**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Februar 2007; 19:11
**********************************************************
Leserbrief/Kino:
> Disney einmal anders
Zu "Behindert uns nicht. Ueber das Recht auf Unvollkommenheit" von Rosalia 
Krenn (akin 3/07)
In dem Artikel findet sich vieles, was mich sehr an meinen 
Lieblings-Walt-Disney-Zeichentrickfilm erinnert: "Der Gloeckner von 
Notre-Dame II". Walt Disney war in mancher Hinsicht ein ziemlich mieser Typ: 
er duldete in "seinen" Studios keine Gewerkschaften, lebte sehr gut von den 
Leistungen anderer Leute, z.B. von den Leistungen von Carl Barks, dem 
genialen "geistigen Vater" der Figuren von Entenhausen, und er war in der 
McCarthy-Aera "sehr aktiv".
Durch seine Thematik und deren Darstellungsweise ist dieser Zeichentrickfilm 
bemerkenswert, wenn man ueber ein paar Dinge hinwegsieht. Er knuepft an den 
Zeichentrickfilm "Der Gloeckner von Notre-Dame" an, in dem gezeigt wird, wie 
Quasimodo von seinem grausamen Herrn, dem Richter Frollo, im Glockenturm 
eingesperrt, bevormundet, verachtet und beleidigt wird: "Du bist entstellt, 
du bist ein Monster!" Spaeter, als er sich hinauswagt, wird er von einer 
Menschenmenge brutal gedemuetigt und gequaelt, wobei ein einziger Mensch, 
die schoene Sintiza Esmeralda, den Mut findet, ihm zu helfen. Das zweite 
Thema des Films ist, dass Frollo Esmeralda sexuell begehrt - und sie genau 
deshalb als Hexe denunziert. Fuer ihn als Diener Gottes kann eine Frau, die 
er begehrt, nur an diesem Begehren schuldig sein; sie muss ihn teuflisch 
verhext haben. Hoehepunkt dieses Films ist die Szene, wie die "Hexe" am 
Pfahl steht und Frollo den Scheiterhaufen anzuendet. Da schwingt sich 
Quasimodo an einem Seil heran und rettet Esmeralda im letzten Moment das 
Leben. Esmeralda verliebt sich in den Gardehauptmann Phoebus, der im Auftrag 
Frollos die Zigeuner vertilgen soll - das dritte grosse Thema der 
Geschichte. Phoebus verweigert den Befehl und rettet den Menschen das Leben.
Quasimodo hat inzwischen die Hoffnung auf eine Partnerin fast aufgegeben, 
als er Madellaine kennenlernt, die vom Zirkusdirektor Sarousch, ihrem 
Vormund, ausgebeutet und belaestigt wird. Diese Geschichte ist das 
Hauptthema von "Gloeckner II". Obwohl leidenschaftlicher Cineast und 
regelmaessiger Besucher von Programmkinos kenne ich keinen Realfilm, der das 
Thema, wie ein Mann mit einer Frau umgeht, die von ihm abhaengig ist und wie 
die Frau darauf reagiert, in den psychologischen Mechanismen so realistisch 
darstellt wie dieser Zeichentrickfilm.
Madellaine befindet sich, wie es in einem Internet-Kommentar zum Film 
treffend heisst, in einem "geistigen Gefaengnis". Sie ist nicht wirklich 
eingesperrt, aber doch, in ihrem Bewusstsein, in ihrem Verhalten und ihren 
Reaktionen eine Gefangene von Sarousch. In seinen Methoden wechselt Sarousch 
zwischen herablassender Freundlichkeit ("Ich will doch nur, dass du huebsch 
aussiehst"), Abwertung ("Denken ist nicht deine Staerke"), 
Herumkommandieren, Kontrollieren und offenen Drohungen. Als sich Madellaine 
in Quasimodo verliebt, droht er, ihren neuen Freund umzubringen.
Seine Strategie geht auf: Madellaine wertet sich auch selbst ab, was sich 
gegenueber Quasimodo zeigt: "Du musst mich fuer sehr dumm halten" und ist 
sehr erstaunt, als er mit "nein" antwortet, als erster Mensch, der sie nicht 
abwertet, mit dem zusammen sie froehlich und ausgelassen sein kann und bei 
dem sie liebevolles Verhalten kennenlernt. Obendrein, was ihr besonders 
gefaellt, hat er die Gabe, die Welt als einen Ort voller grosser und kleiner 
Wunder wahrzunehmen. "Ordinary Miracles" heisst das Lied, das er ihr singt. 
In der Beziehung zu Quasimodo entwickelt Madellaine alle ihre besonderen 
Faehigkeiten: sie hat eine ausgepraegte Beobachtungsgabe, die sich auf den 
Umgang zwischen den Menschen richtet und sie kann sehr klar ausdruecken, was 
sie da zu sehen bekommt. Tragisch ist, dass Quasimodo ihr zu misstrauen 
beginnt und glaubt, sie benutze ihn nur. Er gibt ihr keine Moeglichkeit, das 
Missverstaendnis aufzuklaeren und wendet sich voellig von ihr ab.
Madellaine wird nicht nur von ihrem Freund Quasimodo im Stich gelassen, sie 
wird infolge einer Intrige von Sarousch wegen Diebstahls von Phoebus 
verhaftet und ins Gefaengnis gebracht. Esmeralda ist es, die ihr jetzt hilft 
und die in dem Film auch gegen die Vorurteile ihres Mannes gegenueber den 
Zigeunern und Zirkusleuten kaempft.
Es ist leider typisch, dass Madellaine es ist, die Quasimodo um Verzeihung 
bittet (er sie nicht!), und dass sie (was ihr auch gelingt) sein Vertrauen 
wiedererlangen muss. Den Sohn von Phoebus und Esmeralda, der von Sarousch 
entfuehrt worden war, rettet die Seiltaenzerin Madellaine. Und als sie nach 
der Rettungsaktion oben auf dem Seil steht und er wuetend fragt, was sie da 
tue, sagt sie cool: "Ich stehe nur da und sehe huebsch aus!". Am Ende des 
Films werden Madellaine und Quasimodo ein Paar; eine junge Frau, Opfer 
alltaeglicher, struktureller Gewalt, benutzt durch einen Mann, von dem sie 
abhaengig war, obendrein auch sexistisch benutzt als Aufputz auf der Buehne 
und als schoener Lockvogel fuer Diebstaehle, waehrend ihre Wuensche, 
Gefuehle und Beduerfnisse von Sarousch komplett ignoriert und missachtet 
werden -- und ein junger Mann, der den Grossteil seines Lebens als 
Aussenseiter missachtet und herumgestossen wurde. Leider enthaelt der Film 
auch einige doofe Songs und die deutsche Synchronisation hat den Wortwitz 
Madellaines praktisch kaputtgemacht und einiges durchaus Wesentliches 
gestrichen, was sie sagt -- weshalb es sich lohnt, die DVD-Fassung im 
Original anzuschauen.
*Gerhard Lehner (gek.)*
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen 
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht 
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck 
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete 
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von 
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine 
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als 
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann 
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin