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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2008; 19:14
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Medizin/Recht:

> Sind Organentnahmen in Oesterreich ausreichend geschuetzt?

Im grossen Gesetzesbeschlusstaumel Ende des letzten Jahre wurde zur
Umsetzung einer EU-Richtlinie auch das Gewebesicherheitsgesetz beschlossen.
Das mit der Sicherheit kann aber bezweifelt werden.
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Der Handel mit menschlichen Materialien wurde zu einem der lukrativsten
Geschaeftszweige im Health-Bereich. Viele denken dabei nur an
Organtransplantationen, die aber nur als ultima ratio eines medizinischen
Eingriffs anzusehen sind. Wesentlich verbreiteter, aber in der
Oeffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist die industrielle Nutzung von Blut,
Knochen und anderen Gewebeteilen. Beliebt sind etwa Human-Prothesen, die aus
Leichenknochen gefraest sind. Leichen werden geradezu ausgehoehlt und dann
mit Fuellstoffen versehen den trauernden Verwandten uebergeben. Zuletzt
wurden derartige Faelle mitten in der EU, in Lettland, dokumentiert,
beteiligt war eine deutsche Firma.

Oesterreich ist eines der Laender, welches hinsichtlich des Schutzes der
Organe und Gewebe Verstorbener einen ziemlich lockeren Umgang an den Tag
legt. Waehrend in vielen europaeischen Staaten die sogenannte
"Zustimmungsloesung" gilt, setzt der oesterreichische Gesetzgeber auf die
"Widerspruchsloesung", um eine ausreichende Versorgung mit
transplantationsfaehigen Organen zu ermoeglichen.

Oesterreich im Vergleich - pro und contra

Mit der Widerspruchsloesung befindet sich Oesterreich in der Gesellschaft
von Luxemburg, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und
Ungarn. Die restlichen europaeischen Staaten setzen dagegen auf erweiterte
Zustimmungsloesung bzw. erweiterte Widerspruchsloesung, binden daher die
Angehoerigen in die Entscheidung - im Gegensatz zum oesterreichischen
Gesetzgeber - ein. Waehrend in der DDR auf die Widerspruchsloesung gesetzt
wurde, gilt in Deutschland heute die erweiterte Zustimmungsloesung.

Gegner der Widerspruchsregelung verweisen darauf, dass es letztlich jedem
selbst ueberlassen sei, ob er Organe spenden wolle oder nicht und das Recht,
ueber den eigenen Koerper zu disponieren, auch ueber den Tod hinaus Geltung
haben sollte. Befuerworter der Widerspruchsloesung verweisen dagegen auf die
langen Wartelisten bei Organspenden. Weiters wird an der erweiterten
Zustimmungsloesung kritisiert, dass lediglich ein geringer Prozentsatz der
Bevoelkerung einen Spenderausweis ausgefuellt habe. Komme es zu der
Situation, dass der Spender hirntot ist, seine Organe aber transplantiert
werden koennten, muessten Aerzte die Angehoerigen um eine Erlaubnis noch auf
der Intensivstation fragen, was aus Pietaetsgruenden haeufig nicht erfolge.

Die entsprechende Richtlinie 2004/23/EG regelt die Zulaessigkeit der
Entnahme und Verwendung von bestimmten menschlichen Geweben und Zellen.
Nicht erfasst sind allerdings ausdruecklich Organe oder Teile von Organen,
wenn sie zum gleichen Zweck wie das ganze Organ im menschlichen Koerper
verwendet werden sollen ("Transplantationsbestimmung"). Das bedeutet: Gewebe
und Zellen, welche Teile eines Organs bilden, sind von den Bestimmungen der
EG-Richtlinie nur dann ausgenommen, wenn sie - zusammen - den gleichen Zweck
wie das gesamte Organ erfuellen sollen. Ansonsten faellt die Entnahme
entsprechender Zellen und Gewebe unter diese Richtlinie.

Handlungsbedarf in Oesterreich

Fuer die Richtlinie 2004/23/EG zur Gewebeentnahme gab es seit 2004
Handlungsbedarf, spaetestens im April 2006 haette eine Umsetzung erfolgen
sollen. Oesterreich war - wieder einmal - saeumig und hat erst im Dezember
2007 in einem Husch-Pfusch-Verfahren, als Tagesordnung unter vielen ein
"Gewebesicherheitsgesetz - GSG" durchgedrueckt.

Wesentlicher grundrechtlicher Kern der EG-Richtlinie sind die Einwilligungs-
und Genehmigungsrechte. Offenbar sollen durch die Richtlinie die eingangs
beschriebenen "lettischen Verhaeltnisse", bei denen Tote geradezu
ausgeweidet werden, verhindert werden.

Artikel 13 der Richtlinie erklaert die Beschaffung von menschlichen Geweben
oder Zellen nur dann als erlaubt, wenn saemtliche in dem betreffenden
Mitgliedstaat geltenden zwingenden Vorschriften ueber die Einwilligung oder
Genehmigung eingehalten wurden. Die Richtlinie erlaubt somit den
Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung in das nationale
Recht.

Oesterreich hat sich mit dem Gewebesicherheitsgesetz zu einem grundrechtlich
unzureichenden Weg entschlossen. Bei Lebendspendern ist zwar grundsaetzlich
eine schriftliche Einwilligung einzuholen (§4 GSG), aber selbst hier laesst
sich der Gesetzgeber ein riesiges Schlupfloch. "Sofern der Spender zur
Unterschriftsleistung nicht in der Lage ist, muss die Einwilligung vor einem
Zeugen abgegeben werden, der die Einwilligung durch seine Unterschrift zu
bestaetigen hat." Der Zeuge ist nicht weiter qualifiziert und muss nicht
eine Vertrauensperson oder ein naher Verwandter sein. So ist es ohne weiters
denkbar, dass sich genau jenes Personal, das Interesse an der
Gewebe-Entnahme hat, gegenseitig bestaetigt, dass ja der Spender durch
Handzeichen, Nicken oder aehnlichem zugestimmt hat.

Bei der Gewebeentnahme Toter gilt wieder die Widerspruchsloesung im Sinne
des § 62a des Kranken- und Kuranstaltengesetzes. Diese bezieht sich aber
ausdruecklich auf Transpalantationsfaelle, ist daher bei den ueblichen
Gewebeentnahmen zu Forschungszwecken und zur Herstellung von
Medizinprodukten streng genommen nicht anwendbar.

Mit der nun verabschiedeten Regelung wurden willfaehrig die Beduerfnisse der
Gewebeindustrie und mancher Forscher befriedigt, auf der Strecke blieben die
Privatsphaereinteressen der (unfreiwilligen) Spender und Anverwandten.

Rechtssicherheit fuer Spender und Angehoerige notwendig

Die Frage der Entnahme von Organen, Zell- und Gewebeteilen von Verstorbenen
ist sicherlich ein ueberaus umstrittener Gegenstand, sowohl im juristischen
als auch moralisch-ethischen Sinne. Egal ob man der Widerspruchs- oder
Zustimmungsloesung anhaengt, ist aber eines klar: In einem derart sensiblen
Bereich zwischen Medizin und Privatsphaere sollten zumindest keine
rechtlichen Unklarheiten herrschen. Zu fordern ist zumindest eine bessere
Information darueber, dass ohne erhobenen Widerspruch die Entnahme von
Organen und Organteilen an Verstorbenen in Oesterreich zulaessig ist. Eine
derartige Informationspflicht trifft insbesondere auf Personen zu, die sich
nur vorueebrgehend in Oesterreich aufhalten und faelschlicherweise auf die
strengen Regeln ihres Heimatstaates vertrauen. Jeder soll sich darauf
verlassen koennen, welche Regelung fuer ihn gilt.
(Arge Daten/gek.)


Quelle:
http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=32324ehu

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