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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Dezember 2006; 16:03
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Buecher:
> Kritik der Gewalt
Charles Jacquier (Hg.):
Lebenserfahrung und Geistesarbeit
Simone Weil und der Anarchismus
Verlag Graswurzelrevolution 2006
380 Seiten, 24,80 EUR (D)
ISBN 3-939045-04-7
Der in Marseille lebende Autor Lou Marin, -- in "Ursprung der Revolte" 
setzte er sich fundiert und hoechst spannend mit Camus in bezug auf 
libertaere Rezeption auseinander -- hat diese neu erschienene Biographie zu 
Simone Weil ins Deutsche mituebersetzt. Auf seiner Lesereise praesentierte 
er eine Einfuehrung in die Inhalte der Hauptwerke und einige der historisch 
verankerten bedeutsamen Gedankengaenge Simone Weils.
Die Philosophin Simone Weil (1909 bis 1943) wuchs in einer 
grossbuergerlichen assimiliert-juedischen Familie in Paris auf. Ihr Leben 
wurde von einer pazifistischen, einer anarchistischen und einer christlichen 
Lebensphase gepraegt. Sie wird primaer als gewaltkritische Anarchistin 
diskutiert. Ihre Teilnahme am spanischen Buergerkrieg 1936 fundierte ihre 
Kritik an revolutionaerer Gewaltanwendung, So hatte sie etwa formuliert: der 
Krieg ist das Grab der Revolution. Sie hatte betont, dass es ueberall eine 
Notwendigkeit darstellt, Gewalt zurueckzudraengen, angesichts des 
Nationalsozialismus und Faschismus war sie bereit, eine gewaltsame 
Auseinandersetzung anzuerkennen, sie hatte jedoch betont, dass es fuer sie 
nicht in Frage kommt, individuell einen Menschen zu toeten. In dieser 
Lebensphase war sie zwar an der Front im spanischen Buergerkrieg mit einer 
Waffe ausgeruestet, hatte sich jedoch nicht vorstellen koennen, selber zu 
toeten. Ihre Erfahrungen an der Front, ihr Erleben der Verrohung und 
Brutalisierung menschlicher Existenz liess sie daran zweifeln, dass eine 
gewaltsame Organisationsform jemals menschliche Freiheit bringen koennte, 
die kritischen Reflexionen ihrer Frontbriefe beleben bis heute die 
Diskussion.
Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Mainstream erarbeitete diese 
Philosophien ihre Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung. Sie betonte stets, dass 
erst die eigene Lebenserfahrung Rueckschluesse zulassen kann und kritisierte 
in diesem Zusammenhang sehr unmittelbar den traditionellen Marxismus. Lenin 
warf sie etwa vor, Theorien auf einer Basis zu entwickeln, die den Menschen 
nicht gerecht werden, sie stellt die Frage, wie es moeglich sein soll, 
wirklichkeitsnah zu sein, ohne jemals in seinem Leben einen Fuss in eine 
Fabrik gesetzt zu haben. An seiner Methode wirft sie Lenin vor, dass sie den 
Eindruck gewonnen hat, er wuerde sich etwas in seinem Kopf ausdenken, dann 
jene Beispiele suchen, die ihm in dieses Konzept passen, um die ohnehin 
vorher schon feststehenden Gedanken nur noch zu bestaetigen, alles, was sich 
in dieses Konzept nicht fuegt, ausser acht lassend. Wohl gab es zu dieser 
Zeit heftige Debatten und intensive Auseinandersetzungen mit den 
marxistischen Stroemungen, die Deutlichkeit, Unverbluemtheit und 
intellektuelle Tiefe Weils Kritik liess jedoch viele Menschen aufhorchen.
Es war Teil ihrer Herangehensweise, den Verhaeltnissen, welche sie 
analytisch zu fassen vermochte, zunaechst mit eigener Erfahrung zu begegnen. 
Sie beschaeftigte sich primaer mit dem Begriff der Freiheit in der 
Arbeitswelt, nicht jedoch, ohne jahrelange Erfahrung in der Fabriksarbeit 
gesammelt zu haben. Nach ihrer taeglichen Arbeit in den Fabriken fuehrte sie 
Tagebuchaufzeichnungen, um zu reflektieren, was die Installation dieser 
Arbeitsgestaltung fuer sie bedeutet hat.
Lange bevor der Begriff der Technokratie in die Debatte eingefuehrt wurde, 
setzte sie sich mit jenen strukturellen Gewaltfaktoren auseinander, die dem 
technokratischen und buerokratischen Apparaten zugeordnet werden koennen.
Betont wurde von Lou Marin ein Ausschnitt aus ihrer Sichtweise dem 
Seinsbegriff des Menschen gegenueber. Simone Weil verortet die 
Kategorisierung in "Gut" und "Boese" als Ausgangsbasis, die jene 
Grundbedingungen schafft, welche die Minderbewertung, Abwertung, 
Entwuerdigung, Entmenschlichung und folglich jede Form von Gewaltanwendung, 
bis zu Folter und Massaker ermoeglicht. Was Hannah Arendt sehr viel spaeter 
mit der ‚Banalitaet des Boesen' bezeichnet hat, hatte Simone Weil bereits 
angedacht und formuliert. Wer soziales Leben auf Basis der Kategorisierung 
menschlicher Existenz betrachten moechte, nimmt Verurteilung in Kauf, begibt 
sich bereits auf ein Terrain, welches in letzter Konsequenz den 
"Herrenmenschen" schafft.
*Rosi Krenn*
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