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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. November 2007; 18:13
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Recht/Kommentar der Anderen:
> OGH erhoeht Kompetenzen von Privatsheriffs
Die ARGE DATEN kritisiert die hoechstgerichtliche 
"Schwarzfahrer-Entscheidung" als Freifahrtschein fuer nichtstaatliche 
Wachorgane
Fuer Kontrolleure oeffentlicher Verkehrsunternehmen stellt sich stets das 
Problem, wie es fuer sie moeglich ist, Personen, die den Vorweis eines 
gueltigen Fahrausweises verweigern- mutmasslich "Schwarzfahrer"- daran zu 
hindern, das Weite zu suchen, bevor deren Identitaetsdaten aufgenommen 
werden koennen. Hintergrund: Besondere Befugnisse kommen den auf 
privatrechtlicher Grundlage agierenden Kontrolleuren nicht zu. Das 
allgemeine "Anhalterecht" steht hingegen zwar jedermann zu, allerdings nur 
im Zusammenhang mit der Verwirklichung gerichtlicher Straftaten. Das 
unrechtmaessige Benutzen eines oeffentlichen Verkehrsmittels stellt hingegen 
nur eine Verwaltungsuebertretung dar. Im Ausgangsfall hatte sich ein 
Betroffener gegen die Anhaltung durch zwei Kontrolleure gewehrt und im 
betreffenden, gerichtlichen Verfahren "Notwehr" gegen das Verhalten der 
Kontrolleure geltend gemacht.
In seiner Entscheidung stuetzt sich der OGH nicht auf das sogenannte 
"Anhalterecht", sondern vielmehr auf die privatrechtliche Bestimmung des 
§344 ABGB, welcher grundsaetzlich den rechtmaessigen Schutz von Besitz mit 
"angemessener Gewalt" fuer den Fall des Zuspaetkommens behoerdlicher Hilfe 
normiert. Das kurzfristige Anhalten eines "Schwarzfahrers" bis zur 
Identitaetsfeststellung durch die Polizei wird durch das Hoechstgericht als 
angemessen qualifiziert, weil es in der Regel das gelindeste -- und 
einzige -- Mittel zur Herstellung des rechtmaessigen Zustandes sei.
Weiters sei angesichts des Entgeltanspruches des Befoerderungsunternehmens 
und des Umstandes der fehlenden Durchsetzungsmoeglichkeit von 
zivilrechtlichen Anspruechen mangels Kenntnis der Identitaet des 
Verdaechtigen die Aufrechterhaltung dieser Form staedtischen Verkehrs 
ueberhaupt in Frage gestellt.
Entscheidung fragwuerdig
Aus juristischer Sicht ist die nunmehrige Entscheidung durchaus kritisch zu 
betrachten. Zu bedenken ist grundsaetzlich, dass die entsprechende 
Bestimmung des §344 ABGB woertlich nur normiert, das es "zu den Rechten des 
Besitzes auch das Recht gehoert, sich in seinem Besitze zu schuetzen, und in 
dem Falle, dass die richterlichen Huelfe zu spaet kommen wuerde, Gewalt mit 
angemessener Gewalt abzutreiben."
Ziel der entsprechenden Bestimmung ist somit der Besitzschutz, der Schutz 
davor, dass entsprechender Besitz unrechtmaessig in Anspruch genommen wird. 
Bei genauerer Betrachtung des Sachverhalts, der der gegenstaendlichen 
Entscheidung zugrunde liegt, wird aber klar, dass es hier gar nicht um 
"Besitzschutz" im eigentlichen Sinne geht. Die Frage ist nicht, ob 
Kontrolleure einen mutmasslichen "Schwarzfahrer" - moeglicherweise auch 
unter sanfter Gewalt -- aus einem oeffentlichen Verkehrsmittel weisen 
duerfen, sondern vielmehr, ob sie auch berechtigt sind, diesen bis zu einer 
Identitaetsfeststellung gewaltsam festzuhalten. Das Ziel dieser 
Identifizierung ist aber nicht -- wie auch das Hoechstgericht selbst 
ausfuehrt -- der Schutz von Besitz, vielmehr soll es dem Verkehrsunternehmen 
ermoeglicht werden, mutmassliche privatrechtliche Ansprueche gegen den 
Betroffenen auch gerichtlich betreiben zu koennen. Eine automatische 
Erweiterung der erlaubten Selbsthilfe zum Besitzschutz auf die Moeglichkeit 
der Geltendmachung von schuldrechtlichen Anspruechen ist daher nicht 
nachvollziehbar.
Die eingeschlagene Richtung ist eine gefaehrliche. Zu bedenken ist, dass es 
sich bei den Betroffenen jedenfalls vorab nicht um bereits identifizierte 
"Schwarzfahrer" handelt, sondern um Personen, die -- aus welchen Gruenden 
immer -- keinen Fahrausweis vorweisen. Diese Unterscheidung mag banal 
klingen, hat aber -- wenn man die Entscheidung des OGH auf aehnlich 
gelagerte Sachverhalte umlegt -- durchaus ihren Sinn.
Taschenkontrolle
Im alltaeglichen Leben existieren naemlich genuegend Situationen, in welcher 
ein Vertragspartner die Identitaet seines Gegenuebers nicht kennt und aus 
verschiedenen Gruenden heraus interessiert ist, diesen zur Geltendmachung 
mutmasslicher Ansprueche zu identifizieren. Beispielsweise wird heute 
vermehrt dazu tendiert, Personen, welche Geschaefte verlassen, anlasslos 
einen Blick in die Tasche "abzunoetigen". Bisher galt es als 
Selbstverstaendlichkeit, diese Form der Belaestigung verweigern zu koennen, 
ohne eine gewaltsame Anhaltung durch Sicherheitsbedienstete befuerchten zu 
muessen -- eine verweigerte Tascheneinsicht ist eben noch kein ausreichender 
Anwendungsfall fuer das "Anhalterecht". Die Entscheidung des OGH, die 
gewaltsame Anhaltung bloss infolge einer potentiellen zivilrechtlichen 
Forderungen zu tolerieren, koennte kuenftig zu massiven 
Grundrechtseingriffen und Verrohungen im Umgang mit Kunden fuehren.
Weiters ist das Argument, ohne gewaltsame Anhaltemoeglichkeit lasse sich 
heute wirtschaftlich kein oeffentliches Verkehrsunternehmen fuehren, 
obgleich sofort von Hardliner des Strafrechtsinstituts, Prof. Burgstaller 
beklatscht, sehr kritisch zu hinterfragen. Es ist nicht davon auszugehen, 
dass der Grossteil der Benutzer oeffentlicher Verkehrsmittel daran 
interessiert ist, im Falle moeglicher Kontrollen davonlaufen zu muessen, 
anstatt an das gewuenschte Ziel zu gelangen. Die Wiener Linien selbst 
raeumen ein, dass die Zahl der Schwarzfahrer im Verhaeltnis zu zahlenden 
Kunden ueberaus gering ist, wiederum nur ein Bruchteil davon verhaelt sich 
im Falle von Kontrollen renitent.
Fraglich ist daher, woher man bei OGH und Strafrechtsinstitut ihre 
"wirtschaftlichen" Weisheiten nimmt. Das gleiche Argument - "ohne 
verpflichtende Taschenkontrolle samt Anhaltung bis zur 
Identitaetsfeststellung nicht wirtschaftlich fuehrbar" - liesse sich auf 
saemtliche Geschaefte genauso anwenden, richtiger wird es dadurch nicht.
Resumee
Bedoht ist der oeffentliche Verkehr nicht -- wie auch die betreffenden 
Unternehmen selbst einraeumen -- durch einzelne Schwarzfahrten, sondern 
vielmehr durch den politischen Sparstift, der vor allem in laendlichen 
Gebieten Bahn- und Buslinien reihenweise wegkuerzt. Zu differenzieren ist 
jedenfalls dort, wo man privaten Taetern ueberschiessende Rechte bezueglich 
der Eingriffsmoeglichkeiten in die persoenliche Integritaet von Buergern 
einraeumt. Was heute auf den oeffentlichen Verkehr angewandt wird, kann 
morgen genauso von Supermaerkten, Restaurants, Taxis, etc... in Anspruch 
genommen werden.
Gerade in einer Zeit, in der sich Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste 
allzu oft als selbsternannte Sheriffs gebaerden, ist es bedenklich, diesen 
behoerdenaehnliche Rechte einzuraeumen. Damit wird systematisch das 
Gewaltmonopol des Staates ausgehoehlt und der Schritt in Richtung 
Selbstjustiz vorbereitet.
(gek.)
Entscheidung des OGH 15Os71/07s
Quelle: 
http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=76845uwt
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