**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Dezember 2007; 19:43
**********************************************************

EU:

> SP-Dissidenz gegen EU-Vertrag

In der SPOe regt sich Widerstand gegen das EU-Diktat. Die "initiative fuer
eine sozialistische politik der spoe" (isp) beschraenkt sich nicht mehr auf
informelle Einflussnahme, sondern ging nun an die Oeffentlichkeit mit einem
Offenen Brief an den Bundesparteivorstand der SPOe und den
SPOe-Parlamentsklub sowie an die SP-Fraktion im Europaeischen Parlament.
*

Liebe Genossinnen und Genossen!
Wir appellieren an Euch, von der Ratifizierung des "Entwurfs eines Vertrags
zur Aenderung des Vertrags ueber die Europaeische Union und des Vertrags zur
Gruendung der Europaeischen Gemeinschaft" ("EU-Reformvertrag") durch das
Parlament Abstand zu nehmen und Euch fuer eine Volksabstimmung darueber in
Oesterreich und allen Mitgliedslaendern der Europaeischen Union einzusetzen.

Um eine Volksabstimmung durchzufuehren, bedarf es einer umfassenden und
ausgewogenen Information der Bevoelkerung (um die sich Interessierte schon
jetzt selbst bemuehen). Sie erfordert eine Gleichgewichtung der zu
befuerwortenden wie auch der abzulehnenden Inhalte und Gesichtspunkte des
"EU-Reformvertrags". Die SPOe, aber auch die SP-Fraktion im Europaeischen
Parlament, soll daher diese umfassende und ausgewogene Information der
Bevoelkerung EU-weit sicherstellen und in den politischen Koerperschaften
auf deren Bereitstellung hinwirken.

Verfassungen gehen auf Volksbewegungen und Revolutionen gegen feudale
Willkuerherrschaft zurueck. Eine Verfassung ist ein Dokument der
grundlegenden Rechte und Pflichten der Staatsbuerger/innen und eine
Festlegung der Gewaltenteilung sowie der Aufgaben und Machtbefugnisse der
staatlichen Organe. Als rechtliche Grundlage des staatlichen Zusammenlebens
hat sie unmittelbare und nachhaltige Auswirkungen auf das gesamte Leben
jeder Staatsbuergerin und jedes Staatsbuergers. Sie betrifft alle Menschen.

Im Grundsatzprogramm der SPOe heisst es im Abschnitt II. 2. 2.: "Wir treten
daher dafuer ein, dass alle Menschen das Recht darauf haben, bei
Entscheidungen, die sie betreffen, mitzubestimmen und dass das Prinzip der
Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen verwirklicht wird." Dieser
Satz erfordert die Abhaltung einer Volksabstimmung und stellt fuer die SPOe
die Verpflichtung dar, sich ohne Bedingungen fuer ihre Durchfuehrung
einzusetzen. Andernfalls wuerde sie ihre Glaubwuerdigkeit weiter verringern.

Durch die "Erklaerung Nr. 27" wird analog zum 2005 gescheiterten
"Verfassungsentwurf" aus dem Jahr 2004 der Vorrang der EU-Gesetzgebung
gegenueber unserer Verfassung festgeschrieben. Das "Verbot der
Beschraenkungen des Kapitalverkehrs mit den Mitgliedslaendern und
Drittlaendern" (Artikel 56) legalisiert die Steuer-, Kapital- und
Produktionsflucht in Niedriglohnlaender und Steueroasen. Es ist gegen die
arbeitenden Menschen in der EU gerichtet, ohne den arbeitenden Menschen in
den Ziellaendern zu helfen. Artikel 27 (Absatz 7) macht die EU zu einem
Verteidigungsbuendnis und gefaehrdet durch die enge Anbindung an die NATO
die bewaehrte Neutralitaet Oesterreichs. Die Rechte des Europaeischen
Parlaments sind geringer und schwaecher als die der Parlamente der
Mitgliedstaaten. Es fehlen das Recht der Gesetzesinitiative und das Recht,
Mitgliedern der Kommission das Misstrauen auszusprechen, sowie das
basisdemokratische Recht einer Volksabstimmung. Schon allein deswegen muss
die Bevoelkerung der EU darueber abstimmen, ob sie sich den Entzug dieses
grundlegenden Rechts wirklich gefallen lassen will.

Diese und andere Maengel und Festschreibungen aus dem 2005 gescheiterten
"Verfassungsentwurf" sind im "EU-Reformvertrag" weiterhin enthalten, aber
sie sind wegen systematischen Umgruppierungen von Textbestandteilen des
"Verfassungsvertrags" und deren Einfuegung an verschiedenen Stellen
frueherer Vertraege nur "Eingeweihten" zugaenglich. Wie der Vorsitzende des
damaligen Verfassungskonvents und fruehere Praesident Frankreichs, Giscard d'Estaing,
in einem Offenen Brief im Observer vom 29. Oktober 2007 dazu feststellte,
wird damit der Zweck verfolgt "ein Referendum zu vermeiden dank der
Tatsache, dass diese Artikel verstreut und deren Verfassungsvokabular
entfernt wurden".

Nur durch eine Wirtschaft, die demokratisch gelenkt und kontrolliert wird,
kann das Ueberleben dieses Planeten in Zukunft gesichert werden. Die
EU-Gesetzgebung schraenkt die Freiheitsrechte der Bevoelkerungsmehrheit
zugunsten der Vorrechte von Kapitaleigentuemern und wirtschaftlich
Maechtigen weiter ein. Der daraus folgende Sozialabbau weckt soziale
Uraengste und heizt nationalistische und rechtsextremistische Stroemungen
an, denen sich politisch desinformierte Benachteiligte anschliessen. Die
Entfremdung der repraesentativen Demokratie nimmt zu. Dem muss durch eine
Politik begegnet werden, die den Interessen der arbeitenden Mehrheit
Rechnung traegt. Eine Volksabstimmung ueber den "EU-Reformvertrag" waere ein
Beitrag zur Wiederbelebung der Demokratie und wuerde der Gefahr von Rechts
aktiv gegensteuern.

An der von uns geforderten umfassenden und ausgewogenen Information der
Bevoelkerung muessen vor allem die Abgeordneten der SPOe (sowohl des
oesterreichischen als auch des Europaeischen Parlaments) mitwirken. Dabei
wird sich erweisen, nicht nur ob und wie angemessen sie den Vertragsentwurf
dem "Wahlvolk" darstellen koennen, sondern ob und wie sehr sie sich selbst
seiner Problematik bewusst sind.

Freundschaft!

*Fuer die initiative: Karin Rietenauer, Gerti Worel, Reimar Holzinger, Franz
Winterer, Helga Maier, Theo Maier, Gerda Neudecker, Peter Ulrich Lehner,
Ursula Knittler-Lux, Rudi Schmid, Klaus Kucharz, Alfred Kohlbacher,
Alfred Heinrich, Werner J. Gruener, Traude Mayer, Juergen Hirsch*

Kontakt: http://www.initsoz.org

***

> Neue EU-Vertrag-Tips

Eine aus den diversen Entschliessungen privat erstellte konsolidierte,
sprich: lesbare Fassung des EU-Vertrags auf dem Stand des letzten Gipfels
findet sich unter
http://www.reformvertrag2007.eu
Nicht enthalten sind dabei allerdings Praeambel, Protokolle und Erklaerungen
des EU-Reformvertrages. Die koennen runtergeladen werden unter
http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=1317&lang=de&mode=g

Eine rechtliche Analyse von ao.Univ.Prof. Adrian Hollaender, die zum Schluss
kommt, dass der EU-Vertrag in einem Ausmass in oesterreichisches Recht
eingreift, dass eine Beschlussfassung ohne Volksabstimmung vor dem VfGH eine
eklatante Rechtsunsicherheit ob ihrer Gueltigkeit erzeugen wuerde, findet
sich unter:
http://www.efcr.at/tmp_de/files/111.pdf



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin