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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. April 2008; 19:52
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Debatte/Parteiprojekt:
> Aufruf zur Vorbereitung einer Wahlgemeinschaft
Wenn unsere Kritik am EU-Reformvertrag stimmt, dann haben wir einen 
weiteren Vormarsch des Neoliberalismus zu erwarten. Das betrifft vor 
allem Soziales (auch Steuern), die zunehmende Orientierung auf 
militaerische Loesungen von Interessenskonflikten und den Mangel an 
gelebter Demokratie. Die auf den Lobbyismus gestuetzte Vorherrschaft 
der Vermoegensbesitzer wird weitergehen.
Es hat sich Widerstand gegen die herrschenden Verhaeltnisse gebildet. 
Schon mehr als "fuenfzig Vorschlaege fuer eine gerechtere Welt" 
entstanden als Ausdruck konstruktiver Kritik. Es ist an der Zeit vom 
Widerstand gegen das Schaedliche zum Durchsetzen des Nuetzlichen 
ueberzugehen. Der Neoliberalismus muss endlich gestoppt werden - auch 
um Kraft zur Verwirklichung einer besseren Welt zu gewinnen.
Die politische Welt ist eine solche von Republiken. Verschiedene 
Formen von buergerlich parlamentarischen Demokratien bilden den 
Hauptrahmen fuer die politische Taetigkeit. Dieser kann zwar 
ueberschritten aber nicht erfolgreich negiert werden. Die 
Zivilgesellschaft braucht zur Durchsetzung ihrer Forderungen und zu 
deren Absicherung einen gesetzlichen Rahmen - das bedeutet 
parlamentarischen Einfluss.
Die heutigen oesterreichischen Parlamentsparteien werden von der 
herrschenden Klasse dominiert. Dementsprechend machen sie Politik 
statt der Buerger und nicht mit ihnen. Ihr Verhalten in der Frage des 
EU-Reformvertrages wirft ein grelles Licht auf ihr wirkliches 
Funktionieren. Buergerbefragung (mit anschliessender Schubladisierung 
oder Verzerrung ins Gegenteil) statt Buergerbestimmung ist die 
Leitlinie dieser Art von Demokraten.
Die Zivilgesellschaft braucht (auch) eine neue Art von 
Wahlgemeinschaft als Mittel der Wahlmoeglichkeit im Parlament und zur 
Verstaerkung ihres Einflusses.
Eine neue Art von Wahlgemeinschaft
Es geht jetzt nicht um die Frueh-geburt einer neuen Partei. Es geht 
jetzt nicht um die Kopf-geburt derer, die glauben die ganze Wahrheit 
der gesellschaftlichen Entwicklung zu kennen. Es geht nicht um das 
Projekt einer (selbsternannten) politischen Elite, die ihre 
Schlussfolgerungen der ganzen Gesellschaft ueberstuelpen will.
Es geht um einen dynamischen inhaltlichen und organisatorischen 
Prozess. Er muss aus dem Wissen und den Aktionen der Zivilgesellschaft 
gespeist werden und sich wiederum auf diese stuetzen. Das schliesst 
die jederzeitige Rechenschaftspflicht gegenueber der Zivilgesellschaft 
ein.
Also muss die Neue Art von Wahlgemeinschaft sich grundsaetzlich von 
allen bisherigen Parteien unterscheiden. Ich halte zwei Wesensmerkmale 
fuer unverzichtbar.
Erstens muss in dieser Neuen Wahlgemeinschaft die jederzeitige Wahl 
und Abwahl der RepraesentantenInnen moeglich sein (Die genauen 
Ausfuehrungsbestimmungen sind erst zu erarbeiten. Ich verweise nur auf 
die Moeglichkeiten der modernen Informationstechnologie).
Das ist ein unverzichtbarer Schutzschild gegen die Herausbildung von 
Cliquen (Netzwerken), die von den wahren Besitzern der 
gesellschaftlichen Macht korrumpiert und auf ihre Seite gezogen werden 
koennen. Es ist auch ein Schutzschild gegen den Kult der "grossen 
Fuehrer". Wenn diese erst "oben" sind, ordnen sie oft ihre 
persoenlichen Ziele dem gesellschaftlichen Ziel ueber.
Wir brauchen politischen Wettbewerb in der Bewegung ohne in 
Fraktionskaempfen zu versinken. Bisherige Organisationsstrukturen sind 
nicht aufzuloesen. Im Gegenteil, auch sie sollen weiter wachsen. In 
ihnen drueckt sich die kollektive politische und Fachkompetenz der 
Zivilgesellschaft aus. Nur sollen sie gleichzeitig Teil eines 
wachsenden Netzwerkes sein, welches die Kraft vieler Gruppen buendelt. 
An die Stelle des Kampfes der Gruppen um die richtige Linie tritt die 
gemeinsame Arbeit fuer ein klar definiertes und konkretes Ziel. Das 
kann aber mit unterschiedlichen Begruendungen angesteuert werden. Und 
durch die jederzeit moegliche Wahl und Abwahl sind alle politischen 
WettbewerberInnen dem Urteil der Zivilgesellschaft unterworfen.
Ausserdem muss sich der parlamentarische Arm der Zivilgesellschaft in 
erster Linie auf diese stuetzen und nicht auf den Abtausch von 
Interessen im parlamentarischen Kuhhandel (der die Absichten der 
Zivilgesellschaft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt). Das schliesst 
Buendnisse im Parlament nicht aus. Aber die Parlamentsvertreter der 
Neuen Wahlgemeinschaft sind in erster Linie dem Willen der 
Zivilgesellschaft verpflichtet.
Zweitens ist deshalb das hauptsaechliche Mittel, den Willen der 
Zivilgesellschaft durchzusetzen, das Organisieren von 
Volksabstimmungen in wesentlichen gesellschaftlichen Fragen.
An die Stelle des Interessenshandels im Parlament tritt die die 
Herausbildung des Willens der Gesellschaft (die uebergrosse Mehrheit 
derer, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben) und die
Durchsetzung dieses Willens in einer Volksabstimmung. Eine 
Zusammenarbeit mit anderen Parteien dient hauptsaechlich diesem Ziel.
Die Buergerbefragung in Oberoesterreich zur Privatisierung der 
Energiebetriebe zeigt deutlich die potentielle Kraft dieser 
Aktionsform.
Hier ist zwar auch die Rede von Volksabstimmungen die vom Parlament 
angeordnet werden. Viel wichtiger ist jedoch die Organisierung der 
Volksabstimmung von unten. Die Neue Wahlgemeinschaft muss darin ein 
Hauptmittel sehen. Sie wartet nicht auf die Erlaubnis von oben. Sie 
nimmt sich das Recht, von unten, im Rahmen der Zivilgesellschaft eine 
solche zu organisieren. Diese Abstimmungen haben eine Vorlaufphase 
(Bestimmung des Themas, Herausbildung der Formulierung) und eine 
Aktionsphase (tatsaechliche Durchfuehrung). Gleichzeitig wird der 
Druck im und auf das Parlament verstaerkt. Das wird drei guenstige 
Folgen haben.
Einmal ist das politische Gewicht einer Neuen Wahlgemeinschaft, die 
sich auf das Ergebnis einer Volksabstimmung stuetzt, weitaus groesser 
als das einer noch so "fortschrittlichen" Kraft ohne diese. Denn man 
hat es in entscheidenden Fragen mit der Einheitsfront der Herrschenden 
zu tun.
Zum anderen bringt das Ergebnis einer Volksabstimmung (von unten) auch 
die Verhaeltnisse in anderen Parlamentsparteien in Bewegung. Denn 
diese leben ja ideologisch ganz wesentlich von dem Anspruch (den viele 
Waehler ernst nehmen) dem Waehlerwillen zu entsprechen.
Drittens wird eine Neue Wahlgemeinschaft, die sich prinzipiell an das 
Ergebnis einer Volksabstimmung (von unten) haelt, fuer enttaeuschte 
Waehler (Nichtwaehler) interessant.
Volksabstimmungen sind kein Allheilmittel. Das beweist das politische 
Leben in der Schweiz.
Aber sie sind im jetzigen Entwicklungsstand der buergerlichen 
parlamentarischen Republik ein geeignetes Mittel die Einheitsfront der 
gesellschaftlich Maechtigen (die Besitzer der grossen Vermoegen) im 
Parlament ins Wanken zu bringen.
Auch ist das Entstehen der Forderung nach Volksabstimmung zu 
verschiedenen Inhalten aus der Zivilgesellschaft heraus ein gewisser 
Schutz gegen "krause" Ideen. Eine Volksabstimmung, die einen Krieg 
beschliesst, scheint hoechst unwahrscheinlich zu sein.
Die naechsten Schritte
In einem ersten Schritt muss der Prozess der ueberlegenden Diskussion 
organisiert werden. Inhaltliche und organisatorische Fragen sind 
parallel und einander ergaenzend zu behandeln und zu klaeren.
Alle Interessierten sind zur Teilnahme berechtigt. Die NGO`s , 
Gewerkschaften, Arbeiterkammern, Religionsgemeinschaften, 
Interessensverbaende (Z.B. VKI, OeH), KuenstlerInnen, 
WissenschaftlerInnen und einzelne Personen sind eingeladen. 
Ausgeschlossen sind lediglich rassistische, fremdenfeindliche und 
faschistoide Ideen.
Eine Initiativgruppe soll den Anstoss geben und dann aber offen sein 
fuer neue MitarbeiterInnen.
Allmaehlich erfolgt die Herausbildung der grundlegenden Inhalte 
(Demokratie, Soziales, Oekologie, Friedenspolitik, internationale 
Beziehungen) und organisatorischer Strukturen.
Genauigkeit und fundierte Strategie gehen vor Geschwindigkeit.
Eine Neue Wahlgemeinschaft erfordert nicht die Uebereinstimmung aller 
in allen Fragen. Sie erfordert nicht die Formulierung der richtigen 
Generallinie. Wir koennen ruhig bescheidener sein, aber wir muessen 
ernsthafter und politisch klueger sein als bisher.
Es ist davon auszugehen, dass die Zivilgesellschaft (die grosse 
Mehrheit der Bevoelkerung) in grundlegenden Fragen ein Ziel gemeinsam 
anstreben kann. Und das ohne im Endziel der gesellschaftlichen 
Entwicklung und ohne in der grundlegenden Ideologie ueberein zu 
stimmen.
Politischer Wettbewerb in der Neuen Wahlgemeinschaft soll nicht 
verhindert (sondern kanalisiert) werden. Im Gegenteil - er ist 
erwuenscht zur Auffindung des richtigen Inhaltes und der 
erfolgreichsten Methoden seiner Durchsetzung. Auch deshalb sollen die 
eigenen Strukturen der TeilnehmerInnen nicht aufgeloest, sondern 
gebuendelt werden.
Das Ziel der Neuen Wahlgemeinschaft ist eine Einheitsfront der 
Zivilgesellschaft gegen den Neoliberalismus zu schaffen! Wer das nicht 
fuer moeglich haelt, spricht der Bevoelkerung die Faehigkeit ab aus 
sich heraus gesellschaftliche Ziele zu definieren und zu verfolgen. In 
der Geschichte der Menschheit gelang oftmals genau das. Die Pflicht 
der politisch Bewussten ist es, diese Schritte zu foerdern.
Um den beschriebenen Inhalt zu verdeutlichen moechte ich am Beispiel 
einer grundlegenden Frage die Verwirklichung einer Einheitsfront 
darstellen.
Die Umverteilung ist allseits anerkannter Bestandteil des Handelns im 
Sozialstaat, der ebenfalls allseits anerkannt ist. Wir koennen 
erkennbar machen, dass mehr Umverteilung notwendig ist. Wir koennen 
uns darauf einigen, dass Steuern ein zentrales Element der 
Umverteilung sind. Es kann verdeutlicht werden, dass die Besitzer der 
grossen volkswirtschaftlichen Vermoegen anteilsmaessig zuwenig Steuern 
zahlen. Daraus folgt also die Notwendigkeit der Aenderung des 
Steuersystems durch die Einfuehrung einer echten Vermoegenssteuer. 
Fuer die Abschaetzung der Folgen bei verschiedenen Prozentsaetzen und 
Freibetraegen brauchen wir die Hilfe von NGO`s und Experten. Weil die 
Neue Wahlgemeinschaft die so entwickelte Forderung ernsthaft und 
alsbald durchsetzen will (und im Parlament keine Mehrheit findet), 
fordert sie eine Volksabstimmung darueber. Falls die Entscheidung dazu 
im Parlament nicht erfolgt, organisieren wir eine Volksabstimmung von 
unten. Wenn wir sie gewinnen, treten die oben beschriebenen guenstigen 
Folgen ein.
Um all das zu erreichen brauchen wir keine Uebereinstimmung in der 
Einschaetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, des 
buergerlichen Staates und der Politik mit dem Ziel Reform oder 
Revolution.
Egal, ob von religioesen Normen geleitet, der Absicht zur Verbesserung 
im Sinne von Reformen oder vom Wunsch nach einer sozialistischen 
Revolution - diesen einen Schritt auf einem langen Weg koennen wir 
gemeinsam machen.
Die verwirklichte Einheitsfront der Bevoelkerung ist Ausdruck der 
Faehigkeit der politisch Handelnden, eine grundlegende 
Uebereinstimmung in der Zivilgesellschaft zur Leitlinie einer sinnvoll 
gerichteten politischen Kampagne (fast) aller zu machen. In diesem 
Beispiel ist die grundlegende Uebereinstimmung das Verstaendnis von 
sozialer Gerechtigkeit.
Wenn der Neoliberalismus objektiv gegen die Interessen der Mehrheit 
der arbeitenden Menschen gerichtet ist, dann sind objektiv die 
Bedingungen fuer eine Einheitsfront gegeben. Sie zu verwirklichen 
haengt dann von unseren subjektiven Faehigkeiten ab.
Die Neue Wahlgemeinschaft kann zu einer NR-Wahl im Jahr 2010 bereit 
stehen.
*Hans Kohlmaier, umverteilung.at*
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