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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Mai 2007; 18:03
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Nahost:
> Sturm auf die Grenze
Die aegyptischen Beduinen werden von der Regierung fuer den islamistischen 
Terror verantwortlich gemacht. Mehrere hundert von ihnen versuchten, nach 
Israel zu gelangen, um dort Asyl zu beantragen.
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Die Demonstranten sammelten sich nahe der israelischen Grenze, blockierten 
die Strassen und zuendeten Reifen an. Diesmal jedoch handelte es sich nicht 
um Proteste gegen Israel. Die Demonstranten, mehrere hundert aegyptische 
Beduinen, hatten ein ganz anderes Interesse. Sie wollten auf israelisches 
Territorium vordringen, um dort politisches Asyl beantragen zu koennen, doch 
aegyptische Sicherheitskraefte hielten sie auf. Anlass der Proteste war der 
Tod zweier Beduinen, die bei einer Verfolgungsjagd im April von der 
aegyptischen Polizei erschossen worden waren. Offiziellen Angaben zufolge 
hatten sie versucht, mit einem Auto ohne Kennzeichen einen Checkpoint zu 
passieren. Fuer die Beduinen waren die Todesschuesse nur ein weiterer Beweis 
fuer die Brutalitaet der Polizei und die Diskriminierung ihrer 
Bevoelkerungsgruppe durch die Behoerden.
Im Jahr 1999 war es Beduinen aus dem Sinai gelungen, ueber die Grenze nach 
Israel zu gelangen und politisches Asyl zu beantragen. Allerdings wurden sie 
von den israelischen Behoerden wieder nach Aegypten abgeschoben. Die 
Regierung wollte die Beziehungen zu Aegypten nicht belasten, und die 
israelische Rechte lehnt die Aufnahme arabischer Fluechtlinge oder Migranten 
ab. Die mehrtaegigen Proteste in diesem Jahr wurden Ende April durch eine 
Vereinbarung mit den aegyptischen Behoerden beendet, die versprachen, die 
Situation der Beduinen zu verbessern. Sowohl in Aegypten als auch in Israel 
bilden sie die am meisten benachteiligten und aermsten Bevoelkerungsgruppen. 
Der Negev wurde groesstenteils im 18.Jahrhundert von Beduinen aus dem Sinai 
besiedelt, die Stammesfoederationen sind auf beiden Seiten der Grenze 
vertreten.
Die traditionell nomadisch oder halbnomadisch lebenden Beduinen haben wenig 
Verstaendnis fuer die Grenzziehung moderner Nationalstaaten, die ihnen den 
Weg zu Wasserstellen und Weideplaetzen versperrt. Derzeit lebt nur noch eine 
Minderheit von der Viehzucht, doch die israelischen Beduinen definieren sich 
meist nicht als Israelis, obwohl sie im Militaer dienen und als loyale 
Staatsbuerger gelten, und nur wenige Beduinen im Sinai wuerden sich als 
Aegypter betrachten.
Mit ihren segmentaeren Stammesstrukturen, die den Frauen eine relativ starke 
gesellschaftliche Stellung geben, ihrem eher unorthodoxen Islam und ihrer 
Mobilitaet gelten sie der aegyptischen Regierung als ein Relikt vergangener 
Zeiten, als schwer kontrollierbar und verdaechtig. Nach der Besetzung des 
Sinai durch israelische Truppen wurde ihnen Kollaboration vorgeworfen. Die 
Beduinen blieben nach dem Rueckzug der Israelis oekonomisch marginalisiert. 
Als die Halbinsel fuer den Tourismus erschlossen wurde, beguenstigten die 
Behoerden »Aegypter« aus dem Niltal bei der Vergabe von Lizenzen. Den 
Beduinen blieben meist nur die randstaendigen Jobs, sie leben in 
Armenvierteln am Rand der Touristenorte.
Die von den Beduinen seit langem erhobenen Vorwuerfe wurden im Januar von 
der International Crisis Group bestaetigt, die feststellte, dass die 
Regierung »wenig bis nichts getan hat, um die Bevoelkerung des Sinai in das 
nationale politische Leben zu integrieren«. Stattdessen haetten es bewusst 
herbeigefuehrte »Spaltungen und Herrschaftstricks erlaubt, die lokalen 
Repraesentanten zu dirigieren«.
Manch ein Beduine wuenscht sich deshalb sogar die Israelis zurueck, die 
wenigstens Strassen bauten und ein funktionierendes Gesundheitswesen zur 
Verfuegung stellten. Andere sichern mit dem Schmuggel, dem Drogenanbau 
und -handel ihr Ueberleben, was sie regelmaessig in Konflikt mit den 
aegyptischen Behoerden bringt.
Nach den islamistischen Bombenanschlaegen im Juli 2005 in Sharm al-Sheikh 
und im April 2006 in Dahab eskalierte der Konflikt. Die Regierung machte die 
Beduinen fuer die Attentate verantwortlich, die Anwesenheit vieler 
Polizisten fuehrte zur Einengung der Bewegungsfreiheit der Beduinen und 
behinderte ihre Geschaefte. Doch vor allem willkuerliche Verhaftungen und 
Folterungen brachten die Bevoelkerung gegen den Staat auf. Den Schaetzungen 
von Human Rights Watch und lokalen Menschenrechtsorganisationen zufolge sind 
etwa 2500 Beduinen inhaftiert, die meisten, ohne dass gegen sie Anklage 
erhoben worden waere.
Aus Aegypten ueber diese Zustaende zu berichten, ist gefaehrlich. Am 2.Mai 
verurteilte ein Gericht in Kairo Howaida Taha, eine Journalistin des 
Fernsehsenders al-Jazeera, zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe, weil 
ihr Dokumentarfilm ueber die Folter in aegyptischen Polizeistationen »den 
Interessen des Landes geschadet« habe.
Als die Repression dann zwei Beduinen das Leben kostete, begann der 
spektakulaere Protest an der Grenze. Wenn die Demonstranten es geschafft 
haetten, nach Israel zu gelangen, waeren sie dort zu einer marginalisierten 
Minderheit gestossen. Keine Bevoelkerungsgruppe hat eine hoehere 
Kindersterblichkeit, Arbeitslosigkeit oder Analphabetenrate, keine hat eine 
geringere Lebenserwartung als die Beduinen.
Trotzdem ist deren Lage immer noch deutlich besser als jenseits der Grenze 
in Aegypten, wo die meisten Beduinen in Slums am Rande der neuen 
Tourismushochburgen des Sinai leben. Im Negev wurden die Beduinen nach dem 
Unabhaengigkeitskrieg 1948, sofern sie nicht nach Gaza oder in das 
Westjordanland fluechteten, unter Militaerverwaltung gestellt und in ein 
geschlossenes Gebiet umgesiedelt, das nur noch zehn Prozent der 
urspruenglich von ihnen besiedelten Flaeche ausmachte. Das nordoestlich von 
Beersheba gelegene »Reservat« wurde zwar 1966 wieder aufgeloest, die meisten 
israelischen Beduinen leben aber immer noch in den Staedten in der Region.
Da auch die israelische Regierung die Mobilitaet der Beduinen einschraenke 
wollte, wurden sie nach 1948 zwangsweise sesshaft gemacht. Staedte wie Rahat 
gehoeren zwar zu den aermsten in Israel, verfuegen aber zumindest ueber eine 
funktionierende Infrastruktur. Mit 35.000 Einwohnern ist Rahat eine durchaus 
lebendige, weitlaeufige Stadt ohne wirkliches Zentrum, der man ihre 
beduinische Herkunft noch ansieht. Etwa 65 Prozent der dort lebenden 
Bevoelkerung sind juenger als 20 Jahre.
Derzeit leben in Israel 120.000 Beduinen, doppelt so viele wie vor 1948. Die 
israelische Rechte betrachtet das als Teil eines »demographischen Problems«, 
die nicht juedische Bevoelkerung waechst schneller als die juedische. Zuzug 
aus dem Nachbarland ist daher unerwuenscht, den Fluechtlingen Asyl zu 
gewaehren, haette zudem die Regierung des neben Jordanien einzigen 
arabischen Staates veraergert, der mit Israel einen Friedensvertrag 
unterzeichnet hat. Es duerfte deshalb auf beiden Seiten als Erfolg gewertet 
worden sein, dass die Beduinen an ihrer Massenflucht vorerst gehindert 
werden konnten.
(Thomas Schmidinger, Jungle World, 16. Mai 2007)
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