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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. Dezember 2006; 16:02
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Wirtschaft/Glosse:

> Mikrokredite: Das zynische Konzept des Neoliberalismus

Im Oktober 2006 erhielt ueberraschend ein "Banker" den Friedensnobelpreis.
Muhammad Yunus ist der Gruender der Grameen-Bank, deren System von
"Mikrokrediten" inzwischen weltweit Anerkennung und Nachahmung gefunden hat.
Die Grameen-Bank ging 1983 aus einem Pilotprojekt in Bangladesh hervor und
hat nach eigenen Angaben bis heute Kredite an 6,6 Millionen Menschen geben,
davon sind 97% Frauen. Die Mikrokredite werden heute international - von
Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, von Menschen mit sehr
unterschiedlichem politischen Hintergrund -- als ein wesentlicher Ansatz
fuer die Armutsbekaempfung gesehen. Kritische Stimmen hoert man selten. Ist
die Quadratur des Kreises tatsaechlich gelungen?

Von 1997-2006 hatte die UNO das "Jahrzehnt fuer die Ausrottung der Armut"
ausgerufen. Tatsaechlich ist die Armut aber gestiegen. Es reicht nicht,
hierzu Zahlen wie "wie viel Dollar hat ein Mensch pro Tag zur Verfuegung"
heranzuziehen. Teilweise sogar aussagekraeftiger sind Angaben zu
Kindersterblichkeit, Unterernaehrung, Zugang zu Bildung und
Gesundheitswesen, Stellung von Frauen u.ae.. Tatsache ist, dass die Anzahl
der Hungersnoete in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen hat. Gab es in
den 1980er Jahren durchschnittlich international 15 Hungersnoete pro Jahr,
so war diese Zahl nach der Jahrtausendwende auf durchschnittlich 30 pro Jahr
angestiegen. Zur selben Zeit hat rund ein Viertel der Weltbevoelkerung
keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. In Teilen von Afrika und Suedostasien
leiden 40-50% aller Kinder an Mangelerscheinungen. Die
Kuerzungen/Privatisierungen im Gesundheitswesen bringen nun auch in
Osteuropa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion Armutskrankheiten wie
TBC wieder auf die Tagesordnung.

Konzepte, wie den Armen zu helfen ist, gab und gibt es viele. Niemals sind
sie ideologiefrei, sondern folgen in ihrer Entwicklung dem politischen und
oekonomischen Mainstream. Wenn nun Mikrokredite von Institutionen wie UNO
und Weltbank massiv unterstuetzt und gefoerdert werden, dann ist Misstrauen
angesagt.

In der Wirtschaftspolitik haben sich seit den 1980er Jahren die Doktrin
massgeblich geaendert. Der Neoliberalismus ist das alles beherrschende
Prinzip und der Hype der Mikrokredite ist dafuer Ausdruck. Hand in Hand ging
diese Entwicklung mit einem geaenderten politischen Kraefteverhaeltnis. In
den 1960er und 70er Jahren traten die ex-kolonialen Staaten selbstbewusst
auf: sie waren noch nicht in der Schuldenfalle, hatten grossteils ihre
Kolonialherren abgeschuettelt und zumindest formale Unabhaengigkeit erlangt
und in Form der Sowjetunion existierte eine (zweifellos in vielen Punkten zu
kritisierende) Systemalternative zum Kapitalismus. Heute ist die
Schuldenlast der neokolonialen Staaten erdrueckend, ihre politische und
wirtschaftliche Abhaengigkeit wieder gross und ihre herrschenden Eliten
meist Marionetten verschiedener imperialistischer Staaten

Mikrokredite und Agrarpolitik

Die Agrarpolitik ist ein international sehr brisantes Themen und Ursache
fuer internationale Konflikte, z.B. zwischen den USA und der EU, oder auch
innerhalb der EU. Auch in den internationalen Institutionen, vorneweg der
Welthandelsorganisation WTO, stehen Agrarfragen ganz oben auf der
Tagesordnung. Die heutige Situation laesst sich im wesentlichen in folgenden
Punkten zusammenfassen:

- Die Industriestaaten haben Agrarueberschuesse, die sie gerne in der
"3.Welt" absetzen wollen

- Die Agrarproduktion wird international immer staerker industrialisiert,
was insbesondere in aermeren Laendern zu Landverlust fuer die bisherigen
Kleinbauern/baeuerinnen fuehrt. Hybridsaatgut beschleunigt diesen Prozess
noch, da die Kleinbauern/baeuerinnen rasch in der Schuldenfalle landen.

- Die Industriestaaten exportieren Agrarprodukte in die "3.Welt" die
ihrerseits auf die Importe angewiesen ist, da sie auf exportorientierte
Produktion umgestellt hat (Kaffee, Tee, Tabak etc.).

- Die Agrarproduktion in den Industriestaaten wird teilweise hoch
subventioniert, waehrend u.a. durch die WTO bzw. Einzelvertraege den
neokolonialen Staaten ihrerseits das Subventionieren verboten wird.

- Die Politik von internationalen Institutionen wie IWF, Weltbank und WTO
verschaerfen die Ungleichheit noch indem z.B. die Kreditvergabe an
weitreichende Zugestaendnisse gekoppelt ist:

- Die Subventionen von lebensnotwendigen Guetern werden stark reduziert bzw.
abgeschafft. D.h. dass Grundnahrungsmittel und Heizmaterial stark im Preis
steigen, was den Lebensstandard der Bevoelkerung teilweise rapide absinken
laesst. Die revolutionaere Bewegung 1998 in Indonesien wurde durch ein
derartiges IWF-Diktat ausgeloest.

- Die landwirtschaftliche Produktion wird auf den Export umorientiert, die
Ertraege fuer den Schuldendienst verwendet. Die eigene Bevoelkerung kann
nicht mehr ernaehrt werden.

- Die Strukturanpassungsprogramme (SAP) bedeuten die Reduzierung von
Agrarsubventionen der aermeren Laender, wodurch diese am Weltmarkt noch
schwerer mit den - hoch subventionierten - Agrarprodukten der
imperialistischen Staaten konkurrieren koennen.

Ein Ergebnis dieser Politik ist, dass es seit 1995 wieder eine Zunahme der
weltweiten Unterernaehrung gibt. Die Mikrokredite wirken durchaus auch in
diese Richtung: Kredite werden z.B. in Indien v.a. fuer die Errichtung
kleiner "Shops" vergeben. Arme Menschen werden aus der Landwirtschaft in den
Dienstleistungssektor verschoben, und sogar teilweise als Teil einer neuen
Vertriebskette missbraucht. Mit weitreichenden Folgen: Die Abhaengigkeit
steigt massiv. Waehrend vorher die eigene Landwirtschaft zwar nur karge
Ertraege brachte, stellte sie doch eine Moeglichkeit, die eigenen
Grundbeduerfnisse auch ohne den Gelderwerb zumindest teilweise zu sichern.
Durch den Wechsel in den Dienstleistungssektor ist diese Moeglichkeit nicht
mehr gegeben. Angenehmer Nebeneffekt fuer Multis: Land ist leichter zu
bekommen, die bisherigen LandbesitzerInnen erpressbarer (weil durch die
Kredite verschuldet), die Abhaengigkeit von importierten Nahrungsmitteln
steigt.

Mikrokredite und der internationale Finanzsektor

Ein zentrales Argument fuer Mikrokredite ist, dass hiermit ein Zugang zu
Krediten fuer Menschen geschaffen wird, die zu "normalen" Krediten aufgrund
ihrer mangelnden Sicherheiten keinen Zugang haben. Hier muss die Frage an
den Anfang gestellt werden: Warum gibt es die Armut und auch teilweise einen
Kapitalmangel in diesen Gebieten? Die Armut der sogenannten "3. Welt" ist
das Ergebnis einer jahrhundertelangen kolonialistischen und
imperialistischen Ausbeutung. Diesen Laendern wurden systematisch Rohstoffe
gestohlen, ihre Bevoelkerung brutalst unterdrueckt und ausgebeutet und eine
eigenstaendige industrielle Entwicklung mit aller Gewalt verhindert. Die
internationalen Institutionen - UNO, IWF, Weltbank, WTO etc. - haben daran
nicht nur nichts geaendert, sondern betreiben diese Politik - wenn auch in
diffizilerer Form - weiter. Durch die neoliberale Politik seit den 1980er
Jahren haben sich die Gegensaetze zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb
der einzelnen Staaten, als auch zwischen den "armen" und den "reichen"
Staaten vergroessert. Bis in die 1970er Jahre erhielten die ehemaligen
Kolonien - meist staatliche - Kredite aus den ehemaligen Kolonialstaaten. In
den 1980er Jahren stiegen die Zinsen stark an, was der Beginn der
Schuldenfalle war, in dem ein Grossteil der neokolonialen Staaten heute
steckt. Tatsaechlich kam es in den 1980er Jahren zu einer Umdrehung des
Nettokapitalstromes - d.h. dass die "3. Welt" die Gewinne der
imperialistischen Konzerne der "1. Welt" finanziert. Seit 1995 z.B.
transferiert die Subsahara-Region jaehrlich 1,5 Milliarden Dollar mehr in
die noerdlichen Industriestaaten, als sie erhaelt. In den 1990er Jahren war
der Zugang zu Krediten fuer die aermeren Laender schwer, was auch zu einem
gewissen Kapitalmangel fuehrte. Seit der Jahrtausendwende hat sich das
wieder geaendert, teilweise auch durch die Mikrokredite.

Ein weiterer Grund fuer die Hinwendung internationaler Finanzinstitutionen
zu aermeren Laendern, ist die weltweite Ueberakkumulation. Der Kapitalismus
befindet sich seit den 1980er Jahren in einer Depression - es wird immer
schwerer Gewinne zu machen. Die internationale Konkurrenz steigt, Profite zu
realisieren wird schwerer, es gibt (gemessen an dem, was sich die Menschen
leisten koennen, nicht was sie brauchen) eine weltweite massive
Ueberproduktion. Es wird immer weniger profitabel, Geld im
Produktionsbereich anzulegen. Daher wandern zumindest Teile des Kapitals in
den spekulativen Bereich aus. Das drueckt sich im Boom der Finanzmaerkte und
immer neuen Finanz"produkten" und Spekulationsfeldern aus. Mikrokredite
stellen hier einen neuen Finanzmarkt dar, eine neue KundInnenschicht wird
entdeckt, neue Anlagemoeglichkeiten fuer das internationale Kapital tun sich
auf.

Die UNO hat das Jahr 2005 zum Jahr der Mikrokredite ausgerufen mit dem Ziel,
100 Millionen Menschen als Mikrokredit-KundInnen (und damit SchuldnerInnen)
zu erreichen.

Vergeben werden die Mikrokredite von NGO's
(Nicht-Regierungs-Organisationen), nationalen und internationalen
Bankinstituten. Schon laengst ist dieser Markt von grossen Banken erobert
worden, wie z.B. in Indien der Staatsbank Bank of India, der
Weltbank-Tochter FTC, dem Soros Economic Development Fund oder dem
ResponsAbilityGlobal Microfinanc Fund, einem Fond an dem diverse schweizer
Banken, wie z.B. die Credit Suisse Group beteiligt sind. Viele der
Grossbanken arbeiten hier mit Tochtergesellschaften, in derem Namen
"Entwicklung/Development" oder aehnliches vorkommt, um ihren
"humanistischen" Anspruch zu verdeutlichen. Uebrigens auch eine gute
Moeglichkeit, kritischen AnlegerInnen in den Industriestaaten, die ihr Geld
nicht in Ruestungsaktien oder Umweltsuender stecken moechten, eine
Anlageform mit "reinem Gewissen" zu verkaufen (teilweise bekannt als
"Ethikfonds"). Die internationale Koordination findet unter dem Dach der
Weltbank statt.

Die Austrian Development Agency (ADA), das "Kompetenzzentrum der
Oesterreichischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit" schreibt daher auch
sehr direkt: "Anders als noch vor einigen Jahren gilt Mikrofinanzierung
heute nicht mehr als Wohltaetigkeit, sondern muss profitabel sein."

NGO's agieren oft als Mittler zwischen Banken und "KundInnen" - teilweise
aus Ueberzeugung, teilweise aus Alternativlosigkeit, teilweise weil sie der
verlaengerte Arm der Politik sind. Die Rolle von NGOs insbesondere in
neokolonialen Staaten muss kritisch betrachtet werden, da sie haeufig als
Instrumente eingesetzt werden, um herrschende Vorstellungen (d.h.
Vorstellungen der Herrschenden) umzusetzen und potentiellen Widerstand gegen
Ungerechtigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken.

Das Risiko fuer die Banken ist vergleichsweise gering: die Rueckzahlungsrate
bei Mikrokrediten liegt oft bei ueber 90%, wohl v.a. auch deshalb, weil es
staatliche Zuschuesse bzw. Garantien gibt (was noch nichts darueber aussagt,
wie leicht oder eher schwer es den KreditnehmerInnen faellt, die Kredite
zurueckzuzahlen). Ausserdem wird ein grosser Teil der Kosten
externalisiert - d.h. Beratung und Betreuung, die Einschaetzung, wer einen
Kredit erhaelt und wer nicht, das Eintreiben und Verwalten der
Beitraege/Raten werden von NGOs und v.a. von den KreditnehmerInnen (die
teilweise, wie bei der Grameen-Bank als Mitglieder gehandelt werden)
geleistet. Dabei handelt es sich um unbezahlte Arbeit, die oft als
Vorbedingung fuer die Gewaehrung eines Kredites geleistet werden muss.

Da die Kredite meist in Euro bzw. Dollar gewaehrt werden (als quasi
Fremdwaehrungskredite sind) tragen die KreditnehmerInnen bzw. die
zwischengeschalteten Stellen auch das volle Risiko von
Waehrungsschwankungen.

Alles in allem also ein gutes Geschaeft - das sich auch noch mit
unbezahlbarer Werbung fuers eigene "humane" Image verbinden laesst.

Durchsetzen einer Ideologie: Mehr Privat - weniger Staat

Seit laengerem ist ein Rueckzug der Staaten aus der Entwicklungspolitik zu
verzeichnen. 1970 gab sich die UNO das - seither immer wieder - bekraeftigte
Ziel, dass die "reichen" Staaten 0,7% ihres Bruttoinlandsproduktes fuer
Entwicklungshilfe zahlen sollten. Nachdem die Zahlungen bis Anfang der
1960er Jahre gestiegen waren, sinken sie seither wieder. Zzt. liegt der Wert
bei durchschnittlich 0,4% des BIP, in Oesterreich bei ca. 0,2%. Auch in den
neokolonialen Staaten selbst werden Massnahmen zur Armutsbekaempfung u.a.
auf Druck von IWF und Weltbank abgeschafft - z.B. die Subventionen fuer
Grundnahrungsmittel. Das Konzept, Armut durch Zahlungen aus den reichen
Staaten (und nicht durch die Konzerne, die von der Ausbeutung dieser Staaten
profitieren) zu beenden, kann und soll hinterfragt werden, aber das Sinken
der Entwicklungshilfe spiegelt den Privatisierungstrend wieder, der auch in
diesem Bereich um sich greift.

Waehrend also einerseits die staatlichen Massnahmen zurueckgehen, findet
andererseits eine enorme Propaganda fuer Mikrokredite statt. In den 1970er
Jahren galt "Hunger ist kein Schicksal" und die Verantwortung von
Kolonialismus und Imperialismus fuer Armut war breit bekannt. Viele
ex-koloniale Staaten setzten damals auf eine Politik der
Importsubstituierung, d.h. es wurde versucht, Produkte selbst anzubauen und
zu produzieren, um sich unabhaengiger von auslaendischen Importen zu machen
(was in Zeiten zunehmender internationaler Konkurrenz von den
imperialistischen Staaten u.a. durch die WTO beendet wurde). Auch im
Verstaendnis fuer die Verantwortung fuer Armut fand ein Paradigmenwechsel
statt. Gerade die Mikrokredite schaffen die Illusion, das jede und jeder nun
eine Chance haette, sich aus der Armut zu befreien. "Jeder ist seines
Glueckes eigener Schmied" steht gross ueber der Propaganda fuer
Mikrokredite. Was auch bedeutet: Wer angesichts dieser grossartigen
Moeglichkeiten arm bleibt, ist selbst schuld.

In der Erklaerung des Microcredit Summits von 1997 wurde vermerkt,
Mikrokredite waeren der Sieg des Pragmatismus ueber die Ideologie. Richtiger
waere es zu sagen, Mikrokredite sind der Austausch einer durch eine andere
Ideologie.

Die Position von Nobelpreistraeger Muhammad Yunus passt gut in diesen
ideologischen Wechsel. Er ist z.B. gegen Schuldenstreichung fuer die "3.
Welt" und meint "Menschen wachsen durch Herausforderungen, nicht durch
Linderungsmittel". Und vergisst dabei ganz, dass das Leben in z.B.
Bangladesh an sich schon eine taegliche Herausforderung ist und dass es
nicht um Geschenke, sondern ein Ende der Ausbeutung geht.

Mikrokredite: Was bringen sie den Armen?

Nach all dieser Kritik kann man anmerken, dass Mikrokredite trotzdem den
Armen helfen, quasi eine Win-Win-Aktion sind, von der sowohl Banken und
Unternehmen als auch die Armen profitieren. Die Realitaet sieht allerdings
anders aus. Umfassende Studien ueber die Wirkung von Mikrokrediten gibt es
nicht, dafuer eine Reihe herzerweichender Einzelbeispiele von Frauen, die
durch einen Mikrokredit eine Kuh und Selbstbewusstsein erhalten hat. Warum
es diese Studien nicht gibt ist an sich schon eine Frage: Warum wird ein
derartig grossangelegtes Projekt nicht bilanziert? Es gibt aber von
KritikerInnen eine Reihe von Untersuchungen und Beispielen fuer die
negativen Auswirkungen von Mirkokrediten:

- Mikrokredite haben in der Regel sehr hohe Zinsen, die Grameen-Bank
verlangt fuer Kredite zur Schaffung von Einkommen 20% pro Jahr, aber es gibt
auch Zinssaetze von bis zu 40% pro Jahr. Diese Werte sind zwar niedriger,
als bei den lokalen, privaten Geldverleihern, aber hoeher als groessere
Kredite bei den z.B. staatlichen Banken. Argumentiert werden die hohen
Zinsen mit dem hohen administrativen Aufwand, um die Kredite zu betreuen und
"zum Kunden" zu bringen. Allerdings werden ja gerade diese Kosten/Leistungen
externalisiert, sind also zum Grossteil von den KreditnehmerInnen selbst zu
erbringen. Und grosse Banken investieren in einen Bereich nur, wenn er
Gewinne verspricht.

- Durch den Wechsel von der Agrarwirtschaft, die eine gewisse
Unabhaengigkeit gewaehrleistet, in den Dienstleistungssektor steigt die
Abhaengigkeit der KreditnehmerInnen, die oft in einen Teufelskreis geraten.

- Die Verschuldung von KreditnehmerInnen - Einzelpersonen oder auch SHGs
(Selbsthilfegruppen, die oft als Basisstruktur fuer die
Kreditaufnahme/vergabe agieren) - steigt. Einerseits haben diese Menschen
oft keine Erfahrung mit "groesseren" Mengen Geld (denn auch wenn es
Mikrokredite sind, so sind es doch hoehere Betraege, als sie sonst haben).
Ausserdem wird ein Grossteil der Kredite fuer unmittelbare Ausgaben in
Notsituationen, Missernte, Tod eines Angehoerigen etc., benoetigt, denen
dann keine entsprechenden Einnahmen, aber dafuer kuenftige Schulden
gegenueber stehen. Und dort, wo die Kredite als Investition eingesetzt
werden, gibt es, wie eine Untersuchung in Suedindien zeigt, den Druck der
Banken, in "Shops" zu investieren. (Frauen z.B., die lieber in eine Muehle
investiert haetten wurden davon "ueberzeugt", in einen "Shop" zu
investieren.) Diese Shops sind selten profitabel - was logisch ist, denn wer
soll in diesen Shops einkaufen? Die lokale Bevoelkerung hat kein Geld, gaebe
es die Nachfrage nach solchen Shops, dann gaebe es sie schon laengst. Aber
irgendwoher muss das Geld ja kommen, um die Kredite zurueckzuzahlen. Oft
raten die Banken den KundInnen auch eher zu einem Kredit, als zum Sparen
(was keine Verschuldung bringen wuerde). Andhra Pradesh, das haeufig als
"Erfolgsstory von Mikrokrediten" praesentiert wird, ist gleichzeitig der
indische Bundesstaat mit der hoechsten Anzahl an Toten aufgrund von
Verschuldung.

- Mikrokredite gibt es nicht fuer die Aermsten der Armen. Durch die
Auswahlkriterien, die eine gewisse "Kreditwuerdigkeit" ergeben muessen (also
die Chance, dass der Kredit auch zurueckgezahlt werden kann) bleiben all
jene, die z.B. nicht arbeitsfaehig sind, als KreditnehmerInnen
ausgeschlossen.

- Das vielleicht haeufigste Argument fuer Mikrokredite ist, dass dadurch die
Selbststaendigkeit von Frauen in stark patriachalen Gesellschaften gestaerkt
wuerde. Tatsaechlich sind in den meisten Faellen Frauen die bevorzugten oder
ausschliesslichen KreditnehmerInnen. Haeufig werden Selbsthilfegruppen (SHG)
eingerichtet bzw. bestehende instrumentalisiert. Das Zusammenkommen von
Frauen in Gruppen, der Austausch von Erfahrungen etc. ist
selbstverstaendlich fuer das Selbstbewusstsein positiv (wobei fraglich ist,
ob es diese Strukturen nicht ohnehin auch schon vor den Mikrokrediten
gegeben hat). Aber je mehr die Kredite, ihre Abwicklung und Betreuung, ins
Zentrum rueckt, desto mehr ruecken andere Themen (Gewalt in der Familie, die
Stellung von Frauen ganz allgemein) in den Hintergrund. Oft werden die SHGs
auch vom Staat oder kreditgebenden Organisationen (z.B. der Grameen-Bank)
benuetzt, um gewisse Vorstellungen in Bezug auf Familienplanung, Hygiene
etc. durchzusetzen. Auch wenn vielleicht diese Vorstellungen (z.B. nur
abgekochtes Wasser zu trinken) positiv sein koennen, drueckt sich darin doch
ein paternalistischer Zugang aus. Berichtet wird auch von negativen
Entwicklungen der SHGs, wenn es fehlende wirtschaftliche Erfolge der
Projekte gibt und die Schuldenrueckzahlung zu Konflikten in der Gruppe
fuehrt. Besonders negativ ist, dass durch die Tatsache, dass v.a. Frauen
diese Kredite bekommen, sich aber an den Familienstrukturen an sich nichts
aendert, v.a. Frauen in die Schuldenfalle geraten. Die Frau nimmt den Kredit
auf, der Mann nutzt das Geld nicht richtig, und die Frau muss den Kredit
dann zurueckzahlen -- durch zusaetzliche Arbeit oder durch weiteren Verzicht
bei eigenen Beduerfnissen.

Abschliessende Bemerkungen

Mirkokredite sind ein internationales Geschaeft, bei dem Millionen, wenn
nicht sogar Milliarden von Dollar im Spiel sind. Die damit betrauten
Institutionen sind sehr unterschiedlich. Nicht jede Kritik muss auf jede
zutreffen. Zweifellos gibt es auch positive Erfahrungen mit
KreditnehmerInnen, die ihr Leben verbessern konnten.

Aber es ist wichtig festzustellen, dass Mikrokredite KEINE Loesung fuer
Hunger und Armut an sich sind. Die Urluege des Kapitalismus, jedeR koenne
vom Tellerwaescher zum Millionaer werden, wird doch oftmalige Wiederholung
nicht wahrer. Bangladesh wird gerne als Musterbeispiel fuer die "Erfolge"
der Mikrokredite verwendet. Die Bevoelkerung in Bangladesh leidet u.a. unter
durch Arsen vergiftetes Trinkwasser und haeufige Ueberflutungen (die durch
die Folgen der globalen Erwaermung noch verschlimmert werden). Beides sind
Probleme, fuer die es keine individuellen Loesungen gibt.

Auch im 19. Jahrhundert gab es die Hoffnung, durch Produktions- und
Konsumgenossenschaften quasi "soziale Inseln" im Kapitalismus zu errichten.
Auch der Versuch von Hugo Chavez in Venezuela, eine Art gerechtere
Parallelwirtschaft aufzubauen, geht in dieselbe Richtung.

Aber letztlich sind all diese Ansaetze zum Scheitern verurteilt, wenn es
darum geht, Armut, Ausbeutung und Hunger fuer alle Menschen zu beseitigen.
Eben weil die ungleiche Verteilung von Reichtum nicht natuerlich ist, kann
sie auch mit individuellen Ansaetzen nicht geloest werden. Im Gegenteil:
Mikrokredite wirken in Richtung einer Individualisierung, Fragen von
Widerstand z.B. gegen ueberhoehte Preise bei Saatgut oder ungerechte
Landverteilungen werden nicht gestellt.

Hunger und Armut sind das Ergebnis einer Wirtschaftsordnung, in der Profite
der Dreh-und-Angelpunkt sind. Der Kapitalismus braucht Arbeitslosigkeit und
Armut, um seine Profite machen zu koennen. Ein sozialer Kapitalismus -
insbesondere fuer alle Menschen auf der Welt - ist eine Utopie, die den
Notwendigkeiten und Mechanismen des Kapitalismus widerspricht.

Es ist notwendig, hier und jetzt gegen Armut und Hunger zu kaempfen, aber
eine Beseitigung dieser Geisseln der Menschheit ist nur mit der Beseitigung
des Kapitalismus moeglich.
*Sonja Grusch*


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