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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. April 2008; 18:43
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Soziales:
> Wenn Armut einsam macht
Ein Erfahrungsbericht
Armut macht krank. Diese Grundaussage jeder ernsthaften Sozial- und
Gesundheitsforschung habe ich waehrend meiner Arbeitslosigkeit
gluecklicherweise nicht verifiziert. Eher, dass Arbeit krank macht.
Kaum hatte ich meinen letzten Arbeitstag hinter mir, wurden meine seit
Monaten dauernden Beschwerden nach einem Bandscheibenvorfall
schlagartig besser. Die Depressionen nur kurzfristig. Spaetestens nach
der zehnten Ablehnung und als mir das Geld auszugehen begann, kehrten
sie wieder.
Dass ich auf der Arbeitssuche vergleichsweise erfolgreich war -
immerhin antwortete mir fast jeder, den ich anschrieb und ich hatte
etliche Bewerbungsgespraeche - half wenig. Man empfindet jede Absage
als persoenlich, als Verletzung. Zumindest am Anfang. Irgendwann ist
man vermutlich so niedergeschlagen, dass man sich daran gewoehnt, dass
einen das System Lohnsklaverei fertiggemacht und ausgespuckt hat und
sich weigert, einen wieder aufzufressen.
Schoen, dass man weg ist aus dem System. Waeren wir nicht alle so
konditioniert, dass wir Lohnarbeit als sinnstiftend ansehen wuerden.
Und waere da nicht die Geldfrage. Arbeitslosengeld zu bekommen, so
begruessenswert es auch im Prinzip ist, so sehr ich es fuer ein
Menschenrecht halte, ist im wesentlichen nicht mehr als in den
sozialen Abstieg hinunterverwaltet zu werden. Die naechste Stufen,
Notstandsbeihilfe bzw. Sozialhilfe, sind mir gluecklicherweise erspart
geblieben.
Der Abstieg manifestiert sich sehr schnell. Wenn die Firma einen Monat
im Voraus zahlt und du dich um die Abfertigung streiten musst wie in
meinem Fall, heisst das, dass du zwei Monate ohne Geld dastehst. Die
Kosten bleiben. Das haelt kein Konto aus. Und Banken werden sehr
unbarmherzig, wenn sie mitbekommen, dass man Arbeitslose bezieht,
diesen kleinen Ersatz des frueheren Einkommens.
Zehn Euro am Tag und nicht mehr, war mein Ziel. Eigentlich schon mehr
als ich mir waehrend des letzten Monats haette leisten koennen. Fuer
einen Raucher ist das nicht viel. Gluecklicherweise hat mir ein Freund
ausgeholfen. Das soll kein Zerfliessen in Selbstmitleid sein. Nur der
Versuch, eine Situation, unter der bis zu einer Million Menschen in
Oesterreich leidet, anhand eigener Erfahrungen anschaulich zu machen.
Das erste, was ich eingestellt habe, waren die regelmaessigen
Kaffeehausbesuche. Frueher habe ich dort meine Freunde getroffen und
ein paar Bekannte. Ich bin unter Leuten gewesen. Fuer einen Single,
der zu seiner Familie ein gespanntes Verhaeltnis hat, einer der
wenigen Orte fuer Sozialkontakte. Waeren nicht ein guter Freund von
mir gewesen und der Wirt meines Stammlokals, ich waere nicht mehr vor
die Tuer gegangen. So geht es vielen. Armutsgefaehrdete oder arme
Menschen in Oesterreich leiden doppelt so oft an Einsamkeit wie
andere. Sagt die Statistik Austria. Die hat meiner Meinung nach eine
etwas zu genaue Definition des Begriffs Einsamkeit. Einsam ist fuer
sie, wer nur einmal pro Woche oder seltener Kontakt zu Freunden und
Bekannten hat. Bei mir war es zwei- bis dreimal. Einsam vorgekommen
bin ich mir trotzdem.
Arbeit hat einen Vorteil: Man ist staendig unter Menschen. Faellt das
weg, wie bei mir, gehen einem auf einmal die meisten regelmaessigen
Sozialkontakte ab. Und wenn man eigentlich eh nicht mehr ins
Kaffeehaus gehen kann, faellt das doppelt ins Gewicht.
Ich bin meinen Kaffeehausbekanntschaften, wenn ich sie auf der Strasse
getroffen habe, ausgewichen. Ich habe mich vor ihnen geschaemt. Mir
war es unangenehm, ihnen zu sagen, dass ich nicht einmal das Geld fuer
einen Kaffee hatte. Wer gibt schon gerne zu, dass er pleite ist,
ausser im Scherz? Ich nicht, zumal ich vorher nicht schlecht verdient
hatte. Und auf einmal der zu sein, der darauf angewiesen ist,
eingeladen zu werden, statt wie bisher selbst einzuladen, war fuer
mich unmoeglich.
Ein guter Freund von mir hat das zumindest zum Teil verstanden. Er hat
mir, wie schon erwaehnt, aus der Patsche geholfen. Und er hat
sichergestellt, dass ich zumindest teilweise geldboerselschonend unter
die Leute komme. Er hat mich praktisch jedes Wochenende zu sich
eingeladen. Mein Weinkeller hat sich zwar zusehends geleert (naja, der
bestand eh aus nur 30 Flaschen, die zum Teil schon jahrelang dort
lagen), aber das hat noch immer weniger gekostet als in einem Lokal.
Er hat meistens die Pizza bezahlt, die wir bestellt haben, grosser
Koch ist er keiner. So haben wir die Samstag- und oft auch
Sonntagnachmittage verbracht, bis zum Abend. Manchmal auch bis
Mitternacht. Ich bin dann den guten Kilometer zu Fuss heimgegangen.
Das Geld fuer einen Fahrschein wollte ich mir sparen. Diese
Nachmittage haben vermutlich verhindert, dass meine Depressionen
vollends von mir Besitz ergriffen.
Den Wirt von meinem Stammlokal hab ich auch erwaehnt. Es ist mir sehr
unangenehm gewesen, anschreiben zu lassen. Fuenf Jahre kenne ich ihn
schon und nie bin ich die Rechnung schuldig geblieben. Fuer ihn ist
das kein Problem gewesen. Nicht nur aus oekonomischem Kalkuel. Er ist
auch ein Freund, der einem anderen Freund aus der Patsche geholfen
hat. Ein, hoechstens zwei Abende pro Woche hab ich dort verbracht.
Meist am dienstaeglichen Stammtisch, dem Hoehepunkt meiner Woche.
Schon nett, solche Dienstagsrunden unter Freunden. Aber ein
aufregenderes Leben haette ich mir schon vorgestellt, jetzt wo ich
schon Zeit hatte. Von Mittwoch bis Samstagnachmittag Einsamkeit. Und
von Sonntagabend bis Dienstagabend wieder. Irgendwann willst du nicht
einmal mehr lesen. Humoristische Buecher habe ich nicht witzig
gefunden und problembewusste Literatur hat mich nur noch weiter
runtergezogen. Wirklicher Zeitvertreib sind lange Spaziergaenge
gewesen. Auch nicht angenehm im Winter. Wenigstens konnte ich andere
Menschen beobachten.
Da waren auch einige dabei, denen's nicht so gut ging wie mir. Oder
soll ich sagen, schlechter? Haengt vom Standpunkt ab, denke ich. Wenn
man ganz unten ist wie die vielen Roma-Bettler in Wien, kann's nur
mehr aufwaerts gehen. Ob die jetzt organisiert sind, oder nicht, ist
wurscht. Wenn die ausreichend Geld verdienen koennten, waeren sie
froh, nicht mehr im Winter auf dem kalten Beton von Wiener Gehsteigen
sitzen zu muessen. Oder die Obdachlosen in der Betreuungsstation bei
der U-Bahnstation Josefstaedter Strasse. Was beide Gruppen gemeinsam
haben, ist, dass eine Unterhaltung mit ihnen nicht ganz leicht ist.
Wenn man selber nicht so weit unten war, kann man sie bestenfalls
mangelhaft verstehen. Sprachliche Differenzen hin oder her. Da kaempft
jeder fuer sich, oft ums nackte Ueberleben. Oder um die waermere
Decke. Dinge, die sich ein Mensch nicht vorstellen kann, der sich nur
seinen Kaffee nicht leisten kann.
Ich habe Glueck gehabt. Ich habe Arbeit gefunden, bevor die Geduld
meiner Freunde erschoepft war. Das passiert nur wenigen. Was tut man,
wenn der Stammwirt die Rechnungen bezahlt haben will? Wieder einen
Freund anpumpen vermutlich und sich lange nicht mehr dort blicken
lassen. Daheim sitzen und brueten, auch am Dienstagabend. Vermute ich.
Und irgendwann wird einen auch der beste Freund nicht mehr jeden
Samstag zu sich einladen. Vielleicht will er selber fortgehen und sich
den Truebsinn des Gegenuebers nicht mehr anhoeren, den er seit Wochen
ertragen hat. Verstaendlich. Das ging mir in aehnlichen Situationen
genauso. Und ich bin ein geduldiger, empathischer Mensch. Irgendwann
vereinsamst du total, sofern du keinen Anschluss zu Menschen in der
gleichen Situation findest. Sofern du dich dazu aufraffen kannst, ihn
zu suchen. Ich haette es in meiner Lage nicht geschafft. Da haette das
letzte Restchen Stolz rebelliert. In meinen Augen waere ich dann fast
ganz unten angekommen. Nur einen kleinen Schritt von den Obdachlosen
der Josefstaedter Strasse entfernt. Das macht einem Angst. Mir
zumindest.
Vielleicht jemandem vom Land weniger. Der kennt Obdachlose meist
nicht. Aber fuer den ist es noch schwerer, Anschluss zu finden. Wenn
du das Auto brauchst, um zur Selbsthilfegruppe zu fahren, wirst du dir
das zweimal ueberlegen. Und ob sich dort die Menschen so solidarisch
verhalten wie in Problemfilmen, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Auch
am Land wirst du sehr schnell sehr einsam werden. Vielleicht noch
schneller. In einer Pendlergemeinde haben die Leute unter der Woche
auch nicht viel Zeit. Vielleicht findet sich ein guter Freund, der
einen am Samstag einlaedt. Die Spaziergaenge werden aber einsamer
werden. Und das naechste Cafe, in das zu gehen man sich eigentlich
nicht leisten kann, ist meist kilometerweit weg. Auch das eine
Kombination, die leicht in die soziale Isolation fuehrt.
*Viktor Englisch*
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