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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. September 2007; 17:17
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Moderne Zeiten/BRD/Debatte:

Rechtsstaat 2.0

Warum Vorratsdatenspeicherung kein Problem fuer den Rechtsstaat, sondern der
Rechtsstaat das Problem ist.

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Nachfolgender Flugblatt-Text bezieht sich auf einen Aufruf zu einer Demo in
Deutschland zum Thema Ueberwachungsstaat, aber auch ganz allgemein auf die
diesbezuegliche deutsche Debatte; eine Debatte, die hierzulande kaum
gefuehrt wird, wenn nicht gerade der Verfassungsgerichtshofspraesident das
Wort ergreift. Der Diskussionsansatz dieses Debattenbeitrages ist aber auch
fuer oesterreichische Verhaeltnisse nicht irrelevant:

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Um es gleich mal vorweg zu nehmen. Auch wir finden das Abhoeren von Handys
oder das Installieren von Trojanern auf unseren Rechnern scheisse. Dagegen
finden wir es begruessenswert, wenn sich Leute gegen Ueberwachung und
Repression wehren. ABER: noch viel begruessenswerter faenden wir es, wenn
die Leute, die sich wehren, das mit vernuenftigen Argumenten machten.
Vernuenftige Argumente haben wir allerdings im Vorfeld der heutigen
Demonstration nur wenige gehoert und einige dieser Argumente, die uns nicht
so recht gefallen wollen, werden wir im folgenden kritisch wuerdigen.

Das Buendnis Freiheit statt Angst ruft zur Demo unter anderem mit folgendem
Satz auf: "Dabei bewirkt die zunehmende elektronische Erfassung und
Ueberwachung der gesamten Bevoelkerung keinen verbesserten Schutz vor
Kriminalitaet, kostet Millionen von Euro und gefaehrdet die Privatsphaere
Unschuldiger."
[www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/125/116/lang,de/]

Zur ersten Behauptung des Satzes: Dass die zunehmende Erfassung keinen
verbesserten Schutz vor Kriminalitaet bietet, halten wir fuer ein sehr
schwaches Argument. Soll das bedeuten, dass wenn die zunehmende Erfassung
einen groesseren Schutz vor Kriminalitaet boete, dann haette man auch kein
Problem mit der zunehmenden Ueberwachung? Die Frage nach dem geeigneten
Schutz vor Kriminalitaet stellt sich uns nicht und wir wollen auch nicht am
wechselseitigen Zitieren irgendwelcher wissenschaftlicher Untersuchungen
teilnehmen, die jeweils Entgegengesetztes behaupten. Die Befuerworter der
Ueberwachung winken mit Zahlen, die Gegner winken mit anderen Zahlen
zurueck - unerquicklich.

Beiden Lagern (BuergerrechtlerInnen und Politik) ist gemein, dass sie
Kriminalitaet als Faktum voraussetzen, sich darueber einig sind, das nicht
zu wollen und dann lediglich mit unterschiedlichen Rezepten aufwarten. Dass
der Staat mit seiner Definition dessen, welche Handlungen und Willensinhalte
kriminell sind, erstmal ordentlich in das Leben seiner Untertanen eingreift
und damit vorgibt, was Privatleben und Freiheit des einzelnen ist, ist fuer
die BuergerrechtlerInnen kein Problem. Sie stellen sich Privatsphaere als
etwas Vorstaatliches vor, das der Staat zu schuetzen und zu respektieren
habe, in das er aber nicht eingreifen duerfe. Vor der Kriminalitaet soll
aber dann bitte doch schuetzen, woran sich zeigt, dass die VerfasserInnen
des Aufrufs Kriminalitaet ebenfalls als etwas quasi Vorstaatliches
voraussetzen. Aber: Kriminalitaet kann halt alles und nichts sein. Was
Kriminalitaet ist, ist eine politische Entscheidung und somit eine Frage der
Mehrheitsverhaeltnisse im Parlament. Irgendwann wirst Du kriminalisiert,
weil Du Dich der Verschluesselungstechnologien bedienst, die der Staat
illegalisiert hat (wie in anderen Laendern bereits geschehen). Ueberlegst Du
dann immer noch, was verbesserter Schutz vor Kriminalitaet sein koennte?

Wir wuerden uns lieber mal Gedanken machen, was in dieser Gesellschaft die
Voraussetzungen sind, die immer wieder notwendig Kriminalitaet produzieren
und an denen was zu veraendern. Wenn man die Noete und Prinzipien, die
dauerhaft Kriminalitaet produzieren erkennt und abschafft, dann muss sich
auch nicht mehr darueber streiten, welche Massnahmen vor Kriminalitaet
schuetzen koennten. In einer Gesellschaft, in der das Ueberleben an Eigentum
und Geld haengt, ist es keine Ueberraschung, dass Diebstahl und Raub an der
Tagesordnung sind. Gelegentlich - wie im Falle der organisierten
Kriminalitaet, die wie alle anderen Unternehmen auch Geld verdienen will -
wird aus Raub, Diebstahl oder Mord gar ein eintraegliches, wenn auch
riskantes Geschaeft. Die Strafen des Staates verhindern eben keine
Kriminalitaet, sondern liefern den Buergern den Preis, mit dem sie zu
kalkulieren haben. Aber auch jenseits materiell motivierter Verbrechen
faellt uns an der Kriminalitaet nur der gesellschaftlich hergestellte
Irrsinn auf: Liebesbeziehungen werden qua Ehe staatlicherseits so geregelt,
dass den Partnern ein Recht auf Liebe garantiert wird. Bei Untreue des
Partners/der Partnerin verblasst die Trauer ueber den Seitensprung oft vor
der als viel schwerwiegender empfundenen Pflichtverletzung des anderen. Bis
zum blutigen Eifersuchtsdrama ist es da nicht mehr weit.

Effizienz als Kriterium

Zweitens: "Vorratsdatenspeicherung kostet viel Geld." Stimmt, dass wird
keiner leugnen. Vom Geld reden die Befuerworter der Speicherung doch auch
staendig: Der volkswirtschaftliche Schaden zum Beispiel eines
terroristischen Anschlags in Deutschland verursacht viel horrendere Kosten.
Sobald man einmal mit der Geldfrage anfaengt, hat man sich schon ordentlich
auf die Kalkulationen der Herren und Damen PolitikerInnen eingelassen. Und
wenn einem das Geld wirklich wichtig ist und man sich in
volkswirtschaftlichen Rechnungen ueben will, dann kann eine
Vorratsdatenspeicherung tatsaechlich billiger sein als der Zusammenbruch
einer nationalen Wirtschaft. Schwieriges Terrain also.

Aehnlich wie bei der Frage nach verbessertem Schutz vor Kriminalitaet geht
es den UnterstuetzerInnen des Aufrufs an dieser Stelle lediglich um
quantitative Abweichungen vom erwuenschten Zustand. Zu teuer statt genau
richtig. Auf die Idee, dass es dem Staat in Fragen Sicherheit um das Geld
nicht schade ist, kommt da keineR. Stattdessen erinnern sie die Damen und
Herren PolitikerInnen daran, dass man das Geld doch viel vernuenftiger
ausgeben koennte - fuer die Armen oder so. Ganz bestimmt waere das schoener,
aber eben auch weltfremd. Der demokratische Staat findet die Versorgung
seiner Buerger noch nicht mal mit Luxus, sondern nur mit den elementarsten
Guetern schlicht nicht so wichtig, wie die Sicherheit seines Territoriums
und die uneingeschraenkte Anerkennung seines Gewaltmonopols. In Fragen der
Souveraenitaet ist die Demokratie extrem unflexibel, da versteht sie keinen
Spass und langt entsprechend zu: mit Repression und Kosten. Der Grund fuer
diese praktische Ruecksichtslosigkeit ist, dass es beim Terrorismus oder der
Organisierten Kriminalitaet um eine Souveraenitaetsfrage geht, worauf ein
demokratischer Staat allergisch bis prinzipiell reagiert. Der Staat sieht
nicht (nur) seine politischen Programme beeintraechtigt, sondern sich selbst
in seiner Existenz. Deshalb sollen die TerroristInnen nicht nach der Tat
bestraft, sondern von vornherein mit allen Mitteln bekaempft werden. Der
Staat will nicht Gesetzesbrecher an ihre Pflichten als Untertanen erinnern,
sondern Staatsfeinde eliminieren. Die Grundlage fuer den ruecksichtslosen
Charakter der Terrorbekaempfung ist der totalitaere Anspruch der
Staatsgewalt, die keine Gewalt neben sich duldet. Aber von der Einsicht,
dass dieses Gebaren kein Verrat an irgendwelchen demokratischen Prinzipien,
sondern die Art und Weise ist, wie Demokratie funktioniert, davon ist der
Aufruf leider weit entfernt.

Ein bisschen weniger ist nichts anderes

Drittens: "Die Privatsphaere Unschuldiger wird gefaehrdet." Zunaechst mal
waere hinzufuegen, die Privatsphaere moeglicher Schuldiger auch. Damit aber
haben die BuergerrechtlerInnen kein Problem. Die staatliche
Sicherheitspolitik kritisieren sie ja gar nicht, sondern die Frage des WIE
die staatliche Sicherheitspolitik auszusehen hat. Erst an dieser Stelle
gehen sie nicht mehr konform mit aktuellen Gesetzespaketen. Sicherheit muss
sein, und wenn die Privatsphaere Schuldiger dabei floeten geht, so haben
sich das die Schuldigen selbst zuzuschreiben, die sich gegen die Freiheit
stellen (oder welche Argumente es dann auch immer sind, die die Ueberwachung
von vermeintlich "Schuldigen" rechtfertigen). Der Forderungskatalog des
gemeinsamen Aufrufes liest sich dann folgerichtig wie eine abgespeckte
Version eines Sicherheitspaketes: "Keine Totalprotokollierung von Telefon,
Handy und Internet (Vorratsdatenspeicherung)" heisst doch wohl bei
begruendetem Verdacht (wie der dann auch immer aussieht - heutzutage soll ja
ein regelmaessiger Bibliotheksbesuch reichen) kann man sich die Ueberwachung
von Telefonen schon vorstellen. Oder warum sonst schreibt man im Aufruf
"keine TOTALprotokollierung"?

Und ein letztes Zitat aus dem gemeinsam unterzeichnetet Aufruf: "Wo Angst
und Aktionismus regieren, bleiben gezielte und nachhaltige Massnahmen zur
Staerkung der Sicherheit ebenso auf der Strecke wie ein Angehen der
wirklichen, alltaeglichen Probleme der Menschen. (z.B. Arbeitslosigkeit und
Armut)."

Nun hat die Politik gerade definiert, was sie fuer ein wirkliches Problem
haelt: naemlich die Innere Sicherheit des deutschen Staates, die Gefahr des
Internationalen Terrorismus und die moeglichen Auswirkungen auf die schoene
deutsche Volkswirtschaft. Die Bundespolitik nennt sogar Gruende fuer die
Sicherheitspakete, die ziemlich deckungsgleich mit dem sind, was die
BuergerrechtlerInnen einfordern. Das Wirtschaftswachstum bedarf des Schutzes
des Staates vor unbotmaessigen Angriffen, und die BuergerrechtlerInnen sind
schwer ueberzeugt davon, dass wenn Arbeitslosigkeit und Armut bekaempft
werden sollen, dann doch wohl nur unter den Bedingungen eines schoenen,
saftigen Wirtschaftswachstums. Somit kuemmert sich die Politik doch um das,
was auch die BuergerrechtlerInnen fuer dringende Probleme halten. Die
Politik versucht mit allen ihr zur Verfuegung stehenden Mitteln (und die
hoeren bei der Vorratsdatenspeicherung bestimmt nicht auf!) die Bedingungen
des Wirtschaftens zu sichern. Mehr als ein Streit um das rechte Mass ist da
nicht in Sicht. Zur Verwechslung von mehr Wirtschaftswachstum = besseres
Leben moechten wir an dieser Stelle gar nicht viel sagen, sondern Euch
einladen auf eines unserer Seminare zu kommen (www.junge-linke.de).

Gemeinsam fuer mehr Demokratie?!

Obwohl sich die Linken in ihren Forderungen und Erklaerungen von den
Buergerrechtlerinnen deutlich unterscheiden, missverstehen sie den Sinn und
Zweck von Freiheit und Sicherheit in buergerlichen Demokratien aehnlich
gruendlich wie die BuergerrechtlerInnen. Sie glauben, Abhoeren, Bespitzeln
und Ueberwachen vertraegt sich nicht mit einem demokratischen System. Fuer
sie gehoert so was entweder in das Repertoire faschistischer Praktiken (aus
einem Aufruftext: "Die von den Alliierten erzwungene Trennung von Polizei,
Geheimdiensten und Gerichten, die nach den Erfahrungen mit der GESTAPO im
Nationalsozialismus 1949 festgesetzt wurde, ist in der Realitaet laengst
aufgehoben.") oder sie erinnern gemeinsam mit anderen Autonomen daran, dass
Schaeuble die Wiederauflage der repressiven Stasi/DDR plane (Schablone mit
Schaeubles Konterfei und dem Vermerk Stasi 2.0). Das sieht uns schwer nach
einem saftigen Demokratie-Idealismus aus. Dazu gehoert, dass man glaubt eine
Abweichung vom Ideal sei bereits ein Verstoss gegen dasselbe. Das kann dann
entweder die 5%-Huerde sein, die von vereinzelten Buergerlichen so furchtbar
undemokratisch gefunden wird oder die Einschraenkung einer Freiheit oder
einer Privatsphaere, die einem der Staat ueberhaupt erst garantiert. Und
auch da taeuschen sich so manche Linken: Freiheit gibt es hier nicht dafuer,
dass man das System bekaempft, sondern dafuer, dass man sich ordentlich in
der Konkurrenz der Freien und Gleichen austobt. Und wenn die Bedingungen
fuers freie Konkurrieren durch Kriminalitaet oder (Internationalen)
Terrorismus bedroht werden, versteht der demokratische Staat seinen selbst
gesetzten Auftrag sehr genau und sorgt dafuer, dass das wieder geht. Der
Staat nimmt den Schutz dieser Freiheit sehr ernst. So ernst, dass sogar
Farbbeutel oder bestimmte Begrifflichkeiten unter den Tatbestand des
Terrorismus fallen. Da mag man sich unglaeubig an den Kopf fassen, aber
deswegen von diesem Staat weniger Kontrolle und Abschaffung irgendwelcher
Paragraphen zu fordern, scheint uns keine adaequate Loesung zu sein.

Deswegen beenden wir unser Flugblatt auch mit keiner einzigen Forderung an
den Staat, sondern an Euch: Bleibt aktiv, aber werft bitte Euren Idealismus
ueber Bord!
*jimmy boyle berlin (gek.)*



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