**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Jaenner 2007; 20:27
**********************************************************
OeGB/Kommentar der Anderen/Termine:
> Lohnarbeit - kein Lebenszweck!
Bei der Stilisierung der Arbeit als Lebenszweck der Menschheit duerfte die 
Arbeiterbewegung dem Kapital auf den Leim gegangen sein. Die Unternehmer 
sind zwar an der Arbeitsmoral, nicht aber an der Vollbeschaeftigung der 
Lohnabhaengigen interessiert. Kann vom bevorstehenden Bundeskongress des 
OeGB (22. bis 24. Jaenner) eine Wende in dieser Frage erwartet werden? 
(Vorabdruck aus AUGUSTIN)
In einer Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, in der selbst in den 
reichen Industriestaaten Vollbeschaeftigung als Utopie gilt, erscheint die 
Orientierung auf eine Gesellschaft naiv, in der die Berufsarbeit im 
Mittelpunkt steht. Der Gedanke, dass die industrielle Reservearme (Marx) 
keine Begleit- sondern eine Ausnahmeerscheinung der kapitalistischen 
Wirtschaft darstellt, konnte nur in der kurzen Periode der spaeteren 60-er 
und fruehen 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts gefasst werden, als in 
Oesterreich tatsaechlich Vollbeschaeftigung geherrscht hat.
Damals empfahl der Bankenverband in der Wirtschaftskammer allen seinen 
Mitgliedern, es den Kreditinstituten im Wiener Raums nachzumachen und eine 
Vereinbarung abzuschliessen, einander kein Personal ab zu engagieren, um die 
Gehaelter nicht ins Uferlose steigen zu lassen. Diese Vorsichtsmassnahme 
musste nicht lange beibehalten werden: Bei Vollbeschaeftigung handelte es 
sich um einen Betriebsunfall: Grundsaetzlich ist der Kapitalismus nicht dazu 
da, die Realloehne zu steigern, sondern - ohne Ruecksicht auf soziale 
Verluste - die Profite zu maximieren.
Der ganze Fortschritt, den der Kapitalismus gebracht hat, besteht darin, 
dass die Besitzlosen des Recht haben, ihre Arbeitskraft an den 
meistbietenden Unternehmer zu verkaufen, waehrend die Leibeigenen im 
Feudalismus an ihren Herren gebunden waren. Waren die Besitzer von Grund und 
Boden in letzter Konsequenz daran interessiert, das Ueberleben der 
Untergebenen zu sichern, beschraenkt der Kapitalist sich darauf, die 
Reproduktion der von ihm benoetigten Arbeitskraefte unter konkreten 
historischen und moralischen Bedingungen zu gewaehrleisten.
In dieser Hinsicht ist interessant, dass die Unternehmer mit dem 
Verschwinden der sozialistischen Laender den sozialen Kompromiss aufgegeben 
haben, der ihnen nach 1945 das politische Ueberleben sicherte. Unter dem 
Vorwand der schon laengst vollzogenen Globalisierung werden nun soziale 
Errungenschaften - der Stolz der Gewerkschaften - massiv abbaut. Menschen, 
deren Arbeitskraft nicht nachgefragt wird, werden der oeffentlichen und/oder 
privaten Fuersorge ueberlassen. Statt vom Wohlstand fuer die gesamte 
Gesellschaft wird neuerdings nur mehr von Mindestsicherung gesprochen.
Militaerische Disziplin als Vorbild
Das Dilemma der Gewerkschaften besteht darin, dass sie sich als 
Transmissionsriemen der Arbeiterparteien (in Oesterreich praktisch der SPOe) 
in die Industriebetriebe betrachten und in dieser Rolle dazu beitragen, die 
Arbeitsmoral hoch zu halten. Die Fabrik, die das moderne Proletariat 
hervorgebracht hat, war nach dem Muster militaerischer Formationen 
gegliedert. Soldaten wie Arbeitskraeften wurde und wird Kadavergehorsam 
abverlangt.
Marx nannte die seinerzeit verschwindend kleine Zahl von Angestellten in der 
Grossindustrie nicht zufaellig Offiziere und Unteroffiziere des Kapitals. 
Sie ueberwachten unter anderem den schwierigen Prozess, die aus der 
landwirtschaftlichen Unterbeschaeftigung los geeisten Arbeitskraefte an die 
erforderliche Disziplin in der Fabrik zu gewoehnen - mit rigidem Zeitregime 
und puenktlichen Beginnzeiten. In den Giessereien des suedlichen 
Niederoesterreich wurde - zur karnevalisierenden Entlastung - noch in der 
zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts der Blaue Montag gefeiert.
Die Gewerkschaften sind aus zwei Wurzeln hervorgegangen: Einerseits aus 
Kulturvereinen, die bis in die zweite Haelfte des 19. Jahrhunderts den 
einzigen legalen Rahmen fuer die Artikulierung gemeinsamer Interessen der 
Arbeiterschaft gebildet haben und den Bildungsanspruch der Werktaetigen 
signalisierten. Anderseits aus der gegenseitigen Selbsthilfe von 
Berufsgruppen mit grosser Tradition und besonderem Stellenwert wie den 
Salzarbeitern im Salzkammergut. Die Hallstaetter Salzbergleute haben bereits 
im 18. Jahrhunderts Gemeinschaftskassen fuer die Versorgung von 
Arbeitsunfaehigen, Witwen und Waisen aus ihren Reihen sowie fuer die 
Bezahlung von Heilungskosten gebildet. Auf derartige Initiativen geht 
uebrigens der Selbsthilfecharakter der Sozialversicherung in Oesterreich 
zurueck, deren Verstaatlichung durch die schwarz-blauen Regierung von der 
Sozialdemokratie nahezu ohne Widerstand hingenommen wurde.
Hatte die Sozialdemokratie lange Zeit (bis zum Ende des 1. Weltkriegs) 
gehofft, der Sozialismus koenne durch die Durchsetzung des allgemeinen 
Wahlrechts verwirklicht werden, hat sie sich nach der voruebergehenden Rolle 
am Krankenbett des Kapitalismus (in der Zwischenkriegszeit) mit seiner 
Verwaltung unter Beruecksichtigung von sozialen Mindeststandards (nach dem 
2. Weltkrieg) begnuegt. Die Gewerkschaftsbewegung im Allgemeinen und der 
OeGB im Besonderen haben als Aufpasser gedient und im Proletariat fuer Zucht 
und Ordnung gesorgt. So wurde der Oktoberstreik 1950 - haeufig als 
Kommunistenputsch verunglimpft - nicht von der Exekutive, sondern von 
Rollkommandos der Gewerkschaft der Bauarbeiter nieder gewalzt.
Idealbild des Arbeiters
Die Gewerkschaftsbuerokratie orientierte ihre Politik auf das Ideal eines in 
einem regulaeren Arbeitsverhaeltnis taetigen Facharbeiters. Im Normalfall 
sollte sein Einkommen ausreichen, damit die Ehefrau nach der Geburt des 
ersten Kindes zu Hause bleiben konnte. Frauenfragen blieben im OeGB bis zur 
Herausbildung der Frauenbewegung im Gefolge der 68-er Bewegung voellig 
unterbelichtet. Das Menschenbild des OeGB richtet sich bis heute nach diesem 
Muster, das mit der sozialen Realitaet immer weniger uebereinstimmt.
So gern die Moderne auf Wurzeln im griechischen Altertum zurueckgreift, so 
wenig Staat ist damit in puncto Arbeit zu machen. In der Antike galt 
Handarbeit als unrein; wer sie versah, wurde nicht als frei betrachtet. 
Platon sah die Musse als Voraussetzung an fuer die bewusste schoepferische 
Auseinandersetzung des Menschen mit Natur und Gesellschaft an. Derartige 
Aneignungsprozesse haben tatsaechlich mit hoechst entfremdeter Fabrik- 
und/oder Bueroarbeit nicht das Geringste zu tun.
Waehrend Friedrich Engels, Kampfgenosse von Karl Marx, die Arbeitsfaehigkeit 
fuer den Kern der Definition des Menschen hielt, plaedierte Paul Lafargue, 
Schwiegersohn von Karl Marx, fuer das "Recht auf Faulheit". Die einst wie 
jetzt herrschende Arbeitsorientierung charakterisierte er folgendermassen: 
"Die kapitalistische Moral, eine jaemmerliche Kopie der christlichen Moral, 
belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Bannfluch: Ihr Ideal besteht 
darin, die Beduerfnisse des Produzenten auf das geringste Minimum zu 
reduzieren, seine Genuesse und Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle 
einer Maschine zu verurteilen, aus der man ohne Rast und ohne Dank Arbeit 
nach Belieben herausschindet."
Betrachtet man die Ergebnisse der juengsten Studien zum Thema Arbeitsleid in 
Oesterreich, so hat sich - abgesehen von der Ausdrucksweise, von den 
weitgehend gesicherten Basisbeduerfnissen und vom Wegfall schwerster 
koerperlicher Arbeit - an der Grundsituation der Werktaetigen seit dem 19. 
Jahrhundert wenig geaendert. Der groesste Wandel besteht vielleicht darin, 
dass heute als normal betrachtet wird, was damals noch als Zumutung erkannt 
wurde.
Drei Pilotprojekte des OeGB
Der OeGB beschreitet weiterhin diesen Holzweg. Die Gewerkschaft fungiert 
zwar als Organisator, der das Bewusstsein der Werktaetigen wach haelt, 
zusammenhalten zu muessen, um von den Unternehmern etwas zu erreichen. Sie 
fuehlen sie sich jedoch bemuessigt, den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und 
Kapital in die geordneten Bahnen der Sozialpartnerschaft zu lenken. Mit dem 
Ergebnis etwa, dass die Realloehne zwischen 1998 und 2005 nach einer Studie 
des Rechnungshofs in Oesterreich nicht gestiegen, sondern signifikant 
zurueckgegangen sind: Zuwaechse wurden lediglich im obersten Zehntel der 
Hoechstverdiener verzeichnet. Das ist ein Versagen des OeGB auf der ganzen 
Linie, das wesentlich schwerer wiegt als die Organisationskrise und das 
BAWAG-Debakel.
Fuer die Gewerkschaftsbewegung bleibt die Berufsausuebung offenkundig ein 
wesentliches Kriterium fuer Mitgliedschaft und inhaltliche Orientierung. 
Dennoch ist ein bestimmter Wandel im Verhaeltnis der Gewerkschaften zu den 
nicht in die Arbeitswelt integrierten Gruppen der Bevoelkerung 
festzustellen. Was freilich kein Wunder ist, nachdem die Zahl der irregulaer 
beschaeftigten Gruppen bereits rund die Haelfte der Vollzeitarbeitskraefte 
ausmacht.
Die Bestimmung, wonach die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften mit 
Arbeitslosigkeit nicht vereinbar sei, wurde schon vor laengerer Zeit 
aufgehoben. In der Reformdebatte vor dem OeGB-Kongress wurden ueberdies neue 
Zielgruppen ins Visier genommen. Dazu heisst es in einer "Kurzfassung der 
Reformbeschluesse": "Der OeGB betrachtet die Zielgruppenarbeit als eine 
Kernaufgabe. Dazu werden vorerst drei Pilotprojekte ins Leben gerufen: 
Menschen in Sozialberufen; Arbeitslose, die in AMS-Massnahmen eingebunden 
sind; Atypisch Beschaeftigte."
Man darf gespannt sein, ob vom OeGB-Kongress Signale ausgesandt werden, die 
als Botschaft an die prekaer an oder unter der Armutsgrenze Lebenden und an 
die immer vorhandene, aber von der Oeffentlichkeit jetzt wieder entdeckte 
Unterschicht verstanden werden koennen. Die Frage ist vor allem, welche 
Haltung der OeGB zur bedarfsorientierten Grundsicherung einnimmt. Die von 
der Regierung ins Auge gefasste Mindestsicherung schreibt bloss den Status 
quo der Armut fest; sie ist eine Exitstrategie aus dem sogenannten Sozial- 
bzw. Wohlfahrtsstaat.
(Lutz Holzinger; Augustin)
 
*
> Der Kongress tanzt, andere diskutieren!
> Diskussionsveranstaltung: Wo bleibt die europaeische 
> Gewerkschaftsbewegung?
Donnerstag, 11. Jaenner 2007, 18h30 im IWK, Bergg.17, Wien 9
Ende Jaenner tagt der OeGB-Reformkongress: Was kann die Gewerkschaft von 
internationalen Erfahrungen und Kooperationen lernen? Was kann sie zu einer 
transnationalen Vernetzung beitragen? Im Rahmen der Podiumsdiskussion wird 
das neue Heft der Zeitschrift "Kurswechsel" zum Thema "Gewerkschaftsreform" 
vorgestellt.
Georg Adam (Wien): Gibt es gewerkschaftliche Strategien fuer eine 
europaeische Sozialpolitik?
Wolfgang Greif (Wien): Gewerkschaftsreform in Oesterreich und internationale 
Zusammenarbeit
Nikolaus Hammer (Leicester): Transnationale Strategien in der 
gewerkschaftlichen Erneuerung
Sandra Stern (Wien): Wie koennen Interessen atypisch Beschaeftigter 
transnational vertreten werden?
Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe "Baustelle Soziales Europa. Zur 
Transnationalen Formierung von Interessen"
> Buchpraesentation und Diskussion
"Der wankende Riese - Gewerkschaften zwischen Globalisierung und Krise der 
Sozialpartnerschaft" (Molden Verlag, 2006) mit Reinhard Engel, Buchautor
Kommentar: Klaudia Paiha, UG-Bundessekretaerin, Bundessprecherin der AUGE/UG
Moderation: Markus Koza, Vertreter der UG im OeGB Bundesvorstand
Ort: AUGE/UG Buero, Belvederegasse 10/1, 1040 Wien
Zeit: Dienstag, 16. Jaenner 2007, 19.00 Uhr
"Fuer die Gewerkschafter war es ein Alptraum: Die gewaltigen 
Spekulationsverluste der BAWAG brachten den OeGB selbst an den Rand des 
Konkurses. Jetzt ist der OeGB politisch geschwaecht und muss seine Finanzen 
mit einem drastischen Sparprogramm sanieren. Werden die Gewerkschaften aus 
fehlender Staerke aggressiver auftreten? Die Welt des OeGB war schon vorher 
nicht mehr heil gewesen: Die Mitgliederzahlen sanken bestaendig, 
Globalisierung und Verlagerung von Unternehmen setzten die Gewerkschaften 
unter Druck, auf die Herausforderungen der atypischenBeschaeftigten fand man 
bisher keine Antwort.
Dieses Buch stellt die zwei wichtigsten Fragen: Braucht Oesterreich in einer 
globalisierten Wirtschaft noch Gewerkschaften? Mit Sicherheit ja. Und kann 
die derzeitige OeGB-Fuehrung die notwendigen Weichen fuer die Zukunft 
stellen? Es waere noch moeglich, aber sehr gut stehen die Chancen nicht."
(Aus dem Klappentext)
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen 
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht 
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck 
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete 
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von 
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine 
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als 
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann 
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin