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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Maerz 2008; 19:00
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Kommentar:
> Unwuerdiges Schauspiel
Was der "Islamisten-Prozess" ueber Oesterreich 
aussagt
Ich kann mich an kaum einen Strafprozess erinnern, 
der ein erbaermlicheres und unwuerdigeres 
Schauspiel geboten haette als der so genannte 
Islamistenprozess und seine Darstellung in den 
Medien. Ein politischer Prozess gepaart mit 
kleinbuergerlichen Moralvorstellungen, wie sich 
ein Angeklagter vor Gericht zu verhalten haette. 
Das ging auch aus den Urteilsanalysen klar hervor.
Die wesentliche Frage, warum dieser offenbar 
verwirrte und nach allen Aussagen nicht sonderlich 
vernunftbegabte junge Mann vor Gericht stand, ist 
mir vor und waehrend des Prozesses schleierhaft 
geblieben und nach dem Urteil weiss ich es immer 
noch nicht. Die Anklage war hoeflich formuliert 
schwammig. "Bildung einer terroristischen 
Vereinigung" wird dem 22-Jaehrigen vorgeworfen 
(diese Formulierung ist absichtlich. Das Urteil 
ist nicht rechtskraeftig). Welche terroristische 
Vereinigung aus einem 22-Jaehrigen, der noch bei 
seinen Eltern lebt, und seiner mitangeklagten 
21-jaehrigen Frau bestand, blieb unbeantwortet. Al 
Kaida Oesterreich? Die Globale Islamische 
Medienfront? Beantwortet wurde, dass diese 
angebliche Vereinigung nicht einmal den Versuch 
machte, an Waffen oder Sprengstoffe heranzukommen. 
Beantwortet wurde im Prozess, dass diese 
angebliche Vereinigung keine Anschlaege plante, 
sich nicht einmal mit diesem Gedanken trug. 
Beantwortet wurde auch, dass dieses seltsame 
Paerchen niemandem Angst eingejagt hat. Eine 
erstaunliche Erkenntnis in einem angeblichen 
Terrorprozess, bei dem ja per definitionem 
jemandem vorgeworfen wird, Angst zu verbreiten.
Einzig, dass die zwei ein von allen Beobachtern 
eher belaecheltes Video produziert und im Internet 
veroeffentlicht haben, blieb von der Anklage 
uebrig. Und ein bisschen Kontakt mit 
Gleichgesinnten pflegten sie offenbar auch. Vor 
allem der Mann, den man aufgrund seiner Aussagen 
eher fuer einen Fall fuer die Sozialbetreuung oder 
eine Psychotherapie halten kann, je nach Vorliebe 
des Betrachters. Wenn Al Kaida auf solche Leute 
angewiesen ist, gehoert sie ins Kabarett und nicht 
auf internationale Fahndungslisten.
Der Mann waere ziemlich sicher nicht vor Gericht 
gestanden, haette er nicht Sympathien fuer die 
Taliban und die Al Kaida oeffentlich bekundet (und 
das auf eine eher wirre Art, die nicht auf einen 
ausgebildeten Terroristen schliessen laesst), 
sondern waere ein Neonazi ohne 
Migrationshintergrund gewesen. Einem aufrechten 
teutschen Recken ist in diesem Land noch nie die 
Bildung einer terroristischen Vereinigung 
vorgeworfen worden. Auch nicht, wenn auf 
einschlaegigen Websites darueber fantasiert wird, 
wie man Andersdenkende oder Andersaussehende oder 
als anders Empfundene umbringen kann, der 
Holocaust verherrlicht oder geleugnet wird oder 
man sich Gedanken macht, wie man die Macht erobern 
kann. Ab und zu wird einer angezeigt, der 
einschlaegige Lieder ueber das Internet verkauft, 
ab und zu wird eine Homepage vom Netz genommen, 
sehr selten gibt es (ausgesprochen milde) 
Verurteilungen wegen Wiederbetaetigung. Und man 
kann mit Fug und Recht behaupten, dass die 
Neonazi-Szene besser organisiert und gefaehrlicher 
ist als ein real inexistenter Al-Kaida-Zweig, der 
aus zwei Moechtegernmitgliedern besteht und von 
dessen Existenz vermutlich auch die so genannte 
Mutterorganisation nichts weiss. Und der einzige 
Nachweis, dass der Mann wirklich Chef der 
Islamischen Medienfront war, sind seine eigenen 
Aussagen - im Fernsehen und vor Gericht. Allein 
aus diesem Blickwinkel erscheint die Tatsache, 
dass jemand ueberhaupt ein Verbrechen feststellen 
konnte und der Angeklagte zu vier Jahren Haft 
verurteilt wurde, sehr uebertrieben. Aber 
Oesterreich hat offenbar einen "Islamistenprozess" 
gebraucht. Wer sowas nicht hat, ist offenbar 
niemand. Und wie sonst sollte man das Volk in 
Angst und Schrecken vor dem angeblichen 
Bedrohungspotential durch eine 
Vier-Prozent-Minderheit halten. Mit Angst laesst 
sich bestens von Problemen ablenken und Politik 
machen. Hauptsache, die da unten solidarisieren 
sich nicht. Das koennte gefaehrlich werden.
Wenn ein FPOe-Parteiobmann in seiner Jugend Umgang 
mit Neonazis pflegt, drei Bier auf eine Art 
bestellt, die an den verbotenen Kuehnen-Gruss 
erinnert und im Wald in landseraehnlicher Uniform 
mit Farbpatronen auf andere Menschen schiesst, 
gilt das als Jugendsuende. Ob das gut oder 
schlecht ist, sei dahin gestellt. Es ist so. Wenn 
ein etwa gleichaltriger muslimischer Zuwanderer 
und seine Frau ein halblustiges Video ins Netz 
stellen, gilt das als Schwerverbrechen. Obwohl die 
Aussagen des Angeklagten im Prozess nicht auf eine 
geistige Reife schliessen liessen, die jenseits 
der des jungen HC Strache liegt. Auch ein 
Pensionist, der Drohbriefe an Innenminister 
Guenther Platter schickte, wurde nur zu vier 
Monaten bedingt und einer Geldstrafe verurteilt. 
Dass seine Drohungen konkreter waren als die des 
angeklagten "Islamisten" waren (der Pensionist 
schickte dem Minister eine 
9-Millimeter-Pistolen-Patrone) fiel nicht ins 
Gewicht. Er war nur wegen gefaehrlicher Drohung 
angeklagt, nicht wegen versuchter Noetigung der 
Bundesregierung. Unabhaengig davon, dass der 
verzweifelte Pensionist politische Forderungen mit 
seinen Drohungen verknuepft hatte. Ein Schelm, wer 
boeses dabei denkt.
Der 22-Jaehrige "Islamist" scheint ein sehr 
unreifer Angeber zu sein. Um seinem tristen Alltag 
zu entfliehen sucht er Aufmerksamkeit um jeden 
Preis. Die hat er durch Fernsehauftritte und durch 
den Prozess bekommen. Das gibt ihm 
Selbstbestaetigung, die er vorher nie bekommen 
hat. Das haette man wahrscheinlich mit 
Sozialarbeit und einer besseren Einbindung in die 
Gesellschaft verhindern koennen. Allein, die 
Instrumente um das zu erreichen, sind nur auf 
heimische Sozialfaelle ausgerichtet und 
funktionieren nicht einmal dort einwandfrei. Die 
einfache Erkenntnis, dass das Sozialsystem 
Migranten auf eine besondere Art ansprechen muss, 
dass diese besondere Beduerfnisse haben, scheint 
sich nicht wirklich durchgesetzt zu haben. 
Stattdessen wird dieser Bevoelkerungsgruppe immer 
mehr abverlangt. Geboten wird ihnen nichts. Das 
treibt Leute wie den Angeklagten manchmal zu 
seltsamen Aktionen. Dieser hat die Religion als 
Ausdrucksmittel seines Protests entdeckt. Etwas 
anderes hat sich ihm, vielleicht mangels Bildung, 
vielleicht aufgrund falscher Erziehung, nicht 
erschlossen. Schlimm genug, aber nicht 
strafwuerdig. Bei Skinheads ist es im wesentlichen 
nicht anders: ein diffuser Protest manifestiert 
sich in unappetitlichen Parolen. Ein politischer 
Hintergrund stellt sich erst nach und nach ein. 
Trotzdem sollte man nicht jeden vier Jahre ins 
Gefaengnis schicken. Das desozialisiert die 
Betroffenen statt sie zu resozialisieren und 
abschreckende Wirkung hat das genauso wenig wie 
jede andere Strafe. Ohne diese Umtriebe 
verharmlosen zu wollen - sofern keine Gewalt 
involviert ist, keine illegalen Strukturen 
aufgebaut werden, ist die Haerte des Gesetzes bei 
Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht 
angebracht. Praeventionsarbeit waere besser.
Was hier vor Gericht stand, ist eine gescheiterte 
Integrationspolitik. Bestraft wurde ihr Opfer. Das 
ist die wahrscheinlich wichtigste Lehre aus diesem 
Prozess.
Und der Prozess hat uns etwas anderes vor Augen 
gefuehrt. Die Selbstherrlichkeit der Justiz. 
Gerichtsreporter, Anwaelte, Zuschauer, 
Zeitungsleser haben dem Angeklagten vorgeworfen, 
ein Schauspiel gegeben zu haben. Er habe zur 
Wahrheitsfindung nicht beigetragen. Es ueberrascht 
und bestuerzt, dass irgendjemand ernsthaft davon 
ausgeht, dass ein oesterreichischer Strafprozess 
irgendetwas mit Wahrheitsfindung zu tun hat. Er 
ist ein Schauspiel, das die Staatsmacht gegen den 
Angeklagten auffuehrt. Wenn ein Angeklagter diese 
asymmetrische Buehne als Auffuehrungsort fuer ein 
eigenes Schauspiel entdeckt, darf man ihm das 
nicht vorhalten. Er hat nicht mit den Haenden an 
der Hosennaht stramm vor dem Richter zu stehen, 
der sich fuer die Auffuehrung der Tragikomoedie 
mit seiner schwarzen Robe kostuemiert hat. Ganz 
nebenbei: Nur Richter und Staatsanwalt tragen 
Roben, die die Staatsmacht symbolisieren. Der 
Verteidiger tritt in Zivilkleidung auf. Er wird 
nicht einmal als annaehernd gleichgestellt 
gesehen. Begruendet wird das alles mit einer 
"Wuerde des Gerichts". Worin die bestehen soll, 
wenn sich Richter in ihren schwarzen Roben hinter 
einem Kreuz verstecken, wenn eine Angeklagte sich 
mit einer Burka kostuemiert hat und sie aus dem 
Saal werfen lassen, ist unklar. Man kann nicht 
eine Anmassung zulassen und eine andere verbieten. 
Und das Kreuz als Symbol fuer eine ueberirdische 
Gerechtigkeit ist eine doppelte Anmassung. Der 
Staat masst sich an, die Existenz einer 
Gerechtigkeit jenseits der Welt festzustellen und 
diese jedem, der vor Gericht steht, aufzuzwingen. 
Als ob es vor Gericht nicht um staatliches Recht 
ginge sondern um das Juengste Gericht. Und 
zweitens masst sich der Staat an, das Symbol einer 
Religion fuer eine behauptete Gerechtigkeit 
jenseits dieser Welt ueber die aller anderen zu 
stellen. Entweder gleiches Recht fuer alle oder 
wir lassen's bleiben. Entweder das Kreuz bleibt 
und die Frau darf ihre Burka tragen - oder beide 
verschwinden. Als Freidenker bin ich vehementer 
Befuerworter der letzten Variante. Solange aber 
ein Kreuz am Richtertisch steht, werde ich jene 
verteidigen, die es ihm mit ihren eigenen Symbolen 
gleichtun wollen.
*Viktor Englisch*
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