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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Jaenner 2008; 18:41
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Asyl/Griechenland/BRD:

> Zurueckgewiesen, misshandelt und rechtlos

Viele Fluechtlinge, die in Deutschland landen, kommen ueber griechischen
Boden dorthin und werden gemaesst "Dublin" wieder zurueckgeschickt -- in
eine ungewisse Zukunft.


"Die Wahrheit mag bitter sein, aber sie muss gesagt werden", eine Inschrift
im ehemaligen Haftlager von Mitilini (Insel Lesbos). So lautet auch der
Titel der Dokumentation, die der deutsche Verein "Pro Asyl" und die
griechische Anwaltsvereinigung fuer die Rechte der Fluechtlinge und
MigrantInnen kuerzlich in Bruessel und Athen veroeffentlicht haben.

"Die Abschiebung nach Griechenland wird angeordnet" ... immer haeufiger
werden Fluechtlinge mit solchen Entscheidungen des deutschen Bundesamtes
fuer Migration und Fluechtlinge konfrontiert. Asylsuchende werden von
Deutschland aus nach Griechenland zurueckgeschoben, ohne dass ihr Asylantrag
inhaltlich geprueft wurde. Aufgrund der Dublin II-Verordnung ist in der
Regel das Land fuer die Durchfuehrung des Asylverfahrens zustaendig, das dem
Fluechtling ermoeglichte, europaeischen Boden zu betreten.

Fuer viele Schutzsuchende -- vor allem aus dem Irak, Afghanistan und
Somalia -- fuehrt der Fluchtweg ueber die Aegaeis. Sie versuchen, von der
Tuerkei auf eine der griechischen Inseln zu gelangen, die oft nur wenige
Kilometer vom tuerkischen Festland entfernt liegen. Fluechtlinge berichten
in ihren Anhoerungen in Deutschland, dass sie in Griechenland keine Chance
gehabt haetten, einen Asylantrag zu stellen. Sie berichten von
Misshandlungen und Zurueckweisungen durch die griechische Kuestenwache und
von erbaermlichen Haftbedingungen: "Wir waren eine Gruppe von 22 Leuten. Die
griechische Kuestenwache kam, als wir mitten auf dem Meer waren (...) Dann
haben sie uns rausgezogen und schon ging es los mit den Schlaegen und
Schuessen ... mich haben sie zusammengeschlagen, dabei ist eine Rippe
gebrochen. Wir mussten uns flach hinlegen, dann sind sie auf uns drauf
gestiegen. Das ist alles auf dem Schiff der Kuestenwache passiert (...)" Es
kam in einem Fall auch zur Folter durch Scheinhinrichtung, Einsatz von
Elektroschockern, Waterboarding (der Kopf wird gewaltsam in einen
Wasserbehaelter gedrueckt).

Fluechtlinge, darunter auch Minderjaehrige, werden von der Kuestenwache
zurueckgewiesen und auf so genannten "dry islands" -- unbewohnte Inseln --
ausgesetzt. Kleine Fluechtlingsboote werden von der Kuestenwache geblockt
und in internationale bzw. tuerkische Gewaesser zurueckgedraengt. Bei diesen
Manoevern auf See werden Tote in Kauf genommen. Fluechtlinge werden, obwohl
sie sich bereits in griechischen Gewaessern befanden oder gar schon die
Kueste erreicht hatten, zurueckverfrachtet. Ihre Schlauchboote werden
beschaedigt, damit sie bestenfalls noch die tuerkische Kueste lebend
erreichen koennen.

Hemal, ein 17-jaehriger Fluechtling aus Afghanistan, wurde mit drei anderen
Fluechtlingen am 6. Juni 2007 aus Afghanistan nicht weit von der Kueste der
Insel Lesbos von der griechischen Kuestenwache aufgegriffen. Die
Kuestenwache fuhr sie ins offene Meer zurueck und setzte sie mit ihrem
Schlauchboot wieder aus. Vorher wurden ihnen alle Paddel abgenommen. Erst
vier Stunden spaeter wurde Hemal von der tuerkischen Kuestenwache gerettet
und der Polizei uebergeben. Er wurde in Ayvacik inhaftiert. Am 19. Juli 2007
erfuhr sein Bruder, anerkannter Fluechtling in Schweden, dass die
Abschiebung seines kleinen Bruders nach Afghanistan unmittelbar bevorstand.
Fuer Freitag, den 20. Juli 2007 war die Abschiebung geplant. Der
Europaeische Gerichtshof fuer Menschenrechte stoppte innerhalb von drei
Stunden die Abschiebung.

Alle von der Polizei an den griechischen Grenzen aufgegriffenen Personen
werden als Auslaender betrachtet, die illegal eingereist sind. In der Regel
inhaftiert die Polizei alle Aufgegriffenen und stellt fuer sie eine
Abschiebungsanordnung aus. Das heisst: Allen Asylsuchenden, allen besonders
Schutzbeduerftigen, Opfern von Folter, Minderjaehrigen, Schutzsuchenden aus
Herkunftslaendern wie Irak, Afghanistan oder Somalia wird eine
Abschiebungsanordnung ausnahmslos ausgehaendigt und sie werden auf dieser
Grundlage inhaftiert. Eine Einzelfallpruefung findet nicht statt. Das
griechische Gesetz sieht eine Haftdauer von maximal drei Monaten vor.

Das Haftlager Mitilini besteht aus Lagerhallen. Vier Hallen gibt es fuer
jeweils 40-50 maennliche Fluechtlinge. Beim letzten Besuch der
Recherchengruppe von Pro Asyl und Anwaltsvereinigung im Oktober waren die
Sanitaeranlagen defekt und liefen ueber. Eine dreckige Bruehe aus Abwaessern
floss durch die Tore auf den Hof. Die Fluechtlinge sind diesem Kloakengeruch
24 Stunden ausgesetzt, selbst der Hofgang wird ihnen verweigert.

Unten den Inhaftierten befinden sich mehrere schwer Verletzte. Ein
Fluechtling stuetzt sich auf Kruecken. Er bleibt zwei Wochen inhaftiert -
ohne eine adaequate medizinische Versorgung.

Im zweiten Stock des Gebaeudes gibt es zwei grosse Hallen fuer Frauen,
Kinder und Jugendliche. In der linken Halle sind unbegleitete Minderjaehrige
und junge Maenner aus Afghanistan inhaftiert. Der Juengste ist 12 Jahre alt.
Viele von ihnen laufen auf dem nackten Betonboden barfuss. Bei der Flucht
mit dem Schlauchboot ueber das Meer sind ihnen die Schuhe abhanden gekommen.
In der rechten Halle sind Frauen mit Kleinkindern untergebracht. Zum
Zeitpunkt unseres Besuches waren neun Frauen dort. Eine von ihnen ist
hochschwanger. Zwei weitere Frauen sind stillende Muetter mit Babys von ca.
3 und 9 Monaten. In der Halle sind auch fuenf Kleinkinder im Alter von 4-6
Jahren inhaftiert.

Minderjaehrige Fluechtlinge werden in Griechenland wie Erwachsene behandelt.
Dies bedeutet im Zweifelsfalle, dass ihnen das gesamte Repertoire an
Misshandlungen, Schlaegen und Demuetigungen zuteil wird. Was geschieht, wenn
die Jugendlichen aus der Haft freikommen? In der Regel reisen sie mit einer
Faehre weiter nach Athen, um dort Schutz zu finden. In der Millionenstadt
stehen jedoch gerade einmal 10 Aufnahmeplaetze fuer unbegleitete
minderjaehrige Fluechtlinge zur Verfuegung. Die Regelinhaftierung von bis zu
drei Monaten verstoesst sowohl gegen die griechische Verfassung als auch
gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Griechenland hat
diese ohne Vorbehalte unterzeichnet.

Das griechische Aufnahmesystem stellt aktuell nur knapp 750
Unterkunftsplaetze im ganzen Land bereit, aber ueber 2000 Haftplaetze fuer
Fluechtlinge und MigrantInnen. Die meisten dieser Unterkuenfte erfuellen
nach Ansicht des UNHCR Griechenland nicht einmal minimale Standards. Die
Folgen dieses Mangels liegen auf der Hand: Asylsuchende bleiben in
Griechenland auch waehrend des laufenden Verfahrens vielfach obdachlos und
ohne jede soziale Unterstuetzung.

Die Zahl derer, denen ein Fluechtlingsstatus gewaehrt wird, tendiert in
Griechenland gegen Null: Im Jahr 2004 erhielten 0,3 % aller Asylsuchenden
einen Fluechtlingsstatus. Nimmt man die humanitaeren Schutzformen [Anm.: de
facto-Fluechtlinge, humanitaeres Aufenthaltsrecht] dazu, betraegt die
Schutzquote 0,9%. Im Jahr 2005 stieg die Schutzquote minimal auf insgesamt
1,9 % (39 Personen), 2006 fiel sie wieder auf 1,2 %. Von 1. Januar bis Juli
2007 wurden 13.445 Asylantraege negativ beschieden (Somalia 77, Irak 2.649,
Afghanistan 685, Iran 222, Sudan 75, Syrien 545). Bis einschliesslich August
2007 erhielten 16 Personen einen Fluechtlingsstatus, 11 Personen einen
humanitaeren Status.

(Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl und Vorstandsmitglied des
Europaeischen Fluechtlingsrates ECRE, erschienen in: Graswurzelrevolution
Nr. 325, Januar 2008/bearb. und stark gek.)

Originaltext: http://www.graswurzel.net/325/griechenland.shtml



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