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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Jaenner 2007; 20:21
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"Gesundheit"/Pflege:

> Interview mit einem Stoerfaktor

Am 31. Dezember vergangenen Jahres wurde entsprechend einer politischen
Entscheidung in Wien das trotz seines kurzen Bestehens aeusserst
erfolgreiche Amt des Pflege-Ombudsmanns abgeschafft. Werner Vogt, Inhaber
dieses Amtes, "war als kompromissloser Kritiker des Systems der Altenpflege
zum Stoerfaktor geworden", schreibt der Augustin. In der aktuellen Ausgabe
der Wiener Strassenzeitung versicherte Vogt, dass die Politik ihn nicht
hindern werde, weiterhin die Rechte der in das "Entmuendigungssystem
Altenpflege" Geratenen im Auge zu behalten.

Altenpflege-Einrichtungen der "Lainzer Art" neigen zur Entgleisung, betonte
der Ex-Ombudsmann. Vogt war nach den den beruehmten Toetungsdelikten 1989 im
Krankenhaus Lainz und dem erneuten Pflegeskandal 2003 eingesetzt worden. Und
so begann seine Zeit dort: "Als erstes bestand ich darauf, dass ich mein
Buero mit meinen sieben MitarbeiterInnen hier eroeffne, im Pavillon 17. Also
im Zentrum des Dramas. Mein erster Eindruck war, dass es ueberall an
qualifiziertem Pflegepersonal fehlte. Das war auch das Thema der ersten
Auseinandersetzung. Auf unsere Frage, wie viele Pflegepersonen in Lainz
fehlten, bekamen wir die offizielle Antwort: 1,75 (eindreiviertel Personen).
Unsere Erhebung ergab, dass mehr als 200 fehlen. Inzwischen ist der
personelle Pflegenotstand dadurch verbessert worden, dass man bei gleich
gebliebenem Personal die Bettenanzahl verringert hat. Der eigentliche
Skandal von Lainz war aber die Dimension der Oede und der Langeweile, die
das Leben der PatientInnen praegten. In den Zimmern leben nicht mehr 30
Menschen, sondern 4 - aber wie? Sie sitzen auf dem Gang, und es gibt nur die
Wahl, in den Fernsehapparat zu schauen oder nicht."

Und Vogt identifiziert sich mit den zu Pflegenden: ""Ich bin ja auch schon
alt, als 68jaehriger. Aber ich lasse mir nicht vorschreiben, dass ich mich
um 18 Uhr nieder legen und am naechsten Tag um 6 Uhr frueh aufstehen muss.
Das ist ein unmoeglicher fremdbestimmter Zustand. Der Mensch muss seinen
Eigenrhythmus behalten duerfen. Das System Heim setzt sich darueber hinweg.
Weil kein durchschnittlicher Mensch 12 Stunden liegen kann, wird er im Heim
mit Schlaftabletten ruhig gestellt. Es bedarf also Mitteln der
Gewalttaetigkeit, um diese inhumane Ordnung aufrecht zu erhalten",
beschreibt Werner Vogt einen Aspekt der Entmuendigung. Dabei sei das das
Prinzip solcher Heime: "Diese Situation scheint ein systemisches Problem in
den Heimen auszudruecken. Die Jugend- und Erziehungsheime wiesen oder weisen
ja aehnliche Entwuerdigungs- Mechanismen auf.

"So ein System kann nur zerstoert werden"

Kommunikationslosigkeit und Isolation der Heiminsassen, so Vogt, fuehren zu
einem Stopp der geistigen Bewegung: "Die Betroffenen werden tatsaechlich
still und stumm und depressiv - und das wird oft so gedeutet: Der ist ja
schon ganz daneben! Der Sachwalter wird eingeschaltet, der eigene Verstand
wird geraubt, ein fremder Verstand eingefuehrt. In den Grossanstalten
schreiten die Entmuendigungsprozesse mit einem speziellen, rapiden Tempo
voran. Daher kann so ein System nur zerstoert werden."

In Daenemark waere man da schon weiter, so Vogt, dort "wurde diese
Pflegedebatte, wie sie heute in Oesterreich ablaeuft, schon in den 80er
Jahren gefuehrt, mit der Konsequenz, dass solche Grossanstalten, die eine
Tendenz zur Demuetigung der Insassen haben, aufgeloest wurden."

Gesundheitsnotwendige Verteilungsgerechtigkeit

Aber auch prinzipielle gesellschaftliche Fragen fuer die Beahndlung der
Noch-nicht-Alten stellen sich. Vogt: Wer wird alt und bleibt gesund? Das
sind die gut Gebildeten und die mit gutem Einkommen. Man muss also Bildung
foerdern und Armut bekaempfen - das ist die Praevention gegen den
Pflegenotstand. Man muss altengerechte und barrierefreie Wohnungen schaffen.
Und es muss einen Rechtsanspruch auf Rehabilitation geben. Wenn sich einer
trotz barrierefreier Musterwohnung einen Schenkelhalsbruch zuzieht, muss mit
ihm drei Monat lang geuebt werden, auch wenn er alt ist. 80 Prozent der
Betroffenen koennten dadurch nach dem Unfall wieder nach Hause kommen. Wenn
man all das nicht macht, landen die Alten in der Langzeitpflege, die viel
kostet und gleichzeitig viel Unglueck produziert. Dazu braucht es
Aufklaerung ueber Alterskrankheiten. Es herrscht ein regelrechte
Demenzhysterie in diesem Land. Alle glauben, aelter werden heisst dement
werden. Wichtig waere auch, die Aerzte aufzuklaeren. Wenn stationaere Pflege
aber tatsaechlich notwendig ist, duerfe sie fuer die PatientInnen und ihre
Angehoerigen nicht zum finanziellen Drama werden. Eine staatlich finanzierte
Pflegesicherung muesse her. Die Pension, das Eigentum, das Ersparte, auch
das Einkommen der Angehoerigen - also all das, worauf die Pflegeheimtraeger
Zugriff haben - muesse den Betroffenen bleiben, fordert Vogt im
Augustin-Gespraech. ###

Das komplette Gespraech ist nicht nur im aktuellen Augustin, sondern auch unter
http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=422&Itemid=59
nachzulesen.



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