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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. Juni 2007; 17:23
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Deutschland/G8/Medien/Kommentar:

> Schafft 1,2, 3, viele Gewalttaeter

Die Medien haben es geschafft: Der Ausbau des deutschen Polizeistaats ist
nun voll legitimiert. Jetzt werden auch kritische Stimmen laut -- doch zu
wenig, zu leise und vor allem viel zu spaet.

"Wollt ihr Tote, ihr Chaoten?" -- so hatte die deutsche "Bild" nach den
G8-Auseinandersetzungen am Samstag letzter Woche in Rostock getitelt. Die
meisten grossen Medien in Deutschland, auch serioesere, malten, wenn auch
nicht immer mit derart dickem Pinselstrich, so doch das gleiche Bild.
"Spiegel online" berichtete, ein Redner bei der Kundgebung habe die
"militante Szene aufgestachelt" mit den Worten "Wir muessen den Krieg in
diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir
nichts." Tatsaechlich war dies nur eine Mischung aus Falschuebersetzung und
Phantasie, denn der Redner, der nun wirklich nicht als "Gewalttaeter"
bekannte Alternativnobelpreistraeger Walden Bello hatte lediglich darauf
hingewiesen, dass der Irakkrieg bei den Protesten ein Thema sein sollte. (1)

Der Staub hat sich mittlerweile gelegt. Das Traenengas ist verdunstet, die
Pflastersteine werden weggeraeumt, das Medienfeuerwerk ist ausgebrannt.
Spiegel online hat seine Falschmeldung zurueckgenommen und macht sogar ein
wenig auf Wiedergutmachung. Ueber die Geschehnisse bei den Blockaden am
Mittwoch schildert das Magazin die Aussage eines jungen Demonstranten(2):
"Was er aussagt, birgt innenpolitischen Sprengstoff: 'So jetzt drauf auf die
Bullen', habe ein massiger, schwarz Vermummter gerufen, erzaehlt der
25-Jaehrige aus dem Hamburger Raum. 'Und ich habe gesehen, wie er einen
Stein in Richtung Polizei geworfen hat.'" Nachdem er von anderen
Demonstranten aufgefordert worden war, seine Vermummung abzunehmen, sei er
in Richtung der Polizei gefluechtet. Der Bericht ist tatsaechlich so
geschrieben, dass man den Eindruck haben muss, das Online-Magazin wolle dem
Demonstranten gerne Glauben schenken. Diese Haltung verliert aber gleich ein
wenig an Erstaunlichkeit, wenn man sich die Reaktionen der Polizei anhoert.
Denn zuerst hatte diese kategorisch abgestritten, ueberhaupt Polizisten in
Zivil eingeschleust zu haben -- was sowieso unglaubwuerdig erscheinen
musste, da Zivilpolizisten mittlerweile bei allen heiklen Demos zum
Standardrepertoire gehoeren. Doch als die Polizei durch immer massiver
auftauchende glaubwuerdige Zeugenberichte unter Druck kam, ruderte sie
merklich zurueck: Ja, es habe Zivilbeamte gegeben. Jedoch: "Der Einsatz
solcher zivilen Kraefte ist Bestandteil der Deeskalationsstrategie und dient
ausschliesslich der beweiskraeftigen Feststellung von Gewalttaetern", hiess
es jetzt auf einmal. Doch jetzt ist die Sache heiss: Laut Medienberichten
ermittelt die Staatsanwaltschaft Rostock gegen den Beamten wegen Anstiftung
zu einer Straftat.

Auch berichtet Spiegel Online ueber die sonstigen Polizeimethoden, wie zum
Beispiel die massenhaften, eher fragwuerdig begruendeten Verhaftungen, nach
denen fuer einige Betroffene Kaefighaltung verordnet wurde: "In einer
grossen Industriehalle seien kaefigartige Zellen aus Metallgittern errichtet
worden, in denen den Angaben zufolge jeweils bis zu 20 Menschen festgehalten
wurden, teilte der RAV [Anm.: Republikanische Anwaltsverein] mit. Die
provisorischen Zellen seien etwa 25 Quadratmeter gross und von allen Seiten
sowie von oben einsehbar." (3)

Doch selbst das ganz oeffentliche und offizielle Auftreten der Polizei
geraet in die Kritik. Das Deutschlandradio laesst den Muenchner
Polizeipsychologen Georg Sieber zu Wort kommen (4): "Eine Demonstration
gehoert den Demonstranten, die reagieren sauer oder fuehlen sich bedroht,
wenn man ihnen die Strasse wegnimmt". In Rostock sei "lehrbuchmaessig alles
so gemacht worden, wie es nicht sein soll". Auf diese Weise koenne man auch
jede Fronleichnamsprozession aufmischen. Und so kann sich Sieber des
Verdachts nicht erwehren, dass dies "womoeglich sogar auch politisch so
gewollt" gewesen sei.

Diese Berichte und Meinungen sind nur der Gipfel all dessen, was sich in den
letzten Tagen an Kritikmeldungen ueber Polizei und auch Gerichte angehaeuft
hat. Doch wenn auch einige wenige buergerliche Medien mittlerweile wieder
etwas kritischer berichten, so ist der groessere Teil der Medienlandschaft
nicht dazu bereit -- und die nachtraegliche Kritik kann den hysterischen
Hype, der durch die Buergerkriegsberichterstattung entstanden ist, nicht
mehr ungeschehen machen. Und so berichtet die "Sueddeutsche" gestern(5):
"Nach den Gewaltausbruechen am Rande des G-8-Gipfels fordern immer mehr
Politiker eine europaweite Datei fuer militante Autonome. Als Vorbild
koennte die bundesweite Datei 'Gewalttaeter Sport' dienen, in der Hooligans
registriert sind." Jetzt wissen wir, wozu all die Kriminalisierung und
Verleumdung gut war. Und wir wissen, warum man jene Stimmen, die bei der
Hysterie um Hooligans bei der WM letztes Jahr vor Ueberreaktionen warnten,
so geflissentlich ignorierte.

Attac Oesterreich kommt nun zu einem aehnlichen Ergebnis: "Im Laufe der
Protestwoche kam es immer wieder zu einem harten und unangebrachten Vorgehen
der Polizei gegen friedliche Proteste. Vielfach wurden die demokratischen
Grundrechte ausser Kraft gesetzt. (...) Gewalttaetige Ausschreitungen sind
das, was den GegnerInnen der G8-Proteste am meisten nuetzt. Die Darstellung
als 'Chaos' und 'Gewalttage' legitimiert den Polizeieinsatz (und oft
nachfolgend die Verschaerfung von Gesetzen, die die demokratischen
Grundrechte schrittweise aushoehlen) und lenkt von inhaltlicher Kritik ab."
Doch diese gestern gemachte Aussendung nuetzt jetzt auch nichts mehr. Die
oesterreichischen Attacies hatten den polizeifreundlichen Kommentar der
deutschen Attac-Fuehrung kommentarlos reproduziert und nicht die geringste
Kritik daran geuebt -- und die oesterreichischen Medien haben das auch mit
Genuss reproduziert. Jetzt diese katastrophale Stellungnahme zu relativieren
ist ja ganz nett -- doch die breite Oeffentlichkeit wird davon wohl nichts
mehr erfahren.
*Bernhard Redl*

Quellen:
(1) WoZ 23/2007
(2) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487554,00.html
(3) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487609,00.html
(4) zit. nach Woz 23/2007
(5) http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/3/117872/


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