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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. November 2007; 22:06
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EU:
> Abgeschlossene Demokratisierung
Was bringt der EU-Vertrag? Viel ist darueber die Rede.
Attac Oesterreich hat eine Zusammenfassung versucht.
Wir geben diese in gekuerzter Form wieder.
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Die Erweiterung der Europaeischen Union (EU) von 15 auf nunmehr 27 
Mitgliedstaaten stellte die EU vor die Herausforderung, ihre Strukturen 
anzupassen und buergernaeher, sozialer und demokratischer zu gestalten. 
Diese Aufbruchstimmung haette sich in einer neuen Rechtsgrundlage 
ausdruecken sollen. Der "Vertrag ueber eine Verfassung fuer Europa" (kurz: 
Verfassungsvertrag, VVE), auf den sich die RegierungschefInnen 2004 
einigten, wurde jedoch diesen Erwartungen nicht gerecht. Die Mehrheit der 
Bevoelkerungen in Frankreich und den Niederlanden hat den VVE abgelehnt. Der 
nun vorgelegte Reformvertrag, so der neue Name, wurde hinter verschlossenen 
Tueren ohne jede Beteiligung der Bevoelkerung und der Parlamente 
ausgearbeitet.
Anders als der VVE bringt der Reformvertrag kein neues einheitliches 
Vertragswerk, sondern aendert nur die bestehenden alten Vertraege: den 
Vertrag ueber die Europaeische Union (EUV) und den Vertrag ueber die 
Arbeitsweise der Union (EGV, neu: AEUV), ab.
Giscard d'Estaing (Vorsitzender des Verfassungs-konvents) betont, dass der 
Reformvertrag im Vergleich zum VVE nur "kosmetische Aenderungen" bringt und 
der "gleiche Brief in neuem Umschlag" ist. Guiliano Amato (Vize-Vorsitzender 
des Konvents) stellte fest, dass der Reformvertrag "bewusst unleserlich" 
gestaltet wurde, um Volksabstimmungen zu vermeiden.
Demokratie?
Die Demokratiedefizite der EU-Strukturen, die entdemokratisierende 
Bevormundung der BuergerInnen durch die EU, das neoliberale Diktat von Markt 
und Wettbewerb und die Verpflichtung zur permanenten Aufruestung bleiben 
auch mit dem Reformvertrag weiterhin zentrale Pfeiler der Grundordnung der 
EU.
In der Praeambel des Vertrages wird der Pro-zess, die demokratische 
Legitimitaet der EU zu erhoehen, ausdruecklich als abgeschlossen erklaert.
Neoliberalismus!
Der Reformvertrag laesst das Dogma der freien Maerkte und des grenzenlosen 
Wettbewerbs als zentralen Systembestandteil der EU unberuehrt. 
Der »Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (Art. 98 
und 105 EGV) wird im EGV naeher ausgefuehrt. Zwar wird der Ausdruck 
"Binnenmarkt mit freiem unverfaelschtem Wettbewerb" aus den Zielen der EU 
gestrichen, im Anhang (Protokoll Nr. 6) wird jedoch erneut festgeschrieben, 
dass zum Binnenmarkt ein "System gehoert, das den Wettbewerb vor 
Verfaelschungen schuetzt".
Privatisierungen von Bahn, Wasser, Gesundheits-versorgung und Bildung, aber 
auch der Energie-versorgung in europaeischen Laendern haben gross-teils zu 
Verschlechterungen fuer die Bevoelkerung gefuehrt. "Dienstleistungen von 
allgemeinen wirtschaftlichen Interesse" sind weiterhin nicht eindeutig 
geschuetzt. Zwar wird im Anhang, Protokoll Nr. 9 die Bedeutung dieser 
Dienste hervorgehoben. Das bietet jedoch keinen ausreichenden Schutz vor 
einer EU-Politik, die so viele Bereiche wie moeglich den Prinzipien des 
Wettbewerbs ausliefert.
Nicht einmal ein unverbindliches Sozial-protokoll, das im Vorfeld der 
Verhandlungen von vielen Seiten gefordert wurde, war unter den 27 
RegierungschefInnen konsensfaehig.
Grundrechte?
Die Grundrechtscharta wurde im Zusammenhang mit dem VVE von sehr vielen 
PolitikerInnen als grosser Fortschritt angepriesen. Im offenem Widerspruch 
dazu wird nun im Protokoll Nr. 7 ausdruecklich festgehalten, die 
Grundrechtscharta schafft "keine neuen Rechte oder Grundsaetze". Im 
Reformvertrag soll die Grundsrechtscharta nicht einmal im eigentlichen 
Vertrag nieder-geschrieben sein. In der Grundrechtscharta fehlen weiterhin 
wichtige Grundrechte (Minderheiten-schutz), einige sind abgeschwaecht 
formuliert ("Recht zu arbeiten") und werden durch sog. "verbindliche 
Erlaeuterungen" in ihrem Gueltigkeits-bereich stark eingeschraenkt.
Durch die zugestandenen Ausnahmen von der Grundrechtecharta fuer 
Grossbritannien und Polen verspielt die EU, die die allgemeingueltigen 
Grundrechte als zentralen Wert proklamiert, jede internationale 
Glaubwuerdigkeit.
Militaerpolitik!
Der Militaerbereich war eine wesentliche Stossrichtung des VVE. Die dortigen 
Bestimmungen wurden in den Reformvertrag uebernommen: "Die Mitgliedstaaten 
verpflichten sich, ihre militaerischen Faehigkeiten schritt-weise zu 
verbessern" (Art. 27.3 EUV). Dies soll durch Bildung einer 
"Ruestungsagentur" gewaehr-leistet werden. Im Rahmen der "staendigen 
strukturierten Zusammenarbeit" koennen Staaten, die dies wuenschen, eine 
gemeinsame Armee aufbauen (Art. 48.6 EUV). Dadurch wird ein neues 
militaerisches Kerneuropa ermoeglicht, das niemandem Rechenschaft schuldet 
und den militaerisch-industriellen Komplex staerkt.
Bereits in Gang befindliche Militarisierungs-massnahmen werden in der 
EU-Grundordnung abgesichert, insb. die EU-Battle-Groups, um schnelle 
weltweite Militaerinterventionen ohne Bindung an ein UN-Mandat zu 
ermoeglichen.
Der Euratom-Vertrag aus 1957 behaelt weiterhin seine Gueltigkeit. ###
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"Geistige Grundversorgung zum EU-Reformvertrag" verspricht Attac unter: 
http://community.attac.at/5713.html 
Dort ist auch eine tabellarische 
Gegenueberstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von aktuell 
gueltigem Vertrag von Nizza, gescheitertem Verfassungsvertrag und geplantem 
Reformvertrag abrufbar. Diese ist sehr uebersichtlich und enthaelt auch 
wichtige hier unerwaehnt gebliebene Details wie etwa die geaenderten 
Bestimmungen ueber Einstimmigkeitsnotwenidigkeit oder 
Mehrheitsbeschlussfaehigkeit im EU-Rat
Attacs 10 Prinzipien fuer einen demokratischen EU-Vertrag (mit 
Unterstuetzungsmoeglichkeit)
http://www.attac.at/10prinzipien
Weitere Informationen: http://www.attac.at/eu
Dort sollte demnaechst auch der Volltext des hier gekuerzten Artikels 
abrufbar sein.
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