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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. November 2006; 18:14
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EU/Nord-Sued:

> Die Festung Europa und ihr Hausmeister

Seit 1. Mai 2005 besteht die "Europaeische Agentur fuer die operative
Zusammenarbeit an den Aussengrenzen" (FRONTEX). Sie sieht sich selbst als
sehr erfolgreich an. Die Menschenfreundlichkeit dieses Erfolgs ist
allerdings eher fraglich.

Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX ist eine europaeische
Gemeinschaftsagentur, ihr Name leitet sich ab von "frontières extérieures"
und diese Aussengrenzen soll sie gegen illegale Einwanderer vor allem aus
Mauretanien und Senegal, Marokko und von den Kapverdischen Inseln
abschotten, aber auch die Ostgrenze der EU, der Balkan und die
internationalen Flughaefen sind Einsatzgebiete.

Ihr Sitz ist ein Buerohaus im Warschauer Ortsteil Praga und von dort aus,
weit weg von den Einsatzgebieten, werden die multinationalen Einsaetze der
europaeischen Grenzschuetzer koordiniert und italienische Hubschrauber mit
spanischen Schiffen und deutschen Helikoptern kombiniert.

Im Sommer hatte die Agentur eine schlechte Presse, als taeglich Hunderte von
Afrikanern auf den Kanaren strandeten. Langsam und uneffektiv, zu wenig
Praxisnaehe, lauteten die Vorwuerfe der Politiker, nachdem die spanische
Regierung die EU um Hilfe gegen den Ansturm ersucht hatte.

Grundlage fuer die Arbeit der Agentur ist die EG-Verordnung 2007/2004 des
Rates der Europaeischen Union vom 26.Oktober 2004. Sie weist FRONTEX eine
Reihe von Aufgaben zu. Dazu zaehlen die Koordinierung der operativen
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sowie deren Unterstuetzung in schwierigen
Situationen und bei "gemeinsamen Rueckfuehrungsaktionen". Daneben soll die
Agentur Standards fuer die Ausbildung von Grenzschutzbeamten festlegen,
Risikoanalysen durchfuehren und die relevante Forschung beobachten.

68 Beamte aus 22 EU-Staaten arbeiten in den drei obersten Stockwerken des
blauen Hochhauses in Warschau-Praga. 2005 lag der Jahresetat der Agentur bei
rund 6,3 Millionen Euro, der Etat fuer 2006 lag bei 12,4 Millionen Euro, und
erst, als im Sommer die Europaeer taeglich bei den Abend-Nachrichten die
Tragoedie der wochenlang auf dem Mittelmeer treibenden Cayucos vor Augen
gefuehrt bekamen, legte die EU noch mal 3,5 Millionen Euro drauf. Das sind
Peanuts fuer die EU - bis 2009 soll das Budget allerdings schnell bis auf 30
Millionen Euro steigen.

Cayucos heissen die kleinen Holzschiffchen, die mit jeweils viel zu vielen
Passagieren gemessen an ihrer Groesse, wenn sie Glueck haben, in Richtung
Kanaren, Lampedusa oder Malta geweht werden. Allein auf den Kanarischen
Inseln sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres 27 000 Fluechtlinge
gestrandet.

FRONTEX ist Europas Schild gegen die Armut, mit der in Beruehrung zu kommen
und mit deren Ursachen sich zu befassen den Europaeern nicht zugemutet
werden soll.

FRONTEX hat allerdings selbst keine Schiffe und keine Hubschrauber - in
Warschau wird nur koordiniert und bezahlt. Jeder die europaeischen Grenzen
ueberschreitende Einsatz wird von FRONTEX bezahlt, jedes Boot, jeder
Hubschrauber, jedes Flugzeug - neben den Gehaeltern fuer die Planer,
Analysten und Koordinatoren in Warschau. Der FRONTEX-Haushalt speist sich
aus Zuschuessen der EU, Beitraegen von Laendern, die im Zusammenhang mit dem
Schengen-Abkommen assoziiert sind, sowie aus Gebuehren fuer Dienstleistungen
und freiwilligen Beitraegen.

Auf die Fragen, wie genau so eine Operation funktioniere, wie sich von
Warschau aus ermitteln laesst, wie viele Flugzeuge und Boote fuer die
Ueberwachung der 2300 Kilometer langen Kueste benoetigt werden, wie die
Einsatzkraefte mit ihren Kollegen in den afrikanischen Staaten kooperieren,
gibt es vom Exekutivdirektor, dem finnischen Oberst Ilkka Laitinen, keine
Antworten. "Es hat schon genug Aufmerksamkeit gegeben auf den Kanaren, zu
viele Fernsehkameras" meinte er in einem Interview mit dem deutschen
"Tagesspiegel". Er verstehe ja, dass es ein Informationsbeduerfnis gebe,
aber "wir duerfen den kriminellen Schleusern nicht zu viele Karten in die
Hand geben". Und: "Die beste Operation ist die, von der keiner etwas merkt."
Laitinens Grundsatz: Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen. Im
August strandeten 4500 Afrikaner an den Kanarischen Inseln, im September
7000. Im Oktober waren es nur noch 600. "Unsere Massnahmen haben gegriffen,
die Situation ist unter Kontrolle", sagt Laitinen. "Das nenne ich eine
Erfolgsgeschichte."

Die andere Seite dieser Geschichte sind Menschen, die auf dem Meer treibend
den Durst mit Meerwasser bekaempft haben, Verdurstete, die unterwegs ueber
Bord geworfen werden, Ertrunkene, die an den Straenden von Gibraltar und den
Kanaren angespuelt werden und kurz nach Tagesanbruch schnell weggebracht
werden muessen, damit die Touristen vom Anblick der Tatsachen nicht
geschockt sein muessen.

Die fluechtenden Afrikaner, die nichts zu verlieren haben und unter Einsatz
ihres Lebens und all ihres materiellen Habes und dem der Familie, den Sprung
nach Europa als Ort moeglicher Hoffnung wagen, sind fuer FRONTEX Faktoren
von Gefahr- und Risikoanalyse, von operativen Massnahmen und strategischen
Planungen, ganz so als gehe es um die Verteidigung gegen einen bewaffneten
Aggressor.

Sind die FRONTEX-Leute nicht die Handlanger einer Politik, die den Aermsten
der Armen die Reise an einen Ort mit Ueberlebensmoeglichkeiten verweigern?
"FRONTEX kann nicht die Probleme loesen, die zur Verletzung von Grenzen
fuehren", ist die Antwort von Oberst Laitinen.

Die Berichte ueber das Fluechtlingsdrama und die Stellungnahmen der
EU-Politiker im Sommer 2006 haben Europa vor Augen fuehren wollen, dass sein
relativer Wohlstand an einer Abschottung der Grenzen haengt. Schon haetten
die Schlepper neben Spanien, Malta und Italien die griechischen Haefen als
neue Anlaufpunkte entdeckt. Tausende Afrikaner werden spaeter
weitergeschleust nach Italien und Deutschland, Frankreich und Oesterreich,
Die EU weiss nur, dass sie ein gesamteuropaeisches Problem hat. Aber weder
die Fluechtlingsdramen an den Grenzen, noch die Situation der illegalen
Einwanderer, die es geschafft haben, die Grenzen zu bewaeltigen, noch die
Good-Will-Kampagnen und Benefizkonzerte der Pop-Stars fuehren zu einer
aufmerksameren, adaequateren und wirksameren Entwicklungspolitik der EU in
Afrika.

Bis zum Ende dieses Jahres finanziert die polnische Regierung die
Raeumlichkeiten in dem Warschauer Buerohaus, das so aehnlich aussieht wie
ein Kriegsschiff. Im Januar zieht FRONTEX um in einen Neubau im Stadtzentrum
von Warschau, fuenf Kilometer weiter westlich. Afrika wird gerade mal 5 km
naeherruecken. (Eva Kumar/DAZ)


Quelle:
http://dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=213&Itemid=117


Quellen der Quelle:
Europas Einrichtungen der Europaeischen Union
http://europa.eu/agencies/community_agencies/frontex/index_de.htm
Informationsdienst fuer Politik
http://www.politikerscreen.de/index.php/Lexikon/Detail/id/126245/name/FRONTEX
Tagesspiegel online
http://www.tagesspiegel.de/dritte-seite/archiv/30.10.2006/2866204.asp

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