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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Oktober 2006; 18:40
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Kommentar der Anderen:
> Kubas Fluch und Kubas Segen
Visionen eines Kuba nach Fidel
"Der Imperialismus kennt die Groesse von Fidel Castro nicht. Er wird bis zum
letzten Augenblick kaempfen, obwohl dieser noch weit entfernt ist", wurde
der kubanische Parlamentspraesident Ricardo Alarcón in den kubanischen
Medien zitiert.
Entgegen allen Beteuerungen aus dem kubanischen Politbuero laesst sich nicht
leugnen, dass Fidel Castro bereits auf seinen letzten Weg aufgebrochen ist.
Die Bilder, die im Abstand weniger Wochen die internationale Oeffentlichkeit
erreichen, zeigen einen zuegigen substantiellen Abbau, wie er diesem letzten
Lebensabschnitt eigen ist. Allein, wie lange diese Reise dauert, laesst sich
nicht prognostizieren.
Die Bilder des von seiner schweren Darmoperation gezeichneten, mittlerweile
80jaehrigen Fidel Castro veranlassen vielerorts einmal mehr politische
Beobachter, ihre spaetestens seit 1989 immer wieder aus dem Aermel
geschuettelten Hypothesen zu ueberdenken, wie ein Kuba ohne Castro wohl
aussehen koennte. Die Chance, in aller Ruhe an einer Strassenecke Havannas
zu stehen, den Tag, die Menschen beobachtend und das Leben geniessend an
sich vorbeiziehen zu lassen, wie er einmal Gabriel García Márquez seine
Pensionswuensche anvertraut haben soll, hat er wohl vertan. Mit der
interimistischen Berufung seines Bruders Raúl Castro an das politische
Steuer Kubas gilt zumindest vorerst auch weiterhin die Faustregel: Kuba ist
Castro und Castro ist Kuba.
Von Raúl ist bekannt, dass er zweifellos ein pragmatischerer Ideologe als
sein Bruder ist, der schon 1953, vor dem Sturm auf die Moncada-Kaserne, der
kommunistischen Jugend beigetreten war und sich im mexikanischen Exil mit
Ernesto Che Guevara Tage und Naechte mit politischen Diskussionen um die
Ohren schlug, waehrend die kubanische Revolution erst vorbereitet wurde.
Raúl Castro ist neben seinem Bruder Fidel die zweite grosse Konstante in der
Geschichte Kubas seit 1959. Manch anderem potentiellen Nachfolger, dem gute
Aussichten prophezeit wurden, der hie und da in der politischen Hierarchie
Kubas aufleuchtete, Carlos Aldana, Roberto Robaina, um nur zwei zu nennen,
ist laengst wieder von der grossen politischen Buehne abgetreten.
Politisches Fehlverhalten, Arroganz, mangelnde sachliche Kompetenz bis hin
zu Selbstbereicherungstendenzen bereiteten der Karriere mancher
aussichtsreicher Kandidaten ein leises Ende. Ohne Knalleffekt und Skandal,
der international ruchbar geworden waere, wurden sie ihrer Posten enthoben
und durch andere ersetzt. Zu ehrgeizig schien das grosse Ziel, das
Ueberleben der kubanischen Revolution allen Widrigkeiten zum Trotz zu
gewaehrleisten. Schon kurz nach der Selbstaufloesung der frueheren
Sowjetunion, noch waehrend des Besuchs Gorbatschows in Kuba, der Fidel
Castro noch mit den Worten "Wer zu spaet kommt, den bestraft das Leben"
gewarnt hatte, wurde in der kubanischen Politik der unbedingte Wille zur
Kontinuitaet deutlich. Er bestaetigt sich durch den Umstand, dass der
Comandante en Jefe persoenlich seine Nachfolge organisiert, um das
Ueberleben des gesamten Systems nach seinem Abgang zu gewaehrleisten.
Die Berufung seines Bruders an die politische Fuehrungsspitze des Landes ist
zweifellos ein erstes kraeftiges Signal der Kontinuitaet, wenngleich Raúl
mit 75 Jahren auf lange Sicht gesehen nur eine interimistische Loesung der
Fuehrungsfrage bedeuten kann. Ihm zur Seite sind Maenner gestellt, die sich
in der kubanischen Politik in Zusammenarbeit mit dem Comandante en Jefe
jahrelang bewaehrt haben. Da ist Felipe Pérez Roque, gegenwaertig
Aussenminister, dem eine Schluesselrolle im post-castristischen Kuba
zugetraut wird; Carlos Lage, Sekretaer des Exekutivkomitees des
Ministerrates, Vizepraesident des Staatsrates und Mitglied des Politbueros
der Kommunistischen Partei Kubas und natuerlich der Praesident der Asamblea
Nacional del Poder Popular, Ricardo Alarcón de Quesada. In den zwei Monaten
der provisorischen Amtsuebergabe laesst sich bereits eine neue Stilrichtung
der kubanischen Politik ablesen: Der Wille zur Teamarbeit, vor allem
hinsichtlich der Repraesentation der Regierung Kubas bei oeffentlichen
Anlaessen nach innen als auch auf der internationalen Buehne nach aussen.
Das neue kubanische Triumvirat Raúl-Lage-Pérez Roque, wie die drei Herren
wohlwollend in Kuba bezeichnet werden, gehen daran, einen leisen
Vorgeschmack auf die Zeit "danach" unter den wachsamen Augen Fidels zu
entwerfen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass man sich
keineswegs damit begnuegt, die Staatsangelegenheiten fuer die Dauer der
Abwesenheit Fidels zu verwalten, sondern bereits selbstaendig wichtige
Entscheidungen gefaellt hat. Da ist beispielsweise die Ernennung des
Historikers Ramiro Valdés zum Kommunikations- und Informationsminister, der
zu zwei Gelegenheiten bereits das Amt des Innenministers bekleidete. Eine
beachtenswerte Rede Raúls anlaesslich des 19. Kongresses der kubanischen
Arbeitervereinigung CTC, die wenig erfreuliche "interne Irrtuemer und
Defizite" thematisierte, fuehrte rasch zu den ersten Amtshandlungen im Sinne
von Amtsenthebungen des neuen Ministers: Der Vorsitzende des 315 Millionen
Euro jaehrlich umsetzenden staatlichen Telekom-Konzerns ETECSA, eines der
maechtigsten Unternehmen Kubas, José Antonio Fernández musste seinen Hut
nehmen, ebenso wie der Vorsitzende des staatlichen
Telekommunikationstechnologie-Unternehmens COPEXTEL, das fuer die
flaechendeckende Versorgung mit Informations- und Kommunikationstechnologien
in Kuba verantwortlich zeichnet. Auch wenn in den kubanischen Medien diese
Personalrochaden nicht kommentiert wurden, laesst sich doch resuemieren,
dass Machtmissbrauch und Bereicherungstendenzen auch von der "neuen
Regierung" Kubas an der Wurzel gepackt werden. Immerhin erwiesen sich
derartige Aktivitaeten an den strategischen Schaltstellen der
Nationaloekonomie als massgeblich zerstoererische Tendenz des Systemwandels
in den vormals sozialistischen Bruderlaendern, und die Verlockungen des
"ganz grossen Geldes" erscheinen manchen in Zeiten wie diesen
unwiderstehlich.
Wie also wird Kuba nach Fidel Castro aussehen? Das Zentralkomitee der
Kommunistischen Partei Kubas ist keineswegs amtsmuede, resigniert oder von
interner Korruption und Machtmissbrauch zermuerbt und daher in keiner Weise
mit jenen in den frueheren sozialistischen Laendern zu vergleichen, die nach
dem Systemwechsel die Selbstaufloesung fuer eine politische Option hielten.
Kuba und die Welt werden zu allererst Zeuge eines bombastischen
Begraebnisses werden, das die Freudengesaenge in Miami bei weitem
uebertoenen wird. Aehnlich wie 1997, als die im bolivianischen Vallegrande
entdeckten und nach Kuba ueberstellten sterblichen Ueberreste des
argentinischen Revolutionshelden Che Guevara eine Woche lang am Platz der
Revolution aufgebahrt wurden und Millionen Kubaner es sich unter groesstem
Aufwand nicht nehmen liessen, sich von ihm persoenlich zu verabschieden,
wird auch Fidels Anwesenheit diesen Platz ein letztes Mal dominieren, bis
schliesslich der Alltag einkehrt.
Fidel Castro ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Als Mensch ist er
unantastbar, und sein Leben taugt hervorragend als Mythos. Die Facetten
seiner reichen Persoenlichkeit werden auch und vor allem auf der politischen
Buehne Kubas vermisst werden. Unvergesslich schon jetzt seine konzentrierte
Aufmerksamkeit im Zusammentreffen mit dem Volk, das ihm aus den
entferntesten Winkeln des Landes mitunter im Zorn klagend Missstaende
vortrug und an dessen Entruestung er sich sogleich beredt gestikulierend
beteiligte. Ebenso die Bestimmtheit, mit der er den Verantwortlichen in die
"Arena der hier-und-jetzt Gerechtigkeit" zitierte, der sich dann erst einmal
nervoes auf die Vorschriften "von oben" berief, an die er sich zu halten
habe. Manchmal musste schliesslich der jeweilige Minister hoechstpersoenlich
zur Rechtfertigung herbeigerufen werden, der dann coram publico planlos in
seinen Unterlagen blaetterte und hilfesuchend Einfluesterungen seines
Beraterstabs entgegennahm, um dann schnell die sofortige Behebung des
Problems zu versprechen, die dann auch stets prompt eintrat. Diese mitunter
zelebrierten Zusammenkuenfte, die auch gerne als direkte Demokratie in Kuba
bezeichnet werden, liessen bei den Kubanern die Ueberzeugung wachsen, dass
"wenn Fidel nur dieses und jenes wuesste" sich schliesslich jeder Missstand
schnell beheben liesse. Legendaer auch seine Detailverliebtheit, mit der er
seine ihm zur Antwort verpflichteten Gespraechspartner oft in blanke
Verzweiflung trieb, beispielsweise beim Ankauf eines von drei zur Auswahl
stehenden Rettungswaegen, deren auch noch so winzige technische Details
abgefragt und sorgfaeltig gegeneinander abgewogen werden wollten. Und
schliesslich ist da auch die Erinnerung an die kleine, wuetende
Demonstration auf dem Gipfel der "periodo especial", wo hie und da ein Ruf
"Nieder mit Fidel" zu hoeren gewesen sein soll. Kaum eine halbe Stunde soll
es gedauert haben, bis drei Militaerjeeps in jener verdaechtig olivgruenen
Farbe, wie sie nur im Umfeld Fidels gesehen wird, vor der wuetenden Menge
hielten. Fidel mischte sich unter die Leute und sprach einen der
verbluefften Demonstranten persoenlich laut und fuer alle vernehmlich an:
"Ich habe gehoert, es soll hier Beschwerden gegen mich geben. Hier bin ich.
Was hast Du mir also zu sagen?" Gleich an welchen der Demonstranten er die
Frage richtete, er erntete ein stotterndes "Gar nichts, mi comandante, es
gibt kein Problem". Fidel beendete diese Demonstration mit dem Vorschlag
"Nun gut, dann schlage ich vor, dass wir alle wieder nach Hause gehen". Noch
ehe man es sich versah, war Fidel davongebraust und erntete fuer seinen
Auftritt vom Publikum bewunderndes Kopfschuetteln und das Attribut "tiene
cojones" (frei uebersetzt: "Was fuer ein Mann!")
Aehnlich wie schon bei Che Guevara, mit dem altersmaessig in Frage kommende
Kubaner gerne persoenliche Begegnungen erfinden, wird auch Fidel in den
Genuss dieser Ehre kommen. Stolze 73 % der kubanischen Bevoelkerung oder 8
Millionen Menschen sind nach 1959 geboren. Sie sind mit Fidel Castros wort-
und tatenreicher Praesenz aufgewachsen. Von Hunger und Elend erfahren sie
nur noch aus den Geschichtsbuechern. Man kann sich also getrost der Meinung
anschliessen, dass nach Fidel Castro lange Zeit nichts Nennenswertes kommen
wird. Zu ueberragend und dominant war seine Rolle in der Staatsfuehrung
Kubas, als dass jemand sich aus seinem Schatten loesen koennte. Das ist
Kubas Fluch. Doch andererseits - und dies ist das Faktum, das den Vergleich
mit den vormals sozialistischen Bruderlaendern klaeglich scheitern laesst -
hat Fidel Castro mit seiner Revolution aus den Kubanern ein sehr
selbstbewusstes und stolzes Volk gemacht, das Einmischung von aussen, auch
wenn sie in noch so freundlichen Gesten daherkommt, nicht dulden wird, und
er hat seine politischen Erben sorgsam in einer langen Periode der Pruefung
ausgewaehlt. Das ist Kubas Segen.
(Birgit Zehetmayer, Vorabdruck aus Lateinamerika Anders Panorama, Nr.5/2006)
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