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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. April 2007; 17:02
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Glosse:
> Volkswirtschaft und Volksgesundheit
Ein Kraut und Rueben-Artikel
Eine vom Betriebsrat der Lebenshilfe Salzburg organisierte Fahrt fuehrte am 
31. Maerz ins Schloss Hartheim, die groesste Euthanasieanstalt im "Dritten 
Reich". Dort sind dem "rassenhygienischen" Handeln waehrend der Nazizeit 
etwa 30.000 Personen zum Opfer gefallen. Die Ausstellung macht ein Plakat 
sichtbar, auf dem gezeigt wird, dass sich "minderwertiges Leben" im 
Vergleich zu ‚hochwertigen' Menschen ueberproportional vermehren koennte, 
die Botschaft war unmissverstaendlich: Wuerde es kein Regulativ geben, 
wuerden die ‚hochwertigen' Menschen in der Mindheit sein.
Sehr unmittelbar faellt auf, dass Rechenbeispiele wie diese heute noch 
Gueltigkeit besitzen. Vielerorts wird vorgerechnet, wie die demographische 
Entwicklung verlaufen koennte, wenn die Geburtenrate von Menschen mit 
migrantischem Hintergrund einen hoeheren Prozentsatz erreicht. Ein 
Bedrohungsbild wird geschaffen. Gleichzeitig wird die "Ueberalterung" der 
Gesellschaft in einer Art und Weise kommuniziert, die Menschen hohen Alters 
als Belastungskriterium und Kostenfaktor definiert. "Alte" Menschen kosten, 
ohne nuetzlich im Sinne der kapitalistischen Verwertbarkeit zu sein. Ein 
weiteres Bedrohungsbild wird inszeniert: "Menschen mit Behinderung" werden 
zunehmend im Kontext einer Nuetzlichkeitsdebatte betrachtet. Eugenische 
Massnahmen, wie die praenatale Diagnostik bedingen nicht die Solidaritaet 
der Gesellschaft, sondern eine Haltung, die es als Selbstverstaendlichkeit 
erscheinen laesst, ein Kind mit einer Behinderung als persoenliche 
Ueberlastung zu definieren, bedingen eine Haltung, die eine Legitimitaet 
erzeugt, diesem Kind erst gar keine Lebenschance zu bieten. Um nicht 
missverstanden zu werden: es geht nicht darum, dass jede Frau fuer sich 
entscheiden muss, ob sie sich ihr Leben mit oder ohne Kinder vorstellen 
moechte, es geht darum, dass die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen 
so gestaltet werden, dass "Menschen mit Behinderung" als Belastung definiert 
sind. Die Gesetzgebung sichert eine Orientierung ab, die darauf abzielt, 
dass "Menschen mit Behinderung" nicht unbedingt geboren werden muessen. Dem 
individuellen Entscheidungsrecht der betroffenen Frau stellt sich eine 
Gesellschaft entgegen, die Verantwortung personalisiert. Sichtbar geworden 
ist dies etwa in der aktuellen Budgetdebatte zur Verteilung der Mittel. Die 
Ausgaben im Bereich des Sozialen seien jetzt schon viel zu hoch und wuerden 
eine gesunde Volkswirtschaft gefaehrden.
Beinahe nahtlos schliesst sich daran die Debatte um die neue 
fremdenpolizeiliche Eingreiftruppe in Salzburg an (siehe akin-pd 13.3.2007). 
Weder die Kriminalisierungsmuster, die sich auf eine angeblich 
"schockierende Gewaltbereitschaft" oder ein "Ansteigen der kriminellen 
Energie" beziehen, noch ihre unreflektierte Uebernahme bzw. gezielte 
Verfestigung durch die buergerlichen Medien sind neu. Neu sind die Qualitaet 
der Demaskierung, sowie die offene Ankuendigung und Aggressivitaet der 
positiven Bestaetigung kuenftiger Verfolgung aufgrund vermuteter 
Herkunftskriterien.
Die Erzeugung eines Klimas der Angst wurde nicht einfach hingenommen. 
Menschen aus den unterschiedlichsten Menschenrechtszugaengen heraus haben 
sich zusammengefunden, um ihrer Empoerung Ausdruck zu verleihen: "Wir sehen 
nicht widerspruchslos zu, wenn pro Einsatztag 300 bis 400 Menschen .... 
durch eine Spezialeinheit mit hohem Aggressionsniveau bis in ihre privaten 
Wohnungen hinein verfolgt werden sollen. Wir moechten nicht in einer Stadt 
leben muessen, in der Fremdenhetze durch eine weitere Hochruestung des 
staatlichen Repressionsapparates gesellschaftlich - insbesondere medial --  
legitimiert wird. ..."
Was haben Nationalsozialismus, Faschismus, Menschen mit migrantischem 
Hintergrund, Menschen mit "Behinderung" und aeltere Menschen miteinander zu 
tun? Werden da nicht Kraut und Rueben durcheinandergemischt? Die Geschichte 
wiederholt sich nicht. Aber sie sorgt dafuer, dass im kollektiven 
Gedaechtnis Normen und Werte bestehen bleiben. Im "Dritten Reich" waren die 
Juedinnen und Juden eine der Gruppen, die aufgrund des tradierten 
Antisemitismus erst vertrieben, dann getoetet wurden. Heute werden 
MigrantInnen, abgesichert durch menschenverachtende Fremdenrechtspakete Not, 
Elend und dem Tod ausgesetzt. Sie sind jene an den Rand gedraengte Gruppe, 
die offen der Verfolgung preisgegeben wird. Andere Gruppen werden 
schleichend infolge spezifischer Regulative an den Rand gedraengt: aeltere 
Menschen werden dafuer verantwortlich gemacht, der Gesellschaft einen 
‚Pflegenotstand' zuzumuten, immer lauter wird die Frage gestellt, ob es denn 
wirklich noetig sei, dass "Menschen mit Behinderung" zur Welt kommen. 
Vorarlberg hob in seinem Bericht "Die natuerliche Bevoelkerungsbewegung im 
Jahre 2001" hervor: "17 Kinder wurden mit Missbildungen geboren ... Mit dem 
Down-Syndrom wurden im Jahr 2001 keine Kinder geboren." Die Mittel und 
Methoden veraendern sich. Ihnen liegt eine Geisteshaltung zugrunde, der wir 
in der Menschheitsgeschichte immer wieder begegnen, eine Geisteshaltung, die 
Menschen in Brauchbare und Unbrauchbare teilt, als nuetzlich definiert, wenn 
sie als verwertbares Humankapital funktionieren. Es draengt sich die Frage 
auf, wer von dieser Geisteshaltung profitiert. Es draengt sich die Frage 
auf, welche gesellschaftlichen Kraefte ein Interesse daran haben, die 
Unmenschlichkeit zur Norm zu erklaeren.
*Rosi Krenn/DAZ/gek.*
Volltext: 
http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=680&Itemid=104
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