**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. April 2008; 19:52
**********************************************************
Debatte/Parteiprojekt:
> Aufruf zur Vorbereitung einer Wahlgemeinschaft
Wenn unsere Kritik am EU-Reformvertrag stimmt, dann haben wir einen
weiteren Vormarsch des Neoliberalismus zu erwarten. Das betrifft vor
allem Soziales (auch Steuern), die zunehmende Orientierung auf
militaerische Loesungen von Interessenskonflikten und den Mangel an
gelebter Demokratie. Die auf den Lobbyismus gestuetzte Vorherrschaft
der Vermoegensbesitzer wird weitergehen.
Es hat sich Widerstand gegen die herrschenden Verhaeltnisse gebildet.
Schon mehr als "fuenfzig Vorschlaege fuer eine gerechtere Welt"
entstanden als Ausdruck konstruktiver Kritik. Es ist an der Zeit vom
Widerstand gegen das Schaedliche zum Durchsetzen des Nuetzlichen
ueberzugehen. Der Neoliberalismus muss endlich gestoppt werden - auch
um Kraft zur Verwirklichung einer besseren Welt zu gewinnen.
Die politische Welt ist eine solche von Republiken. Verschiedene
Formen von buergerlich parlamentarischen Demokratien bilden den
Hauptrahmen fuer die politische Taetigkeit. Dieser kann zwar
ueberschritten aber nicht erfolgreich negiert werden. Die
Zivilgesellschaft braucht zur Durchsetzung ihrer Forderungen und zu
deren Absicherung einen gesetzlichen Rahmen - das bedeutet
parlamentarischen Einfluss.
Die heutigen oesterreichischen Parlamentsparteien werden von der
herrschenden Klasse dominiert. Dementsprechend machen sie Politik
statt der Buerger und nicht mit ihnen. Ihr Verhalten in der Frage des
EU-Reformvertrages wirft ein grelles Licht auf ihr wirkliches
Funktionieren. Buergerbefragung (mit anschliessender Schubladisierung
oder Verzerrung ins Gegenteil) statt Buergerbestimmung ist die
Leitlinie dieser Art von Demokraten.
Die Zivilgesellschaft braucht (auch) eine neue Art von
Wahlgemeinschaft als Mittel der Wahlmoeglichkeit im Parlament und zur
Verstaerkung ihres Einflusses.
Eine neue Art von Wahlgemeinschaft
Es geht jetzt nicht um die Frueh-geburt einer neuen Partei. Es geht
jetzt nicht um die Kopf-geburt derer, die glauben die ganze Wahrheit
der gesellschaftlichen Entwicklung zu kennen. Es geht nicht um das
Projekt einer (selbsternannten) politischen Elite, die ihre
Schlussfolgerungen der ganzen Gesellschaft ueberstuelpen will.
Es geht um einen dynamischen inhaltlichen und organisatorischen
Prozess. Er muss aus dem Wissen und den Aktionen der Zivilgesellschaft
gespeist werden und sich wiederum auf diese stuetzen. Das schliesst
die jederzeitige Rechenschaftspflicht gegenueber der Zivilgesellschaft
ein.
Also muss die Neue Art von Wahlgemeinschaft sich grundsaetzlich von
allen bisherigen Parteien unterscheiden. Ich halte zwei Wesensmerkmale
fuer unverzichtbar.
Erstens muss in dieser Neuen Wahlgemeinschaft die jederzeitige Wahl
und Abwahl der RepraesentantenInnen moeglich sein (Die genauen
Ausfuehrungsbestimmungen sind erst zu erarbeiten. Ich verweise nur auf
die Moeglichkeiten der modernen Informationstechnologie).
Das ist ein unverzichtbarer Schutzschild gegen die Herausbildung von
Cliquen (Netzwerken), die von den wahren Besitzern der
gesellschaftlichen Macht korrumpiert und auf ihre Seite gezogen werden
koennen. Es ist auch ein Schutzschild gegen den Kult der "grossen
Fuehrer". Wenn diese erst "oben" sind, ordnen sie oft ihre
persoenlichen Ziele dem gesellschaftlichen Ziel ueber.
Wir brauchen politischen Wettbewerb in der Bewegung ohne in
Fraktionskaempfen zu versinken. Bisherige Organisationsstrukturen sind
nicht aufzuloesen. Im Gegenteil, auch sie sollen weiter wachsen. In
ihnen drueckt sich die kollektive politische und Fachkompetenz der
Zivilgesellschaft aus. Nur sollen sie gleichzeitig Teil eines
wachsenden Netzwerkes sein, welches die Kraft vieler Gruppen buendelt.
An die Stelle des Kampfes der Gruppen um die richtige Linie tritt die
gemeinsame Arbeit fuer ein klar definiertes und konkretes Ziel. Das
kann aber mit unterschiedlichen Begruendungen angesteuert werden. Und
durch die jederzeit moegliche Wahl und Abwahl sind alle politischen
WettbewerberInnen dem Urteil der Zivilgesellschaft unterworfen.
Ausserdem muss sich der parlamentarische Arm der Zivilgesellschaft in
erster Linie auf diese stuetzen und nicht auf den Abtausch von
Interessen im parlamentarischen Kuhhandel (der die Absichten der
Zivilgesellschaft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt). Das schliesst
Buendnisse im Parlament nicht aus. Aber die Parlamentsvertreter der
Neuen Wahlgemeinschaft sind in erster Linie dem Willen der
Zivilgesellschaft verpflichtet.
Zweitens ist deshalb das hauptsaechliche Mittel, den Willen der
Zivilgesellschaft durchzusetzen, das Organisieren von
Volksabstimmungen in wesentlichen gesellschaftlichen Fragen.
An die Stelle des Interessenshandels im Parlament tritt die die
Herausbildung des Willens der Gesellschaft (die uebergrosse Mehrheit
derer, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben) und die
Durchsetzung dieses Willens in einer Volksabstimmung. Eine
Zusammenarbeit mit anderen Parteien dient hauptsaechlich diesem Ziel.
Die Buergerbefragung in Oberoesterreich zur Privatisierung der
Energiebetriebe zeigt deutlich die potentielle Kraft dieser
Aktionsform.
Hier ist zwar auch die Rede von Volksabstimmungen die vom Parlament
angeordnet werden. Viel wichtiger ist jedoch die Organisierung der
Volksabstimmung von unten. Die Neue Wahlgemeinschaft muss darin ein
Hauptmittel sehen. Sie wartet nicht auf die Erlaubnis von oben. Sie
nimmt sich das Recht, von unten, im Rahmen der Zivilgesellschaft eine
solche zu organisieren. Diese Abstimmungen haben eine Vorlaufphase
(Bestimmung des Themas, Herausbildung der Formulierung) und eine
Aktionsphase (tatsaechliche Durchfuehrung). Gleichzeitig wird der
Druck im und auf das Parlament verstaerkt. Das wird drei guenstige
Folgen haben.
Einmal ist das politische Gewicht einer Neuen Wahlgemeinschaft, die
sich auf das Ergebnis einer Volksabstimmung stuetzt, weitaus groesser
als das einer noch so "fortschrittlichen" Kraft ohne diese. Denn man
hat es in entscheidenden Fragen mit der Einheitsfront der Herrschenden
zu tun.
Zum anderen bringt das Ergebnis einer Volksabstimmung (von unten) auch
die Verhaeltnisse in anderen Parlamentsparteien in Bewegung. Denn
diese leben ja ideologisch ganz wesentlich von dem Anspruch (den viele
Waehler ernst nehmen) dem Waehlerwillen zu entsprechen.
Drittens wird eine Neue Wahlgemeinschaft, die sich prinzipiell an das
Ergebnis einer Volksabstimmung (von unten) haelt, fuer enttaeuschte
Waehler (Nichtwaehler) interessant.
Volksabstimmungen sind kein Allheilmittel. Das beweist das politische
Leben in der Schweiz.
Aber sie sind im jetzigen Entwicklungsstand der buergerlichen
parlamentarischen Republik ein geeignetes Mittel die Einheitsfront der
gesellschaftlich Maechtigen (die Besitzer der grossen Vermoegen) im
Parlament ins Wanken zu bringen.
Auch ist das Entstehen der Forderung nach Volksabstimmung zu
verschiedenen Inhalten aus der Zivilgesellschaft heraus ein gewisser
Schutz gegen "krause" Ideen. Eine Volksabstimmung, die einen Krieg
beschliesst, scheint hoechst unwahrscheinlich zu sein.
Die naechsten Schritte
In einem ersten Schritt muss der Prozess der ueberlegenden Diskussion
organisiert werden. Inhaltliche und organisatorische Fragen sind
parallel und einander ergaenzend zu behandeln und zu klaeren.
Alle Interessierten sind zur Teilnahme berechtigt. Die NGO`s ,
Gewerkschaften, Arbeiterkammern, Religionsgemeinschaften,
Interessensverbaende (Z.B. VKI, OeH), KuenstlerInnen,
WissenschaftlerInnen und einzelne Personen sind eingeladen.
Ausgeschlossen sind lediglich rassistische, fremdenfeindliche und
faschistoide Ideen.
Eine Initiativgruppe soll den Anstoss geben und dann aber offen sein
fuer neue MitarbeiterInnen.
Allmaehlich erfolgt die Herausbildung der grundlegenden Inhalte
(Demokratie, Soziales, Oekologie, Friedenspolitik, internationale
Beziehungen) und organisatorischer Strukturen.
Genauigkeit und fundierte Strategie gehen vor Geschwindigkeit.
Eine Neue Wahlgemeinschaft erfordert nicht die Uebereinstimmung aller
in allen Fragen. Sie erfordert nicht die Formulierung der richtigen
Generallinie. Wir koennen ruhig bescheidener sein, aber wir muessen
ernsthafter und politisch klueger sein als bisher.
Es ist davon auszugehen, dass die Zivilgesellschaft (die grosse
Mehrheit der Bevoelkerung) in grundlegenden Fragen ein Ziel gemeinsam
anstreben kann. Und das ohne im Endziel der gesellschaftlichen
Entwicklung und ohne in der grundlegenden Ideologie ueberein zu
stimmen.
Politischer Wettbewerb in der Neuen Wahlgemeinschaft soll nicht
verhindert (sondern kanalisiert) werden. Im Gegenteil - er ist
erwuenscht zur Auffindung des richtigen Inhaltes und der
erfolgreichsten Methoden seiner Durchsetzung. Auch deshalb sollen die
eigenen Strukturen der TeilnehmerInnen nicht aufgeloest, sondern
gebuendelt werden.
Das Ziel der Neuen Wahlgemeinschaft ist eine Einheitsfront der
Zivilgesellschaft gegen den Neoliberalismus zu schaffen! Wer das nicht
fuer moeglich haelt, spricht der Bevoelkerung die Faehigkeit ab aus
sich heraus gesellschaftliche Ziele zu definieren und zu verfolgen. In
der Geschichte der Menschheit gelang oftmals genau das. Die Pflicht
der politisch Bewussten ist es, diese Schritte zu foerdern.
Um den beschriebenen Inhalt zu verdeutlichen moechte ich am Beispiel
einer grundlegenden Frage die Verwirklichung einer Einheitsfront
darstellen.
Die Umverteilung ist allseits anerkannter Bestandteil des Handelns im
Sozialstaat, der ebenfalls allseits anerkannt ist. Wir koennen
erkennbar machen, dass mehr Umverteilung notwendig ist. Wir koennen
uns darauf einigen, dass Steuern ein zentrales Element der
Umverteilung sind. Es kann verdeutlicht werden, dass die Besitzer der
grossen volkswirtschaftlichen Vermoegen anteilsmaessig zuwenig Steuern
zahlen. Daraus folgt also die Notwendigkeit der Aenderung des
Steuersystems durch die Einfuehrung einer echten Vermoegenssteuer.
Fuer die Abschaetzung der Folgen bei verschiedenen Prozentsaetzen und
Freibetraegen brauchen wir die Hilfe von NGO`s und Experten. Weil die
Neue Wahlgemeinschaft die so entwickelte Forderung ernsthaft und
alsbald durchsetzen will (und im Parlament keine Mehrheit findet),
fordert sie eine Volksabstimmung darueber. Falls die Entscheidung dazu
im Parlament nicht erfolgt, organisieren wir eine Volksabstimmung von
unten. Wenn wir sie gewinnen, treten die oben beschriebenen guenstigen
Folgen ein.
Um all das zu erreichen brauchen wir keine Uebereinstimmung in der
Einschaetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, des
buergerlichen Staates und der Politik mit dem Ziel Reform oder
Revolution.
Egal, ob von religioesen Normen geleitet, der Absicht zur Verbesserung
im Sinne von Reformen oder vom Wunsch nach einer sozialistischen
Revolution - diesen einen Schritt auf einem langen Weg koennen wir
gemeinsam machen.
Die verwirklichte Einheitsfront der Bevoelkerung ist Ausdruck der
Faehigkeit der politisch Handelnden, eine grundlegende
Uebereinstimmung in der Zivilgesellschaft zur Leitlinie einer sinnvoll
gerichteten politischen Kampagne (fast) aller zu machen. In diesem
Beispiel ist die grundlegende Uebereinstimmung das Verstaendnis von
sozialer Gerechtigkeit.
Wenn der Neoliberalismus objektiv gegen die Interessen der Mehrheit
der arbeitenden Menschen gerichtet ist, dann sind objektiv die
Bedingungen fuer eine Einheitsfront gegeben. Sie zu verwirklichen
haengt dann von unseren subjektiven Faehigkeiten ab.
Die Neue Wahlgemeinschaft kann zu einer NR-Wahl im Jahr 2010 bereit
stehen.
*Hans Kohlmaier, umverteilung.at*
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin