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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Maerz 2007; 16:41
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Kommentar der Anderen:
> Vom Hooligan zum Ueberwachungsstaat
Zur gesamtgesellschaftlichen Logik einer fussballspezifischen Diskussion
Ein Gespenst geht um in Oesterreich: Das Gespenst des Hooliganismus
verschreckt Medien, Polizei und VertreterInnen des Staates gleichermassen.
Mordende und brandschatzende Horden primitiven Mobs ziehen durch Strassen
und Stadien und sind drauf und dran, die gutbuergerliche Ordnung
durcheinander zu bringen. Mit einem Ansteigen dieses Phaenomens wird im
Allgemeinen im Jahr 2008 zur Europameisterschaft in Oesterreich und der
Schweiz gerechnet.
So stellt sich die Berichterstattung in den meisten Medien nach den
"Ausschreitungen" am 4. Maerz im Wiener Derby Austria Wien gegen Rapid Wien
dar. Die Antworten und Forderungen lassen sich in einem Wort zusammenfassen:
Repression. Praeventivhaft fuer "Hooligans", staerkeres Einschreiten der
Polizei und eine bessere Ueberwachung der Stadien wird gefordert.
Unverstaendnis fuer Fankultur
Seit Jahren ist sowohl bei den Klubverantwortlichen als auch bei Polizei und
Medien eine absolute Verstaendnislosigkeit gegenueber der Fankultur zu
beobachten. Konkretes Beispiel dafuer war etwa der Kommentar des
ORF-Moderators zum Spiel am 4. Maerz, als zum 15. Geburtstag eines Fanclubs
in der 15. (!) Minute eine Choreographie auf der Tribuene der Austria-Fans
zelebriert wurde. Der Moderator begriff den Zusammenhang nicht und fand die
Einlage entbehrlich. Nun mag dies ein laecherlich erscheinender Vorfall sein
angesichts der Gewaltausbrueche, doch ist dieses Unverstaendnis gegenueber
den Beduerfnissen und Wuenschen der Fans typisch. Aehnliches gilt fuer
Fehldeutungen der Spannungen auf den Tribuenen.
Ein weiteres Beispiel vom Sonntag sind die extra fuer das Spiel angebrachten
meterhohen Werbebanden direkt vor (!) den Fantribuenen, welche den Fans in
den ersten Reihen die Sicht aufs Spielfeld nahmen. Noch deutlicher kann man
wohl nicht zeigen, wie wenig die Interessen der ZuschauerInnen in den
Fanblocks zaehlen.
In der gesamten Berichterstattung vermischen sich zwei verschiedene Themen:
auf der einen Seite das Thema der Gewalt in den Stadien und zweitens das der
entwickelten Fankultur, die allzu oft einfach mit den Aktivitaeten der
Hooligans gleichgesetzt wird. Auch die vorgeschlagenen Massnahmen, um die
Gewalt aus den Stadien zu bekommen richten sich gegen die gesamte Fankultur
und nicht nur gegen die einzelnen Gewalttaeter.
Die "Hooligan"-Datei
Ein im Nachrichtenmagazin "Profil" erschienener Artikel ("Der A-Hooligan",
profil 11, Seite 28) zeigt, wohin die Reise der naechsten Jahre gehen soll:
Kriminalisierung der Fan- und Massenkultur insgesamt.
Diesem Artikel ist zu entnehmen: "In der Hooligan-Datei, fuer die Marek
(Sicherheitsbeauftragte des Innenministeriums fuer die Europameisterschaft
2008, Anm.) nun auch zustaendig ist, gibt es drei Kategorien: A-Hooligans
sind fussballbegeistert, aber nie ausfaellig. B-Hooligans sind nicht
grundsaetzlich gewalttaetig, aber in bestimmten Lebenslagen, etwa wenn sie
zu viel getrunken haben, werfen sie schon einmal mit Flaschen um sich oder
schlagen jemanden nieder. Die ganz ueblen Kerle bekommen ein C verpasst, was
fuer die Polizei ungefaehr so viel bedeutet wie: Pfeift aufs Spiel, will nur
Krawall machen."
Die hier uebernommene Kategorisierung ist nicht neu sondern stammt aus den
1980er Jahren. Sie kategorisierte die Fans als Gesamtpublikum. Hooligans
wurden von der Polizei fuer gewoehnlich in die Kategorie C eingeordnet. Der
Artikel behandelt aber alle ZuschauerInnen eines Fussballspiels als
Hooligans.
Wenn auch von der Autorin wohl nicht beabsichtigt, so zeigt dieser Artikel
dadurch den wahren Zweck einer Hooligan-Datei sehr gut auf. Sie ist
vergleichbar mit jener Datei, welche in Deutschland im Zuge der
RAF-Ermittlungen vom Bundesverfassungsschutz aufgebaut wurde. Unter dem
Vorwand, gegen TerroristInnen zu ermitteln, enthielt diese Datei am Ende
Daten von 4,7 Millionen (!) Menschen, gegen welche aus irgendeinem Grund
einmal wegen "Terrorismus" Verdacht erhoben wurde. Aehnlich breit koennte
auch die Hooligan-Datei in Oesterreich zum Einsatz kommen. Was dann mit
"Hooligans" beginnt und mit normalen Fans, welche per Zufall in eine
Amtshandlung der Polizei geraten, laesst sich dann sehr schnell auf
DemonstrantInnen, GewerkschafterInnen und politische AktivistInnen
ausweiten.
Gewalt im Stadion
Die Ausschreitungen, die am 4. Maerz auch im Fernsehen zu sehen waren, gehen
dabei zu einem grossen Teil auf die Rechnung der Polizei selbst. Bereits im
Vorfeld des Fussballspiels versuchte man, mit einem grossen
Polizeikontingent zu "deeskalieren". Wie jedoch Polizisten in voller
Kampfmontur mit Helmen und Plexiglasvisier sowie Einheiten der Hundestaffel
"deeskalierend" wirken sollen, ist ein Raetsel. Durch massive
Polizeipraesenz wird gerade bei grossen Spielen eine aufgeheizte Stimmung
erzeugt, welche relativ rasch kippen kann.
Der Sturm der Fantribuene der Rapidfans erfolgte dann aus nichtigen Gruenden
heraus (wie etwa das Bewerfen der Einsatzeinheiten mit Bierbechern und
Plastikfahnen). Dabei war dieser Sturm natuerlich gegen alle 2000 Fans auf
der Tribuene gerichtet und haette mit etwas Pech zum Entstehen einer
Massenpanik mit ernsthaften Konsequenzen fuehren koennen. Auch die
aggressiven Handlungen von Teilen der Rapid-Fans, wie etwa das Werfen mit
Holzbaenken erfolgte erst nach dem Einsatz der Polizeieinheiten.
Verfolgt man die Medienberichterstattung und die Forderungen der Polizei
bezueglich Fussballspielen in den letzten Jahren, Jahre, welche auf mehr
Repression, staerkere Ueberwachung und Verfolgung abzielen, so bleibt bei
der sogenannten 3 -D-Strategie "Dialog, Deeskalation, Durchsetzung", die in
der Ausbildung geprobt wird, von der Deeskalation wenig uebrig.
So lernen die PolizistInnen etwa auch den Einsatz von Gewehren, mit denen
Traenengas abgeschossen werden kann. Welchen Sinn diese Uebung im Rahmen von
Fussballspielen haben soll, bleibt unbeantwortet. Ein weiteres Beispiel fuer
den "deeskalierenden" Einsatz der Polizei zeigt sich bei der Errichtung von
Fanmeilen. Diese wurden erstmals bei der WM 2006 in Deutschland eingesetzt
und sollen auch in Oesterreich errichtet werden. Dabei handelt es sich um
groessere Plaetze, auf denen die Spiele fuer jene Fans, welche keine Tickets
ergattern konnten, auf Grossbildleinwand gezeigt werden. Rund um diese
Fanmeilen werden von der Polizei Checkpoints errichtet, bei denen jede(r)
Vorbeikommende abgetastet und nach gefaehrlichen Gegenstaenden durchsucht
wird. Dies soll vor allem der Verhinderung von Gewaltausbruechen dienen. Da
aber rein prinzipiell auch etwa Getraenkeflaschen als Wurfgegenstaende
dienen koennen, werden diese an den Eingaengen abgenommen.
Fussball ist ein Sport mit einer komplex entwickelten Fankultur, welche
einen hohen Grad an Selbstregulierung erreicht hat. Diese hat vor allem das
Ausleben der Emotionen zum Ziel.
Der Ausbruch von Gewalt war dabei immer wieder ein Bestandteil, aber sicher
kein kennzeichnender. Vor allem durch die Selbstinszenierung im Stadion
durch Gesaenge, Choreographien aber auch Jubelschreie gelingt es den meisten
ZuschauerInnen, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Dass einige
ZuschauerInnen ihre Emotionen durch den Einsatz von koerperlicher Gewalt
ausleben, hat nicht zuletzt auch gesellschaftliche Gruende. Zunehmender
Druck in der Arbeitswelt, hohe Arbeitslosigkeit und generelle
Perspektivlosigkeit koennen diese Entwicklung entscheidend foerdern. Nicht
von ungefaehr trat das Problem des Hooliganismus verstaerkt im England der
1980er Jahre auf, wo Margaret Thatcher die Gewerkschaftsbewegung der
arbeitenden Menschen innerhalb von Jahren zerstoerte.
Ausserdem waere es notwendig, die Kommunikation mit den Fanklubs und deren
VertreterInnen zu verstaerken. So zeigen etwa wissenschaftliche
Untersuchungen in Deutschland, dass Rassismus im Stadion vor allem durch die
aktive Arbeit von Fans in diesem Bereich zurueckgedraengt werden konnte.
Auch Kampagnen gegen Rechtsextremismus und Sexismus im Stadion waren dann am
wirksamsten, wenn sie von den Fans selbst durchgesetzt wurden. Ebenso
koennte dies mit dem Problem der Gewalt funktionieren.
Solange aber Politik, Medien und Polizei die Gewaltexzesse in den Stadien
vor allem dazu nuetzen um an der Verschaerfung der Sicherheitsbestimmungen
und des Ueberwachungsstaates zu arbeiten, werden immer wieder geaeusserte
Bekenntnisse zu einer "positiven Fankultur" nur reine Lippenbekenntnisse
bleiben.
(Michi Pils/Der Funke)
Quelle:
http://www.derfunke.at/html/index.php?name=News&file=article&sid=1035
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