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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Februar 2008; 17:18
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Bildung/Glosse:
> Schule ohne Konkurrenz!
Konkurrenz gibt es ueberall. Gerade auch unter denen, die sie
verteufeln. Konkurrenz ist eine Grundbefindlichkeit des realen Seins:
Wo eine Sonne ist, kann keine zweite sein, wo ein Baum ist, kann kein
anderer wachsen, was ein Tier frisst, kann kein anderes fressen. Was
ich verdiene, kann kein anderer verdienen. Darwin hat - von Malthus
angeregt - darauf aufmerksam gemacht. Dafuer wird er immer noch
fleissig gepruegelt, auch von den heftig Konkurrierenden. Allerdings
hat er nicht vom Kampf ums Dasein gesprochen wie seine deutschen
Uebersetzer und ihre Nachbeter. Er hatte Struggle for Existence
geschrieben. Das war ehrlicher, denn ein wirklicher Kampf ist eher die
Ausnahme. Immerhin: Es reichte, alle Konkurrenz zu verteufeln und
Darwin gleich mit. Vielleicht laesst sich dadurch sogar ein Konkurrent
einschuechtern. Dann hat man einen Konkurrenten weniger.
Gleichwohl: Hier soll die Konkurrenz nicht verherrlicht werden.
Vielmehr soll ueberlegt werden, wo man Konkurrenz mildern, vielleicht
abschaffen kann, in der Schule zumindest. Da wird naemlich Konkurrenz
unnoetig verschaerft: durch den Befehl, dass alle das gleiche zur
gleichen Zeit beim gleichen Lehrer lernen muessen und dann an der
gleichen Elle gemessen werden. Offizielle und geheime Paedagogik tun
so, als seien die gegenwaertige Schule, ihr obrigkeitlich
abgesicherter Lern-Befehl, ihre Lern-Kontrollen und ihre
Jahrgangs-Klassen Natur-Konstanten.
Sind sie aber nicht. Es gibt Schulen, in PISA-Sieger-Laendern sogar,
die zumindest in den unteren Jahrgaengen keine Zensuren und kein
Sitzen-Bleiben kennen. Und so viele Pflicht-Faecher wie in Deutschland
schon gar nicht. Auch in den anderen Laendern gibt es Schueler, die
mit ihrem Lern-Vermoegen schlechte Erfahrungen machen, und andere, die
gute Lern-Erfolge aufweisen. Auch das ist Konkurrenz, unvermeidliche,
aber ohne die bei uns ueblichen Folgen. Das Lern-Vermoegen der
Menschen ist leider sehr unterschiedlich, und niemand konnte das bis
jetzt aendern.
Wie kann man Konkurrenz vermeiden? Indem man den unsinnigen und
wirkungslosen Einheits-Lern-Befehl abschafft. Niemand hat untersucht,
ob alle zur gleichen Zeit das gleiche lernen muessen und koennen. Das
Gegenteil ist bewiesen: Tatsaechlich lernen ja alle etwas anderes. Sie
suchen sich aus dem Lernstoff das aus, was sie behalten. Und ihre
spaeteren Ausbilder und die Hochschulen nehmen es hin. Nicht nur das:
Sie gehen immer mehr dazu ueber, sich unter dem Angebot an
Schul-Abgaengern die auszusuchen, die sie als geeignet ansehen. Recht
haben sie damit. Die Schule verliert damit einiges von ihrer
Schicksalhaftigkeit - noch besser: von ihrem Droh-Potential.
Koennte die Schule nicht zum Prinzip machen, dass jeder etwas anderes
lernt? Jeder das, was er lernen kann und will und also behaelt? Nicht
von der Grundschule soll hier die Rede sein, denn Lesen und Schreiben
muessen alle koennen. Rechnen muessen nicht alle lernen, aber die
meisten muessen es irgend wann einmal koennen. Und es scheint, als sei
die richtige Zeit zur Einfuehrung in das Rechnen das Grundschul-Alter.
Aber die "weiter fuehrenden" Schulen! Die 12-jaehrigen und aelteren
lernen ohnehin nur das, was sie lernen koennen und lernen wollen. Wer
will, mag es untersuchen - wenn er sich diese Laus in den Pelz setzen
will. Warum also den Selbst-Lernern und Lern-Verweigerern nicht
entgegen kommen? Durch ein Unterrichts-Angebot, das allen alles zu
lernen anbietet, aber nichts zu lernen befiehlt. Das werden die
traditionellen Schul-Faecher sein, aber auch anderes, was heute oft
vergessen wird: Schreib-Werkstatt, Mofa-Werkstatt, Theater, Musik...
Auch therapeutische Angebote, die heute in den Schulen fehlen und fuer
teures Geld eingekauft werden muessen, weil sie nicht in den
Pflicht-Stundenplan passen.
Allerdings tut es nicht der auf vielen Gebieten dilettierende Lehrer.
Fachleute der unterschiedlichsten Art muessen und koennen dabei sein
vom Therapeuten bis zum Handwerks-Meister oder Schauspieler. Beispiele
gibt es leider nur wenige, und man hoert zu wenig davon - aber
immerhin manches Gute. Was Aussenseiter koennen und leisten, wird
ungern dokumentiert. Es wuerde nicht einmal berichtet, wenn es nicht
neugierige Medien gaebe. Man bleibt im Lehrer-Zimmer gern unter sich,
in den Ministerien und paedagogischen Fakultaeten auch: didaktische
Reinrassigkeit.
Aber mancher lernt dann nicht das, was seine Lehrer fuer wichtig
halten: Latein, Musik, Chemie, Franzoesisch... Jeder haelt das fuer
unbedingt erforderlich, was er studiert hat. Zugegeben, alles, was in
der Schule unterrichtet wird, ist wichtig. Die Gesellschaft braucht
alles. Das bedeutet aber nicht, das alle alles lernen muessen, was
alle fuer wichtig erklaeren. Der Beweis dafuer ist erbracht: Auch
heute lernen die meisten das meiste nicht. Und so war es schon immer.
Es hat nur niemand genau hingeschaut, was behalten und vergessen
wurde. Die Wirtschaft laeuft trotzdem, und das Abendland geht nicht
unter.
Eine Schule mit Lern-Angebot also ist gefragt. Da koennte jeder das
lernen, was er fuer wichtig haelt. Auch Orchideen-Faecher, die in der
Pflichtschule vom Untergang bedroht sind, koennte die eine oder andere
Schule anbieten: Griechisch und Hebraeisch zum Beispiel, auch ein Fach
ueber islamische Kultur und ihre glanzvolle Geschichte. Dazu Faecher,
die es noch gar nicht gibt, die aber in Zukunft auftauchen werden. In
der Pflichtfaecher-Schule finden neue Faecher und Inhalte nur schwer
oder gar keinen Eingang, weil sie da andere verdraengen muessten. Die
Lehrer naemlich verteidigen ihren "sozialen Besitzstand" wie alle
anderen Berufstaetigen auch. Das ist bei Lehrern das Recht zu
unterrichten, was sie studiert haben. Ob es jemand braucht, darf man
nicht fragen, kein Schueler und keine Gesellschaft. Man heiligt das
unbrauchbare Studierte durch das Tabu-Wort Allgemein-Bildung, obwohl
niemand weiss, was das ist. Auf eine einleuchtende Theorie der
Allgemein-Bildung warten wir seit 200 Jahren. Davor gab es nur
nuetzliche Bildung - wozu auch Latein gehoerte, denn alle wichtigen
Informationen lagen nur in lateinischer Sprache vor. Erst als Latein
nicht mehr gebraucht wurde, wurde es zur Allgemein-Bildung befoerdert.
Wenn jeder Schueler eine andere Faecher-Kombination lernt, hat jeder
ein anderes Abgangs-Zeugnis. Also auch hier keine Konkurrenz innerhalb
der Schule. Allerdings gaebe es Konkurrenz beim Zugang zu weiter
fuehrenden Bildungs- und Ausbildungs-Gaengen. Das aber ist eine
einmalige Konkurrenz unter den jeweiligen Bewerbern. Man konkurriert
dann mit Menschen, die man nicht gekannt hat und mit denen man nicht
kooperieren muss.
Fuer die Abnehmer vom Meister bis zum Professor wird ein solches
Abgangs-Zeugnis informativer sein als die gegenwaertigen Zeugnisse.
Sie werden schnell lernen, welche Faecher Duennbrett-Bohrer anziehen,
und ihre Bewerber entsprechend vorsortieren. Und vor allem werden sie
tun, was sie ohnehin muessen, sofern das noch nicht geschehen ist:
passende Eignungs-Pruefungen entwickeln. Das koennen punktuelle
Pruefungen sein, aber auch zum Beispiel eine Vorlesungs-Mitschrift,
ein Probe-Semester oder eine andere Probezeit. Sind die Abnehmer klug,
werden sie auch ausserordentliche Faehigkeiten mit bewerten, vom
Orgelspiel bis zum Sozialpraktikum. Davon gehen oft Impulse aus, die
die uebliche Routine uebersieht.
Professoren und andere, die ueber die zusaetzliche Arbeit der Pruefung
jammern, koennen getroestet werden: Spaetestens vom uebernaechsten
Semester an muessen sie sich nicht mehr mit ungeeigneten und
unmotivierten Studenten herum schlagen. Was koennen sie sich besseres
wuenschen?
*Wilfried Meyer*
Infos zum Autor: http://www.meyer-odenthal.de
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