**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: mardi, 12. juin 2007; 16:59
**********************************************************

Frankreich:

> Alten Saatgutsorten auf der Anklagebank

Der Verein Kokopelli in Frankreich setzt sich, wie Arche Noah in
Oesterreich, seit vielen Jahren fuer die Erhaltung der
Kulturpflanzenvielfalt ein. Waehrend aehnliche Vereine in anderen
europaeischen Laendern geduldet werden oder sogar staatliche Unterstuetzung
geniessen, wurde Kokopelli wegen Verkauf von nicht eingetragenen
Saatgutsorten zu einer Geldstrafe von 20.000,- Euro verurteilt.


Kokopelli ist bei den Hopi-Indianern, die in den trockenen Gebieten Arizonas
und Neu-Mexikos leben, ein Symbol fuer das Keimen und die Fruchtbarkeit. Die
Silhouette des buckligen Floetenspielers wurde in Nord- und Suedamerika seit
Jahrhunderten auf Steinen und Tongefaessen abgebildet. Der Legende zufolge
enthaelt der Buckel Kokopellis einen Sack mit Samen, die er in alle Winde
saet. Auf der Floete haucht Kokopelli den Samen seinen Geist ein.

Der Verein Kokopelli mit 5.500 Mitgliedern erzeugt und verbreitet mehr als
2.000 Landsorten Gemuese, Getreide, Kraeuter und Blumen. Kokopelli
organisiert Ausbildungskurse, publiziert jedes Jahr ein Handbuch fuer
Samengaertnerei, unterhaelt Saatgutboersen und unterstuetzt zahlreiche
baeuerliche Initiativen weltweit. Die SaatguterhalterInnen von Kokopelli
vermehren auf ihren Feldern zahlreiche Pflanzensorten fuer den Verkauf. Ein
grosser Kreis von GaertnerInnen uebernimmt Patenschaften fuer eine oder
mehrere Gemuesesorten und erhaelt sie in seinen Gaerten in situ. Damit
leisten alle einen Beitrag zur Bewahrung dieses Saatguts, das nur noch sehr
selten angebaut wird, und schuetzten es vor dem Verschwinden.

Fuer seine Arbeit wurde Kokopelli im Jahr 2004 "wegen Vertriebs nicht
konformen Saatguts" verklagt, und zwar von der halbstaatlichen Organisation
GNIS und der Berufsvertretung der Saatguterzeuger FNPSP. In erster Instanz
hat das Gericht Dominique Guillet, den Praesidenten von Kokopelli, im Maerz
2006 von allen Anklagen freigesprochen und die Klage abgewiesen. Im Urteil
stuetzte sich das Gericht auf die EU-Saatgut-Richtlinie 98/95. Absatz 17
dieser Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten naemlich
Ausnahmeregelungen fuer die Erhaltung alter Landsorten, sogenannter
"conservation varieties", zu schaffen. Allerdings hat Frankreich die
Richtlinie nur ohne diesen Artikel 17 ratifiziert.

Das Berufungsgericht von Nîmes hat Dominique Guillet jedoch am 22. Dezember
2006 wegen Vertrieb nicht eingetragenen Saatguts verurteilt und dem Verein
Kokopelli eine Geldstrafe von insgesamt 20.000,- Euro auferlegt. Nun wird
Kokopelli als letzte Instanz in Frankreich das Kassationsgericht anrufen und
falls notwendig, den franzoesischen Staat beim europaeischen Gerichtshof
wegen fehlender Umsetzung der EU-Richtlinie 98/95 verklagen.

Aber das ist nicht der einzige Prozess mit dem sich Kokopelli herumschlagen
muss. Der franzoesische Saatguthaendler "Graines Baumaux" hat den Verein
wegen unlauterem Wettbewerb verklagt, fordert die Schliessung von Kokopelli
und verlangt 50.000,- Euro Schadenersatz. Kokopelli soll dafuer bestraft
werden, dass er Pflanzensorten nicht in den staatlichen Saatgutkatalog
eingetragen hat. Voraussichtlich werden die Gerichtsverhandlungen zu diesem
Prozess noch in diesem Jahr stattfinden. Das Urteil von Nîmes hat einen
Praezedenzfall geschaffen, der wahrscheinlich weitere Klagen nach sich
ziehen wird. Sie koennten Kokopelli finanziell zugrunde richten.

Die Eintragung in das Sortenregister und somit die Legalisierung der alten
Landsorten ist aus verschiedenen Gruenden unrealistisch. Die Schaffung des
franzoesischen Saatgutkataloges im Jahre 1922 und der Beitritt zum
zwischenstaatlichen UPOV-Abkommen 1971 haben zum Verschwinden zahlreicher
alter Gemuese-, Getreide- und Blumensorten beigetragen. Die ueberwiegende
Zahl der im Katalog eingetragenen Sorten sind heute Hybride, die nicht
nachgesaet werden koennen. Tausende alter Sorten sind nicht mehr
eingeschrieben oder wurden nie eingetragen und duerfen deshalb nicht
verkauft, getauscht oder verschenkt werden. Auch die Schaffung eines Anhangs
fuer Amateursorten zum Saatgutregister im Jahr 1998 brachte keine
Verbesserung, da die Landsorten den gleichen Kriterien fuer Homogenitaet,
Stabilitaet und Distinktion wie die Handelssorten unterliegen. Alte Sorten
haben im Unterschied zu den industriellen Sorten jedoch ihre Faehigkeit
bewahrt, sich der Umwelt und dem Klima anzupassen und sind dementsprechend
weder homogen noch stabil. Die Saatgutproduzenten muessen aber immer wieder
neue Sorten auf den Markt bringen, da sich die Handelssorten nach einigen
Jahren erschoepfen. Dann greifen sie auf die Landsorten und deren
Artenvielfalt zurueck.

Die Kosten fuer die Eintragung in den Katalog entsprechen keineswegs der
wirtschaftlichen Bedeutung der alten Sorten und uebersteigen die
Moeglichkeiten kleiner Vereine wie Kokopelli. So kostet die Einschreibung
einer Getreidesorte beispielsweise 8.000,- Euro fuer die ersten zehn Jahre.
Da die alten Sorten ausserdem sehr zahlreich sind, verhindert diese hohe
Gebuehr deren Eintragung.

Auch andere Vereine, die sich fuer biologischen Anbau und gesunde
Lebensmittel einsetzen und kleine Verarbeitungs- und Produktionsbetriebe
fuehren wurden in letzter Zeit von den franzoesischen Behoerden verklagt.
Dazu zaehlen die HerstellerInnen von Brennnesseljauche (siehe Kasten), von
Heilmitteln aus Medizinalpflanzen und eine Tauschboerse fuer Saatgut und
GaertnerInnen, die Gemuese alter Sorten verkaufen. Alle diese Initiativen
haben geringe wirtschaftliche Bedeutung und sind keineswegs eine ernsthafte
Konkurrenz fuer weltweit agierende Saatgutproduzenten. Vielmehr draengt sich
der Verdacht auf, dass hier Symbole zerschlagen werden sollen, die das Recht
auf eigenstaendige und gesunde Ernaehrung verkoerpern.
*Heike Schiebeck, Longo maï (bearb.)*

Abkuerzungen:
GNIS: Groupement National Interprofessionell de la Semence; FNPSP:
Fédération National des Professionnels de Semences Potagères et Florales;
UPOV: Union internationale pour la Protection des Obtentions Végétables,
deutsch: Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzuechtungen

*

Kasten:

> Verbotene Brennessel

Ein franzoesischer Produzent von Brennnesseljauche der gleichzeitig ein Buch
mit altbekannten Rezepten dafuer geschrieben hat mit dem Titel:
«Brennnesseljauche und Co.» wurde von der Steuerbehoerde behelligt. Sie
beschlagnahmte viel Material und bedrohte den Produzenten ernsthaft. Auch
dieses Mal berief man sich auf eine neue europaeische Direktive, in der die
Genehmigung von neuen phytosanitaeren Produkten gefordert wird. Ein sehr
kostenaufwendiges und kompliziertes Verfahren, das im Prinzip fuer neue
chemische Industrieprodukte bestimmt ist. Zum Glueck hat sich die Presse der
«Brennnesselaffaere» angenommen und sie einem breiten Publikum zugaenglich
gemacht. Die massive Unterstuetzung der Bevoelkerung, darunter einige
Abgeordnete, hat die Waage wieder ins richtige Lot gebracht: Es wurde ein
Zusatz zu den franzoesischen Durchfuehrungsbestimmungen beschlossen, der
besagt, dass seit langem bekannte, ungiftige Naturprodukte nicht von der
Direktive betroffen sind.
(Quelle: Sylvie Seguin, Longo maï, Archipel 2/2007)

*

Kokopelli-Petition:

> Freiheit fuer Saatgut

Die Samen, der Ursprung des Lebens, sind bedroht. Waehrend 12.000 Jahren
haben Menschen auf der ganzen Welt in geduldiger und ueberlegter Arbeit eine
unglaubliche pflanzliche Vielfalt geschaffen. Dieses kulturelle Erbe der
Menschheit reissen heute einige skrupellose Geschaeftemacher an sich.

Die Agroindustrie beherrscht zunehmend die Saatgutproduktion und bedroht die
eigenstaendige Ernaehrung und die Gesundheit kommender Generationen.
Multinationale Konzerne, die ihre Profite mit Pestiziden machen, basteln in
Labors gentechnisch veraenderte Schimaeren. Diese werden zwar als Samen
bezeichnet, bringen aber voellig abhaengige Pflanzen hervor. Fuer Bauern,
Baeuerinnen und GaertnerInnen bedeuten gentechnisch veraenderte Organismen
(GVO) einen Rueckschritt.

Staatlich unterstuetzte Lobbys versuchen sich als Monopol anzueignen, was
als Gemeingut allen gehoert. Sie wollen das Recht, einen Teil der Ernte als
Aussaat zu verwenden, abschaffen. Eine an die Umwelt gebundene Samenauslese
foerdert gesunde und wohlschmeckende Pflanzen. Das in Labors hergestellte
industrielle Saatgut hingegen ist selbst krank und kann nicht ohne
Pestizide, Kunstduenger und Genmanipulation existieren. Diese Art von
Landwirtschaft verseucht die Umwelt und bringt minderwertige, krankmachende
Lebensmittel hervor.

Saatgut ist ein Gemeingut aller Voelker. Nur die Erhaltung der
Biodiversitaet (Artenvielfalt) sichert Ernaehrungssouveraenitaet und
ausreichend Lebensmittel.

· Ich fordere eine gesetzliche Garantie, dass jeder Mensch alles
Pflanzliche - wie Samen, Stecklinge, Setzlinge, Knollen, etc. - ohne jede
rechtliche Einschraenkung saeen, kultivieren, vermehren, kaufen, tauschen,
anbieten, schenken oder weitergeben darf;

· Ich fordere das Recht, mir ungehindert Lebensmittel zu beschaffen und zu
konsumieren, welche aus dem Saatgut von Regional- und Landsorten, also alten
Sorten, hervorgegangen sind.

Mit dem Verein Kokopelli verteidige ich durch meine Unterschrift das
kulturelle Erbe und die Weitergabe der Biodiversitaet und der Fruchtbarkeit
an kuenftige Generationen.

Name Adresse Unterschrift




Bitte ausgefuellte Unterschriftenboegen senden an und weitere Boegen
bestellen bei: Longo maï, Heike Schiebeck, Lobnik 16, A-9135 Bad
Eisenkappel

Download layoutierter U-Listen als pdf:
http://akin.mediaweb.at/Download/kokopet.pdf



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin