. Die anderen Gaeste schauen den gut
gekleideten Tuerken neugierig und nicht unfreundlich an, auch der
"Buagamasta". Es ist offenkundig der Nachpaechter, der mit dem Chef
Einrichtungsdetails besprechen will. Wie das mit der Fensterfront sei,
fragt er. Und vor allem interessiert er sich dafuer, wie der
scheidende Paechter vor 35 Jahren die mittlerweile nikotingefaerbte
Holzdecke eingezogen hat. "Du, des wiad net buellig. I hob domois
200.000 Schuelling fia den Umbau zoilt. Heit wiast scho mit 30- oda
40.000 Eiro rechnen kennan", erklaert ihm der Wirt und deutet mit der
Hand durch das Lokal. Der junge Nachpaechter nickt und laesst seinen
Blick pruefend durch das Lokal schweifen. Ein paar letzte Details,
dann muss der Mann wieder zum Dienst. Er ist Kellner in einem Lokal in
der Gegend. "Tschuess, ich muss leider. Bis naechste Woche". "Jo, b'hait
di. Moch's gut".

"A netta Keal is des scho", nickt er anerkennend, nachdem sein
Nachfolger das Lokal verlassen hat. "Schod, dass es a Tiak is. Sunst
kunnt ma jo nochhea wieder herkumman", murmelt ein Stammgast. "Oft
hamma ja nimma Gelegenheit. Na jo, vielleicht schau im Juni donn zua
Keaschi". Zustimmung bei den anderen Gaesten. "Speasstund ist, meine
Heann" ruft Frau Liesi und macht die Rechnungen fertig. Anschreiben
geht nicht mehr, sagt sie einem Gast auf Nachfrage. "Wia speann boid
zua". Ein Stueckchen Sicherheit, das die Gaeste verloren haben, auch
wenn das Ende ihres Stammlokals erst in einem Monat kommt. Die vielen
Gefuehle, die dranhaengen, machen den Abschied nicht leichter. Den
Stammgaesten hier kommen Veraenderungen eher vor wie unabwendbare
Bedrohungen, denen sie ihr Leben lang ausgeliefert sind. Wenn der
Arbeitsplatz verloren geht etwa, die Firma zusperrt. Das haben sie
alles hinter sich. Das Stammlokal, einen Ort des Rueckzugs, zu
verlieren, vielleicht den einzigen, den sie haben, wiegt da schwer.
Muss man sich auf neue Kueche einstellen, wenn man am gleichen Ort
bleiben will, kann das in einigen Faellen eine nicht bewaeltigbare
Herausforderung sein. Vor allem, wenn man im Gegenueber zuerst den
Pass sieht und nicht das Gesicht. Auch wenn man den Nachpaechter
vielleicht sogar ein bisschen gerne hat. Obwohl er "a Tiak" ist. Eine
schwierige Sache scheint das Neue zu sein fuer die Stammgaeste des
"oesterreichischen Betriebs". Aber vielleicht geben sie dem
Nachpaechter eine Chance. Vielleicht ist die eine Gewohnheit, das
Lokal am ewig gleichen Ort aufzusuchen, staerker als die Angst vor dem
(eingebildeten) Fremden.
*Viktor Englisch*


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