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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. September 2007; 16:58
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Geschichte/Aufarbeitung:
> Dezentes Gedenken in der Hinterbruehl
Die Seegrotte und ihre verdraengte Vergangenheit als Konzentrationslager
Fast alles scheint im Schaubergwerk Seegrotte in der Hinterbruehl (NOe) 
wichtiger zu sein, als ein angemessenes Gedenken an die Opfer des 
Konzentrationslagers, dass sich ebendort in den Jahren 1944/45 befand. Das 
Konzentrationslager in der Hinterbruehl war eines von vielen Nebenlagern des 
KZ-Mauthausen. Die Insassen, zum groessten Teil politische Haeftlinge, 
mussten in einem 24-Stunden Schichtdienst unter Tage am Bau von Flugzeugen 
fuer den NS-Staat mitwirken. Anfaenglich waren etwa 800, spaeter etwa 1800 
Haeftlinge in der Hinterbruehl.
Das Konzentrationslager in der beschaulichen Villengemeinde im Bezirk 
Moedling, gilt als eines der grausamsten Nebenlager von Mauthausen. Es gibt 
Geschichten von Haeftlingen, die sich aus Verzweiflung in den elektrischen 
Zaun der KZ-Anlage stuerzten. Die Gesamtzahl der Opfer ist bis heute 
unbekannt. Gut dokumentiert sind lediglich die Ereignisse der letzten 
Kriegstage. Durch den erfolgreichen Vormarsch der Roten Armee Richtung 
Westen unter Druck gesetzt, befahlen die Nationalsozialisten die Aufloesung 
des Nebenlagers in der Hinterbruehl und den Rueckmarsch nach Mauthausen. 
Etwa 50 gehunfaehige Gefangene, die sich zu diesem Zeitpunkt in der 
Krankenstation des Konzentrationslagers befanden, wurden mit 
Benzininjektionen ermordet. Von den 1800 Menschen, die den Marsch nach 
Mauthausen antreten mussten, ueberlebten nur wenige.
Schaubergwerk Seegrotte
Heute ist das ehemalige Gipsbergwerk eine TouristInnenattraktion, die vor 
allem mit dem groessten unterirdischen See Europas fuer sich wirbt. Auf den 
Fuehrungen durch die stillgelegten Stollen, wird stolz auf den Umstand 
hingewiesen, dass hier der Disney-Film "Die drei Musketiere" gedreht wurde. 
Auch die Verehrung der heiligen Barbara durch die Bergleute wird an mehreren 
Stationen umfangreich behandelt. Die Tour endet mit einer Bootsfahrt auf dem 
See, untermalt mit einer romantischen Musik- und Lichtshow. In den Jahren 
1944/45 war der See trocken gelegt. Der Grund des heutigen Sees, ueber den 
taeglich Boote mit nichtsahnenden TouristInnen ihre Runden drehen, war der 
Ort an dem die KZ-InsassInnen arbeiten mussten.
Auf die hier durch Zwangsarbeit entstandenen Flugzeuge wird noch heute 
positiv Bezug genommen. "Der erste Duesenjaeger der Welt" sei hier gebaut 
worden, wird den BesucherInnen der Seegrotte erzaehlt. Von wem und unter 
welchen Bedingungen bleibt im Dunklen.
Auf ihrer Homepage schreiben die BetreiberInnen der Seegrotte lediglich, 
dass "2000 Arbeiter, darunter viele Zwangsarbeiter, (...) damit beschaeftigt 
[waren], hier einen der ersten Duesenjaeger der Welt zu produzieren - die 
Heinkel HE 162 'Salamander'". Ein ganzer Absatz wird ebenda der 
Trockenlegung des Sees, der Beheizung der Hoehle und der Errichtung der 
"grosse[n], unterirdische[n] Flugzeugfabrik" gewidmet. Auch hier wird die 
Ermordung der Zwangsarbeiter nicht erwaehnt.
Auf die Spitze wird die Verdraengung in einer Filmdokumentation getrieben, 
die im Bergwerk zu sehen ist. Die Dokumentation schafft den Spagat, sich 
einerseits des Baus der Flugzeuge zu ruehmen und andererseits die Geschichte 
des Konzentrationslagers und seiner Insassen zu verschweigen. "Der Film ist 
nur als eine kurze Information ueber die Seegrotte gedacht mit dem Focus auf 
die Zeit des Bergwerks", heisst es dazu von den BetreiberInnen der 
Seegrotte.
Gedenktafel fuer Bombenopfer und KZ-Haeftlinge
Die Frage in welcher Form heute bei TouristInnen-Fuehrungen auf die 
Geschichte der Seegrotte von 1938 bis 1945 Bezug genommen wird, beantworten 
die BetreiberInnen des Schaubergwerks so: "Es wird erwaehnt, dass die 
Seegrotte von 1944-1945 beschlagnahmt wurde. Die Geschichte wird bei jeder 
Fuehrung ausfuehrlich erklaert." Weiters wird auf "eine Gedenktafel mit 
Blumenschmuck und Kerzen" hingewiesen, die sich in der Seegrotte befindet. 
Darauf ist in deutscher, englischer und italienischer Sprache eingraviert:
"Zum Gedenken an die KZ-Haeftlinge und Kriegsgefangenen, die in der Zeit 
1944/45, als die Seegrotte unter der nationalsozialistischen Diktatur 
beschlagnahmt war, hier Zwangsarbeit leisten mussten."
Unter dieser Gedenktafel ist eine zweite - etwas kleinere - Tafel 
angebracht. Auf ihr ist folgendes zu lesen:
"35 Menschen verloren beim Bombenangriff auf das damalige Flugzeugwerk 
Seegrotte ihr Leben."
Auch hier wird die Ermordung des Grossteils der Haeftlinge - sei es durch 
Benzininjektionen oder durch den Todesmarsch Richtung Mauthausen - 
verschwiegen. Durch die Zusatztafel wird zudem suggeriert, dass es sich bei 
den Opfern des Bombenangriffs ebenfalls um KZ-Haeftlinge handle. Dies ist 
jedoch falsch. Auf Nachfrage bei den Seegrotten-BetreiberInnen bekommen wir 
die Auskunft, dass es ausschliesslich Zivilpersonen der Ortschaft 
Hinterbruehl waren, die beim besagtem Bombenangriff ums Leben kamen.
Die Geschichte, die mit den Gedenktafeln erzaehlt wird, beginnt damit, dass 
in der Seegrotte 1944/45 KZ-Haeftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden 
und endet mit dem unterschwelligen Hinweis, dass es fuer die Bevoelkerung 
der Hinterbruehl im Krieg auch nicht leicht gewesen sei. Die Ermordung der 
Haeftlinge wird auch hier verschwiegen. Denn nur durch das Verschweigen des 
Unsagbaren kann die unhaltbare Gleichsetzung von zivilen Bombenopfern und 
ueber Monate und Jahre gequaelte und brutal ermordete KZ-Haeftlinge 
inhaltlich aufrechterhalten werden.
Aufarbeitung und Verdraengung
In den 80er Jahren thematisierten SchuelerInnen aus Baden die braune 
Vergangenheit der Hinterbruehl. Nur wenige Gehminuten vom Ausgang der 
Seegrotte entfernt, befindet sich auf einem Teil des ehemaligen KZ-Arreals 
seit 1989 eine Gedenkstaette. Sie wurde - gegen grosse Widerstaende aus der 
Gemeinde - vom frueheren Pfarrer der Hinterbruehl initiert. Mitinitiartor 
und bis heute in Sachen Gedenkstaette aktiv ist Heinz Nussbaumer, 
Mitarbeiter des ORF-Magazins "Kreuz & Quer" und davor u.a. Pressesprecher 
von Kurt Waldheim.
Den meisten BesucherInnen der Seegrotte bleibt jedoch sowohl die fruehere 
Existenz des Konzentrationslagers als auch die gegenwaertige Gedenkstaette 
verborgen. Von den BetreiberInnen der Seegrotte wird im Rahmen der 
Fuehrungen nicht auf die Gedenkstaette eingegangen und auch an anderen 
wichtigen Plaetzen in der Gemeinde Hinterbruehl gibt es keinen Hinweis, 
geschweige denn einen Wegweiser.
Gut versteckt hinter hohen Baeumen und dichten Straeuchern, liegt die 
KZ-Gedenkstaette an der Johannesstrasse. Der Holzpfeil, der auf den Eingang 
der Gedenkstaette aufmerksam machen soll, wird wohl kaum jemandem der/die 
mit dem Auto daran vorbeifaehrt auffallen. Nach den bisherigen Erfahrungen 
mit der Gedenkkultur im Ort, draengt sich der Eindruck auf, dass dieser 
Umstand den meisten Menschen hier durchaus recht ist.
Auch die offiziellen VertreterInnen der Gemeinde druecken sich um die 
Aufarbeitung der moerderischen Aspekte ihrer Ortsgeschichte herum. Auf der 
offiziellen Homepage ist zu den Ereignissen zwischen 1938 und 1945 lediglich 
zu lesen, dass die Hinterbruehl zu "Gross-Wien" eingemeindet wurde und damit 
ihre Eigenstaendigkeit verlor. Weder die Zwangsarbeiter noch das 
Konzentrationslager wird erwaehnt. Die von einer OeVP-Liste regierte 
Gemeinde verweigerte die Beantwortung einer E-Mail Anfrage zu diesem Teil 
ihrer Homepage.
KZ-Gedenkstaette geschaendet
Dass auf diesem Boden manch braunes Pflaenzchen waechst, ist nicht 
verwunderlich. Schon zweimal wurde die KZ-Gedenkstaette von einschlaegigen 
AktivistInnen geschaendet.
In der Nacht auf den 19. Januar 2004 saegten unbekannte TaeterInnen eine 
Gedenktafel um und bespruehten einen Gedenkstein mit dem Wort "Luege".
Am 21. Jaenner 2007 wurde die Holztafel, die an der Strasse auf die 
Gedenkstaette hinweist, mittels Brandbeschleuniger angezuendet.
Neugestaltung der Seegrotte ist notwendig!
Die Kritik am derzeitigen Umgang mit der Vergangenheit der Seegrotte, laeuft 
letztlich auf die Forderung nach einer kompletten Neugestaltung des heutigen 
"Schaubergwerk Segrotte" hinaus. Es kann nicht sein, dass den Pferden, die 
ihr Leben unter Tage verbringen mussten und dadurch erblindeten in 
groesserem Umfang gedacht wird als Menschen, die zur Schwerstarbeit 
gezwungen, gequaelt und ermordet wurden.
Die heutigen BetreiberInnen muessen sich der Vergangenheit der Seegrotte 
stellen und daraus Konsequenzen fuer die heutige Praesentation des 
Schaubergwerks ziehen. Der Fokus ist auf die Geschichten der ermordeten 
ZwangsarbeiterInnen zu richten. Die Flugzeuge muessen im Kontext ihrer 
Erzeugung, dem Zweck ihrer Herstellung und der Ermordung des Grossteils 
ihrer Erbauer praesentiert werden. Ebenso sollte die KZ-Gedenkstaette Teil 
des Programms der Seegrotte sein und den BesucherInnen im Rahmen der 
Fuehrungen gezeigt werden.
Die derzeitige Form des Gedenkens durch die weiter oben kritisierten 
Gedenktafeln im Bergwerk sollte ueberdacht werden. Statt sich stolz zu 
ruehmen, dass in ihren Raeumlichkeit der Film "Die drei Musketiere" gedreht 
wurde, sollten sich die BetreiberInnen der Seegrotte Gedanken darueber 
machen, was eine derartige Verwendung eines ehemaligen Konzentrationslagers 
ueber die eigene Gedenkkultur aussagt. Nicht zuletzt an den BetreiberInnen 
der Seegrotte laege es auch, sich fuer die Erichtung einer Gedenk- und 
Informationsstaette im Zentrum der Hinterbruehl stark zu machen, wo sich bis 
heute lediglich ein Kriegerdenkmal befindet, auf dem den Soldaten der 
Wehrmacht gedacht wird.
(no-racism.net)
Quelle: http://no-racism.net/article/2268/
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