**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Mai 2007; 14:10
**********************************************************

Venezuela/Analyse

> Der Charakter der Regierung Chavez

und die Entwicklungen des letzten Jahres


Der venezolanische Praesident spricht immer offensiver vom Aufbau eines
"Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Die Verstaatlichungen wurden
ausgeweitet, der Austritt aus IWF und Weltbank angekuendigt.

Anlaesslich des EU-Lateinamerika-Gipfels im Mai 2006 in Wien haben wir eine
ausfuehrliche Analyse des Chavismus vorgelegt (siehe
http://www.agmarxismus.net/aktartikel/broschuere_venezuela.htm). Im
folgenden Text wollen wir nach einer kurzen Zusammenfassung unserer
grundlegenden Einschaetzung vor allem auf die Entwicklungen des letzten
Jahres eingehen, dabei hinter die radikale Fassade des "bolivarischen
Sozialismus" blicken und insbesondere die Klassenkonflikte in Venezuela
untersuchen.

Lateinamerika war in den letzten Jahren der Teil der Welt, in dem der
Protest gegen die Zumutungen des kapitalistischen Systems am staerksten in
eine linke Richtung ging.

Der Brennpunkt der Entwicklung ist sicherlich Venezuela, wo die Regierung
Chavez aufgrund des Oelreichtums des Landes am meisten Spielraum hat -
sowohl fuer den sozialen Ausgleich im Land als auch in der Aussenpolitik.
Fuer Teile der europaeischen Linken ist Chavez zum grossen Hoffnungstraeger
geworden. Fast gibt es schon eine Wiederbelebung der
Lateinamerika-Solidaritaet der 80er Jahre.

Der Aufstieg des Chavismo

Venezuela ist 2,5 mal so gross wie Deutschland und hat 25 Mio.
Einwohner/innen, davon 6 Mio. in der Hauptstadt Caracas; 93% leben in
Staedten. Das Land ist reich an Bodenschaetzen, vor allem Erdoel, aber auch
Erdgas, Eisen und Bauxit. Durch den Befreiungskrieg (Simon Bolivar) wurde
Venezuela 1830 unabhaengig. Die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten
Erdoelvorkommen wurden von US-Konzernen ausgebeutet. Der kleinen
venezolanischen Oberschicht stand Massenarmut, aber auch ein
Industrieproletariat (Erdoel- und Stahlindustrie) gegenueber.

1958 teilten sich mit dem Pakt von Punto Fijo die beiden Parteien des
Establishments (COPEI und AD) die Privilegien und Posten im Land auf. Es gab
keine starke Linke und die Gewerkschaft CTV war zutiefst korrupt. Die
Eroelfoerderung war zwar verstaatlicht, aber die Profite gingen dennoch an
die Multis. 1989 stiess das System an seine Grenzen: eine Hungerrevolte der
Armen konnte nur noch von Armee und Polizei niedergeschlagen werden; es gab
3000-4000 Tote und es blieb ein Hass der Massen auf die etablierten Parteien
zurueck.

1992 revoltierte eine Gruppe von linken Offizieren um Hugo Chavez Frias. Die
Aktion scheiterte, aber der nun inhaftierte Chavez wurde zur Symbolfigur des
Widerstandes. 1998 wurde Chavez als Fuehrer der Bewegung fuer die 5.
Republik (MVR) zum Praesidenten gewaehlt. Er setzte anfangs noch neoliberale
Massnahmen (Marktliberalisierung im Telekom-Bereich) und kuerzte die
oeffentlichen Ausgaben. Mit der neuen progressiv buergerlichen Verfassung
wurde dann die Privatisierung von nationalen Ressourcen und Sozialsystemen
verboten, gleichzeitig aber auch das Privateigentum garantiert.

Im Fruehjahr 2002 versuchten die rechten Kraefte, unterstuetzt von der
spanischen und US-Regierung, gegen die aus der MVR und anderen linken
Parteien bestehende Regierung zu putschen. Chavez wurde voruebergehend
inhaftiert, nach Massenmobilisierungen der Armen brach der Putsch aber
zusammen, die Mehrheit der Armee unterstuetzte schliesslich Chavez. Von Ende
2002 bis Anfang 2003 versuchte es die herrschende Klasse erneut, diesmal mit
der Sabotage der PDVSA, der verstaatlichten Erdoelindustrie, durch die
Fuehrungskraefte. Die Arbeiter/innen konnten die Foerderung aber wieder in
Gang bringen. Das Scheitern der Erdoelsabotage (gefolgt von der Entlassung
der rechten Fuehrungskraefte) brachte schliesslich die Kontrolle der
Regierung ueber die PDVSA und damit ueber die Erdoeleinnahmen. Damit wurde
auch die finanzielle Grundlage fuer die beginnenden Sozialreformen gelegt.

Errungenschaften und Grenzen des Chavismus

Die Regierung Chavez schwankt zwischen dem Druck der Arbeiter/innen/klasse
einerseits und dem der Kapitalist/inn/en und des Imperialismus andererseits.
Positiv ist sicherlich die Uebernahme der Kontrolle ueber die PDVSA und die
hoehere Besteuerung der Erdoelprofite, sowie das kostenlose Gesundheits- und
Bildungssystem fuer die aermere Bevoelkerung. Dazu kommt das relativ
demokratische Klima im Land (das allerdings auch nicht idealisiert werden
sollte - immerhin ist etwa Abtreibung weiterhin verboten). Und auch der
Bruch der imperialistischen Wirtschaftsblockade gegen Kuba ist der
Chavez-Regierung positiv anzurechnen.

Gleichzeitig hat sich aber an der Armut der grossen Mehrheit der
Bevoelkerung nichts substanziell geaendert. Die Loehne bleiben sehr niedrig
waehrend die Profite steigen. Der Grossgrundbesitz ist im wesentlichen
unangetastet, die Schulden bei den imperialistischen Banken werden brav
bedient. Europaeische und US-Oelkonzerne sind in Venezuela ebenso weiter
gross im Geschaeft wie spanische Banken und Telekom-Firmen. Am
kapitalistischen Charakter der venezolanischen Wirtschaft hat sich nichts
geaendert. Die Arbeiter/innen/selbstverwaltung ist sehr beschraenkt und
insbesondere die PDVSA (das wichtigste Unternehmen im Land, das mit den
hohen Oeleinnahmen den wirtschaftlichen Spielraum fuer die Regierung
schafft) davon ausgenommen. Der Staatsapparat ist weiterhin ein abgehobener
buergerlicher, der nicht von den Lohnabhaengigen kontrolliert wird.

Der Chavismus hat ausserdem eine Orientierung auf eine Zusammenarbeit mit
neoliberalen Regierungen wie Lula (Brasilien) oder Kirchner (Argentinien)
und setzt auf einen Kompromiss mit Teilen des Kapitals. So sind, trotz aller
Erdoeleinnahmen, substanzielle Aenderungen der Gesellschaft nicht moeglich,
weil jede ernsthafte Infragestellung der Klassenverhaeltnisse den
angestrebten Ausgleich mit dem Kapital gefaehrden wuerde. Es handelt sich
beim "bolivarischen Prozess" um ein buergerliches Reform- und nationales
Entwicklungsprojekt, das groessere Unabhaengigkeit vom US-Imperialismus
anstrebt und dessen Sozialprogramme vom hohen Erdoelpreis abhaengig sind.
Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", von dem Chavez spricht, hat nichts
mit einer Zerstoerung des buergerlichen Staatsapparates und einer
Ueberwindung der kapitalistischen Produktionsverhaeltnisse zu tun, sondern
viel mehr mit einem gelenkten Kapitalismus.

Aufgrund der hohen Erdoeleinnahmen und weil der US-Imperialismus
militaerisch zurzeit stark im Mittleren Osten gebunden ist, gibt es durchaus
die Moeglichkeit, dass sich das halbherzige Reformprojekt der Regierung
Chavez noch eine Zeit lang halten kann. Laengerfristig ist es aber durchaus
wahrscheinlich, dass der Chavismus zwischen dem Druck der herrschenden
Klasse, die die Reformen begrenzen und zurueckdraengen will, und den
enttaeuschten Hoffnungen der Massen zerrieben wird. Letztlich wird sich
entscheiden muessen, ob der "revolutionaere Prozess" stecken bleibt oder ob
er in die Offensive gelangt und den Kapitalismus beseitigt. Dass die dem
Kompromiss mit dem Kapital verpflichteten "bolivarischen Kraefte" dazu in
der Lage sind, muss bezweifelt werden. Deshalb kommt der politischen und
organisatorischen Unabhaengigkeit der Arbeiter/inn/enklasse entscheidende
Bedeutung zu.

Arbeiter/innen/organisationen in Venezuela

Die Buerokratie der Gewerkschaft CTV beteiligte sich 2002/03 an der
konterrevolutionaeren Erdoelsabotage. Die Mehrheit der Beschaeftigten
hingegen brachte die Produktion wieder ins Laufen. Diese Phase der
Arbeiter/innen/kontrolle in PDVSA und einigen anderen Industrien war eine
Erfahrung, die deutlich machte, dass es auch ohne Chefs geht. Erstmals
traten die Lohnabhaengigen als eigenstaendige Klasse auf.

In der Folge wurde im Maerz 2003 auch eine neue Gewerkschaft gegruendet, die
UNT, in der sich Gewerkschafter/innen der chavistischen Organisationen FBT
und MVR, der stalinistischen PCV, der trotzkistischen OIR, verschiedene
Arbeiter/innen/kollektive und Teilgewerkschaften zusammentaten. Es bestanden
von Anfang an drei Fluegel in der UNT: ein buerokratischer Fluegel aus
uebergelaufenen CTV-Funktionaer/inn/en, ein chavistischer Fluegel um die FBT
und ein klassenkaempferischer Fluegel (die Clasistas). Die UNT konnte die
CTV in Bezug auf Mitgliederzahl und vor allem Mobilisierungskraft rasch
ueberfluegeln.

Im Juli 2005 kam es schliesslich zur Gruendung der PRS, der Partido
Revolucion y Socialismo, aus der OIR, einem grossen Teil der Clasistas,
verschiedenen Arbeiter/innen/kollektiven und Student/innen/gruppen. Die
zentralen Kader der PRS sind zu einem guten Teil identisch mit denen der
Clasistas. Die neue Partei positionierte sich fuer eine fuehrende Rolle der
Arbeiter/innen/klasse in der Revolution, fuer Arbeiter/innen/kontrolle ueber
die Produktion, fuer die Enteignung der Bourgeoisie und eine sozialistische
Perspektive.

Manche Betriebe wurden von den Belegschaften uebernommen, die ehemaligen
Besitzer vom Staat entschaedigt: die Papierfabrik Venepal und das Ventilwerk
CNV. Experimente mit betrieblicher Mitbestimmung der Beschaeftigten gibt es
beim staatlichen Stromversorger CADAFE und in der Aluminiumfabrik ALCASA.
Diese Betriebe machen freilich nur einen Bruchteil der venezolanischen
Oekonomie aus. Die Regierung agiert insgesamt ausgesprochen legalistisch und
uebernimmt Betriebe nur in Kooperation mit den Chefs. Und der zentrale
Bereich der venezolanischen Wirtschaft, die PDVSA, wurde explizit von allen
Experimenten ausgenommen.

Repressalien und Buerokratismus

Unter der Regierung Chavez gibt es fuer die Lohnabhaengigen gewisse
Errungenschaften beim Kuendigungsschutz und der Organisationsfreiheit. Es
gibt es im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Laender ein
demokratisches Klima. Auch die Repression gegen die Arbeiter/innen/bewegung
ist bisher ziemlich gering. Dennoch bleiben Staat und Regierung buergerlich,
d.h. dem Funktionieren der kapitalistischen Produktionsverhaeltnisse
verpflichtet. Es gibt es immer wieder eine Kooperation zwischen
Nationalgardisten und Grossgrundbesitzern gegen AktivistInnen der linken
Bauern/Baeuerinnen-Bewegung FNCEZ.

2005 sah die Polizei den Uebergriffen bewaffneter Schlaeger der Firma
Bridgestone/Firestone gegen die Belegschaft tatenlos zu. Bei der
pharmazeutischen Firma RACE wurden drei Aktivisten entlassen, weil sie eine
Betriebsgruppe gruenden wollten. Im Mai 2006 wurden im Bundesstaat Barimas
ueber 40 Anhaenger/innen der FNCEZ (darunter neun Kinder und sieben Frauen)
von der Polizei verhaftet, misshandelt und gedemuetigt, weil sie als
Landbesetzer/innen verdaechtigt wurden.

Spaltung innerhalb der Gewerkschaft UNT

Nachdem es bereits im April 2006 Angriffe der chavistischen FBT gegen die
linken Clasistas gegeben hatte und die chavistischen Teile der UNT
wiederholt die Abhaltung eines Kongresses und demokratischer Wahlen
hinausgezoegert hatten, kam es im Mai 2006 schliesslich zur Spaltung der
UNT. Die Fuehrung der Clasistas, die sich nun C-CURA nannten, hatte auf dem
Kongress noch einen Kompromiss mit der FBT gesucht. Der Druck der Basis, die
Fuehrung endlich demokratisch zu waehlen, war aber ueberwaeltigend. Die
Abstimmung ergab eine 2/3-Mehrheit fuer die C-CURA.

Diese demokratische Entscheidung wurde von den Chavist/inn/en nicht
anerkannt. Die FBT spalteten die UNT. Sie kontrollierten in der Folge den
Apparat und die Gewerkschaft des oeffentlichen Dienstes, waehrend saemtliche
Arbeiter/innen/gewerkschaften die UNT-Mehrheit um die C-CURA unterstuetzen.

Massnahmen gegen Arbeiter/innen/bewegung

Im Juni 2006 loeste die Polizei eine Strassenblockade von protestierenden
Arbeiter/innen unter Einsatz von Traenengas, Gummigeschossen und
Schlagstoecken auf; zwoelf Arbeiter/innen wurden verhaftet, der chavistische
Staatsanwalt forderte 4-8 Jahre Haft wegen "Blockade einer oeffentlichen
Strasse". Im Juli 2006 wurde eine Demonstration der UNT-Mehrheit und der
FNCEZ in Caracas vom chavistischen Innenministerium verboten (trotzdem
nahmen ueber 6.000 Menschen daran teil).

Im August 2006 wurden die Gewerkschaftsvertretungen bei PDVSA neu gewaehlt.
Dabei kam es in der Foerderregion Puerta la Cruz in Ostvenezuela zu einer
wesentlichen Aenderung. Die Erdoelgewerkschaft Fedepetrol war hier weiter
von der reaktionaeren CTV kontrolliert gewesen. Die C-CURA kandidierte unter
der Fuehrung von Jose Boda. Gegen die Prekarisierung forderte sie die
rechtliche Gleichstellung aller Arbeiter/innen. Ausserdem verlangte sie,
dass kein Gewerkschaftsfunktionaer ohne die Zustimmung einer
Belegschaftsversammlung irgendetwas unterschreiben darf. Der chavistische
Wahlrat CNE unterstuetzte hier die korrupte und reaktionaere CTV! Trotzdem
schaffte die linke Liste von Jose Boda die Mehrheit.

SIDOR ist das groesste Stahlwerk Venezuela, in dem nach der Privatisierung
1998 etwa 15.000 Arbeiter/innen beschaeftigt sind, davon Tausende ueber
private Leiharbeitsfirmen. Loehne werden oft lange nicht bezahlt,
Sozialleistungen immer wieder gar nicht erbracht, die Arbeitssicherheit ist
schlecht. Die Leiharbeiter/innen haben niedrigere Loehne und weniger Rechte.
Im Juni 2006 konnte durch eine Blockade der Werkstore durchgesetzt werden,
dass bei einer Subfirma die Loehne erhoeht werden. Im Spaetsommer 2006
wurden fuenf Arbeiter von der Nationalgarde unter dem Vorwurf der "Aneignung
von Fabrikmaschinen" inhaftiert. Darauf brachte die
Stahlarbeiter/innen/gewerkschaft SUTISS, die der UNT-Mehrheit angeschlossen
ist, die Produktion weitgehend zum Stehen und die Stadt Puerto Ordaz zum
kompletten Stillstand. Durch eine Massendemonstration vor dem Justizpalast
wurde die Freilassung der fuenf Arbeiter erzwungen. Der chavistische
Gouverneur der Bundesstaates Bolivar, Francisco Rangel Gomez, verurteilte
die Proteste und nannte die fortgesetzte Militanz der Gewerkschaften
woertlich "Gewerkschaftsterrorismus".

All diese Beispiele zeigen, dass die Regierung Chavez keine Regierung der
Arbeiter/innen/klasse ist und schon gar keine antikapitalistische Regierung.
Die staatlichen gefoerderten Kooperativen senken zwar die Arbeitslosigkeit,
foerdern aber durch extrem niedrige Loehne, (Selbst-) Ausbeutung und
fehlende Gewerkschaften zugleich die Prekarisierung. Die Arbeitsbedingungen
bei den staatlichen Lebensmittelgeschaeften der Mission Mercal sind
miserabel. Insgesamt sind die Realloehne gesunken. An einer eigenstaendigen
und klassenkaempferischen Arbeiter/innen/bewegung ist der Chavismus nicht
interessiert.

Verstaatlichungen

Im Herbst 2006 setzte die Regierung auf ein relativ demokratisches Auftreten
und stellte den Konflikt mit der kaempferischen Arbeiter/innen/bewegung
zurueck. Schliesslich galt es im Dezember Praesidentschaftswahlen zu
schlagen und sich dafuer die Unterstuetzung des Proletariats zu sichern.

Aus den Wahlen im Dezember ging der Chavismus gestaerkt hervor, obwohl das
Ergebnis nicht so berauschend war wie angestrebt und die Wahlenthaltung sehr
hoch war. Es folgten verbale Bekenntnisse des Praesidenten zum "Sozialismus
des 21. Jahrhunderts" und radikale Sprueche bis hin zu einem Kokettieren mit
dem Trotzkismus. Am 1. Mai 2007 kuendigte Chavez den Austritt aus IWF und
Weltbank an, da diese "Instrumente des amerikanischen Imperialismus" seien.
Die Verstaatlichungspolitik wurde fortgesetzt, allerdings mit einer
Konsensorientierung gegenueber den Besitzer/innen.

Bedeutender ist die Fortsetzung der Verstaatlichungen der Erdoelindustrie.
Bereits seit 2006 wurde der Grossteil der Erdoelfelder von Joint Ventures
ausgebeutet, in denen die westlichen Konzerne Minderheitspartner sind und
die von PDVSA kontrolliert werden. Mit einem Erlass von Februar 2007 wurde
das nun auch auf das Orinoco-Gebiet (Westvenezuela) ausgedehnt. Da das
dortige Schweroel mittlerweile raffiniert werden kann, werden in diesem
Gebiet die groessten Erdoelreserven der Welt vermutet; die Regierung haelt
bis zu 1370 Mrd. Barrel fuer moeglich (derzeit hat Venezuela bestaetigte
Reserven von 80 Mrd. Barrel).

Im Orinoco-Gebiet foerdern derzeit die vier Joint Ventures Ameriven, Cerro
Negro, Petrozuata und Sincor, an denen zwar jeweils PDVSA beteiligt ist, die
aber mehrheitlich im Eigentum von BP, Exxon/Mobil, Chevron, ConocoPhillips,
Total und Statoil sind. Nach dem Chavez-Erlass muss PDVSA zukuenftig jeweils
mindestens 60% kontrollieren und die westlichen Konzerne muessen sich bis
Ende Juni entscheiden, ob sie darauf einsteigen oder das Land verlassen.
Ausser Exxon/Mobil und Chevron suchen bereits alle intensiv nach einem Deal.
Fuer die Uebernahme der Unternehmensanteile sucht die Regierung das
Einvernehmen mit den Konzernen, wobei sowohl Auskaufen (10 Mrd. $, die
Venezuela nicht hat) als auch Auszahlen in Oel im Gespraech sind.

Gegenueber den Beschaeftigten ist PDVSA weniger grosszuegig. Die Joint
Ventures, also PDVSA und die Multis, haben ohnehin schon Schulden bei den
Belegschaften. Nun haben sie auch die Kollektivvertragsverhandlungen
aufgekuendigt. Dadurch laufen einfach die alten Kollektivvertraege weiter,
was bei einer Inflation von 18% erhebliche Reallohnverluste bedeutet.

Chavistische Einheitspartei PSUV

Nach dem Wahlsieg im Dezember hatte Chavez auch angekuendigt, dass all jene
Kraefte, die den "bolivarischen Prozess" unterstuetzen, nun auch eine
gemeinsame Partei gruenden wuerden, die Partei der sozialistischen Einheit
Venezuelas (PSUV). Seitdem wird an der Formierung der neuen Partei
gearbeitet. Dabei ist klar geworden, dass die von Chavez abhaengigen
Staatsfunktionaere dominieren. An der Bildung der PSUV beteiligen sich auch
Funktionaere der alten Linken, Teile der chavistischen "nationalen
Bourgeoisie" und chavistische Basisorganisationen. Die entscheidende Rolle
spielt aber die Schicht von Gouverneur/inn/en, Parlamentarier/inne/n,
Buergermeister/inne/n, Armee- und Polizeioffizieren, die in der
Chavez-Partei MVR konzentriert sind. Aber auch die Buendnisparteien der MVR
in der Regierung, sind vom Projekt der Einheitspartei PSUV keineswegs so
begeistert. Tatsaechlich lehnen die aus stalinistischer Tradition kommende
PCV und die beiden linken, reformistischen Parteien PPT und Podemos einen
raschen Zusammenschluss ab. Hinter diesem Konflikt stehen buerokratische
Interessen. Die kleineren Regierungsparteien hatten bisher durch eine Art
Proporzsystem eine bestimmte Menge an Posten in Regierung, Parlament und
Rathaeusern garantiert. Chavez verlangt nun die Aufloesung der Parteien in
die PSUV; da es in dieser neuen Partei wohl kaum Fraktionsrechte oder
aehnliches geben wird, wuerden PPT, Podemos und PCV ihre eigenen Strukturen
verlieren. Teile der drei Parteien sehen ihre Zukunft allerdings bereits
jetzt in der PSUV und unterstuetzen offen Cavez gegen ihre eigenen
Fuehrungen. Am 24. Maerz fand eine PSUV-Grossveranstaltung mit ueber 2000
ausgewaehlten Gaesten statt. Die klassenkaempferischen Gewerkschafter/innen
der C-CURA wurden von Polizei/Security nicht in den Saal gelassen.
Hauptredner war natuerlich Chavez selbst, der sich in seiner dreistuendigen
Ansprache nur 10 Minuten ueber die Gewerkschaften aeusserte, dabei aber
deutlich wurde: Die neuen Gewerkschaften [also die UNT] seien "vom
buergerlichen Gift der 4. Republik [also der vor-Chavez-Aera] getraenkt",
weil sie die Unabhaengigkeit der Gewerkschaften von Parteien und Regierung
verteidigen. Mit einer eigenwilligen Berufung auf Lenin und Luxemburg
erklaerte Chavez, dass die Gewerkschaften nicht unabhaengig von PSUV und
Regierung sein koennten.

Die Gewerkschaftsfuehrer/innen muessten sich einigen oder verschwinden. Da
ja seine eigenen Leute die UNT gespalten hatten, ist hier wohl eine Einigung
auf der diktierten Linie des Praesidenten gemeint. Jedenfalls werde er,
Chavez, keine Gewerkschaftsvertreter/innen mehr empfangen, solange sie
zerstritten seien. Worum es Chavez hier geht, ist eindeutig eine
Unterordnung der UNT unter Staat und Regierung, eine Verstaatlichung der
Gewerkschaften.

Situation der Arbeiter/innen/bewegung

Seit dem Sommer 2006 ist der Einfluss der UNT-Mehrheit um die C-CURA weiter
angewachsen. Sie dominiert die Industriegewerkschaften, besonders in der
zentralen Industrieregion Carabobo/Aragua. Seit Jose Bodas Wahlsieg spielt
sie auch in den Erdoelfoerdergebieten eine immer wichtigere Rolle. In
Carabobo wurden auf einem Plenum mit 490 Delegierten Gewerkschaftswahlen
eingeleitet, wodurch diese Region spaetestens Ende Juli die einzige wirklich
demokratisch legitimierte Gewerkschaftsfuehrung des Landes haben wird.

Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden, dass die C-CURA im letzten
dreiviertel Jahr auch immer wieder dem chavistischen Druck nachgegeben hat.
So hat etwa die C-CURA zum Zuge der Praesidentschaftswahl eine gemeinsame
Wahlliste mit der rechtschavistischen UPV gebildet. Teilweise hat die C-CURA
versucht, sich als die besseren Chavistas darzustellen. Teilweise sind sie
fuer eine verfassungsgebende Versammlung eingetreten und haben die
reformistische Illusion verbreitet, der Sozialismus koenne ueber das
Parlament eingefuehrt werden.

Eine wichtige Frage fuer die klassenkaempferischen Teile der
Arbeiter/innen/bewegung ist auch das Verhalten gegenueber der PSUV. In der
C-CURA gibt es Tendenzen, sich als radikaler, gewerkschaftlicher Fluegel an
diesem linken Einheitsprojekt zu beteiligen und damit den Bemuehungen des
Chavismus zur Kanalisierung von radikaleren Kraeften nachzugeben. Es wird
fuer die venezolanische Arbeiter/innen/klasse entscheidend sein, ob die
UNT-Mehrheit um die C-CURA ihre Unabhaengigkeit von einer reformistischen
Partei wie der PSUV und von einer links-buergerlichen Regierung bewahren
kann.

Anders als fuer eine Gewerkschaft, kann fuer eine revolutionaere
Partei/Organisation die Teilnahme an einer in Formierung befindlichen
reformistischen Partei unter bestimmten Bedingungen (Zustrom von
Basisaktivist/inn/en, anstehende Konflikte zwischen Fuehrung und Basis,
Moeglichkeit der Propaganda fuer revolutionaere Positionen) zeitweilig
moeglich sein. Ob die Bedingungen fuer einen solchen Entrismus in der PSUV
vorhanden sind oder ob der buerokratische Apparat um Chavez von Anfang an
jede freie Diskussion im Keim erstickt, muesste konkret eingeschaetzt
werden.

Die PRS ist aber noch im Parteibildungsprozess stecken geblieben und hat es
in den bald zwei Jahren seit ihrer Gruendung verabsaeumt, funktionierende
Basisstrukturen und eine politisch vereinheitlichte und handlungsfaehige
Kaderorganisation aufzubauen. Ohne diese Voraussetzungen waere eine
Entrismus-Taktik in die PSUV verantwortungslos.

Die PRS-Fuehrung hat jedenfalls im April 2007 beschlossen, sich nicht an der
PSUV zu beteiligen und als PRS eigenstaendig zu bleiben.

Auch die C-CURA reagierte auf die Rede von Chavez auf der PSUV-Versammlung
Ende Maerz erst mal mit Widerstand. Als Antwort auf die Angriffe von Chavez
auf die UNT/C-CURA veroeffentlichten alle fuehrenden C-CURA-Kader (inklusive
der sehr Chavismus-freundlichen) einen Brief, der zwar im Ton eher sanft
formuliert war, der aber recht deutlich die Notwendigkeit der
Unabhaengigkeit der Klassenorganisationen des Proletariats von der Regierung
verteidigte. Und in einem langen Interview mit APORREA, der wichtigsten
linken Internet-Zeitung in Venezuela, argumentierte Chirino deutlich klarer
und schaerfer gegen Regierung und Chavez als zuletzt und stellte dabei auch
in den Raum, dass sich die C-CURA nicht an der PSUV beteiligen koennte.

Schliesslich zeigte aber offenbar der Druck von Chavez auf die PRS und die
C-CURA doch die erwuenschte Wirkung. Die Entscheidung der PRS-Fuehrung wurde
von einem Teil von PRS beziehungsweise C-CURA nicht akzeptiert. Die
prochavistischen Teile der C-CURA kuendigten an, dass sie sich an der PSUV
beteiligen werden. Sie rufen die PRS-Mitglieder auf, ihnen zu folgen, um die
PSUV, die sie als neue historische Etappe in Venezuela feiern, zu einer
"sozialistischen, revolutionaeren und zutiefst demokratischen Partei" zu
machen. Die PRS-Mehrheit verteidigt nach wie vor die Unabhaengigkeit der PRS
und der C-CURA.

In naechster Zeit koennten vermehrt Konflikte zwischen dem chavistischen
Regierungslager und der Arbeiter/innen/bewegung auftreten. Das zeigt nicht
nur die waehnte Einschuechterungsrede des Praesidenten. Ende April wollten
Arbeiter/innen von Sanatarios Maracay nach Caracas fahren, um an einer
Demonstration von FRETECO, des Zusammenschlusses der Arbeiter/innen der
besetzten Betriebe, teilzunehmen. Ihre Busse wurden von der Polizei
gestoppt; als sie daraufhin protestierten, wurden sie von Polizei und
Nationalgarde mit Gummigeschossen und Traenengas angegriffen. 14
Arbeiter/innen wurden verletzt, 21 verhaftet. Auch wenn sie nach zwei Tagen
wieder freigelassen wurden, so traegt doch die Regierung eine Verantwortung
fuer Gouverneur/innen ihrer Partei und auch fuer die Nationalgarde, die
immerhin unter dem Kommando von Bundesbehoerden steht.

Venezuela ist weltweit eines der Laender, in denen antikapitalistische
Entwicklungen am weitesten fortgeschritten sind. Der "bolivarische Prozess"
ist mit Klassenkaempfen in verschiedensten Bereichen verbunden. Die
Solidaritaet der internationalen Linken, sollte dabei nicht den
regierungsamtlichen "Revolutionaer/inn/en" um Chavez gelten, die den
Kompromiss mit der lateinamerikanischen und europaeischen Bourgeoisie suchen
und die revolutionaeren Entwicklungen bremsen, sondern der
Arbeiter/innen/bewegung, also der UNT/C-CURA und der PRS. Einen wesentlichen
Bestandteil der internationalen Solidaritaet sehen wir darin, ihre Kaempfe
und Positionen international bekannt zu machen und die in der
internationalen Linken verbreiteten Chavez-Mythen mit der Realitaet zu
konfrontieren. Internationale Solidaritaet mit den Genoss/inn/en der PRS und
der C-CURA bedeutet aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit ihren
Positionen.
(Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) und AL-Antifaschistische Linke / leicht
gekuerzt)



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin