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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Januar 2007; 20:37
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EU/Asyl:

> Zurueck in den Irak

Mit der Verschaerfung ethnisierter und sektiererischer Konflikte im Irak
zeigt die europaeische Irak-Politik einmal mehr ihre Januskoepfigkeit.
Waehrend auf der einen Seite Horrorszenarien entworfen werden, gilt der Irak
als "sicher", sobald es darum geht Fluechtlinge dorthin abzuschieben.

Wie katastrophal sich die Sicherheitssituation im Irak in den letzten
Monaten entwickelt hat, muss hier kaum noch geschildert werden. Nach zwei
Jahren Terrorkrieg gelang es Gihadisten und Postbaathisten den Irak in einen
ethnisierten Buergerkireg zu treiben, in dem taeglich mehr tote
ZivilistInnen zu beklagen sind. Frauen wagen sich in grossen Teilen des
Landes kaum mehr auf die Strasse.Ethnische und religioese Minderheiten, wie
Christen, Mandaeer oder Yezidi werden ebenso zwischen den grossen
Kriegsparteien zerrieben, wie irakische Intellektuelle, die sich einer
Ethnisierung verweigern. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im
April 2003 sind im Irak nach inoffiziellen Schaetzungen bereits 160
Professoren von Universitaeten und Gymnasien ermordet worden. Unter
irakischen Intellektuellen gehen Geruechte um, dass Milizen und ihre
Unterstuetzer in den irakischen Nachbarstaaten gezielt die intellektuelle
Elite des Landes beseitigen wollen. Aber auch fuer ganz normale IrakerInnen
ist das Leben unter Terrorangst zunehmend unertraeglich geworden. Dazu kommt
noch, dass die Ethnisierung selbst in Gebieten mit relativer Sicherheit, wie
den kurdischen Provinzen, einer zunehmend autoritaeren und
nationalistischeren Politik den Weg ebnet. Kein Wunder, dass es angesichts
des aktuellen Desasters genau das gibt, was 2003 vergeblich erwartet wurde:
eine neue Welle irakischer Fluechtlinge in die Nachbarlaender des Nahen
Ostens und nach Europa.

Autoritaere Tendenzen in den kurdischen Provinzen

All dies ist in Europa gut bekannt und wird, v.a. von antiamerikanischen
EuropaeerInnen manchmal gar mit einem gewissen Triumphgefuehl thematisiert.
Sobald es jedoch um irakische Fluechtlinge geht, wird die irakische
Katastrophe ploetzlich klein geredet. Zumindest die kurdischen Provinzen
werden zunehmend als sicher betrachtet und als moegliches Abschiebungsziel
interessant. Ignoriert wird dabei, dass die kurdische Autonomie immer noch
einen durchaus prekaeren Status besitzt und weiterhin mit den Geschicken der
anderen Teile des Irak verbunden ist. Ignoriert wird jedoch ebenfalls, dass
die prekaere Sicherheitslage und die Ethnisierung der Konflikte auch in den
kurdischen Provinzen die Tendenz zu einer autoritaereren Politik der beiden
kurdischen Regierungsparteien PDK und PUK verstaerkt hat, die sich gegen
Angehoerige radikaler Oppositionsgruppen ebenso richtet, wie gegen die
Presse- und Meinungsfreiheit. Vor den letzten Wahlen wurde im Dezember 2005
ein Parteibuero der Islamischen Union Kurdistans (Yekgirtu), einer den
Muslim Bruedern nahestehende Oppositionspartei, von Anhaengern der
Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) in Brand gesetzt. Vier Aktivisten der
Oppositionspartei kamen dabei ums Leben. Assyrische Gruppen warfen der PDK
waehrend der Wahlen vor, in ihren Doerfern die Wahl behindert zu haben.
Soziale Proteste werden auch in Irakisch-Kurdistan mit zunehmender
Brutalitaet niedergeschlagen. In Halabja hatten im vergangenen Maerz
tausende BewohnerInnen die Gedenkstaette fuer die Giftgasangriffe unter
Saddam Hussein gestuermt und verwuestet, nachdem kurdische
Sicherheitskraefte einen jungen Demonstranten erschossen hatten. Eine
Repressionswelle der kurdischen Sicherheitskraefte in der Stadt trieb in der
Folge Jugendliche aus der Stadt in die Flucht. Im August 2006 kamen bei
Protesten in mehreren kurdischen Staedten zwei Demonstranten ums Leben,
nachdem Sicherheitskraefte der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) das
Feuer auf die Protestierenden eroeffnet hatten. Hunderte landeten im
Gefaengnis. Parteiunabhaengige JournalistInnen wurden mehrmals verhaftet,
Aktivisten der Arbeiterkommunistischen Partei oder anderer radikaler
Oppositionsgruppen eingeschuechtert.

Erste Abschiebungen

Trotzdem preschen derzeit einige europaeische Staaten vor, irakische
Fluechtlinge wieder los zu werden. Waehrend neue irakische Fluechtlinge eben
erst Europa erreichen, droht tausenden IrakerInnen, die teilweise schon
jahrelang in Europa sind, nun die Abschiebung in eine ungewisse Zukunft.

Den Vorreiter spielte diesmal Grossbritannien, wo seit den Zeiten des
britischen Protektorats ueber den Irak die groesste irakische Community
Europas lebt. Bereits am 20. November 2005 ging der erste Deportationsflug
abgewiesener irakischer AsylwerberInnen aus der EU in den Irak. 15 Irakis
wurden direkt aus Grossbritannien nach Arbil, der Hauptstadt des kurdischen
Autonomiegebietes, geflogen. Dort wurden sie mit 100 U$ entlassen. Spaeter
stellte sich heraus, dass mindestens einer der Fluechtlinge widerrechtlich
abgeschoben worden war.

Dabei hatten die kurdischen Behoerden sich offiziell geweigert,
Abschiebungen entgegen zu nehmen. Als die Fluechtlinge da waren, sahen sich
die Behoerden vor Ort jedoch vor vollendete Tatsachen gestellt.

Als naechstes folgt nun Deutschland, wo rund 75.000 IrakerInnen leben, davon
zwischen 14.000 und 15.000, die lediglich ueber einen prekaeren
Aufenthaltsstatus verfuegen. Obwohl die Diktatur gestuerzt wurde, vor der
die meisten von ihnen seit den 1970er-Jahren geflohen waren, will die
ueberwiegende Mehrheit dieser ExilirakerInnen nicht in den Irak
zurueckkehren. Neben im Laufe der Zeit entstandenen familiaeren und
beruflichen Bindungen in Europa fuerchten sie vor allem die neuen
Unsicherheiten, die durch Terrorismus, Besatzung und Milizenherrschaft
entstanden sind, die eine Rueckkehr in den Irak fuer viele unmoeglich
machen. Seit 2004 versendet das Bundesamt fuer Migration trotz der zunehmend
katastrophaleren Sicherheitslage im Irak so genannte Widerrufsbescheide an
irakische Fluechtlinge. Mit der Begruendung, der Fluchtgrund Saddam Hussein
waere nun weggefallen, wurden so aus anerkannten Fluechtlingen nur noch
"Geduldete". Von diesem Widerruf betroffen waren allein im vergangenen Jahr
ueber 7.000 irakische Fluechtlinge, die nun ihren Wohnort bzw. dessen
unmittelbare Umgebung nicht mehr verlassen duerfen, keine
Beschaeftigungsmoeglichkeit mehr haben und so ueber Nacht zum Sozialfall
degradiert werden.

Verschaerft wird die Situation jetzt noch durch die neue
"Bleiberechtsregelung" fuer "Geduldete", von der IrakerInnen ausdruecklich
ausgenommen werden sollen. Obwohl das UN-Fluechtlingskommissariat, NGOs und
christliche Kirchen Anfang November vor genau dieser Ausnahme fuer
IrakerInnen warnten, wird die Herausnahme von IrakerInnen aus der
"Bleiberechtsregelung" durch massives Betreiben des bayerischen
Innenministers Guenther Beckstein immer deutlicher Konsens unter deutschen
Innenministern. Das niedersaechsische Innenministerium fragte mittlerweile
in einem Rundschreiben an die Auslaenderbehoerden des Landes bereits nach
IrakerInnen, die fuer eine Deportation in Frage kommen.

Druck zur "freiwilligen" Rueckkehr

Bislang setzte Deutschland ueberwiegend darauf, IrakerInnen durch die
Aberkennung des Fluechtlingsstatus so den Aufenthalt im Lande zu vergaellen,
dass diese "freiwillig" in den Irak zurueckkehren. In diesem Zusammenhang
konnten auch einige kurdische und assyrische ExilirakerInnen gefunden
werden, die mit Initiativen mit klingenden Namen wie "Coming Home" oder
"Heimatgarten" ihre berufliche Karriere darauf bauen, andere Exilirakis zur
"Rueckkehr" zu ueberreden. Dabei wird in eigens dafuer organisierten
Versammlungen die Zukunft im Irak in den schoensten Farben ausgemalt und
nicht vergessen darauf hinzuweisen, dass wer jetzt nicht freiwillig ginge,
vielleicht schon bald zwangsweise abgeschoben werde. Als "Starthilfe" winken
Euro 500.- pro Person, womit im Irak gerade einmal zwei Monatsmieten fuer
eine Wohnung bezahlt werden koennen. Die Funktionaere dieser Organisationen
werden deutlich mehr verdienen. Immerhin finanziert das Bundesamt fuer
Migration eine Deutschland-weite Tour des "Internationalen Vereins fuer die
Menschenrechte der Kurden", um diesen fuer die sanfte Abschiebung ihrer
Landsleute einsetzen zu koennen. Neben den guten Verdienstmoeglichkeiten in
der Rueckkehrbranche kann in den ethnisierten Konflikten im Irak so noch
weiteres "Menschenmaterial" fuer die eigene "Ethnie" nachgeliefert werden.

Woechentliche Abschiebungen geplant

Dass es Deutschland mit der Androhung in Zukunft eine haertere Gangart
einzuschlagen tatsaechlich ernst meint, zeigten die ersten beiden
Zwangsabschiebungen. Bereits im Dezember 2005 wurde ein irakischer
Fluechtling aus Muenchen, im Fruehling 2006 einer aus Frankfurt am Main in
den Irak abgeschoben. Der aus Muenchen abgeschobene Fluechtling berichtete
spaeter, er sei von Bundespolizisten in einer kleinen Maschine vom
jordanischen Amman nach Erbil gebracht worden und waehrend des gesamten
Fluges gefesselt gewesen. Die kurdischen Behoerden haetten sich darueber
gewundert, dass er in Handschellen das Flugzeug verliess, und
vorsichtshalber den kurdischen Geheimdienst gerufen. Dieser habe ihn mit
verbundenen Augen zu einem Verhoer gebracht, bei dem er stundenlang
beschimpft und geschlagen worden sei.
Waehrend offiziell die irakischen Behoerden keine Zwangsdeportierten
entgegen nehmen, setzen die deutschen und britischen Behoerden bislang auf
die Macht des Faktischen. Fuer den Irak werden keine Heimreisezertifikate
beantragt. In Arbil - so die Ueberlegung - werde man die Deportierten schon
nicht mehr nach Europa zurueckschicken.
Tatsaechlich ist mittlerweile alles fuer Abschiebungen in den Irak bereit.
Mit der kurdischen Charterflug-Airline Zozik Air haben die deutschen
Innenminister bereits eine Airline gefunden, die in Zukunft woechentlich
deportierte IrakerInnen mit deutschem Wachpersonal direkt nach Sulemaniya
transportieren soll.

Offizielle Reisewarnung

Das Absurde daran: Was die deutschen Innenminister fuer sicher halten,
halten andere deutsche Behoerden noch lange nicht fuer einen sicheren Staat.
Bereits vor einem Jahr hatte der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND)
davor gewarnt, der Irak koenne sich in einen Failed State verwandeln. Und
das deutsche Auswaertige Amt haelt weiterhin eine Reisewarnung fuer den
gesamten Irak aufrecht. Deutschen Staatsangehoerigen wird auf der Website
des Auswaertigen Amtes "dringend geraten, das Land zu verlassen". Dabei wird
ausdruecklich darauf hingewiesen, dass die "genannten Sicherheitsrisiken [...]
grundsaetzlich auch fuer den vergleichsweise ruhigeren und stabileren Teil
der Provinzen Dohuk, Arbil und Sulaimaniya", also die drei von den
Innenministern als sicher eingestuften kurdischen Provinzen, gelten.
Waehrend der Irak also vom Auswaertigen Amt fuer eines der gefaehrlichsten
Laender der Welt gehalten wird, sind die Innenminister der Meinung, dass in
dieses Land problemlos abgeschoben werden kann.
Auch vom oesterreichisches Aussenministerum wird vor Reisen in den Irak
"ausdruecklich gewarnt". Wenn dabei die kurdischen Provinzen als
vergleichsweise sicherer eingeschaetzt werden, besteht laut
Aussenministerium "auch in dieser Region weiterhin die Gefahr von
Terrorakten". Konsequenterweise wird deshalb vor Reisen in den gesamten Irak
gewarnt. Bislang sind aus Oesterreich noch keine Aberkennungen des
Fluechtlingsstatus von irakischen Fluechtlingen bekannt. Von den 4.000 bis
5.000 IrakerInnen, die in Oesterreich leben, besitzen schaetzungsweise ueber
die Haelfte bereits eine oesterreichische Staatsbuergerschaft. Sollte es
sich in anderen EU-Staaten jedoch durchsetzen, IrakerInnen wieder in ihr vom
Buergerkrieg gebeuteltes Land abzuschieben, koennte mittelfristig auch
irakischen Fluechtlingen in Oesterreich Gefahr drohen. Ganz zu schweigen von
der Situation neu ankommender Buergerkriegsfluechtlinge, deren Zahl seit
August 2006 deutlich zugenommen hat und deren Zukunft in der EU aeusserst
ungewiss ist.
(Thomas Schmidinger, asyl aktuell 4 / 2006, zeitschrift der asylkoordination
oesterreich)

Kontakt: asylkoordination@asyl.at, http://www.asyl.at


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