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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. November 2006; 22:02
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Kommentar der Anderen/Dokumente:

> Warum die "besonderen Beziehungen" zwischen Deutschland
> und Israel ueberdacht werden muessen.

Das "Manifest der 25"

Folgender Text wurde von 25 deutschen Politologen und anderen
Sozialwissenschaftlern verfasst und letzte Woche stark gekuerzt in der
Frankfurter Rundschau veroeffentlicht.


In einem Interview in der ZEIT am 31. August 2006 sagte die israelische
Aussenministerin Zipi Liwni anlaesslich ihres Berlin-Besuchs: "Aber die
Beziehung (zwischen Deutschland und Israel) war immer eine besondere und
freundschaftliche." Diese Besonderheit laesst sich auf der deutschen Seite
nach unserer Wahrnehmung im Wesentlichen wie folgt charakterisieren:
Deutschland hat sich angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocaust und der
prekaeren Lage Israels uneingeschraenkt fuer Existenz und Wohlergehen dieses
Landes und seiner Bevoelkerung einzusetzen, unter anderem durch Lieferung
von staatlich gefoerderter hochwertiger Waffentechnologie auch dann, wenn
Israel gegen internationales Recht und die Menschenrechte verstoesst und
sich im Kriegszustand befindet; Kritik an israelischen Handlungsweisen
sollte, wenn ueberhaupt, nur aeusserst verhalten geaeussert werden und
besser unterbleiben, solange die Existenz dieses Landes nicht definitiv
gesichert ist.

Drei Fragen werden im folgenden diskutiert:

1. Ist es angemessen und sinnvoll, die "freundschaftliche Beziehung" - und
das soll sie nach Auffassung der Autoren bleiben - weiterhin als "besondere"
im angedeuteten Sinne zu pflegen?

2. Steht Deutschland aufgrund des Holocaust wirklich nur bei Israel in der
Pflicht im Nahen Osten?

3. Und was bedeutet es fuer den binnendeutschen Diskurs, fuer die
Beziehungen zwischen nicht-juedischen, juedischen und muslimischen
Deutschen, wenn diese beiden Fragen ernsthaft gestellt werden?

Zu welchen Antworten wir und die Leser mit oder gegen uns auch immer kommen,
eines steht nicht in Frage: Dass angesichts der weltweit historischen
Einzigartigkeit des Holocaust das Verhaeltnis der nicht-juedischen Deutschen
zu Juden, zu allen, die sich als solche verstehen, ein einmaliges ist, das
von besonderer Zurueckhaltung und besonderer Sensibilitaet gepraegt sein
muss, und dass uns nichts von der Verpflichtung entbinden kann, dem
religioesen Antijudaismus und dem ethnisch oder/und rassistisch motivierten
Antisemitismus entschieden entgegenzutreten, wo immer er auftritt.


Freundschaft oder "besondere" Freundschaft?

Auf der zwischenmenschlichen Ebene gilt zweifellos: Eine tragfaehige
Freundschaft zeichnet sich dadurch aus, dass Freunde oder Freundinnen
einander aus Sorge um das Wohlergehen des anderen auch vor Fehlern,
Fehlentscheidungen und Fehlhaltungen warnen. Dies umso mehr, wenn fuer beide
Seiten viel auf dem Spiel steht. Solange die Kritik nicht im Duktus der
moralischen Verurteilung und in der Sprache der Abwertung stattfindet,
sondern anteilnehmend und mit Verstaendnis fuer die Umstaende, die ihn oder
sie zu bewegen, mit Respekt vor der Freiheit des anderen und aus dem
Beduerfnis heraus, zu seinem oder ihrem (auch geistigen und moralischen)
Wohlergehen beizutragen, wird die Freundschaft sich dadurch weiter
vertiefen.

Gilt das auch dann, wenn einer der beiden dem Anderen gegenueber eine tiefe
und zurueckliegende Schuld abzutragen hat? Wir meinen, je reifer die
Freundschaft wird, desto mehr wird dies auch in einer solchen Beziehung der
Fall sein. Allerdings muss die dazu erforderliche Haltung in jeder neuen
Situation neu gesucht und gefunden werden.

Ist diese Feststellung auch auf grosse Kollektive bzw. auf ein politisches
Verhaeltnis wie das zwischen Israel und Deutschland uebertragbar? Gelten
dort nicht andere Gesetze und Massstaebe? Ja und nein. Ja, weil die
Beziehung aufgrund der grossen Zahl der Beteiligten und ihrer
unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen wesentlich vielschichtiger
ist. Diejenigen, die diese kollektive Beziehung als handelnde Politiker auch
persoenlich verkoerpern, muessen auf die unterschiedlichen Gefuehle und
Beduerfnisse derjenigen Ruecksicht nehmen, die sie vertreten. Sie koennen
nur bedingt so handeln, wie sie persoenlich gern handeln wuerden. Dies ist
bei allem und immer in Rechnung zu stellen. Nein, weil auch und gerade
grosse Kollektive auf kritische Wahrnehmungen und Rueckmeldungen von aussen
angewiesen sind, damit Fehlentscheidungen korrigiert und die Entwicklung von
gefaehrlichen Blindstellen und Fehlhaltungen verhindert werden koennen.

Nehmen wir an, die israelische Regierung haette, wie es unter Freunden nahe
liegen wuerde, nach der Toetung der acht israelischen Soldaten und der
Entfuehrung von zwei weiteren durch die Hizbullah am 12. Juli die deutsche
Regierung ueber ihre geplanten Reaktionen informiert (Zerstoerung eines
Grossteils der Infrastruktur des Libanon inkl. der Wasser-, Elektrizitaets-
und Oelversorgung sowie des Tourismus durch einen Oelteppich vor der Kueste,
Vertreibung der Bevoelkerung aus dem Suedlibanon, bewusste Inkaufnahme hoher
ziviler Opfer, um wenigstens eine militaerische Schwaechung - wenn schon
nicht eine Entwaffnung - der Hizbullah zu erreichen, Verweigerung
humanitaerer Korridore zur Versorgung derjenigen, die nicht fliehen konnten,
vollstaendige Zerstoerung der Schiitenviertel in den libanesischen Staedten,
wochenlange Blockade der Kueste und der Flughaefen und Einsatz von
Streubomben). Wie haette die deutsche Regierung als Freund Israels darauf
reagieren koennen? Vielleicht waere es der deutschen Regierung eher als der
israelischen moeglich gewesen, die katastrophalen weltweiten Folgen einer
solchen "massiven Vergeltung" nach dem Prinzip der Kollektivhaftung
einzuschaetzen? Vielleicht haette die deutsche Regierung zu einem
abgestuften Vorgehen geraten oder zu einer Anrufung des Sicherheitsrates
oder zu etwas Anderem. Es geht hier nicht darum, die Moeglichkeiten einer
solchen freundschaftlichen Beratung durchzuspielen und abzuwaegen. Fuer
unsere Zwecke genuegt es, sich ueberhaupt vorzustellen, was "Freundschaft"
in einem solchen Falle auch haette bedeuten koennen. Eine absurde
Vorstellung? Absurd gewiss, wenn die Beziehung weiterhin als "besondere" im
eingangs bezeichneten Sinne verstanden wird. Befreit man sich von dieser
Vorstellung, liegt es auf der Hand, dass es sowohl fuer Israel als auch fuer
Deutschland von Vorteil waere, eine belastungsfaehige Freundschaft zu
entwickeln, in der auch Kritik in unterstuetzender, nicht abwertender
Absicht ihren Platz hat.

Natuerlich wuerde eine solche Veraenderung im deutsch-israelischen
Verhaeltnis auch das Verhaeltnis Israels zur EU, zu den USA usw. tangieren.
Dies soll hier ebenfalls nicht durchgespielt werden. Es genuegt,
festzuhalten, dass die Veraenderung in keinem dieser Faelle zum Schaden der
Beteiligten sein wuerde.


Die deutsche Verantwortung gegenueber Palaestina

Es gibt eine viel zu selten bedachte Seite der Holocaust-Folgen. Bis zum
Jahre 1933 - 37 Jahre nach Erscheinen der den Zionismus begruendenden
Schrift "Der Judenstaat" von Theodor Herzl und 16 Jahre nach der
Balfour-Declaration, in der England als Mandatsmacht den Zionisten eine
"Heimstaette" in Palaestina versprach - waren max. 160.000 Juden in
Palaestina eingewandert. Und nicht wenige von ihnen hatten diesen Schritt in
der Vorstellung getan, es sei moeglich, das "Heilige Land" gemeinsam mit den
ortsansaessigen Arabern zu kultivieren und zu entwickeln. Niemand sollte
vertrieben werden, und so argumentierte Martin Buber noch 1950. Erst durch
die frueh erkennbare radikale Bedrohung der Juden im nationalsozialistischen
Einflussbereich kam es zu einer die Balance mit den Arabern gefaehrdenden
Masseneinwanderung. Nicht zuletzt unter dem Schock des Holocaust fand der
gegen die arabischen Staaten gefasste Beschluss der Vereinten Nationen, die
Gruendung eines Staates Israel zu akzeptieren, internationale Zustimmung,
trotz zunaechst starker Bedenken der Briten und ueber lange Zeit auch des
Aussenministeriums der USA.

Mit anderen Worten: Es ist der Holocaust, der das seit sechs Jahrzehnten
anhaltende und gegenwaertig bis zur Unertraeglichkeit gesteigerte Leid ueber
die (muslimischen wie christlichen und drusischen) Palaestinenser gebracht
hat. Das ist nicht dasselbe, als haette das Dritte Reich einen Voelkermord
an den Palaestinensern veruebt. Aber zahllose Tote waren auch hier die
Folge, das Auseinanderreissen der Familien, die Vertreibung oder das Hausen
in Notquartieren bis auf den heutigen Tag. Ohne den Holocaust an den Juden
wuerde die israelische Politik sich nicht berechtigt oder/und gezwungen
sehen, sich so hartnaeckig ueber die Menschenrechte der Palaestinenser und
der Bewohner Libanons hinwegzusetzen, um seine Existenz zu sichern. Und ohne
den Holocaust erhielte Israel dafuer nicht die materielle und politische
Rueckendeckung der USA, wie sie sich v.a. seit den neunziger Jahren
entwickelt hat. (Die amerikanische Finanzhilfe an Israel belaeuft sich auf 3
Mrd. US-Dollar jaehrlich und entspricht damit 20 Prozent der gesamten
Auslandsfinanzhilfe der USA.)

Der seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten andauernde, immer wieder blutige
Nahostkonflikt hat unbestreitbar eine deutsche und in Abstufungen eine
europaeische Genese;europaeisch insofern, als der deutsche Gedanke einer
"Endloesung der Judenfrage" aus dem europaeischen Antisemitismus und
Nationalismus hervorgegangen ist. Und die palaestinensische Bevoelkerung hat
an der Auslagerung eines Teils der europaeischen Probleme in den Nahen Osten
nicht den geringsten Anteil.

Es ist also nicht nur Israel, das Anspruch auf besondere Aufmerksamkeit,
Zuwendung und freundschaftliche Kritik Deutschlands (und Europas) hat. Als
Deutsche, Oesterreicher und Europaeer haben wir nicht nur Mitverantwortung
fuer die Existenz Israels, die, nachdem die Geschichte nun einmal diesen
Gang genommen hat, ohne Abstriche fuer alle Zukunft zu sichern ist, sondern
auch eine Mitverantwortung fuer die Lebensbedingungen und eine
selbstbestimmte Zukunft des palaestinensischen Volkes.

Wieder kann und muss hier nicht im Einzelnen durchgespielt werden, was es
heissen wuerde, diese Verantwortung ernster zu nehmen als bisher. Mit
Geldtransfer allein ist es jedenfalls nicht getan. Es ist klar, dass das
Ziel ein oekonomisch lebensfaehiges Palaestina mit ungehinderter
Bewegungsfreiheit zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland sein
muss, kein Staat zweiter Klasse, kein Homeland, kein zerstueckeltes
Bantustan. Und dass nur eine verhandelte Loesung, keine einseitig
dekretierte, Aussicht auf Bestand hat. Klar ist auch, dass jede Anstrengung
unternommen werden muss, um den Anreiz fuer Palaestinenser zu verringern,
sich an moerderischen Attentaten und Raketenangriffen auf israelische
Zivilisten zu beteiligen bzw. den Anreiz zu erhoehen, sich an konstruktiver
Aufbauarbeit zu beteiligen. Europaeische Muslime koennten mit entsprechender
Unterstuetzung dazu beitragen, dass auch in Palaestina diejenigen
islamischen Grundwerte mehr Aufmerksamkeit finden, die den
Selbsmordattentaten, die ja nicht von Muslimen erfunden wurden,
entgegenstehen, und dass islamische Vorbilder gewaltfreien Widerstands gegen
staatliches Unrecht bekannt und anerkannt werden.

Israels Sicherheit kann auf Dauer nur dadurch gewaehrleistet werden, dass es
ringsherum Nachbarn hat, die mit ihren individuellen und staatlichen
Lebensbedingungen und Entfaltungschancen so zufrieden sind, dass sie an eine
gemeinsame Erarbeitung von Loesungen fuer die Probleme, die den ganzen Nahen
Osten betreffen - wie z.B. die Wassernutzung und -verteilung - ueberhaupt
denken koennen. Und die Sicherheit und Unversehrtheit Palaestinas und der
Palaestinenser ist nur zu gewaehrleisten, wenn Israelis nicht mehr
fuerchten, ins Meer getrieben zu werden. Vielleicht muss es - ohne
Annektionen - angesichts des ganzen vergangenen Schreckens fuer einige
Jahrzehnte tatsaechlich eine weitgehende Trennung geben, bis hin zu
Korridoren durch Tunnel zwischen den Landesteilen Palaestinas, so lange, bis
sich die Lage beruhigt hat. Freiwillige Begegnungen insbesondere der jungen
Leute auf "neutralem Boden" koennten gleichzeitig helfen, die beiderseitigen
stereotypen Wahrnehmungen aufzuloesen.

Eine dem Holocaust und seinen Folgewirkungen fuer beide Seiten gerecht
werdende deutsche Haltung bedeutet, Verantwortung fuer eine Transformation
des israelisch-palaestinensischen Konflikts zu uebernehmen. Sie ist nur als
gleichgewichtige moeglich. Die erste Voraussetzung dafuer besteht darin, das
Leiden wie das Unrecht (die Gewaltsamkeit der Konfliktaustragung) auf beiden
Seiten wahrzunehmen und die Beduerfnisse nach Sicherheit, Menschenwuerde und
Vertragstreue auf beiden Seiten anzuerkennen. Nicht nur die militaristischen
Gruppen der Palaestinenser und die Hizbullah haben mit ihren
Raketenangriffen und den fortgesetzten Selbstmordattentaten den Geist von
Oslo zerstoert; die voelkerrechtswidrige Fortsetzung und der massive Ausbau
der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten seit 1993, dem
Zeitpunkt des Oslo-Abkommens, die willkuerliche Zerstoerung von Haeusern,
Gaerten, Olivenhainen, Infrastruktur, die taeglichen Demuetigungen der
Palaestinenser und schliesslich die de facto-Annektion von etwa 10 Prozent
des Westjordanlandes mittels einer "Zaun" genannten, in Teilen acht Meter
hohen Mauer hatten die gleiche fatale Wirkung. Die Frage nach Ursache und
Wirkung ist hier wie die nach Henne und Ei. Sie ist unproduktiv.

Eine Konfliktloesung ist nur auf sehr lange Sicht im Rahmen einer
gemeinsamen regionalen, auch Aegypten, Jordanien, Libanon, und Syrien
einschliessenden wirtschaftlichen Nahostkooperation moeglich.
Konflikttransformation kann dagegen sofort beginnen. Sie verlangt eine
erneute Anstrengung, einen lebbaren modus vivendi zu finden, der
Konsequenzen aus den Fehlern von Oslo zieht. Deutsche Politik koennte hier,
wenn sie sich als freundschaftlich nach beiden Seiten versteht, einen
Beitrag leisten.


Was bedeutet das alles fuer den binnendeutschen Diskurs?

Die angedeutete, aus unserer Sicht wuenschenswerte Veraenderung der
deutschen Haltung setzt Veraenderungen auch im innerdeutschen Verhaeltnis
voraus. Trotz ernsthafter Auseinandersetzung mit Ursachen, Verlauf und
Folgewirkungen des Holocaust in Literatur, Kunst und Wissenschaft sowie in
unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen sind Vorurteile,
Ressentiments und Misstrauen gegenueber Juden in Deutschland nach wie vor
weit verbreitet. Antisemitismus haelt sich nicht nur hartnaeckig in trueben
neo-nazistischen Randbereichen, sondern findet sich mitunter, mehr oder
weniger verdeckt, durchaus auch im Mainstream der deutschen Bevoelkerung und
der grossen politischen Parteien.

Gleichzeitig haben tragende Kraefte der deutschen Politik und Gesellschaft
die Trauer ueber das Ungeheuerliche in mehr oder weniger hohle Rituale
verflacht und so einen Einstellungswandel eher behindert als gefoerdert. Das
Ergebnis ist ein problematischer Philosemitismus. Problematisch deshalb,
weil die blosse Umkehrung eines starren, gegen die Realitaet abgeschotteten
Feindbildes letztlich nur dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen ergibt und
ebenfalls gegen die Realitaet und jedes differenzierte Urteil immunisiert.
Theodor W. Adorno hielt in seiner "Dialektik der Aufklaerung" fest: "Nicht
erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die
Ticketmentalitaet (vorgestanztes Denken) ueberhaupt." Zusammen mit dem
eingangs erwaehnten unausgesprochenen Verbot offener Kritik an israelischen
Entscheidungen staerkt der Philosemitismus in Deutschland den Antisemitismus
eher als dass er ihn schwaecht.

Ganz erhebliche Anstrengungen muessen unternommen werden, um muslimischen,
deutschen und juedischen Jugendlichen ein positives Verhaeltnis zueinander
zu ermoeglichen. Auf die Dauer wird eine nach beiden Seiten offene und
freundschaftliche deutsche Politik im Nahen Osten nur dann moeglich sein,
wenn sie in Deutschland selbst die Unterstuetzung sowohl der Juden als auch
der Muslime findet und der Antisemitismus deutlich zurueckgedraengt wird. So
lange eine der beiden Gruppen sich unterbewertet oder ausgegrenzt fuehlt,
kann aus friedlicher Koexistenz oder gar gleichberechtigtem Dialog nichts
werden.

Jede neue Attacke auf israelische Zivilisten, jede neue Verletzung des
Verhaeltnismaessigkeitsgebots durch Armee und Regierung Israels verstaerken
die Lagermentalitaet pro und contra Israel in Deutschland, die schon jetzt
beaengstigende Ausmasse angenommen hat. In dieser Situation ist eine breite
oeffentliche und offene Debatte ueber die oben aufgeworfenen Fragen
notwendig. Letztlich gilt in Demokratien (und nicht nur dort), dass "die"
Politiker nur diejenige Politik mit Erfolg betreiben und durchsetzen
koennen, die von den Buergerinnen und Buergern in ihrer grossen Mehrheit
gewollt wird. Es genuegt daher nicht mehr, im stillen Kaemmerlein den Kopf
zu schuetteln ueber Israels Vorgehen oder die Faust ob der Attacken der
Hamas und der Hizbullah zu ballen. Wir alle muessen uns im gleichen Masse
von den gewalttaetigen Aspekten der israelischen Politik abgrenzen, wie wir
uns vom militaerischen Vorgehen eines Teils der Palaestinenser und der
libanesischen Hizbullah distanzieren. Jede Stimme aus Israel und Palaestina,
die genau dies von uns verlangt - und die gibt es zum Glueck - ist eine
wertvolle Hilfe auf diesem Weg und sollte Gehoer in unseren Medien finden.

Vielleicht hilft es sich vorzustellen, wie in der gegenwaertigen Situation
wohl die vielen Intellektuellen, Schriftsteller, Kuenstler und Musiker
juedischer Herkunft von Adorno ueber Einstein, Freud und Marx bis zu Zweig
reagiert haetten, auf die wir so stolz sind und ohne die die deutsche Kultur
und der deutsche Beitrag zur Wissenschaft um so vieles aermer waeren. Wir
sind ueberzeugt, dass sie den folgenden Satz unterschreiben wuerden: Nur
Gleichheit und Respekt vor Recht und Voelkerrecht koennen ein friedliches
Zusammenleben gewaehrleisten und sind die einzigen Garanten fuer eine
dauerhafte Existenz des Staates Israel und des zukuenftigen Staates
Palaestina in Sicherheit - und fuer die Sicherheit von Juden und Juedinnen
bei uns und in aller Welt.

Die in der UN-Charta und in der UN-Menschenrechtserklaerung formulierten
Menschenrechte entstanden vor dem Hintergrund der Nazi-Barbarei,
insbesondere des industrialisierten rassistischen Massenmordes an Juden,
Sinti, Roma und anderen Minderheiten. Doch beide Dokumente kennen nur die
Gleichheit der Menschen ohne jede Ausnahme. Das muss auch fuer die
Konfliktparteien im Nahen Osten gelten.


Altruismus oder Eigeninteresse?

Was oben ueber die Notwendigkeit einer gleichgewichtigen freundschaftlichen
deutschen Nahost-Politik gesagt wurde, mag in manchen Ohren zunaechst
idealistisch klingen, zu sehr von Ethos und zu wenig von Interesse gepraegt.
Es ist daher geboten, das damit verbundene Eigeninteresse offen zu legen,
und dies tut unseres Erachtens den vorgebrachten Argumenten keinen Abbruch.

Der 11. September 2001 hat endgueltig klar gemacht, dass wir uns auf dem Weg
in einen neuen hochexplosiven Ost-West-Konflikt befinden, der weitaus
schwerer unter Kontrolle zu halten sein wird als der alte mit seinen streng
zentralisierten und verlaesslichen Kommandostrukturen. Obwohl der
transnationale Terrorismus viele Quellen hat, ist unverkennbar, dass eine
Hauptquelle der zunehmenden terroristischen Energie der ungeloeste
Nahostkonflikt ist. (Dass manchen autoritaeren oder diktatorischen
arabischen Regimen das Offenhalten dieser Quelle sehr gelegen kommt, weil es
hilft, von den eigenen internen politischen Problemen abzulenken, schmaelert
das Gewicht dieser Einsicht nicht.)

Wenn der Gegensatz zwischen islamischer und westlicher Welt im Nahen Osten
weiter angeheizt wird, und das war im Libanonkrieg in einem Masse der Fall,
das selbst die Erwartungen der Experten uebertroffen hat, ist nicht nur der
Nahe Osten, sondern mehr oder weniger die ganze Welt betroffen. Die
Anschlaege von Madrid und London und die nur durch Zufall verhinderten
Anschlaege auf Zuege in Deutschland haben die extreme Verwundbarkeit Europas
gezeigt. Jede weitere blind antiwestliche Solidarisierung in der islamischen
Welt gefaehrdet unmittelbar das heute fuer so viele Menschen der Erde
attraktive Modell Europa und bringt erneutes Leid ueber zahllose Zivilisten
aller moeglichen Orientierungen und Nationalitaeten. Es darf daher nichts
unterlassen werden, was geeignet ist, diesen neuen Ost-West-Konflikt
abzubauen - im Aeusseren wie im Inneren. Dies und das Eintreten fuer die
Menschenrechte, wo und durch wen immer sie verletzt werden, sind wir den
Opfern des Nationalsozialismus schuldig.

Quelle: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Israel/manifest.html


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