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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. August 2007; 15:18
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Kommentar der Anderen:

> Der "Schwarze Block"

Ein medienstarkes Phaenomen zwischen Traditionsverband und fliegendem
Suizidkommando -- ein Kommentar von Horst Stowasser aus der deutschen
"Graswurzelrevolution"


Gestern frueh habe ich in der Warteschlange vor der Supermarktkasse schnell
einen Blick in die Bild-Zeitung geworfen, um endlich einmal zu erfahren, was
der Schwarze Block ist: Ein Handynetzwerk blutjunger Hooligans. Aha. Es hat
keine 50 Sekunden gedauert, den ganzen Artikel zu lesen.

Wenig spaeter sitze ich mit meinem Sohn beim Fruehstueck in einem
Gartenlokal. Er hatte gerade per Handy die neuesten Nachrichten von seinem
Kumpel Kai aus Heiligendamm bekommen. Kai ist zwanzig, macht beim AnArchiv
mit und sitzt gerade am Sicherheitszaun fest: Sitzblockade und nichts zu
essen... Am Tag zuvor, so berichtet Kai voellig konsterniert, stand er gerade
in bester Proteststimmung mitten im bunten Gewimmel eines unglaublich
riesigen, phantasievollen und gewaltfreien Demonstrationszuges, als sich
urploetzlich, schwuppdiwupp, eine Kohorte von mehreren hundert
schwarzgewandeten Kampfkadern an der Spitze aufbaute, einige Parolen von
sich gab, und in perfekt eingeuebter Routine begann, das Pflaster
aufzubrechen.

Ein Stosstrupp des "Schwarzen Blocks" in einer manoeverreifen Vorfuehrung!
Eine erste Salve von Steinen schoss durch die Luft, und reflexartig begann
der Gegenangriff der ebenfalls vermummten Polizeistosstrupps.

Nach kurzem und heftigem Schlagabtausch traten die Kaempfer des Schwarzen
Blocks in bestaunenswert disziplinierter Form den taktischen Rueckzug an und
mischten sich unter die Demonstrantinnen und Demonstranten - nicht wenige,
nachdem sie geschwind ihr Outfit gewechselt hatten und nunmehr als nette,
bunte Demonstranten wieder auftauchten: Noch bevor den DemonstrantInnen so
recht klar wurde wie ihnen geschah, war die Kacke auch schon am dampfen...

Erregt unterhalten wir uns ueber die Sinnhaftigkeit solcher Aktionen.
Automatisch schiesst mir das Bild der selbsternannten Kampfschwadronen vom
"Fliegenden Suizidkommando" aus Monty Pythons "Leben des Brian" ins Hirn.
Mein Sohn findet es unmoeglich, andere so zu instrumentalisieren und will
wissen, was das mit Anarchie zu tun habe. Der Mittfuenfziger am Nebentisch
faltet seine "Bild" zusammen und mischt sich ins Gespraech: Er koenne das
alles nicht mehr begreifen und denke mittlerweile ans Auswandern in ein
Land, in dem nicht alles so bescheuert sei.

Am Nachmittag ruft Genosse Druecke an und schildert mir seine frischen
Eindruecke aus Heiligendamm. Er bestaerkt meine Assoziation vom "Fliegenden
Suizidkommando" noch - durch eine ganz andere Spielart von "Schwarzem
Block":

Auch die Polizei, so Bernd, schicke jetzt schwarz vermummte Stosstrupps
ruecksichtslos in die Reihen friedlicher DemonstrantInnen, wo die ebenfalls
oft blutjungen Polizisten mit voller Brutalitaet drauflos pruegelten, Leute
herausgriffen, Gegengewalt provozierten. Was laeuft da eigentlich ab, frage
ich mich. Eine Art kampfsportliches Kraeftemessen nach militaerischen
Ritualen? Ein Schaukampf zwischen linksradikalen und staatlichen
Avantgardekaempfern um die Lufthoheit im TV-Nachrichtenmarkt...?

Waehrend ich noch darueber sinniere, ruft der Suedwestfunk an und will ein
Interview. Der Moderator wuerde gerne wissen, ob die Autonomen Anarchisten
seien, und ob man sich unter Anarchie das vorzustellen habe, was der
Schwarze Block gerade vorfuehrt.

Interessante Frage.


Vom Zorn...

Nun bilde ich mir ja nicht ein, ein Interpretationsmonopol in Sachen
Anarchie zu besitzen und schon gar nicht, was die Autonomen betrifft, mit
denen ich nie was am Hut hatte. Trotzdem stelle ich mich den Fragen und
beantworte sie so gut ich eben kann.* Aber erst nach dem Gespraech kommt die
Reflexion ueber das, was gestern an der Supermarktkasse begann und heute bei
SWR 2 endete, so richtig in Gang.

Was ist der Schwarze Block? Eine Organisation? Ein Fun-Event fuer wuetende
Protest-Kids, die den ultimativen Kick suchen? Eine linke Wehrsportgruppe?
Nein - vor allem ist er ein Mythos, der wie eine Wanderstafette von einer
Generation zur naechsten weitergegeben wird. Ein Selbstlaeufer, der viel zu
medienwirksam ist, als dass er in einer Mediengesellschaft jemals sterben
duerfte.

Der Begriff tauchte vor ueber 20 Jahren im Umfeld von Startbahn West und
Hafenstrasse auf, verdichtete sich in Kreuzberg zu einer kalendarisch
fixierbaren Dauerveranstaltung und ist inzwischen ein internationales
Phaenomen. Gespeist wurde er zunaechst vom (ueberaus berechtigten) Zorn
sowie dem (ueberaus frustrierenden) Gefuehl der Ohnmacht einer Protest- und
Widerstandsbewegung gegenueber der Brutalitaet der Staatsmacht.

Getragen wurde der Schwarze Block seinerzeit von einer Melange aus
militanten Anarchos und Autonomen, und viele fanden diese Form, sich zu
wehren, legitim. Auch ich. Und deshalb war ich gelegentlich auch genau dort
zu finden. Bis mir die Beschraenktheit des Ganzen aufging. Und zwar nicht
erst, nachdem sich jener unsaegliche Kampfheldenkult breit zu machen begann
und in Frankfurt der erste Polizist erschossen wurde.

Das war zwar ein erschreckender Anlass, die militaristische Degenerierung
des Ganzen zu erkennen und ein guter Grund, sich von solcher Art Gewalt
abzuwenden. Aber die tieferen Gruende sind weitaus schlimmer:

Eine politische Bewegung, die sich auf das militaerische Niveau ihrer Gegner
begibt, kann nicht anarchistisch sein. Eine politische Kultur, deren
Selbstzweck sich in militantem Protest erschoepft, muss gesellschaftlich
steril bleiben.

Eine Szene, die sich in ihrer eigenen Beschraenktheit abkapselt, verbloedet
irgendwann in der Liturgie ihrer militanten Rituale. All das wird auf Dauer
einfach nur langweilig. Und genau dort duempelte dann auch diese Szene um
den Schwarzen Block - als ueberwiegend deutsches Phaenomen - schliesslich
vor sich hin: als jederzeit kurzfristig mobilisierbares Reserveheer im
linksautonomen Ghetto.

Bis 1999 mit der "Battle of Seattle" das Phaenomen des Schwarzen Block in
einer Art Urknall ploetzlich zu einem internationalen Begriff wurde. Die
Medien waren entzueckt und hatten fortan eine griffige optische
Markenikone - samt passendem Outfit, Szenesprache und Strassenchoreographie.
Hinter dem gefaelligen Medienspektakel steckte indes ein neuer Kopf mit
neuen Ideen: John Zerzan, der mit seiner Handvoll Junganarchos aus Portland,
Oregon, in Seattle das zelebrierte, was er in seinen ueberaus klugen Essays
eines neuen Anarcho-Primitivism entwickelte: Eine ethisch wohl begruendete,
technologie- und globalisierungsfeindliche Gesellschaftskritik, deren
Staerke in der Analyse archaischer Agrargesellschaften liegt und deren
Schwaeche in der voellig fehlenden Perspektive eines gangbaren Weges zu
einer libertaeren Gesellschaft. Seine Botschaft reduziert sich auf den
militanten Frontalangriff: zerschlagen ja, aufbauen nein!

Konsequenterweise ist er ein offener Bewunderer des als "Unabomber" bekannt
gewordenen Mathematikprofessors Theodore Kaczynski. Zerzans Thesen erinnern
frappant an die brillante Verteidigungsrede Émile Henrys, der vor seiner
Guillotinierung 1894 in ergreifenden Worten seinen Hass auf die Gesellschaft
zu schildern verstand. Und damit jene Bombe rechtfertigen wollte, die er in
ein vollbesetztes Pariser Café geschleudert hatte.


...und von der Freiheit

Ich vermute, dass auch jene gegen den Gipfel demonstrierenden Menschen, die
sich in einem Rostocker Café panisch vor den Glassplittern des Schaufensters
zu schuetzen versuchten, welches sich der Schwarze Block zum Angriffsziel
erkoren hatte, noch nie etwas von Émile Henry gehoert haben.

Genau so, wie die meisten jener jungen Antifas, Autonomen und Anarchopunks
wohl kaum je etwas von John Zerzan gehoert haben duerften, die - voll von
verstaendlicher Wut gegen dieses wahrhaft verbrecherische System - in
Heiligendamm den militaerischen Rammbock spielen. Und welchem jungen
Autonomen ist wohl heute noch die eher bieder-theoretische Zeitschrift
"Autonomie" bekannt, mit der weiland alles begann...?

Nein, der Schwarze Block ist weder eine Organisation, noch eine Bewegung
noch eine Idee. Er ist ein medienstarkes Phaenomen mit einem Mythos, der von
Generation zu Generation tradiert wird und ganz besonders immer wieder junge
Menschen anspricht. Menschen, die in ihm ein Ventil fuer ihre Wut finden und
in der Medienpraesenz eine Art Trophaee. Insofern ist er zu einer Tradition
geworden, die es zu pflegen gilt, wobei immer wieder mal gerne auch mit
anarchistischen Symbolen kokettiert wird. Eine Tradition, schwach an
Inhalten und stark in ihren Formen, die vom internationalen
Traditionspflegeverband "Schwarzer Block" von Match zu Match wie ein
Wanderpokal weitergereicht wird.

Mir scheint die Schicksalsfrage des Anarchismus mehr denn je daran
gekoppelt, ob es ihm gelingen wird, destruktiven Zorn in kreative Kraft,
blinde Wut in subversive Energie, geistreiche Kritik in positive Utopie zu
verwandeln. Man mag Verstaendnis fuer die Gruende aufbringen, die die
Menschen im Schwarzen Block bewegen. Einer libertaeren Gesellschaft bringt
uns all das, was er auf den Strassen veranstaltet, aber wohl keinen Schritt
naeher. "In Seattle, Goeteborg, Genua und Rostock", schreibt Andrian Kreye
in der Sueddeutschen Zeitung, "zaehlte die Praxis des Strassenkampfes und
nicht die Denkschulen des Anarchismus."
(GWR 320, sommer 2007/gek.)

Quelle: http://www.graswurzel.net/320/block.shtml



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