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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Februar 2007; 16:12
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BRD/Antifaschismus/Prozesse/Kommentar der Anderen:
> Fiat iustitia!*
Das Bayrische Oberlandesgericht in Muenchen sorgt in mehreren Prozessen 
gegen antifaschistische AktivistInnen wie den deutschen Politologen David 
Goldner fuer eine einigermassen schiefe Optik: Wegen seines Protestes gegen 
eine neonazistische "Friedensdemonstration" der NPD wurde er wegen 
gefaehrlicher Koerperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt 
angeklagt; er habe bei den "antiisraelisch eingestellten Demonstranten 
emotionsgeladene Wutausbrueche und infolge dessen von diesen ausgehende 
Handgreiflichkeiten und volksverhetzende Aeusserungen wie ‚Tod den Juden' 
verursacht".
Es gibt in Deutschland nur wenige Aktivitaeten fuer Israel, wer an ihnen 
teilnimmt, wird von nicht wenigen seiner Mitmenschen guenstigstenfalls 
mitleidig belaechelt und sieht sich ansonsten nicht selten 
heftig-ablehnenden Reaktionen ausgesetzt. Besonders aggressiv reagieren 
Gegner und Kritiker des juedischen Staates dabei auf das oeffentliche Zeigen 
der israelischen Fahne; in Saarbruecken beispielsweise stuerzten sich im 
vergangenen Sommer knapp fuenfzig Personen unter Rufen wie "Israel - 
Kindermoerder", "Juden raus!" und "Judenhuren" auf drei einsame Leute, die 
ihren Protest gegen eine "Friedensdemonstration" durch das Zeigen des 
naemlichen Symbols zum Ausdruck gebracht hatten. Die Polizei schritt nicht 
ein und liess die Angreifer unbehelligt; dafuer erhielt einer der 
Attackierten Mitte September 2006 eine Vorladung wegen eines angeblichen 
Verstosses gegen das Versammlungsgesetz; Ende Oktober wurden dann sogar 
seine Wohnung durchsucht und mehrere Computer beschlagnahmt. Die 
schriftliche Erlaubnis des Amtsgerichts Saarbruecken, das Privateste des 
Angeklagten mittels einer Razzia nachhaltig durchkaemmen zu duerfen, erging 
dabei auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit der folgenden, wirklich 
bemerkenswerten Begruendung:
"D[er] Beschuldigte ist [...] verdaechtig, mit weiteren Personen [...] 
waehrend einer genehmigten Demonstration des Vereins ‚Albatoul' durch 
Hochheben israelischer Flaggen und Rufen ‚hoch lebe Israel' bei einem Teil 
der, wie ihm bekannt, antiisraelisch eingestellten Demonstranten 
emotionsgeladene Wutausbrueche und infolge dessen von diesen ausgehende 
Handgreiflichkeiten und volksverhetzende Aeusserungen wie ‚Tod den Juden' 
verursacht zu haben, wobei er beabsichtigte, dass infolge der durch seine 
Provokation ausgeloesten und von ihm durch seine Aktion allein bezweckten 
Tumulte und Straftaten die Demonstration gesprengt und die weitere 
Durchfuehrung vereitelt wurde."
Ende November kassierte das Landgericht Saarbruecken zwar den 
Durchsuchungsbeschluss und veranlasste die Rueckgabe des entwendeten 
Eigentums an seinen Besitzer. Eingestellt ist das Ermittlungsverfahren 
jedoch immer noch nicht. Einstweilen gilt deshalb weiterhin die nur noch 
absurd zu nennende Rechtsauffassung von Polizei und Justiz, die ein Stueck 
Tuch in blau und weiss zu einer Waffe erklaerten, mit der sich eine 
Versammlung sprengen laesst.
Doch man kann mit diesem offenbar mordsgefaehrlichen Utensil noch mehr 
anstellen:
Gefangene befreien beispielsweise, gefaehrliche Koerperverletzung begehen 
und Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten. Das behaupten zumindest zwei 
Beamte der Polizei, die im April letzten Jahres in der bayerischen 
Landeshauptstadt eingesetzt waren. An diesem Tag inszenierten dort naemlich 
rund 20 Neonazis der NPD Muenchen und Oberbayern eine so genannte Mahnwache 
zum "Gedenken an den Ostfrontkaempfer Reinhold Elstner", der sich 1995 an 
der Feldherrnhalle selbst verbrannt hatte, "um ein Fanal gegen die 
Verleumdung und Verteufelung des deutschen Volkes" zu setzen.
Goldner berichtete vor Gericht, dass er gewuergt wurde, die 
Personalienaufnahme dauerte zwei Studnen, waehrend der er nichts zu trinken 
bekam. "Nachdem ich noch mehr als 36 Stunden nach diesem Vorfall starke 
Schmerzen an meinem Hals und an meinem Ruecken verspuerte, begab ich mich in 
die aerztliche Notaufnahme, [...] um mich untersuchen zu lassen. Es wurden 
unter anderem Strangulation, HWS-Distorsion und Spannungskopfschmerzen 
festgestellt."
All dies berichtete er in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Muenchen, in 
der er die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen als Luege und Verleumdung 
zurueckwies. Doch es half nichts, genauso wenig wie das Gutachten des 
Krankenhauses: Zwar wurden die Vorwuerfe der Gefangenenbefreiung und 
gefaehrlichen Koerperverletzung gegen Vollstreckungsbeamte aufgrund 
widerspruechlicher Angaben der beiden Beamten fallen gelassen; dennoch 
glaubte die Richterin den Darstellungen der beiden Polizisten, nach denen 
Goldner sich generell des Widerstands gegen die Staatsgewalt schuldig 
gemacht habe, und verurteilte den Muenchner zu 60 Tagessaetzen à 30 Euro. 
Das war zwar weniger als die 90 Tagessaetze, die der urspruengliche 
Strafbefehl vorgesehen hatte, aber ein Vielfaches dessen, was dem derzeit 
arbeitslosen Angeklagten an Einkommen zur Verfuegung steht. Doch das focht 
den Staatsanwalt nicht an; vielmehr liess er lakonisch verlautbaren, der 
Verurteilte koenne doch mit seinem abgeschlossenen Hochschulstudium "einmal 
etwas Anstaendiges tun" und sicher "auch viel verdienen", anstatt "ein 
Praktikum nach dem anderen" zu absolvieren. Deshalb sei die hohe Geldstrafe 
angemessen.
Und Goldner, der Berufung eingelegt hat, war nicht der einzige, der wegen 
seines Protests gegen die NPD-Kundgebung vor Gericht erscheinen musste: 
Zuvor war unter anderem bereits die 29-jaehrige Julia R. mit 80 Tagessaetzen 
zu je 40 Euro bedacht worden, weil sie es beim angeblichen Versuch, einen 
Festgenommenen zu befreien, mit gleich zehn Polizisten gleichzeitig 
aufgenommen und einige von ihnen verletzt haben soll.
Es war in der juengeren Vergangenheit nicht das erste Mal, dass die 
Ordnungsmacht in der Bayernmetropole mit solcher Vehemenz gegen Nazigegner 
und Freunde Israels vorging. Bereits im September 2003 etwa verurteilte das 
Amtsgericht den heute 82-jaehrigen Martin Loewenberg zu einer Strafe von 20 
Tagessaetzen , weil dieser im November 2002 dazu aufgerufen hatte, sich in 
der "Weltstadt mit Herz" Muenchen einem Neonazi-Aufmarsch in den Weg zu 
stellen. Loewenberg - der zu den wenigen ueberlebenden Breslauer Juden 
gehoert - begruendete vor Gericht, warum er in seiner Rede eine Blockade der 
nazistischen Demonstration gefordert hatte: "Es ist legitim, ja, es ist 
legal, sich den Totengraebern der
Demokratie entgegenzustellen." Das sahen die Verfolgungsbehoerden jedoch 
voellig anders; besonders beachtlich war dabei das Einsatzprotokoll der 
Polizei: "Da wird aus dem NS-Propagandachef Goebbels ein Herr ‚Goeppel', und 
die Abschrift der Rede eines anderen Nazi-Opfers wird eingeleitet mit diesem 
Satz: ‚Es folgt die Rede eines in die Kluft eines Insassen Kfz-Haeftlings 
bekleideter Mann.'
1923 war Hitler noch kein Nazi
Ein aehnlich profundes historisches Bewusstsein offenbarte auch der 
Muenchner Oberstaatsanwalt August Stern, als er mit einer Kundgebung von 
Neonazis am 9. November 2005 partout kein Problem haben mochte: Der 
gescheiterte Hitlerputsch -- dessen die Ultrarechten "gedenken" wollten, 
noch dazu an einem Tag, an dem sich auch die Reichspogromnacht jaehrte --  
habe bereits 1923 stattgefunden; eine Erinnerung an ihn sei deshalb keine 
Verharmlosung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, denn die habe 
schliesslich erst zehn Jahre spaeter begonnen. Stern stellte folgerichtig im 
vergangenen Sommer auch das Verfahren gegen Ottmar Muehlhauser ein. 
Muehlhauser hatte 1943 ein Massaker-Kommando zusammengestellt und die 
Erschiessung von 4.000 kriegsgefangenen italienischen Soldaten und 
Offizieren auf Kephallonia befehligt. Oberstaatsanwalt Stern fand jedoch, 
dieses Wehrmachtsverbrechen stehe "nach sittlicher Wertung nicht notwendig 
auf tiefster Stufe", denn es sei ohne "politische Beweggruende" erfolgt.
Man darf nun gespannt sein, wie just dieses Muenchner OLG in einem seiner 
naechsten Faelle entscheiden wird - dem Berufungsprozess ausgerechnet gegen 
David Goldner nach dessen erstinstanzlicher Verurteilung im Zuge der 
Tragikomoedie von Garmisch-Partenkirchen. Dort war er vom Richter wegen des 
Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zur Zahlung 
einer Geldstrafe verpflichtet worden, weil er Flugblaetter im Gepaeck hatte, 
mit denen fuer eine Buchvorstellung gegen Nazismus und Islamismus geworben 
werden sollte und deren Vorderseite ein Foto mit arabischen Islamisten 
zeigte, die den Hitlergruss entbieten. Eine bayerische Provinzposse, sollte 
man eigentlich meinen - doch wie es scheint, sind auch Polizei und Justiz in 
der Landeshauptstadt kein bisschen klueger.
(lizaswelt.blogspot.com/gek.)
Volltext mit Quellen: 
http://lizaswelt.blogspot.com/2007/02/fiat-iustitia.html
*Anm. akin: fiat iustitia, et pereat mundus = Der Gerechtigkeit muss 
Genuegen geschehen, und wenn die Welt dabei zugrunde geht.
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