**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. Juni 2007; 16:14
**********************************************************
Wien/Kultur/Verkehr/Interview:
> Bundesbahnblues 2007
Das Café Creaktiv koennte noch lange existieren. Und es waere ihm und seinem 
Wirten zu wuenschen.
Nur leider steht es auf Bahngrund.
*
Horst Seethaler hat so einiges hinter sich. Was man so gemeinhin "ein 
bewegtes Leben" nennt. Kein Mensch, der mit dem Silberloeffel im Mund 
geboren worden ist. Wollte Gebrauchsgraphiker werden, lernte dann aber 
Buchdrucker - ein Beruf, der bald darauf nicht mehr gefragt war. Kam bald 
auf die "schiefe Bahn". Im Gefaengnis kam er aber endlich in Ruhe zum Malen 
und Schnitzen. Vor 8 Jahren gruendete er das Beisl "Creaktiv" in 
Wien-Favoriten - nach vielen Aufs und Abs heute ein Kuenstlerbeisl auf 
Vereinsbasis mit eigener Buehne. So etwas wie ein Ruhepunkt fuer den 
mittlerweile 50jaehrigen - und jetzt ist durch die etwas chaotische Planung 
fuer den neuen Hauptbahnhof Wien wieder seine Existenz gefaehrdet.
Von vorne sieht das Creaktiv aus wie ein buntbemaltes Wuerschtelstandl mit 
Schanigarten. Doch wenn man es betritt, wird man fast erschlagen von dem 
vielfaeltigen Interieur: Malereien, bunte historische Werbetafeln, 
Krimskrams, ein bisserl Kitsch - die Waende sind voll davon. An einem Tisch 
wird Karten gespielt, sonst ist nicht viel los am fruehen Abend. Doch das 
Lokal geht sehr in die Tiefe und scheint immer laenger zu werden, bis man 
hinten in einem soliden Schuppen mit professionellen Konzertequipment steht. 
Wir setzen uns mit "Horstl" an einen der hinteren Tische. Bluesmusik klingt 
dezent aus den Boxen und wir fordern ihn auf, uns seinen eigenen Blues zu 
erzaehlen:
*
"Acht Jahr soll ich Euch erzaehlen? Das war eigentlich frueher eine 
verrufene Huettn, Biker, Zuhaelter, Sandler sind da herinnen gesessen. Das 
Ding gibts schon seit 1920, 1930 oder so. Da hats sogar ein Gedicht darueber 
gegeben. Einmal wars ein Baeckerei, die ganze Geschichte kenn ich ja nicht. 
Aber am Schluss hat sich ja kaum mehr wer hereingetraut. Da waren nur mehr 
die Biker herinnen und die Leute, die vorbeigegangen sind, haben die 
Strassenseite gewechselt, da sind die Sesseln bei der Tuer herausgeflogen. 
Und dann wars zwei Jahre zu und ich hab halt was gesucht. Auch damit ein 
bisserl was mit meiner Kunst weitergeht, die Bilder sind alle von mir." 
[Zeigt an die Waende.]
"Und dann hab ich mir Geld ausgeborgt und 50.000 Schilling investiert und 
halt den Zins an den Besitzer gezahlt. Zuerst sind nur die Sandler bei einem 
Achtel rot dagesessen und ich hab mir deren Lebensgeschichten anhoeren 
duerfen. Aber dann haben wir angefangen mit Grillen und einer dicken 
Speisekarte und Livemusik. Ich wollt die Leute halt verwoehnen und 
zwischendurch haben wir rund um die Uhr offengehabt."
*
"Irgendwann dann ist aber die Anfrage von der Bahn gekommen: ‚Wer sind Sie?', 
‚Was machen Sie da?' Das ist ja ein Superaedifikat, der Grund gehoert der 
Bahn und der, dem die Huettn eigentlich gehoert, der hat das gar nicht 
untervermieten duerfen. Und da ist die Bahn draufgekommen, da gibts ja ein 
Objekt, fuer das seit 15 Jahren keine Pacht gezahlt wird. Und dann sinds dem 
Besitzer zuwegstiegen. Und dann halt mir.
Ein Freund, ein Musiker und halt auch Anwalt, hat mir dann geholfen. Wir 
haben 3 Jahre lang prozessiert. Der Besitzer hat inzwischen versucht, sich 
zu verstecken.
Und einmal in der Frueh, wir haben da gerade uebernachtet, und da haben sie 
uns die Tuer aufstemmen wollen. Und dann haben sie uns rausgeschmissen, wir 
haben gerade noch ein paar Privatsachen mitnehmen duerfen. Alles andere hat 
dableiben muessen, so als ob das nicht mir gehoert, als waere ich ein 
Verbrecher oder so. Ich hab beweisen muessen, das die Sachen mir gehoeren. 
Die wollten den Besitzer pfaenden und haben dann halt geglaubt, alles was da 
drin ist, gehoert ihm.
5 Monate war das dann zugesperrt, und die haben das ganze zum Lager 
erklaert. Waehrenddessen sind aber die Kosten, Stromgrundgebuehr und 
Versicherung und so, weitergelaufen. Und dann wollte die Bahn alles 
beschlagnahmen, weil die wollten halt ihr Geld zurueck. So wirst du heute 
behandelt, die Bahn kann alles machen. Nur weil irgendein Grosskopferter zum 
Kleinen sagt, er will das so. Aber andererseits streuen die mit dem Geld 
herum, das ist ein Wahnsinn - wenn ich mir das jetzt mit dem Suedbahnhof 
anschaue! Das ist ja auch nur damit irgendwas passiert, so nach dem Motto: 
Wir sind die besten auf der Welt! Und einstweilen erhoehen sie die Tarife 
und erzaehlen uns, alles wird besser, dabei wird alles schlechter."
*
"Jetzt ist das zwei Jahre her, seit wir wieder aufgesperrt haben. Bis die 
den Besitzer erwischt haben, das hat halt gedauert. Aber dann hat mir der 
das ueberschrieben und so ist ein neuer Mietvertrag mit der Bahn 
zustandegekommen. Weil die wussten halt auch nicht, wann wird das jetzt 
geschleift und ob ueberhaupt. Dann haben sie mir einen Plan gezeigt, wo 
eingezeichnet ist, dass mein Grundstueck nicht verbaut wird. Vor ein paar 
Tagen habe ich mit dem Obmann von der Kleingartensiedlung da hinten 
gesprochen, ob er denn wuesste, was jetzt passiert. Der hat sich auch nicht 
ganz ausgekannt, aber gesagt, man habe ihm gesagt, der Teil hervorne bleibe. 
Wozu stellen die dann hier meine Existenz in Frage? Weil die Leute kommen 
nicht mehr, weil ich allen sage, ich muss zusperren, ich weiss nur nicht, 
wann. Ich kann keine Konzerte veranstalten, weil ich den Leuten nicht sagen 
kann, obs das hier dann noch geben wird. Und deswegen kann ich dann auch 
keinen Zins mehr zahlen - und dann kommens schon wieder daher, dass sie mich 
pfaenden wollen. Aber wie soll ich das denn auch zahlen, ich hab seit zwei 
Jahren ja nur die Schulden abbezahlt, die sich da angesammelt haben. Ich hab 
ja auch eine Abloese fuer den Mietvertrag und Kaution zahlen muessen."
*
"Also ich weiss jetzt ueberhaupt nicht, was die vorhaben, aber Hauptsache, 
ich sitze auf den Schulden, meine Existenz ist in Frage gestellt, ich habe 8 
Jahre umsonst da hineingesteckt. Ich weiss jetzt ueberhaupt nicht, was ich 
mit dem jetzt alles mache, mit der Live-Buehne, mit dem ganzen Equipment? 
Ich kann ja keinen Flohmarkt machen, weil vielleicht gehts irgendwo weiter. 
Meine Mitglieder sind natuerlich sauer, weil sie wissen nicht, macht der 
jetzt noch was oder nicht. Und dazwischen kommt dann die Baubehoerde und 
sagt, wo irgendwo noch was zu machen waere... Was will der Staat eigentlich 
von mir? Ich brauch den Staat nicht. Ich will mein eigenes Leben leben und 
meine eigenen Sachen machen.
Nein, ich will mir jetzt einen alten Bauernhof suchen und dort kann man 
vielleicht ein-, zweimal im Monat ein Konzert machen."
*
Das Gespraech fuehrten Rosalia Krenn und Bernhard Redl
Die Homepage des Vereins ist http://www.kunstschupfen.at. Dort sind auch 
einige wenige Photographien Seethalers Bilder zu betrachten. Wer Originale 
sehen will, muss ins Creaktiv pilgern, solange es das Lokal noch gibt. 
Dorthin gelangt man mit den Linien 18, 62 und 65 (Station Kliebergasse). Das 
Lokal ist gleich nach der Bruecke, in der Landgutgasse 61, 1100 Wien.
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen 
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht 
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck 
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete 
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von 
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine 
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als 
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann 
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin