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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Juni 2007; 15:41
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Asyl/Kommentar:

"Dublin" ist unmenschlich

Innenminister Platter hat nichts aus der Kritik der NGOs gelernt. Er will
"gerade gegen jene, fuer die laut Dublin-Uebereinkommen ein anderes EU-Land
zustaendig ist", die "Schubhaft in ihrer jetzigen Form beibehalten" ("Der
Standard", 12.6.). Gefaengnis, oft monatelang, nur um eine "Zustaendigkeit"
festzustellen! Gefaengnis ohne Delikt, ohne Urteil, ohne Sinn. Das ist die
Linie des Herrn P. Seine Opfer sind die am meisten Verfolgten, die
Traumatisierten und Gefolteten - die "echten" Fluechtlinge im Sinne der
Konvention. "Dublin" - das ist gleichbedeutend mit abschreckendem Terror
gegen Fluechtlinge. "Dublin" bedeutet Zerreissung von Familien. "Dublin" ist
eine spaete, willkuerliche Einschraenkung der Genfer Fluechtlingskonvention.
"Dublin" ist aber auch Vernichtung von Geld, das wir Steuerzahler aufbringen
muessen: Schubhaft ist nicht nur unmenschlich, sondern auch teuer. Warum
laesst man die Leute nicht dort ihren Asylantrag stellen, wo sie wollen?

Ich betreute einmal eine Familie aus Afghanistan. Sie waren vor dem
Terrorregime der Taliban gefluechtet, durch Oesterreich (wo sie ihre
Fingerprints hinterliessen) nach Holland gezogen, weil dort der Bruder des
Mannes als anerkannter Fluechtling lebt. Der Bruder haette ihnen helfen
koennen, rasch Fuss zu fassen und sich zu integrieren. Statt dessen bekamen
sie in Holland einen "Dublin"-Bescheid: Abschiebung nach Oesterreich. Sie
legten Berufung ein, gingen durch alle Instanzen, jahrelang - immer negativ.

Da die Hollaender menschlicher sind als Herr P. und seine Vorgaengerin,
waren sie nicht in Haft, sondern in einem Lager. In dieser Zeit durften sie
nicht arbeiten. Also fielen sie dem Staat zur Last. Dann sind sie nach
Norwegen weiter, wo eine Cousine lebte, auch sie als Fluechtling anerkannt.
Dort dasselbe noch einmal.

Dann wurden sie nach Oesterreich abgeschoben. Ich uebernahm ihre Vertretung,
und sie wurden schon in erster Instanz (wenn auch erst nach einem Jahr) als
Asylberechtigte anerkannt. Sie sind naemlich - was auch Holland haette
feststellen koennen - Fluechtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Jetzt
geht es ihnen gut, der Mann hat Arbeit gefunden - aber warum ausgerechnet
hier? Warum nicht in Holland oder Norwegen, wo ihre Verwandten sind?

Nur um eine formale "Zustaendigkeit" festzustellen, haben sie drei Jahre
verloren. Drei Jahre lang wurden sie, statt zu arbeiten, von den
Steuerzahlern dreier europaeischer Staaten ernaehrt. Dabei gilt die Genfer
Fluechtlingskonvention in Holland genauso wie in Oesterreich, ihre
Fluchtgruende waren da wie dort die selben - das Verfahren haette nicht
anders ausgehen koennen als, Jahre spaeter, hier bei uns.

Fuer diese Afghanen war also Oesterreich "zustaendig", umgekehrt schiebt
Oesterreich schwerst verfolgte, traumatisierte Tschetschenen nach Polen und
in die Slowakei, wo es noch kein ordentliches Asylverfahren gibt - ein
teures, unmenschliches Nullsummenspiel.

Asyl in Not tritt, wie viele europaeische NGOs, fuer die Abschaffung von
"Dublin" ein. Fuer die freie Wahl des Asyllandes durch den Fluechtling. Bei
gleichen Standards der Aufnahme und des Verfahrens in allen Laendern der EU.
Die Aemter wuerden sich sinnlose Verfahren, die Steuerzahler viel Geld
ersparen, die Fluechtlinge saessen nicht im Gefaengnis, sondern koennten
ihre Familien ernaehren - es waere besser fuer alle.

Das Europaeische Parlament hat am 12. Maerz 1987 eine Entschliessung zu
Fragen des Asylrechts verabschiedet, in der es heisst: "Es ist wichtig,
zwischen dem Erstaufnahmeland und dem asylgewaehrenden Land zu
unterscheiden, da es dem Asylbewerber freistehen muss, sein Asylland
innerhalb der Europaeischen Gemeinschaft auszuwaehlen, welches dann
ausschliesslich fuer die Asylgewaehrung zustaendig ist; in diesem Sinne
muessen die nationalen Asylverfahren gemeinschaftlich aufeinander abgestimmt
werden."

1987! Damals hatte man noch Visionen. Aber wir wissen auch, wie wenig das
Europaeische Parlament zu reden hat.

Die damals angedachte Loesung ist aber heute aktuell wie nie zuvor. Wenn
schon nicht aus Gruenden der Menschlichkeit, so wenigstens aus
Kostengruenden. Wie sagte einst Bill Clinton so schoen? "It's economy,
stupid!"
*Michael Genner, Asyl in Not (gek.)*



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