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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Mai 2007; 14:10
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Venezuela/Analyse
> Der Charakter der Regierung Chavez
und die Entwicklungen des letzten Jahres
Der venezolanische Praesident spricht immer offensiver vom Aufbau eines 
"Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Die Verstaatlichungen wurden 
ausgeweitet, der Austritt aus IWF und Weltbank angekuendigt.
Anlaesslich des EU-Lateinamerika-Gipfels im Mai 2006 in Wien haben wir eine 
ausfuehrliche Analyse des Chavismus vorgelegt (siehe 
http://www.agmarxismus.net/aktartikel/broschuere_venezuela.htm). Im 
folgenden Text wollen wir nach einer kurzen Zusammenfassung unserer 
grundlegenden Einschaetzung vor allem auf die Entwicklungen des letzten 
Jahres eingehen, dabei hinter die radikale Fassade des "bolivarischen 
Sozialismus" blicken und insbesondere die Klassenkonflikte in Venezuela 
untersuchen.
Lateinamerika war in den letzten Jahren der Teil der Welt, in dem der 
Protest gegen die Zumutungen des kapitalistischen Systems am staerksten in 
eine linke Richtung ging.
Der Brennpunkt der Entwicklung ist sicherlich Venezuela, wo die Regierung 
Chavez aufgrund des Oelreichtums des Landes am meisten Spielraum hat - 
sowohl fuer den sozialen Ausgleich im Land als auch in der Aussenpolitik. 
Fuer Teile der europaeischen Linken ist Chavez zum grossen Hoffnungstraeger 
geworden. Fast gibt es schon eine Wiederbelebung der 
Lateinamerika-Solidaritaet der 80er Jahre.
Der Aufstieg des Chavismo
Venezuela ist 2,5 mal so gross wie Deutschland und hat 25 Mio. 
Einwohner/innen, davon 6 Mio. in der Hauptstadt Caracas; 93% leben in 
Staedten. Das Land ist reich an Bodenschaetzen, vor allem Erdoel, aber auch 
Erdgas, Eisen und Bauxit. Durch den Befreiungskrieg (Simon Bolivar) wurde 
Venezuela 1830 unabhaengig. Die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten 
Erdoelvorkommen wurden von US-Konzernen ausgebeutet. Der kleinen 
venezolanischen Oberschicht stand Massenarmut, aber auch ein 
Industrieproletariat (Erdoel- und Stahlindustrie) gegenueber.
1958 teilten sich mit dem Pakt von Punto Fijo die beiden Parteien des 
Establishments (COPEI und AD) die Privilegien und Posten im Land auf. Es gab 
keine starke Linke und die Gewerkschaft CTV war zutiefst korrupt. Die 
Eroelfoerderung war zwar verstaatlicht, aber die Profite gingen dennoch an 
die Multis. 1989 stiess das System an seine Grenzen: eine Hungerrevolte der 
Armen konnte nur noch von Armee und Polizei niedergeschlagen werden; es gab 
3000-4000 Tote und es blieb ein Hass der Massen auf die etablierten Parteien 
zurueck.
1992 revoltierte eine Gruppe von linken Offizieren um Hugo Chavez Frias. Die 
Aktion scheiterte, aber der nun inhaftierte Chavez wurde zur Symbolfigur des 
Widerstandes. 1998 wurde Chavez als Fuehrer der Bewegung fuer die 5. 
Republik (MVR) zum Praesidenten gewaehlt. Er setzte anfangs noch neoliberale 
Massnahmen (Marktliberalisierung im Telekom-Bereich) und kuerzte die 
oeffentlichen Ausgaben. Mit der neuen progressiv buergerlichen Verfassung 
wurde dann die Privatisierung von nationalen Ressourcen und Sozialsystemen 
verboten, gleichzeitig aber auch das Privateigentum garantiert.
Im Fruehjahr 2002 versuchten die rechten Kraefte, unterstuetzt von der 
spanischen und US-Regierung, gegen die aus der MVR und anderen linken 
Parteien bestehende Regierung zu putschen. Chavez wurde voruebergehend 
inhaftiert, nach Massenmobilisierungen der Armen brach der Putsch aber 
zusammen, die Mehrheit der Armee unterstuetzte schliesslich Chavez. Von Ende 
2002 bis Anfang 2003 versuchte es die herrschende Klasse erneut, diesmal mit 
der Sabotage der PDVSA, der verstaatlichten Erdoelindustrie, durch die 
Fuehrungskraefte. Die Arbeiter/innen konnten die Foerderung aber wieder in 
Gang bringen. Das Scheitern der Erdoelsabotage (gefolgt von der Entlassung 
der rechten Fuehrungskraefte) brachte schliesslich die Kontrolle der 
Regierung ueber die PDVSA und damit ueber die Erdoeleinnahmen. Damit wurde 
auch die finanzielle Grundlage fuer die beginnenden Sozialreformen gelegt.
Errungenschaften und Grenzen des Chavismus
Die Regierung Chavez schwankt zwischen dem Druck der Arbeiter/innen/klasse 
einerseits und dem der Kapitalist/inn/en und des Imperialismus andererseits. 
Positiv ist sicherlich die Uebernahme der Kontrolle ueber die PDVSA und die 
hoehere Besteuerung der Erdoelprofite, sowie das kostenlose Gesundheits- und 
Bildungssystem fuer die aermere Bevoelkerung. Dazu kommt das relativ 
demokratische Klima im Land (das allerdings auch nicht idealisiert werden 
sollte - immerhin ist etwa Abtreibung weiterhin verboten). Und auch der 
Bruch der imperialistischen Wirtschaftsblockade gegen Kuba ist der 
Chavez-Regierung positiv anzurechnen.
Gleichzeitig hat sich aber an der Armut der grossen Mehrheit der 
Bevoelkerung nichts substanziell geaendert. Die Loehne bleiben sehr niedrig 
waehrend die Profite steigen. Der Grossgrundbesitz ist im wesentlichen 
unangetastet, die Schulden bei den imperialistischen Banken werden brav 
bedient. Europaeische und US-Oelkonzerne sind in Venezuela ebenso weiter 
gross im Geschaeft wie spanische Banken und Telekom-Firmen. Am 
kapitalistischen Charakter der venezolanischen Wirtschaft hat sich nichts 
geaendert. Die Arbeiter/innen/selbstverwaltung ist sehr beschraenkt und 
insbesondere die PDVSA (das wichtigste Unternehmen im Land, das mit den 
hohen Oeleinnahmen den wirtschaftlichen Spielraum fuer die Regierung 
schafft) davon ausgenommen. Der Staatsapparat ist weiterhin ein abgehobener 
buergerlicher, der nicht von den Lohnabhaengigen kontrolliert wird.
Der Chavismus hat ausserdem eine Orientierung auf eine Zusammenarbeit mit 
neoliberalen Regierungen wie Lula (Brasilien) oder Kirchner (Argentinien) 
und setzt auf einen Kompromiss mit Teilen des Kapitals. So sind, trotz aller 
Erdoeleinnahmen, substanzielle Aenderungen der Gesellschaft nicht moeglich, 
weil jede ernsthafte Infragestellung der Klassenverhaeltnisse den 
angestrebten Ausgleich mit dem Kapital gefaehrden wuerde. Es handelt sich 
beim "bolivarischen Prozess" um ein buergerliches Reform- und nationales 
Entwicklungsprojekt, das groessere Unabhaengigkeit vom US-Imperialismus 
anstrebt und dessen Sozialprogramme vom hohen Erdoelpreis abhaengig sind. 
Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", von dem Chavez spricht, hat nichts 
mit einer Zerstoerung des buergerlichen Staatsapparates und einer 
Ueberwindung der kapitalistischen Produktionsverhaeltnisse zu tun, sondern 
viel mehr mit einem gelenkten Kapitalismus.
Aufgrund der hohen Erdoeleinnahmen und weil der US-Imperialismus 
militaerisch zurzeit stark im Mittleren Osten gebunden ist, gibt es durchaus 
die Moeglichkeit, dass sich das halbherzige Reformprojekt der Regierung 
Chavez noch eine Zeit lang halten kann. Laengerfristig ist es aber durchaus 
wahrscheinlich, dass der Chavismus zwischen dem Druck der herrschenden 
Klasse, die die Reformen begrenzen und zurueckdraengen will, und den 
enttaeuschten Hoffnungen der Massen zerrieben wird. Letztlich wird sich 
entscheiden muessen, ob der "revolutionaere Prozess" stecken bleibt oder ob 
er in die Offensive gelangt und den Kapitalismus beseitigt. Dass die dem 
Kompromiss mit dem Kapital verpflichteten "bolivarischen Kraefte" dazu in 
der Lage sind, muss bezweifelt werden. Deshalb kommt der politischen und 
organisatorischen Unabhaengigkeit der Arbeiter/inn/enklasse entscheidende 
Bedeutung zu.
Arbeiter/innen/organisationen in Venezuela
Die Buerokratie der Gewerkschaft CTV beteiligte sich 2002/03 an der 
konterrevolutionaeren Erdoelsabotage. Die Mehrheit der Beschaeftigten 
hingegen brachte die Produktion wieder ins Laufen. Diese Phase der 
Arbeiter/innen/kontrolle in PDVSA und einigen anderen Industrien war eine 
Erfahrung, die deutlich machte, dass es auch ohne Chefs geht. Erstmals 
traten die Lohnabhaengigen als eigenstaendige Klasse auf.
In der Folge wurde im Maerz 2003 auch eine neue Gewerkschaft gegruendet, die 
UNT, in der sich Gewerkschafter/innen der chavistischen Organisationen FBT 
und MVR, der stalinistischen PCV, der trotzkistischen OIR, verschiedene 
Arbeiter/innen/kollektive und Teilgewerkschaften zusammentaten. Es bestanden 
von Anfang an drei Fluegel in der UNT: ein buerokratischer Fluegel aus 
uebergelaufenen CTV-Funktionaer/inn/en, ein chavistischer Fluegel um die FBT 
und ein klassenkaempferischer Fluegel (die Clasistas). Die UNT konnte die 
CTV in Bezug auf Mitgliederzahl und vor allem Mobilisierungskraft rasch 
ueberfluegeln.
Im Juli 2005 kam es schliesslich zur Gruendung der PRS, der Partido 
Revolucion y Socialismo, aus der OIR, einem grossen Teil der Clasistas, 
verschiedenen Arbeiter/innen/kollektiven und Student/innen/gruppen. Die 
zentralen Kader der PRS sind zu einem guten Teil identisch mit denen der 
Clasistas. Die neue Partei positionierte sich fuer eine fuehrende Rolle der 
Arbeiter/innen/klasse in der Revolution, fuer Arbeiter/innen/kontrolle ueber 
die Produktion, fuer die Enteignung der Bourgeoisie und eine sozialistische 
Perspektive.
Manche Betriebe wurden von den Belegschaften uebernommen, die ehemaligen 
Besitzer vom Staat entschaedigt: die Papierfabrik Venepal und das Ventilwerk 
CNV. Experimente mit betrieblicher Mitbestimmung der Beschaeftigten gibt es 
beim staatlichen Stromversorger CADAFE und in der Aluminiumfabrik ALCASA. 
Diese Betriebe machen freilich nur einen Bruchteil der venezolanischen 
Oekonomie aus. Die Regierung agiert insgesamt ausgesprochen legalistisch und 
uebernimmt Betriebe nur in Kooperation mit den Chefs. Und der zentrale 
Bereich der venezolanischen Wirtschaft, die PDVSA, wurde explizit von allen 
Experimenten ausgenommen.
Repressalien und Buerokratismus
Unter der Regierung Chavez gibt es fuer die Lohnabhaengigen gewisse 
Errungenschaften beim Kuendigungsschutz und der Organisationsfreiheit. Es 
gibt es im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Laender ein 
demokratisches Klima. Auch die Repression gegen die Arbeiter/innen/bewegung 
ist bisher ziemlich gering. Dennoch bleiben Staat und Regierung buergerlich, 
d.h. dem Funktionieren der kapitalistischen Produktionsverhaeltnisse 
verpflichtet. Es gibt es immer wieder eine Kooperation zwischen 
Nationalgardisten und Grossgrundbesitzern gegen AktivistInnen der linken 
Bauern/Baeuerinnen-Bewegung FNCEZ.
2005 sah die Polizei den Uebergriffen bewaffneter Schlaeger der Firma 
Bridgestone/Firestone gegen die Belegschaft tatenlos zu. Bei der 
pharmazeutischen Firma RACE wurden drei Aktivisten entlassen, weil sie eine 
Betriebsgruppe gruenden wollten. Im Mai 2006 wurden im Bundesstaat Barimas 
ueber 40 Anhaenger/innen der FNCEZ (darunter neun Kinder und sieben Frauen) 
von der Polizei verhaftet, misshandelt und gedemuetigt, weil sie als 
Landbesetzer/innen verdaechtigt wurden.
Spaltung innerhalb der Gewerkschaft UNT
Nachdem es bereits im April 2006 Angriffe der chavistischen FBT gegen die 
linken Clasistas gegeben hatte und die chavistischen Teile der UNT 
wiederholt die Abhaltung eines Kongresses und demokratischer Wahlen 
hinausgezoegert hatten, kam es im Mai 2006 schliesslich zur Spaltung der 
UNT. Die Fuehrung der Clasistas, die sich nun C-CURA nannten, hatte auf dem 
Kongress noch einen Kompromiss mit der FBT gesucht. Der Druck der Basis, die 
Fuehrung endlich demokratisch zu waehlen, war aber ueberwaeltigend. Die 
Abstimmung ergab eine 2/3-Mehrheit fuer die C-CURA.
Diese demokratische Entscheidung wurde von den Chavist/inn/en nicht 
anerkannt. Die FBT spalteten die UNT. Sie kontrollierten in der Folge den 
Apparat und die Gewerkschaft des oeffentlichen Dienstes, waehrend saemtliche 
Arbeiter/innen/gewerkschaften die UNT-Mehrheit um die C-CURA unterstuetzen.
Massnahmen gegen Arbeiter/innen/bewegung
Im Juni 2006 loeste die Polizei eine Strassenblockade von protestierenden 
Arbeiter/innen unter Einsatz von Traenengas, Gummigeschossen und 
Schlagstoecken auf; zwoelf Arbeiter/innen wurden verhaftet, der chavistische 
Staatsanwalt forderte 4-8 Jahre Haft wegen "Blockade einer oeffentlichen 
Strasse". Im Juli 2006 wurde eine Demonstration der UNT-Mehrheit und der 
FNCEZ in Caracas vom chavistischen Innenministerium verboten (trotzdem 
nahmen ueber 6.000 Menschen daran teil).
Im August 2006 wurden die Gewerkschaftsvertretungen bei PDVSA neu gewaehlt. 
Dabei kam es in der Foerderregion Puerta la Cruz in Ostvenezuela zu einer 
wesentlichen Aenderung. Die Erdoelgewerkschaft Fedepetrol war hier weiter 
von der reaktionaeren CTV kontrolliert gewesen. Die C-CURA kandidierte unter 
der Fuehrung von Jose Boda. Gegen die Prekarisierung forderte sie die 
rechtliche Gleichstellung aller Arbeiter/innen. Ausserdem verlangte sie, 
dass kein Gewerkschaftsfunktionaer ohne die Zustimmung einer 
Belegschaftsversammlung irgendetwas unterschreiben darf. Der chavistische 
Wahlrat CNE unterstuetzte hier die korrupte und reaktionaere CTV! Trotzdem 
schaffte die linke Liste von Jose Boda die Mehrheit.
SIDOR ist das groesste Stahlwerk Venezuela, in dem nach der Privatisierung 
1998 etwa 15.000 Arbeiter/innen beschaeftigt sind, davon Tausende ueber 
private Leiharbeitsfirmen. Loehne werden oft lange nicht bezahlt, 
Sozialleistungen immer wieder gar nicht erbracht, die Arbeitssicherheit ist 
schlecht. Die Leiharbeiter/innen haben niedrigere Loehne und weniger Rechte. 
Im Juni 2006 konnte durch eine Blockade der Werkstore durchgesetzt werden, 
dass bei einer Subfirma die Loehne erhoeht werden. Im Spaetsommer 2006 
wurden fuenf Arbeiter von der Nationalgarde unter dem Vorwurf der "Aneignung 
von Fabrikmaschinen" inhaftiert. Darauf brachte die 
Stahlarbeiter/innen/gewerkschaft SUTISS, die der UNT-Mehrheit angeschlossen 
ist, die Produktion weitgehend zum Stehen und die Stadt Puerto Ordaz zum 
kompletten Stillstand. Durch eine Massendemonstration vor dem Justizpalast 
wurde die Freilassung der fuenf Arbeiter erzwungen. Der chavistische 
Gouverneur der Bundesstaates Bolivar, Francisco Rangel Gomez, verurteilte 
die Proteste und nannte die fortgesetzte Militanz der Gewerkschaften 
woertlich "Gewerkschaftsterrorismus".
All diese Beispiele zeigen, dass die Regierung Chavez keine Regierung der 
Arbeiter/innen/klasse ist und schon gar keine antikapitalistische Regierung. 
Die staatlichen gefoerderten Kooperativen senken zwar die Arbeitslosigkeit, 
foerdern aber durch extrem niedrige Loehne, (Selbst-) Ausbeutung und 
fehlende Gewerkschaften zugleich die Prekarisierung. Die Arbeitsbedingungen 
bei den staatlichen Lebensmittelgeschaeften der Mission Mercal sind 
miserabel. Insgesamt sind die Realloehne gesunken. An einer eigenstaendigen 
und klassenkaempferischen Arbeiter/innen/bewegung ist der Chavismus nicht 
interessiert.
Verstaatlichungen
Im Herbst 2006 setzte die Regierung auf ein relativ demokratisches Auftreten 
und stellte den Konflikt mit der kaempferischen Arbeiter/innen/bewegung 
zurueck. Schliesslich galt es im Dezember Praesidentschaftswahlen zu 
schlagen und sich dafuer die Unterstuetzung des Proletariats zu sichern.
Aus den Wahlen im Dezember ging der Chavismus gestaerkt hervor, obwohl das 
Ergebnis nicht so berauschend war wie angestrebt und die Wahlenthaltung sehr 
hoch war. Es folgten verbale Bekenntnisse des Praesidenten zum "Sozialismus 
des 21. Jahrhunderts" und radikale Sprueche bis hin zu einem Kokettieren mit 
dem Trotzkismus. Am 1. Mai 2007 kuendigte Chavez den Austritt aus IWF und 
Weltbank an, da diese "Instrumente des amerikanischen Imperialismus" seien. 
Die Verstaatlichungspolitik wurde fortgesetzt, allerdings mit einer 
Konsensorientierung gegenueber den Besitzer/innen.
Bedeutender ist die Fortsetzung der Verstaatlichungen der Erdoelindustrie. 
Bereits seit 2006 wurde der Grossteil der Erdoelfelder von Joint Ventures 
ausgebeutet, in denen die westlichen Konzerne Minderheitspartner sind und 
die von PDVSA kontrolliert werden. Mit einem Erlass von Februar 2007 wurde 
das nun auch auf das Orinoco-Gebiet (Westvenezuela) ausgedehnt. Da das 
dortige Schweroel mittlerweile raffiniert werden kann, werden in diesem 
Gebiet die groessten Erdoelreserven der Welt vermutet; die Regierung haelt 
bis zu 1370 Mrd. Barrel fuer moeglich (derzeit hat Venezuela bestaetigte 
Reserven von 80 Mrd. Barrel).
Im Orinoco-Gebiet foerdern derzeit die vier Joint Ventures Ameriven, Cerro 
Negro, Petrozuata und Sincor, an denen zwar jeweils PDVSA beteiligt ist, die 
aber mehrheitlich im Eigentum von BP, Exxon/Mobil, Chevron, ConocoPhillips, 
Total und Statoil sind. Nach dem Chavez-Erlass muss PDVSA zukuenftig jeweils 
mindestens 60% kontrollieren und die westlichen Konzerne muessen sich bis 
Ende Juni entscheiden, ob sie darauf einsteigen oder das Land verlassen. 
Ausser Exxon/Mobil und Chevron suchen bereits alle intensiv nach einem Deal. 
Fuer die Uebernahme der Unternehmensanteile sucht die Regierung das 
Einvernehmen mit den Konzernen, wobei sowohl Auskaufen (10 Mrd. $, die 
Venezuela nicht hat) als auch Auszahlen in Oel im Gespraech sind.
Gegenueber den Beschaeftigten ist PDVSA weniger grosszuegig. Die Joint 
Ventures, also PDVSA und die Multis, haben ohnehin schon Schulden bei den 
Belegschaften. Nun haben sie auch die Kollektivvertragsverhandlungen 
aufgekuendigt. Dadurch laufen einfach die alten Kollektivvertraege weiter, 
was bei einer Inflation von 18% erhebliche Reallohnverluste bedeutet.
Chavistische Einheitspartei PSUV
Nach dem Wahlsieg im Dezember hatte Chavez auch angekuendigt, dass all jene 
Kraefte, die den "bolivarischen Prozess" unterstuetzen, nun auch eine 
gemeinsame Partei gruenden wuerden, die Partei der sozialistischen Einheit 
Venezuelas (PSUV). Seitdem wird an der Formierung der neuen Partei 
gearbeitet. Dabei ist klar geworden, dass die von Chavez abhaengigen 
Staatsfunktionaere dominieren. An der Bildung der PSUV beteiligen sich auch 
Funktionaere der alten Linken, Teile der chavistischen "nationalen 
Bourgeoisie" und chavistische Basisorganisationen. Die entscheidende Rolle 
spielt aber die Schicht von Gouverneur/inn/en, Parlamentarier/inne/n, 
Buergermeister/inne/n, Armee- und Polizeioffizieren, die in der 
Chavez-Partei MVR konzentriert sind. Aber auch die Buendnisparteien der MVR 
in der Regierung, sind vom Projekt der Einheitspartei PSUV keineswegs so 
begeistert. Tatsaechlich lehnen die aus stalinistischer Tradition kommende 
PCV und die beiden linken, reformistischen Parteien PPT und Podemos einen 
raschen Zusammenschluss ab. Hinter diesem Konflikt stehen buerokratische 
Interessen. Die kleineren Regierungsparteien hatten bisher durch eine Art 
Proporzsystem eine bestimmte Menge an Posten in Regierung, Parlament und 
Rathaeusern garantiert. Chavez verlangt nun die Aufloesung der Parteien in 
die PSUV; da es in dieser neuen Partei wohl kaum Fraktionsrechte oder 
aehnliches geben wird, wuerden PPT, Podemos und PCV ihre eigenen Strukturen 
verlieren. Teile der drei Parteien sehen ihre Zukunft allerdings bereits 
jetzt in der PSUV und unterstuetzen offen Cavez gegen ihre eigenen 
Fuehrungen. Am 24. Maerz fand eine PSUV-Grossveranstaltung mit ueber 2000 
ausgewaehlten Gaesten statt. Die klassenkaempferischen Gewerkschafter/innen 
der C-CURA wurden von Polizei/Security nicht in den Saal gelassen. 
Hauptredner war natuerlich Chavez selbst, der sich in seiner dreistuendigen 
Ansprache nur 10 Minuten ueber die Gewerkschaften aeusserte, dabei aber 
deutlich wurde: Die neuen Gewerkschaften [also die UNT] seien "vom 
buergerlichen Gift der 4. Republik [also der vor-Chavez-Aera] getraenkt", 
weil sie die Unabhaengigkeit der Gewerkschaften von Parteien und Regierung 
verteidigen. Mit einer eigenwilligen Berufung auf Lenin und Luxemburg 
erklaerte Chavez, dass die Gewerkschaften nicht unabhaengig von PSUV und 
Regierung sein koennten.
Die Gewerkschaftsfuehrer/innen muessten sich einigen oder verschwinden. Da 
ja seine eigenen Leute die UNT gespalten hatten, ist hier wohl eine Einigung 
auf der diktierten Linie des Praesidenten gemeint. Jedenfalls werde er, 
Chavez, keine Gewerkschaftsvertreter/innen mehr empfangen, solange sie 
zerstritten seien. Worum es Chavez hier geht, ist eindeutig eine 
Unterordnung der UNT unter Staat und Regierung, eine Verstaatlichung der 
Gewerkschaften.
Situation der Arbeiter/innen/bewegung
Seit dem Sommer 2006 ist der Einfluss der UNT-Mehrheit um die C-CURA weiter 
angewachsen. Sie dominiert die Industriegewerkschaften, besonders in der 
zentralen Industrieregion Carabobo/Aragua. Seit Jose Bodas Wahlsieg spielt 
sie auch in den Erdoelfoerdergebieten eine immer wichtigere Rolle. In 
Carabobo wurden auf einem Plenum mit 490 Delegierten Gewerkschaftswahlen 
eingeleitet, wodurch diese Region spaetestens Ende Juli die einzige wirklich 
demokratisch legitimierte Gewerkschaftsfuehrung des Landes haben wird.
Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden, dass die C-CURA im letzten 
dreiviertel Jahr auch immer wieder dem chavistischen Druck nachgegeben hat. 
So hat etwa die C-CURA zum Zuge der Praesidentschaftswahl eine gemeinsame 
Wahlliste mit der rechtschavistischen UPV gebildet. Teilweise hat die C-CURA 
versucht, sich als die besseren Chavistas darzustellen. Teilweise sind sie 
fuer eine verfassungsgebende Versammlung eingetreten und haben die 
reformistische Illusion verbreitet, der Sozialismus koenne ueber das 
Parlament eingefuehrt werden.
Eine wichtige Frage fuer die klassenkaempferischen Teile der 
Arbeiter/innen/bewegung ist auch das Verhalten gegenueber der PSUV. In der 
C-CURA gibt es Tendenzen, sich als radikaler, gewerkschaftlicher Fluegel an 
diesem linken Einheitsprojekt zu beteiligen und damit den Bemuehungen des 
Chavismus zur Kanalisierung von radikaleren Kraeften nachzugeben. Es wird 
fuer die venezolanische Arbeiter/innen/klasse entscheidend sein, ob die 
UNT-Mehrheit um die C-CURA ihre Unabhaengigkeit von einer reformistischen 
Partei wie der PSUV und von einer links-buergerlichen Regierung bewahren 
kann.
Anders als fuer eine Gewerkschaft, kann fuer eine revolutionaere 
Partei/Organisation die Teilnahme an einer in Formierung befindlichen 
reformistischen Partei unter bestimmten Bedingungen (Zustrom von 
Basisaktivist/inn/en, anstehende Konflikte zwischen Fuehrung und Basis, 
Moeglichkeit der Propaganda fuer revolutionaere Positionen) zeitweilig 
moeglich sein. Ob die Bedingungen fuer einen solchen Entrismus in der PSUV 
vorhanden sind oder ob der buerokratische Apparat um Chavez von Anfang an 
jede freie Diskussion im Keim erstickt, muesste konkret eingeschaetzt 
werden.
Die PRS ist aber noch im Parteibildungsprozess stecken geblieben und hat es 
in den bald zwei Jahren seit ihrer Gruendung verabsaeumt, funktionierende 
Basisstrukturen und eine politisch vereinheitlichte und handlungsfaehige 
Kaderorganisation aufzubauen. Ohne diese Voraussetzungen waere eine 
Entrismus-Taktik in die PSUV verantwortungslos.
Die PRS-Fuehrung hat jedenfalls im April 2007 beschlossen, sich nicht an der 
PSUV zu beteiligen und als PRS eigenstaendig zu bleiben.
Auch die C-CURA reagierte auf die Rede von Chavez auf der PSUV-Versammlung 
Ende Maerz erst mal mit Widerstand. Als Antwort auf die Angriffe von Chavez 
auf die UNT/C-CURA veroeffentlichten alle fuehrenden C-CURA-Kader (inklusive 
der sehr Chavismus-freundlichen) einen Brief, der zwar im Ton eher sanft 
formuliert war, der aber recht deutlich die Notwendigkeit der 
Unabhaengigkeit der Klassenorganisationen des Proletariats von der Regierung 
verteidigte. Und in einem langen Interview mit APORREA, der wichtigsten 
linken Internet-Zeitung in Venezuela, argumentierte Chirino deutlich klarer 
und schaerfer gegen Regierung und Chavez als zuletzt und stellte dabei auch 
in den Raum, dass sich die C-CURA nicht an der PSUV beteiligen koennte.
Schliesslich zeigte aber offenbar der Druck von Chavez auf die PRS und die 
C-CURA doch die erwuenschte Wirkung. Die Entscheidung der PRS-Fuehrung wurde 
von einem Teil von PRS beziehungsweise C-CURA nicht akzeptiert. Die 
prochavistischen Teile der C-CURA kuendigten an, dass sie sich an der PSUV 
beteiligen werden. Sie rufen die PRS-Mitglieder auf, ihnen zu folgen, um die 
PSUV, die sie als neue historische Etappe in Venezuela feiern, zu einer 
"sozialistischen, revolutionaeren und zutiefst demokratischen Partei" zu 
machen. Die PRS-Mehrheit verteidigt nach wie vor die Unabhaengigkeit der PRS 
und der C-CURA.
In naechster Zeit koennten vermehrt Konflikte zwischen dem chavistischen 
Regierungslager und der Arbeiter/innen/bewegung auftreten. Das zeigt nicht 
nur die waehnte Einschuechterungsrede des Praesidenten. Ende April wollten 
Arbeiter/innen von Sanatarios Maracay nach Caracas fahren, um an einer 
Demonstration von FRETECO, des Zusammenschlusses der Arbeiter/innen der 
besetzten Betriebe, teilzunehmen. Ihre Busse wurden von der Polizei 
gestoppt; als sie daraufhin protestierten, wurden sie von Polizei und 
Nationalgarde mit Gummigeschossen und Traenengas angegriffen. 14 
Arbeiter/innen wurden verletzt, 21 verhaftet. Auch wenn sie nach zwei Tagen 
wieder freigelassen wurden, so traegt doch die Regierung eine Verantwortung 
fuer Gouverneur/innen ihrer Partei und auch fuer die Nationalgarde, die 
immerhin unter dem Kommando von Bundesbehoerden steht.
Venezuela ist weltweit eines der Laender, in denen antikapitalistische 
Entwicklungen am weitesten fortgeschritten sind. Der "bolivarische Prozess" 
ist mit Klassenkaempfen in verschiedensten Bereichen verbunden. Die 
Solidaritaet der internationalen Linken, sollte dabei nicht den 
regierungsamtlichen "Revolutionaer/inn/en" um Chavez gelten, die den 
Kompromiss mit der lateinamerikanischen und europaeischen Bourgeoisie suchen 
und die revolutionaeren Entwicklungen bremsen, sondern der 
Arbeiter/innen/bewegung, also der UNT/C-CURA und der PRS. Einen wesentlichen 
Bestandteil der internationalen Solidaritaet sehen wir darin, ihre Kaempfe 
und Positionen international bekannt zu machen und die in der 
internationalen Linken verbreiteten Chavez-Mythen mit der Realitaet zu 
konfrontieren. Internationale Solidaritaet mit den Genoss/inn/en der PRS und 
der C-CURA bedeutet aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit ihren 
Positionen.
(Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) und AL-Antifaschistische Linke / leicht 
gekuerzt)
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