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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. Jaenner 2007; 09:40
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Film:
> Bolivarische Sozialismusfabriken
Denkt man Kino und Fabrik zusammen, draengt sich die Traumfabrik Hollywood 
auf, weniger die Aluminiumhuette, das Textilunternehmen, die Tomatenfabrik, 
die Fabrik, in der Kakaomasse produziert wird, und die Papierfabrik, alle 
Schauplaetze im Dokumentarfilm "5 Fabriken - Arbeiterkontrolle in Venezuela" 
von Oliver Ressler und Dario Azzellini. In der Vorwoche hatte dieser Film in 
Wien Premiere. Schauplatz einer interessanten Diskussion ueber diesen Film - 
mit Regisseur Ressler und einem Aktivisten von "Haende weg von Venezuela" am 
Podium - war das Filmcasino.
Zum politischen Hintergrund des Films: Wuerden in Oesterreich ArbeiterInnen 
eine Fabrik besetzen, dann waeren binnen zehn Minuten Sondereinheiten der 
Polizei vor Ort, um den Wunsch nach Selbstverwaltung und sozialer Produktion 
im Keim zu ersticken. Anders in Venezuela. Dort steht die Staatsmacht hinter 
den ArbeiterInnen. So koennen sie etwa auf Kredite bauen, die ihnen gewaehrt 
werden, wenn sie die Produktion eines abgewirtschafteten oder stillgelegten 
Unternehmen eigenmaechtig wieder in Stand setzen, sich die 
Produktionsmitteln aneignen, die fuer ihre Kooperative notwendig sind.
Die besetzten Betriebe - in Lateinamerika produzieren mittlerweile rund 300 
Betriebe unter der unmittelbaren Kontrolle der Belegschaft, manche im 
rechtsfreien Raum, andere voellig legal - verstehen sich mehrheitlich als 
Unternehmen sozialer Produktion, die durchaus unterschiedliche Antworten auf 
die Schluesselfrage finden, wie ein Unternehmen im Rahmen des Kapitalismus 
Druck in Richtung Sozialismus machen kann.
Allein diese Fragestellung, die im Film explizit vom Praesidenten der 
Aluminiumfabrik gestellt wurde, der seine Aufgabe als die Aufgabe eines 
Revolutionaers sieht, macht deutlich, dass das Modell der partizipativen 
Demokratie, das in Venezuela auch auf den Bereich der Wirtschaft angewendet 
wird, den Aufbau des Sozialismus anstrebt. Folglich faellt die Abgrenzung zu 
sozialdemokratischen Modellen der Mitentscheidung genauso deutlich aus wie 
die Ablehnung des Staatssozialismus der ehemaligen UdSSR. Mit 
Unternehmensstrategien, die derzeit unter dem Schlagwort Corporate Social 
Responsibility diskutiert werden, haben die in Venezuela gebildeten 
Arbeiterkooperativen allein schon aufgrund ihrer Zielbestimmung ueberhaupt 
keine Schnittmenge.
Gegenoeffentlichkeit oder Propaganda
Der Film von Oliver Ressler und Dario Azzellini zeigt, da er nur die 
Betroffenen selbst zu Wort kommen laesst, authentische Einblicke in den oben 
skizzierten Prozess, der nicht, wie gerne in den kapitalistischen Medien 
behauptet wird, von oben verordnet, der Bevoelkerung aufoktroyiert wurde. 
Demnach stellt der Film eine Gegenoeffentlichkeit zu der in Europa 
dominanten, die bolivarische Revolution denunzierenden Berichterstattung 
dar. Eine Gegenoeffentlichkeit, die bewusst darauf verzichtet hat, den 
politischen GegnerInnen eine Plattform zu bieten. Diese Entscheidung wurde 
in der Diskussion angegriffen. Diese Kritiker behaupteten auch, dass der 
Film sowohl aesthetisch als auch inhaltlich an einen realsozialistischen 
Propagandafilm erinnere. Er zeige nur, so der Vorwurf, reibungslose 
Produktionsablaeufe und wohlwollende Kommentare von AktivistInnen.
Diesem Vorwurf wurde in der Diskussion auf mehreren Ebenen begegnet. 
Einerseits wurde festgehalten, dass nicht jede Filmsequenz auch ein Symbol 
ist (Beispiel: ein die Leiter nach oben steigender Arbeiter stehe nicht 
immer fuer Fortschritt), andererseits wurde darauf hingewiesen, dass ein 
Film nicht automatisch zum Propagandafilm wird, nur weil er sich einem 
politischen Phaenomen ausschliesslich aus einer Perspektive naehert, zumal 
es sich bei dieser Perspektive um eine handelt, die ansonsten nur am Rand 
wahrgenommen wird: die der ArbeiterInnenklasse.
Insgesamt wurde in der Diskussion nicht nur die Dynamik auf der 
Betriebsebene, sondern auch das regionale Entwicklungspotential der 
Kooperativen durch die Einbindung der Communities und der weltpolitische 
Kontext thematisiert, vor dem die Besetzungen stattfinden und bewertet 
werden muessen.
*Roman Gutsch*
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