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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Dezember 2007; 19:45
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Bildung/EU/Kommentar:
> Auf dem Weg zur Gesamtschule?
> Eher nicht!
In Oesterreich gehen die Wogen zur Gesamtschuldebatte hoch, ganz wesentliche
Aspekte dazu werden aber in der oeffentlichen Diskussion ausgelassen. Lange
Zeit haben die, die an paedagogischen und bildungspolitischen Fragen
interessiert sind und einen emanzipatorisch demokratischen Anspruch damit
verbinden, auf eine Entwicklung zur Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule
gehofft. Wissenschaftliche Konzepte und Argumente dazu gibt es eine Menge.
Gerade deswegen regt sich nun die Skepsis an der zeitgeistigen Betulichkeit.
Man hatte sich vormals schon ueber "Reformen", "Autonomie" und aehnliche
Begriffe gefreut und musste erleben, in welcher Weise sie neoliberalen
Wortverdrehern dienten, Bildungsabbau, Mangelverwaltung, Standortkonkurrenz,
Privatisierung, Abbau von Mitbestimmung usw. durchzusetzen. Was ist jetzt
z.B. von Lippenbekenntnissen der Praesidentin des Wiener Stadtschulrates zur
Gesamtschule zu halten, wenn sie sich vor geraumer Zeit noch dezidiert gegen
diese ausgesprochen hatte. Heute will sie sogar die einzig real existierende
Gesamtschule, die Volksschule, in den allgemeinen Konkurrenz- und
Leistungswahn einbeziehen, indem sie Leistungszertifikate fuer Wiener
Volksschulen einfuehrt. Einige wenige neue Versuchsschulen fuer die Zehn-
bis Vierzehnjaehrigen an bestimmten Standorten in Oesterreich einzurichten,
waere zwar recht nett, ob und wann daraus Konsequenzen fuer das
anachronistische Schulsystem gezogen werden, steht aber in den Sternen.
Mittlerweile klaffen die Lebensbedingungen fuer Kinder und Jugendliche
gemaess der sozialen Situation ihrer Familien immer weiter auseinander, es
gibt mehr Armutsregionen, -bezirke, -viertel, in denen die Armen ziemlich
unter sich bleiben. Immer mehr Schulen werden zu Gesamtschulen der Armen,
die "guten" Schulen gegenueberstehen. Viele Menschen haben Angst auf der
falschen Seite zu leben, zu arbeiten, zu wohnen und ihre Kinder einer
unterfinanzierten Ghettoschule auszuliefern.
In Oesterreich sind die Barrieren gegen eine gemeinsame Schule der Zehn- bis
Vierzehnjaehrigen traditionell besonders starr. In der Ersten Republik und
im Austrofaschismus wurden Reformplaene von buergerlicher Seite fanatisch
bekaempft, Otto Gloeckel musste letztendlich fuer seine Ideen ins
"Anhaltelager" Woellersdorf. Das staendische bildungspolitische Denken
ueberdauerte bis heute bei einem Gutteil der OeVP.
Aber Modernisierer im Interesse der Wirtschaft plaedieren seit Neuestem fuer
eine gemeinsame Mittelstufe der besonderen Art, allen voran Vertreter der
Industrieellenvereinigung. Pisa-Studien belegen, wie wenig ein veraltetes
Schulsystem fuer die Ausbildung von "Humankapital" leistet. "Industriechef
Sorger fuer Gesamtschule mit Leistungsgruppen" titelte der Standard
(3./4.Nov. 2007) und weiter "VP: Finanzminister soll bei Schulversuchen
mitreden." Im Rahmenpapier der Industrieellenvereinigung tritt man dafuer
ein, dass Lehrer aufgewertet werden "oder wenn sie nicht funktionieren mit
anderen Aufgaben versehen" werden sollten.
Damit waere die Katze aus dem Sack, die Mittelstufe soll effizienter
selektieren, die Lehrer muessen in diesem Sinne funktionieren oder als
unbrauchbar auf dem Arbeitsmarkt entsorgt werden. Fuer weiterfuehrende
Oberstufenmodelle haette man damit ordentlich vorselektiert, da koennte man
wohl auch Schulgeld fordern.
In der Grundrechtscharta der Europaeischen Union, und damit waeren wir beim
Zusammenhang der oesterreichischen Misere mit der EU, wird sowohl im
gescheiterten Verfassungsvertrag als auch im Reformvertrag nur verankert,
dass das Recht auf Bildung die Moeglichkeit umfasst, unentgeltlich am
Pflichtschulunterricht teilzunehmen. Die EU belaesst zwar die nationalen
Regelungen, draengt aber auf Oeffnung des Bildungsmarktes fuer grosse
Bildungskonzerne, Lobbies und think tanks. In diese Richtung planen die
oesterreichischen Machteliten, auch die der Sozialdemokratie.
Wenn die nordischen Staaten bei den Pisa-Rankings im Sinne der OECD gut
abschneiden, dann haben sie das noch ihrer Bildungspolitik aus der Zeit der
Sozial- und Wohlfahrtsstaatlichkeit zu verdanken. Die Europaeische Union hat
ihnen seitdem nur finanzielle Schwierigkeiten eingebracht.
Unsere Aufgabe muss es in der gegebenen Situation sein, jeden
schulpolitischen Schritt kritisch danach zu untersuchen, ob er begleitet von
anderen gesellschaftlichen und oekonomischen Massnahmen in Richtung
emanzipatorischer und demokratischer Verbesserungen gesetzt wird.
*Elke Renner*
(Vorabdruck aus "Guernica")
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