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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Dezember 2007; 20:58
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Recht/Analyse:
> Die Verfassung von Delphi
Der Artikel 50 B-VG und die aktuelle Verfassungsreform -- Versuch einer 
Erklaerung
Artikel 50 Bundes-Verfassungsgesetz war schon immer etwas kryptisch. Dieser 
Verfassungsartikel sichert die Mitwirkung des Verfassungsgesetzgebers (also 
primaer des Nationalrats) beim Abschluss von "politischen Staatsvertraegen" 
sowie solchen, die "gesetzaendernden oder gesetzesergaenzenden Inhalt 
haben". Was unpolitische Staatsvertraege sein koennten, war immer schon 
Anlass fuer Spekulationen unter Juristen. Doch immerhin reichten diese 
Formulierungen, um effektive Verfassungsaenderungen nicht autokratisch von 
der Regierung verordnen zu lassen -- etwas, was speziell in Zeiten der 
EU-Gesetzgebung durchaus nicht irrelevant ist.
In den naechsten Tagen soll das Parlament ein "Bundesverfassungsgesetz, mit 
dem das Bundes-Verfassungsgesetz geaendert und ein Erstes 
Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird" beschliessen. 
Wieder einmal so Gesetzespaket, ueber das en block abgestimmt wird, wo Dinge 
zusammengefasst sind, die miteinander sehr wenig zu tun haben. Dabei handelt 
es sich erstens um die Einrichtung des jetzt schon beruechtigten 
Asylgerichtshofs, der ja bekanntermassen eine ordentliche Instanz werden 
soll, die man nach politischem Belieben zu einem Hoechstgericht umdeuten 
kann; zweitens um die Entsorgung von Verfassungssondermuell wie 
beispielsweise Uebergangsbestimmungen im Adelsaufhebungsgesetz; und drittens 
noch ein paar Neuformulierungen von weiteren Artikeln des 
Bundes-Verfassungsgesetzes, darunter eben auch Art. 50.
Die vollkommen verquaste Neuformulierung des Artikels erscheint auf den 
ersten Blick nur als Diversifizierung zwischen EU-Vertraegen und anderen 
Staatsvertraegen -- also alles ganz harmlos. Die vom Bundeskanzleramt 
erstellten Erlaeuterungen zu dieser Novelle klingen aber anders: "Durch die 
vorgeschlagene Neufassung des Art. 50 B-VG soll eine generelle Ermaechtigung 
geschaffen werden, Staatsvertraege, durch die die vertraglichen Grundlagen 
der Europaeischen Union geaendert werden, abzuschliessen. Durch diese 
generelle Ermaechtigung sollen besondere Bundesverfassungsgesetze, die 
bislang die Grundlage fuer eine Aenderung der vertraglichen Grundlagen der 
Europaeischen Union bildeten, entbehrlich werden." Ob das wirklich in der 
Neufassung des Artikels auch so drinsteht, darueber streiten sich noch 
regierungskritische Kommentatoren. Denn in der Neufassung steht scheinbar 
unter Absatz 4 genau das Gegenteil: "Staatsvertraege gemaess Abs. 1 Z 2" 
[das sind Staatsvertraege, "durch die die vertraglichen Grundlagen der 
Europaeischen Union geaendert werden"] "duerfen unbeschadet des Art. 44 Abs. 
3 nur mit Genehmigung des Nationalrates und mit Zustimmung des Bundesrates 
abgeschlossen werden. Diese Beschluesse beduerfen jeweils der Anwesenheit 
von mindestens der Haelfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei 
Dritteln der abgegebenen Stimmen" -- sprich einer Verfassungsmehrheit. 
Lediglich die Erfordernis der Form eines Gesetzes ist dabei nicht unbedingt 
gegeben.
Aber genau da duerfte der Haken sein. Denn der erwaehnte Art. 44 Abs. 3 B-VG 
regelt die Verpflichtung einer Volkabstimmung bei einer Totalaenderung der 
Verfassung und das Recht eines Drittels der Abgeordneten von Nationalrat 
oder Bundesrat eine Volkabstimmung zu initiieren -- quasi der letzte 
Rettungsanker vor der totalen Ermaechtigung der Regierung. Art. 44 Abs. 3 
gewaehrt diese Rechte aber nur bei Verfassungsaenderungen -- wie eben einem 
Verfassungsermaechtigungsgesetz. Die Frage, inwiefern Staatsvertraege, die 
de facto das Verfassungsrecht aendern, auch als Verfassungsaenderungen im 
Sinne des Art. 44 anzusehen sind, wenn es keine 
Verfassungsgesetzesbeschluesse gibt, bleibt eine juristische 
Spitzfindigkeit, koennte aber speziell das Drittelrecht von NR und BR 
gefaehrden
Zweiter Versuch einer Erklaerung
Fuer alle, die bis hierher gelesen haben, und immer noch nicht aufgegeben 
haben, derlei verstehen zu wollen, liefert die Website mehr-demokratie.at 
einen weiteren Versuch der Erklaerung: "In den Erlaeuterungen der 
Regierungsvorlage wird zu Art. 50 Abs. 4 B-VG ausdruecklich beschrieben, 
dass der neue Art. 50 B-VG nicht zu Gesamtaenderungen der Verfassung durch 
EU-Vertraege ermaechtigt, sondern dass fuer eine Gesamtaenderung der 
Verfassung zunaechst ein eigenes Ermaechtigungsverfassungsgesetz 
erforderlich ist. Dem liegt zunaechst das (fragwuerdige) Verstaendnis 
zugrunde, dass eine 2/3-Mehrheit beurteilen kann, ob eine Gesamtaenderung 
vorliegt und ob daher eine obligatorische Volksabstimmung verweigert werden 
kann oder abzuhalten ist. Dem liegt aber vor allem auch ein Verstaendnis 
zugrunde, dass eine verpflichtende Volksabstimmung nicht direkt ueber einen 
EU-Vertrag als solchen erfolgen wuerde, sondern nur auf der Grundlage eines 
eigens zu beschliessenden Ermaechtigungsverfassungsgesetzes. (...)
Ueber die Frage, ob 1/3 der Abgeordneten eine Volksabstimmung durchsetzen 
koennen, aeussern sich die Erlaeuterungen der Regierungsvorlage nicht 
ausdruecklich. Da die Erlaeuterungen jedoch die Auffassung vertreten, dass 
ueber einen Staatsvertrag als solchen keine Volksabstimmung abgehalten 
werden kann, schliesst dies folglich auch eine unmittelbare Anwendbarkeit 
dieses parlamentarischen Minderheitenrechts auf Staatsvertraege aus.
Die Erlaeuterungen einer Regierungsvorlage sind zwar nicht der alleinige 
Massstab fuer die Auslegung des neuen Art. 50 B-VG. Allerdings haben solche 
Erlaeuterungen im Wege der sogenannten ´historischen Interpretation´ schon 
ein bedeutendes Gewicht."
Anspruch und Wirklichkeit
Wenn man bedenkt, dass der urspruengliche oesterreichische 
Verfassungskonvent und auch die Khol-Kostelka-Altherrenrunde, der wir diese 
Vorlage verdanken, mit dem Anspruch angetreten waren, die Verfassung zu 
"bereinigen", was naive Geister wie ich auch als Anspruch auf 
Verstaendlichkeit und Rechtssicherheit interpretieren wollen, und hernach 
Formulierungen enstehen, die dem Orakel von Delphi alle Ehre gemacht 
haetten, kann man da kaum von einem erfolgreichen Abschluss dieses ersten 
Teils der Verfassungsreform sprechen -- selbst ohne die prinzipiell 
demokratiefeindliche Tendenz kritisieren zu wollen. Hier zeigt sich der 
selbe Geist wie beim EU-Vertrag: Buerokratische Nebelbomben, die Juristen 
Arbeitsplaetze sichern, die einfache Bevoelkerung vom Verstaendnis der 
rechtlichen Grundlagen fernhalten und selbst Abgeordnete darueber im Dunkeln 
zu lassen, was sie da eigentlich so beschliessen -- das scheint das Credo zu 
sein!
Ein Staat, der sich so gebiert, hat den Anspruch das Volk zu vertreten. Na, 
wir danken schoen.
*Bernhard Redl*
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