**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Januar 2007; 20:10
**********************************************************

Regierungsbildung/Debatte:

> Wie man aus dem Liegen direkt unter den Teppich umfallen kann

Ein Trapezakt im Bodenturnen, in 100 Tagen ausgefuehrt von unserem
angehenden Jungkanzler Fredi Gusenbauer, beschert uns jetzt wohl eine neue
Regierung.

Auf den folgenden Seiten Stimmungsbilder aus dem erstaunten Publikum:

*

> "Sozialdemokratische Handschrift mit unsichtbarer Tinte"

Nicht erkennbar ist fuer Torsten Engelage, Vorsitzenden der Sozialistischen
Jugend Oesterreich (SJOe), die sozialdemokratische Praegung im aktuellen
Regierungsuebereinkommen. "Die sozialdemokratische Handschrift im
Regierungsprogramm muss mit unsichtbarer Tinte geschrieben sein, denn sie
ist mir bis jetzt nicht ins Auge gesprungen", so Engelage am Montag als
Reaktion auf die juengste Erklaerung von SPOe-Vorsitzenden Alfred
Gusenbauer.

Engelage warnt davor, dass die SPOe den Wechsel, den sie heute eingegangen
ist, spaetestens in vier Jahren wird bezahlen muessen. Engelage kuendigt
abschliessend fuer die naechsten Tage weitere Protestaktionen seitens der
Sozialistischen Jugend an: "Die Sozialistische Jugend wird diesem
Verhandlungsdebakel sicherlich nicht tatenlos zusehen." (SJOe, 8.1.07) (2)

Quelle:
http://www.sjoe.at/content/oest/home/article/2276.html?PHPSESSID=7274bdf5c1f1c27a621cea811c289dc1

*

> Dequalifizierung und Entwertung sozialer Arbeit!

Man fragt sich, welcher Teufel da insbesondere die SPOe geritten hat: da
kaempfen die Sozial- und Pflegeberufe seit Jahren um ein hoehere
gesellschaftliche Akzeptanz, um faire und bessere Arbeitsbedingungen, um
hoehere Entlohnung und hohe Ausbildungsstandards, um qualitativ hochwertige
Sozialleistungen anbieten zu koennen, und jetzt beschliesst die Regierung
Regelungen a la 'Soziale Arbeit kann jeder machen' quasi zum Nulltarif, ohne
entsprechende Ausbildung, ohne entsprechende Entlohnung. Das ist eine
Ohrfeige ins Gesicht aller im Sozial- und Pflegebereich Beschaeftigten.

Warum muss gerade die gemeinnuetzige Arbeit immer wieder fuer diverse
Vorschlaege von Pflichtarbeitsmassnahmen herhalten? Es handelt sich dabei um
eine bewusste Entwertung sozialer Arbeit, die saemtliche
Qualifizierungserfordernisse und soziale Kompetenzen ignoriert. Warum
Langzeitsarbeitlose oder StudentInnen -- beispielsweise der BWL --
ploetzlich im Pflegebereich arbeiten koennen, allerdings nicht in Jobs, die
eine gewisse berufliche Qualifizierung erfordern, laesst keinen anderen
Schluss zu. Die Verquickung von Studiengebuehrenbefreiung bzw.
Mindestsicherung mit Sozialarbeit ist schlichtweg abenteuerlich, unzulaessig
und entbehrt jeglicher sachlicher Grundlage. Vielmehr entsteht der Eindruck,
dass sich die oeffentliche Hand ihrer sozialen Verantwortung und der
entsprechenden finanziellen Ausstattung sozialer und gemeinnuetziger
Einrichtungen entziehen will, um billige und unqualifizierte Arbeitskraefte
fuer den gemeinnuetzigen Bereich frei zu machen.

Statt Rahmenbedingungen fuer sozial- und arbeitsrechtlich abgesicherte und
kollektivvertraglich entlohnte Sozialarbeit zu schaffen, ermoeglicht die
neue Regierung quasi staatlich gestuetztes Lohndumping. Statt
arbeitssuchenden LehrerInnen Beschaeftigungsperspektiven zu bieten, sollen
StudentInnen zum Nulltarif in Schulen arbeiten. Statt soziale Vereine besser
finanziell auszustatten, um entsprechend qualifizierte
Beschaeftigungsverhaeltnisse schaffen zu koennen, sollen
Langzeitsarbeitslose zum 'Mindestsicherungstarif' gemeinnuetzigen
Institutionen zugewiesen werden, scheinbar unabhaengig davon, ob sie
entsprechende Qualifikationen mitbringen. Dass es da bislang keinen
Aufschrei der Gewerkschaften und Arbeiterkammern gegeben hat, ist nicht
nachvollziehbar. Fuer uns sind die geplanten Massnahmen jedenfalls
inakzeptabel und unzumutbar.

(Klaudia Paiha, Bundessprecherin der Alternativen und Gruenen
GewerkschafterInnen AUGE/UG / gek.)

*

> Schlechte Nachrichten fuer Lehrlinge

Zum Freiwild der Unternehmer machen will die kuenftige Regierung in trauter
Eintracht mit den Sozialpartnern offensichtlich die Jugend mit der geplanten
Verschlechterung des Kuendigungsschutzes fuer Lehrlinge. Es ist ein
Irrglaube von einer Lockerung des Kuendigungsschutzes eine Loesung der
Misere der Berufsausbildung und der Jugendarbeitslosigkeit zu erwarten.

Voellig unverstaendlich ist die Zustimmung der Gewerkschaften zu diesem
Anschlag auf eine gesicherte Ausbildung. Derzeit duerfen Lehrverhaeltnisse
nur waehrend der dreimonatigen Probezeit oder bei schwerwiegenden
Verfehlungen wie etwa Diebstahl geloest werden. Kuenftig soll eine
Kuendigung mit Jahresende des ersten bzw. zweiten Lehrjahres moeglich sein.

Nach der Verlaengerung der Arbeitszeit fuer Lehrlinge im Gastgewerbe von 22
auf 23 Uhr, Verkuerzung der Behaltefrist nach Lehrabschluss von vier auf
drei Monate und Verlaengerung der Probezeit fuer von zwei auf drei Monate
durch die schwarzblaue Regierung im Jahre 2000 will nun die kuenftige
rotschwarze Regierung eine weitere Verschlechterung.

Quasi als Praemie fuer diese Verschlechterung wird der "Blum-Bonus" in Form
einer Foerderung der Lehrlingsausbildung aus Steuergeldern verlaengert. Seit
1. September 2005 erhalten Betriebe fuer jeden zusaetzlichen Lehrling im
ersten Lehrjahr monatlich 400 Euro, im zweiten 200 Euro und im dritten 100
Euro.

Der Mangel an geeigneten Lehrstellen und eine steigende
Jugendarbeitslosigkeit bedeutet das zunehmende Fehlen einer beruflichen und
damit auch Lebensperspektive fuer immer mehr Jugendliche. Die Unternehmer
fordern zwar hochqualifizierte Fachkraefte, sind aber immer weniger bereit
dafuer auch zu investieren. Bis Ende der 80er Jahre bildeten die grossen
Lehrwerkstaetten der Verstaatlichten und anderer im oeffentlichen Eigentum
stehenden Unternehmen (Voest, Chemie, Lenzing, AMAG, Steyr-Daimler-Puch AG,
OeBB usw.) weit ueber ihren eigenen Bedarf hinaus qualifizierte Fachkraefte
aus und hatten damit eine Vorbildfunktion auch fuer die Privatwirtschaft.
Nach der Zergliederung und weitgehenden Privatisierung dieser Betriebe wurde
die Berufsausbildung massiv reduziert und den betriebswirtschaftlichen
Erfordernissen und dem "Shareholder Value" angepasst.

Mit der zunehmenden Vernichtung von qualitativ hoch stehenden Lehrstellen
insbesondere in Grossbetrieben werden Kosten von der Wirtschaft auf alle
SteuerzahlerInnen - etwa durch die Foerderung der Lehrlingsausbildung in den
Betrieben aus Steuergeldern oder durch Kurse und aehnliche Massnahmen fuer
Jugendliche die keine Lehrstelle erhalten - uebertragen werden.
(Gewerkschaftlicher Linksblock/gek.)

*

> Noch mehr Arbeitszeit-Flexibilisierung

"Die SPOe hat im Regierungseinkommen dem Druck der Grosskonzerne auf die
Flexibilisierung der Arbeitszeit voll und ganz nachgegeben. Was OeVP und FP
im Zeichen der "sozialen Kaelte" nicht geschafft haben, gelingt jetzt einem
Gusenbauer". Das sagte der steirische AK-Rat Peter Scherz vom KPOe-nahen
GLB. Die sogenannte Flexibilisierung der Arbeitszeit wird naemlich
entscheidend ausgeweitet.

Peter Scherz: "So werden keine Arbeitsplaetze geschaffen. Jene Menschen, die
noch eine Arbeit haben, sollen naemlich noch laenger arbeiten und weniger
dafuer bezahlt bekommen. Dafuer haben wir keine SPOe-gefuehrte Regierung
gebraucht."

Er verwies auf folgende Bestimmungen des Regierungsabkommens:

· Generelle Ermaechtigung an den Kollektivvertrag, die taegliche
Normalarbeitszeit auf bis zu 10 Stunden anzuheben,

· 12-Stunden Schichten durch Kollektivvertrag bei arbeitsmedizinischer
Unbedenklichkeit.

· Flexibilisierung der Lage der Wochenendruhe im Schichtbetrieb.

· Anhebung der taeglichen Normalarbeitszeitgrenze bei Gleitzeit auf 10
Stunden.

· Anhebung der taeglichen und woechentlichen Hoechstarbeitszeitgrenzen
(12/60) durch Ausweitung der bestehenden Regelung des § 7 Abs 4 AZG
(Ausweitung der maximalen 12 Wochen auf bis zu 24 Wochen (3 mal 8,
dazwischen jeweils zumindest 2 Wochen keine zusaetzlichen Ueberstunden);

· Oeffnung auch fuer schriftliche Einzelvereinbarungen in Betrieben ohne
Betriebsrat bei arbeitsmedizinischer Unbedenklichkeit)

(Regierungsabkommen. S. 53)

Peter Scherz: "Ich kann gut verstehen, dass auch SPOe-Spitzengewerkschafter
zornig werden, wenn sie diese Punkte zu Gesicht bekommen. Das ist eine
Regierungserklaerung im Namen des Grosskapitals."
(GLB)

*

> Keine eingetragene PartnerInnenschaften

"Wir sind ueber das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen zutiefst
enttaeuscht", kommentiert Christian Hoegl, Obmann der Homosexuellen
Initiative (HOSI) Wien, die gestern erzielte Einigung zwischen OeVP und
SPOe. "Und nicht nur in Hinblick auf unsere Anliegen. Angesichts dieses
Ergebnisses waeren Neuwahlen wohl besser gewesen. Zwar waren wir nie so naiv
zu glauben, eine grosse Koalition wuerde an der Eingetragenen
PartnerInnenschaft fuer gleichgeschlechtliche Paare scheitern. Dennoch
haetten wir erwartet, dass die SPOe in dieser Frage wenigstens auf einem
koalitionsfreien Raum im Nationalrat beharrt. Denn bei einer freien
Abstimmung bestuende zumindest eine kleine Chance, die drei fuer dieses
Projekt fehlenden Stimmen aus dem Lager von OeVP und/oder BZOe zu bekommen."
(HOSI Wien/gek.)


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin