**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Mai 2007; 17:33
**********************************************************

Israel:

> Die Logik des Krieges

Noch widersteht Ministerpraesident Ehud Olmert dem Druck von Strasse und
Parlament.
Doch eigentlich hat das Land noch groessere Probleme.


Ein politisches Erdbeben in Israel? Stuerzt die Regierung? Oder ist etwas
Schlimmeres passiert? Die Winograd-Kommission hat ihren Bericht ueber den
Libanonkrieg vom letzten Sommer veroeffentlicht, und Israel windet sich in
Zuckungen: Die politische Szene wird von Demonstrationen und von Debatten
ueber das Schicksal der Regierung und jenes von Ministerpraesident Ehud
Olmert dominiert.

Dabei ist das Problem viel gravierender. Am 12. Juli letzten Jahres, nur
Stunden, nachdem die libanesische Hisbollah zwei israelische Soldaten
entfuehrt und einige andere getoetet hatte, war klar, dass Israels Regierung
militaerisch reagieren wuerde. Ueber achtzig Prozent der Bevoelkerung
befuerworteten den Krieg. Die ersten Kriegstage waren euphorisch: Es
erfolgte ein massiver Schlag der Luftwaffe gegen den Libanon. Die
Zerstoerungen waren riesig, viele ZivilistInnen kamen um - aber aus der
Sicht der israelischen Armee und einer Mehrheit in der israelischen
oeffentlichen Meinung war es eine saubere Operation: Es traf keine Israelis.

Doch dann gab es ein Problem: Die Hisbollah begann, den Norden Israels
intensiv zu beschiessen, Hunderte von Raketen bedrohten taeglich die
Zivilbevoelkerung. Dabei stellte sich bald her­aus, dass diese sich mit
Schutzraeumen und Sozialdiensten begnuegen musste, die im Rahmen der
neoliberalen Politik der vergangenen Jahre vernachlaessigt worden waren.
Eine Mehrheit der Israeli konnte sich aber nicht mit dem Gedanken
anfreunden, dass dieser Krieg zum Fehlschlag werden koennte. So wurden nach
Kriegsende Mitte August Proteste laut, und die Regierung Olmert sah sich im
September gezwungen, eine Untersuchungskommission einzusetzen - benannt nach
ihrem Praesidenten, dem ehemaligen Richter Eliahu Winograd.

Der Winograd-Bericht

Der Bericht der Winograd-Kommission ist von grosser Bedeutung. Zwar
konzentriert sich die Aufmerksamkeit von Medien und Oeffentlichkeit nun
dar­auf, welche Einzelpersonen aufgrund des Berichts fuer das Versagen der
Regierung verantwortlich gemacht werden koennen. Wichtiger sind jedoch die
ungestellten Fragen des Berichts.

Zuallererst: Die Kommission stellte sich nie die Frage, ob die Logik des
Kriegs die einzig moegliche gewesen war. Sie stellt viele Betrachtungen
ueber einen «rationalen politischen Entscheidungsprozess» und die in dessen
Rahmen zu stellenden Fragen und zu folgenden Prozeduren an.

Aber der Bericht verliert keinen einzigen Gedanken an die Frage, ob die
Politik der Macht und Gewalt die richtige war. Anstatt Details des
Entscheidungsprozesses akribisch aufzulisten, muessten einige zentrale
Fragen im Zusammenhang mit der tiefen Krise der israelischen Demokratie
gestellt werden. Es waere fuer Israel vielleicht an der Zeit, die seit
Jahrzehnten dominierende Logik des Krieges hinter sich zu lassen und die
Rolle der Armee in einem angeblich demokratischen Staat zu hinterfragen.
Doch diesen Fragen weicht die Kommission aus, obwohl einige ihrer
Erkenntnisse diesen Kern des Problems knapp streifen.

So zeigt der Winograd-Bericht, wie die Armee die PolitikerInnen manipuliert
hat. Jahrelang waren es nur vereinzelte Stimmen, die den massiven Einfluss
der Armee auf die israelische Politik analysierten und kritisierten. In der
Vergangenheit gab es dafuer etliche Beispiele, doch sie wurden nie
untersucht. In vielen Faellen - und dies nicht nur in den Jahren unter
Ministerpraesident Ariel Scharon - hat die Armee das Ergebnis von
politischen Prozessen mit ihren Aktionen bestimmt. Die «einzige Demokratie»
im Nahen Osten ist zutiefst von der Armee und von deren Kriegspolitik
beherrscht.

Darueber hinaus ist die israelische Armee seit 1967 hauptsaechlich eine
Besatzungsarmee. Spaetestens seit dem sogenannten Jom-Kippur-Krieg von 1973,
als Syrien und Aegypten Israel angriffen, hat die israelische Armee vor
allem gegen die Zivilbevoelkerung und gegen bewaffnete Gruppen, Guerillas
oder Terroristen gekaempft, nicht aber gegen regulaere Armeen. Im
Libanonkrieg von 1982 geschahen einige Fehler genau dann, als die
israelische Armee gegen jene Syriens zu kaempfen hatte. Die militaerische
Karriere vieler israelischer Offiziere gruendete auf ihrer Faehigkeit,
Steine werfenden Kindern in besetzten palaestinensischen Staedten
nachzurennen.

Der politische Krieg

In kurzer Zeit ist die Regierung von Ehud Olmert zu einer der unbeliebtesten
seit Jahrzehnten geworden. Korruption sowie Untersuchungen gegen den
Premierminister selbst und gegen altgediente Minister hoehlen das Vertrauen
aus, und schliesslich kam noch der Misserfolg im Libanonkrieg hinzu. Dabei
erhofften sich Premierminister Olmert wie auch Verteidigungsminister Amir
Peretz gerade von einem siegreichen Feldzug so viel - und jetzt befinden sie
sich am Rand des politischen Untergangs.

Nun sieht der rechte Fluegel der Koalition - der den Krieg vollumfaenglich
unterstuetzt hat - seinen Moment gekommen. Ausgerechnet Benjamin Netanjahu,
der in den letzten Wahlen vor allem wegen der von ihm als Finanzminister
verfolgten Wirtschaftspolitik eine Niederlage einstecken musste und dessen
Likud-Partei bedeutungslos geworden ist - dieser zwischenzeitlich aeusserst
unpopulaere Politiker wird nun wieder als Hoffnungstraeger gehandelt.

Dass Netanjahu und der gesamte rechte Fluegel wieder ins Rennen kommen,
beruht auf der in der israelischen Bevoelkerung verbreiteten Angst. Der
verlorene Libanonkrieg, die Aeusserungen des iranischen Praesidenten Mahmud
Ahmadinedschad und die Bedrohung durch islamische Fundamentalisten - all
dies bedeutet Angst, und Angst fuehrt zu einer wachsenden Unterstuetzung
fuer ExtremistInnen und RechtsaussendemagogInnen, die eine Loesung durch
Gewalt und Staerke versprechen und die Massen mit Luegen beruhigen. So
fuettern sich muslimische und juedische FundamentalistInnen gegenseitig.

Waehrend einige Stimmen den Ruecktritt von Olmert aus der Regierung fordern,
bleibt die Vermeidung von vorgezogenenen Wahlen das Hauptziel. Fuer die
verschiedenen Parteien der Koalitionsregierung bedeuten Wahlen eine Gefahr.
Netanjahu kann nur mit dem Gewinn von Parlamentssitzen Erfolg haben, die
seine Partei der Koalition abnehmen kann. Die beliebte Aussenministerin
Tsipi Livni von Scharons Kadima-Partei wird zwar gerne als moegliche
Nachfolgerin Olmerts an der Regierungsspitze gehandelt. Doch sie hat kaum
die Fuehrungsqualitaeten, die zur Uebernahme der gesamten ­Koalition noetig
waeren.

So heisst denn eine moegliche Loesung fuer die zusammenbrechende Koalition
zur grossen Ueberraschung und einmal mehr - Shimon Peres. Der nicht wirklich
junge, aber wirklich bekannte Staatsmann ist im Alter von 84 Jahren der
Hoffnungstraeger fuer den Fall, dass die verschiedenen Gruppen zum Schluss
kommen, dass ihre Koalition neu aufgemischt und Olmert seines Amtes enthoben
werden muesse. Peres schafft das. Peres vermag all jene zu beruhigen, die
sich derzeit um Olmerts Nachfolge bemuehen. Denn die hoffen, dass Peres bei
ordentlichen Wahlen in zwei Jahren nicht mehr antreten wird.

Zudem wird Peres als Premierminis­ter die Opposition fuer eine Weile
ruhigstellen. Seine Erfahrung wird der Bevoelkerung ein bisschen Vertrauen
einfloessen. Peres kann seine Beruhigungsshow fuer eine Demokratie in
kritischem Zustand abziehen. Eine Demokratie, die ueber drei Millionen
PalaestinenserInnen ohne jegliche politische Rechte herrscht. Eine
Demokratie, in der das Schueren von Angst das sicherste Erfolgsrezept ist.
(Zvi Schuldiner, WoZ 19/07)

*

Zvi Schuldiner ist Dekan des Fach­bereiches Politik und
Oeffentliche ­Verwaltung am Sapir College in Aschkelon (Israel).

Quelle: http://www.woz.ch/artikel/newsletter/14943.html


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin