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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. November 2007; 17:59
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Fremde/Recht/Kommentar:
> Watschen fuer den Gesetzgeber
Spitzfindigkeiten zu den aktuellen VfGH-Entscheiden
Vier Entscheidungen hat nun der Verfassungsgerichtshof zum Fremdenrecht
veroeffentlicht. Medial breitgetreten wurde hauptsaechlich der
Kriterienkatalog des VfGH zum Bleiberecht. Dieser Katalog ist allerdings
formal nicht viel wert, denn er entstammt keinem Rechtsakt des VfGH, sondern
stellt lediglich die Grundhaltung des Hoechstgerichts in diesem Zusammenhang
dar, wie er der Presse praesentiert wurde. Tatsaechlich ergingen zwei
Einzelfallentscheide, wobei nur in einem Fall die Ausweisung fuer
verfassungswidrig erklaert wurde. Dieser Entscheid wird daher nur in
aehnlich gelagerten Faellen unmittelbar zitierbar sein. Was der VfGH
allerdings mit seinem Katalog gemacht hat, war der Politik eine Rute ins
Fenster zu stellen, dass eine Nichtbeachtung dieses Katalogs beim VfGH
regelmaessig zur Behebung von Ausweisungen fuehren wuerde. Diese
Unterscheidung mag eine Spitzfindigkeit sein, jedoch nicht ganz irrelevant
auch angesichts der doch sehr vagen Andeutungen dieses Katalogs, der die
entscheidenden Behoerden sowie den Unabhaengigen Bundesasylsenat lediglich
zur Abwaegung des "oeffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung
gegen die persoenlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in
Oesterreich am Massstab des Artikel 8 der Europaeischen
Menschenrechtskonvention (Recht auf Privat- und Familienleben)"
auffordert -- eine Aufforderung, die an sich schon vor den jetzigen
Entscheiden eigentlich als selbstverstaendlich anzusehen gewesen waere. Und
Abwaegungen koennen nun mal so oder so ausgehen -- gebunden fuehlen muessen
sich die Entscheidungstraeger da noch lange nicht. Nur wenn die Betroffenen
es schaffen, einen neuerlichen Entscheid des VfGH zu erlangen, bevor sie
abgeschoben werden, sind sie damit geschuetzt.
Rechtlosigkeit
Die dritte Entscheidung betrifft die Rechtsstellung der Betroffenen. Und
hier beginnt es interessant zu werden. Denn der Gesetzgeber sieht keinen
Grund, den humanitaeren Aufenthalt anders denn als Gnadenakt zu vergeben.
Nicht nur, dass nirgendswo ein Rechtsanspruch nach auch nur vage angegebenen
Kriterien vorhanden ist, haben die Betroffenen nicht einmal ein Antragsrecht
und damit auch keine Parteienstellung in diesem Verfahren. Der humanitaere
Aufenthalt kann lediglich von Amts wegen beantragt werden, die
Letztentscheidung darueber liegt beim Innenminister. Doch, so der VfGH, die
Menschenrechtskonvention saehe vor, "dass jedermann, der eine Verletzung
seiner durch die Konvention geschuetzten Rechte behauptet, das Recht auf
eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz hat." Dies sei hier
nicht gegeben, so der VfGH in seiner Stellungnahme. Es handelt sich
allerdings in diesem Beschluss lediglich um die Einleitung eines
Gesetzespruefungsverfahrens, dem damit auch noch keine unmittelbare
Rechtswirksamkeit zukommt.
Dass aber der VfGH gewillt sein duerfte, hier tatsaechlich eine
Gesetzesbehebung durchzufuehren und nur mehr ueber das Ausmass diskutiert,
zeigt nicht nur der -- nach dem Massstab fuer Hoechstrichter -- ziemlich
"angefressene" Ton der Stellungnahme, sondern auch der vierte, medial am
wenigsten beachtete Entscheid. Denn auch hier geht es um die Rechtstellung
der Betroffenen und der Entscheid ist nicht anders denn als schallende
Ohrfeige fuer den Gesetzgeber zu verstehen. Diese Entscheidung duerfte
einfach aufgrund der etwas komplexen Materie -- und weil sie sich so
ueberhaupt nicht mit der Causa Zogaj verbinden liess -- schlagzeilenlos
geblieben sein, besitzt aber vielleicht die groesste Bedeutung. Tatsaechlich
handelt es sich dabei um eine rechtliche Kleinigkeit, die aber beispielhaft
fuer eben diese vielen kleinen Rechtsstaatswidrigkeiten ist, die im Gesamten
ein Willkuerrecht fuer Nicht-EU-Angehoerige ergeben. Es geht um die
Abschiebeverhinderung aus gesundheitlichen oder aehnlichen Gruenden. Die
bisherige Rechtslage sah folgendermassen aus: Wenn ein Nicht-EU-Buerger aus
anderen Rechtstiteln kein Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen kann, aber
aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht abgeschoben werden kann und seine
Ausweisung daher eine unmenschliche Behandlung (Art. 3 EMRK) darstellen
wuerde und diese Abschiebe-Hindernisgruende "nicht von Dauer sind, ist
gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchfuehrung fuer
die notwendige Zeit aufzuschieben ist" (Art. 10 Abs. 3 Asylgesetz). Die
Boesartigkeit dieser Bestimmung ist auf den ersten Blick nur schwer zu
erkennen. Denn die Interpretation durch die Behoerden besagte, dass bei
einem solchen Ausweisungshindernis auf alle Faelle zuerst einmal eine
Ausweisung auszusprechen ist, bevor eine Durchfuehrungsaufschiebung
ueberhaupt machbar ist. Was logisch erscheint, denn man kann nicht etwas
aufschieben, was noch nicht beschlossen ist. In der Praxis wurde Folgendes
gemacht: Man sprach die Ausweisung aus, setzte deren Durchfuehrung aber bis
zu einem vorbestimmten Datum aus, um dann ohne Verzug abschieben zu koennen.
Faktisch hat der Betroffene keinerlei Rechtsmoeglichkeit, eine neuerliche
Ueberpruefung seines Gesundheitszustandes zu veranlassen und damit eine
weitere Aufschiebung zu initiieren. Tatsaechlich wurde diese Bestimmung auch
beispielsweise auf Traumatisierungsopfer angewendet -- einem Krankheitsbild,
das nicht wie ein Beinbruch nach sechs Wochen als abgeheilt vorherzusagen
ist.
Verzweiflungstat
Was der VfGH nun machte, kann nur als ein Verzweiflungsakt angesehen werden.
Die Hoechstrichter erkannten offensichtlich, dass bei dieser Rechtslage
Feuer am Dach ist und verweigerte "angesichts der Schwere des
verfassungswidrigen Eingriffes" dem Gesetzgeber die Reparaturfrist. Der VfGH
kann aber auch in einem solchen Akutfall eines Normpruefungsverfahrens
lediglich Bestimmungen aufheben, nicht aber neu schreiben und verlegte sich
auf das Kuerzen obiger Bestimmung, so das Art. 10, Abs 3 des Asylgesetzes
nun lautet wie folgt: "Wenn die Durchfuehrung der Ausweisung aus Gruenden,
die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK
darstellen wuerde und diese nicht von Dauer sind, die Durchfuehrung fuer die
notwendige Zeit aufzuschieben." Wie oben dargestellt, wird damit die
Durchfuehrung von etwas aufgeschoben, was noch gar nicht existiert. Der
Verfassungsgerichtshof erreichte damit zweierlei: Erstens wird dieses
temporaere Bleiberecht damit nicht an die Ausweisungsverfuegung geknuepft
und zweitens bleibt ein rechtslogischer Torso ueber, der den Gesetzgeber
erst recht wieder zu einer Reparatur des Gesetzes zwingt. Wirklich ein
salomonisches Urteil ist das aber nicht zu nennen, denn die Rechtsstellung
des Betroffenen bezueglich einer neuerlichen Ueberpruefung seines
Gesundheitszustandes wurde damit nicht verbessert, sondern der VfGH liess es
diesbezueglich bei einer rechtlich nicht wirklich bindenden Ruege
bewenden -- in der Hoffnung auf bessere Einsicht des Gesetzgebers.
Konsequenzen
Dennoch zeigen diese Entscheide in ihrer Gesamtsicht, aber auch das
kuerzliche ORF-Interview mit dem VfGH-Praesidenten, wie sehr das
Hoechstgericht ueber die im Fremdenrecht stattfindende Korrosion des
Rechtsstaats empoert ist. Dabei geht es meistens gar nicht um humanitaere
Beweggruende des VfGH oder gar eine tolerantere Auslegung des Bleiberechts.
Das Hoechstgericht moechte hier weniger Politik machen, als vielmehr die
Verletzungen vor allem der Rechtszugangsmoeglichkeiten ruegen. Der
Gerichtshof ist nicht die Caritas und nicht "Asyl in Not". Schliesslich
entschied er jetzt auch einmal gegen das Bleiberecht. Aber die Gemeinheiten
des Fremdenrechtspakets 2005 liegen gerade in den vielen kleinen
Nadelstichen gegen den Kern der Bundesverfassung. Sowas moegen
Verfassungsrichter nicht, da fuehlen sie ihr Metier beschmutzt und sich
"papierlt". Da kann man ansetzen. Jenen Hilfsorganisationen, die es bislang
noch nicht getan haben, ist daher dringend zu empfehlen, jeden auch nur
irgendwie relevanten Einzelfall vor den VfGH zu bringen. Das lohnt sich
nicht nur im Einzelfall, sondern gibt man dem Hoechstgericht nur die Chance,
wird es aus dem Fremdenrechtspaket Schweizer Kaese machen.
Damit wird man zwar nicht diese von FPOe und BZOe intendierte Politik
beenden, denn die politische Arbeit gegen Auslaenderfeindlichkeit und
Rassismus werden uns Hoechstrichter wohl kaum abnehmen. Aber man kann
vielleicht ein paar Menschen vor der Abschiebung bewahren.
*Bernhard Redl*
Entscheidungen und Presseaussenungen des VfGH: http://www.vfgh.gv.at/
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