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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. September 2007; 17:11
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Umwelt/Nord-Sued:
> Gefaehrlicher Biotreibstoff-Boom
Die Substitution fossiler Treibstoffe durch sogenannten Biosprit ist weder 
oekologisch noch nachhaltig. Mittelfristig werden dadurch Umwelt und 
weltweite Nahrungssicherheit gefaehrdet. Waehrend USA und EU voll in die 
neue Technologie investieren, formiert sich eine breite Allianz von 
Kritikern.
Am 1. Oktober soll das erste grosse Bioethanolwerk Oesterreichs in 
Pischelsdorf (Bezirk Tulln) in Betrieb gehen. Die Agrana will dort jaehrlich 
200.000 Kubikmeter Bioethanol und als Nebenprodukt auch 170.000 Tonnen 
Futtermittel erzeugen. Der reine Alkohol kann als Biosprit oder als 
Benzinzusatz verwendet werden. Die dafuer notwenige Menge an Rohstoffen ist 
gewaltig: 520.000 Tonnen Weizen, Mais oder Rueben.
Selbst in Europa wird Oesterreich als Produzent von Bio-Treibstoffen ein 
Zwerg sein - weit hinter Frankreich, Spanien und Deutschland. Die 
Grossproduzenten sitzen aber in Brasilien und den USA. Seit George W. Bush 
und Lula da Silva einen Energiepakt geschlossen haben, scheint dem Vormarsch 
der Biotreibstoffproduktion kein Limit mehr gesetzt. Die Kraftstoffgewinnung 
aus erneuerbaren Substanzen ist laengst keine Angelegenheit von alternativen 
Landwirten mehr, sondern wurde zum gewinntraechtigen Wachstumszweig fuer die 
Erdoelgiganten und Agrarmultis. Der groesste Erzeuger von Biosprit in den 
USA ist die Shell Corporation, die sich auf eine Verdopplung der in Betrieb 
stehenden Autos auf eine Milliarde bis 2020 einstellt. Brasilien will bis 
zum uebernaechsten Jahr seine Ethanolproduktion von derzeit 12 Mio. Tonnen 
auf 16 bis 22 Mio steigern. Auch in den USA steigt die Produktion 
geometrisch: Die urspruenglich fuer 2012 angestrebte Bioethanolproduktion 
von rund 23 Mio. t koennte schon naechstes Jahr erreicht werden. Bis zum 
Jahr 2017 soll die Produktion von Biokraftstoffen auf rd. 110 Mio. t 
verfuenffacht werden.
Erneuerbare Energie macht die Welt unabhaengig von fossilen Brennstoffen und 
deren oft politisch unberechenbaren Exporteuren. Die Loesung fuer den 
steigenden Energiebedarf der Menschheit scheint gefunden.
Daran besteht wissenschaftlich untermauerter Zweifel. Die Umweltorganisation 
EcoNexus hat einen Aufruf an die EU gerichtet, ein sofortiges Moratorium 
fuer Produktionsanreize und fuer Importe von Agrotreibstoffen zu verhaengen. 
Der Aufruf wurde bereits weltweit von ueber 150 Organisationen, darunter die 
Oesterreichische Bergbauernvereinigung (OeBV), unterzeichnet.
Die Unterzeichner fuerchten negative Auswirkungen auf die Nahrungssicherheit 
in Laendern des Suedens, Vertreibung indigener Gemeinschaften und 
Kleinbauern, Bedrohung der Artenvielfalt sowie fortschreitende Abholzung von 
Primaerwaeldern und zunehmende Wasserknappheit.
Die Befuerchtungen stuetzen sich auf zahlreiche Studien von 
UN-Organisationen und anderen unabhaengigen Institutionen. In Kolumbien 
haben sich bereits in Drogengeschaefte verstrickte paramilitaerische 
Vereinigungen durch die Vertreibung von Kleinbauern Millionen Hektar Land 
angeeignet. Die Interamerikanische Entwicklungsbank foerdert private 
Oelplantagen mit 3 Mrd. Dollar. Indonesien hat im ersten Quartal 2007 die 
Investition von 17,4 Mrd. US-Dollar in Anbau und Verarbeitung von 
pflanzlichen Energietraegern beschlossen. 20 Mio. Hektar Land sollen in 
Plantagen fuer Biotreibstoffe verwandelt werden, die Haelfte davon in 
West-Papua.
Lebensmittelverknappung
Die sogenannte Tortilla-Krise, die sich zu Jahresbeginn in Mexiko in 
Aufstaenden entlud, kann als erster Vorbote der kommenden Konkurrenz von 
Nahrungsmitteln und Oelsaaten gesehen werden. Durch das Nordamerikanische 
Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko wurde Mexiko zuerst 
abhaengig von Maismehlimporten aus den USA. Dann stieg durch die zunehmende 
Nachfrage der Preis des wichtigsten Grundnahrungsmittels empfindlich an.
Auch in Brasilien sieht der Umweltexperte Johann Kandler die 
Nahrungsmittelproduktion gefaehrdet: "Da Konzerne, Banken und 
Investmentfonds massiv Geld investieren, sind die Bodenpreise mancherorts 
schon um 100% gestiegen, was Druck auf die Kleinbauern ausuebt. Oft ist ihr 
letzter Ausweg, ein Stueck unberuehrtes Land zu roden, um dort 
Nahrungsmittel anzubauen". Die Biotreibstoffproduktion werde damit direkt 
und indirekt zum Ausloeser fuer die Zerstoerung weiterer Savannen und 
Regenwaldgebiete. Der Kampf gegen Treibhauseffekt und Klimawandel, so 
Kandler, " sollte nicht auf Kosten der brasilianischen Baeuerinnen und 
Bauern und der letzten, unberuehrten Regenwaldgebiete dieser Erde gefuehrt 
werden".
Die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantage, wo Brasilen schon seit 30 
Jahren Alkohol fuer den wachsenden Fahrzeugpark gewinnt, werden als 
menschenunwuerdig beschrieben. Bis zu 14 Stunden unter sengender Sonne im 
Akkord fuer umgerechnet 8 Euro am Tag.
Der Boom der biologischen Treibstoffe hat bereits zahlreiche Kritiker. Aus 
mehreren Gruenden:
- zum einen ist die CO2-Bilanz von Biosprit im besten Fall neutral,
- zum anderen werden durch die rasant steigende Nachfrage nach biologischen 
Energietraegern die Preise fuer Grundnahrungsmittel in die Hoehe getrieben 
und der Landwirtschaft Flaechen fuer die Produktion von Lebensmitteln 
entzogen.
- Da in den entwickelten Laendern nicht ausreichend Rohstoffe angebaut 
werden koennen, damit die ueberall aus dem Boden schiessenden Ethanolwerke 
gewinnbringend arbeiten koennen, muss aus Uebersee zugekauft werden. Das 
geht in Laendern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas auch zu Lasten der 
Regenwaelder. Global gesehen, kann der Klimawandel dadurch eher 
beschleunigt, als gebremst werden.
Allianz von Nestlé bis Castro
Schon entstehen aber maechtige aber teilweise aeusserst ungewoehnliche 
Allianzen gegen den Vormarsch der "gruenen" Treibstoffe. So sieht sich etwa 
der kubanische Revolutionsfuehrer Fidel Castro in seinem Krankenbett einer 
Meinung ausgerechnet mit dem Chef des umstrittenen Lebensmittelriesen Nestlé 
und den deutschen Bierbrauern. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe 
diagnostiziert einen "Raubbau am kostbarsten Gut", da zur Herstellung eines 
Liters Treibstoff 4560 Liter Wasser noetig seien. Fuer ihn ist das 
"oekologischer Wahnsinn". Er rechnet mit einem drastischen Ansteigen der 
Lebensmittelpreise weltweit. Ueberspitzt gesagt wuerden die Autofahrer der 
reichen Industrielaender auf Kosten der Aermsten der Welt subventioniert. 
Fidel Castro rechnet in der Parteizeitung "Granma" vor, dass der 
Bio-Kraftstoff-Boom "mehr als drei Milliarden Menschen auf der Welt zum 
vorzeitigen Tod durch Verhungern und Verdursten" verurteile. Vergleichsweise 
harmlos nehmen sich daneben die Sorgen des Deutschen Brauer Bundes aus: "Der 
Rueckgang der Anbauflaeche fuer Braugerste (1991 ueber 1 Mio. Hektar, 2006 
noch knapp 548.000 ha)" gefaehrde die Versorgung mit hochwertiger 
Braugerste. Eine Verdopplung der Rohstoffkosten sei zu befuerchten.
(Ralf Leonhard, DAZ)
Quelle:http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1141&Itemid=80
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