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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. September 2006; 19:16
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Wahlk(r)ampf 06/Letzte Aufrufe:

> Seid doch vernuenftig!

Auf den Konsens kommt es an


Es ist wieder soweit: Fuenfmal werden wir noch wach, oijegerl, dann ist
Wahltag. Und wir werden unsere staatsbuergerliche Pflicht erfuellen...

Schmonzes! "Wenn Wahlen etwas veraendern wuerden, waeren sie laengst
verboten!" heisst eine alte anarchistische Weisheit. Zwar ist das eigentlich
auch Bloedsinn, denn der Staat veranstaltet selbst die Wahlen; er braucht
sie nicht verbieten, er kann es einfach unterlassen, sie zu veranstalten --
aber der Aussage, dass Wahlen letztendlich nichts veraendern, kann
zugestimmt werden.

Natuerlich, das Wahlrecht ist ein erkaempftes Recht, weil diejenigen, die es
erkaempft haben, der Meinung waren, dass dadurch das Volk regieren koennte,
soll heissen, dass die eigenen Vertreter fuer das Volk und mit dem Volk
regieren wuerden. Schliesslich stellte schon Immanuel Kant fest, dass die
politische Entscheidungfindung anders aussaehe, wenn diese Entscheidungen
auch die Entscheidungstraeger selbst betraefe. So sollte es beispielsweise
weniger Kriege geben, wuerden durch diese "die hoefischen Ballspiele
gestoert".

Doch leider: Die Entscheidungen betreffen auch in unseren demokratischen
Systemen nicht die Entscheidungtraeger selbst. Dazu kommt ein
Beamtenapparat, der schon dafuer sorgt, dass sich nichts aendert -- wir
kennen das, ob jetzt aus der legendaeren britischen Fernsehserie "Yes,
Minister!" oder aus dem heimischen, realen Schulbeispiel, als ein
Innenminister nicht dem Geschmack des Apparats entsprach und binnen
kuerzester Zeit aus dem Amt geekelt wurde.

Weiters muss man sich als Politiker in diesem System erst hochdienen, wobei
man in die Schule geht bei denjenigen, die schon gelernt haben, wie man sich
richtig anpasst. Das gilt auch fuer neue Parteien: Bis die stark genug sind,
in die Parlamente einzuziehen, weil sie Gnade vor den Medienkonzernen
gefunden haben, haben sie die meisten Ecken und Kanten schon verloren. Bis
sie gar als Koalitionspartner in Frage kommen, haben sie mit dem Volk schon
gar nichts mehr zu tun.

Letztendlich darf man aber auch nicht den Einfluss des diskreten Charmes der
Bourgeoisie vergessen, der dafuer sorgt, dass trotz allem nicht ganz
botmaessige Politiker, erstmal aufgenommen in die besseren Kreise, sehr
schnell vergessen, woher sie stammen.

Fazit: Wahlen sind heute hauptsaechlich Staatsfeste, die dazu dienen, dem
Volk einzureden, es duerfe an der Macht partizipieren.

Den Beweis fuer diese These liefern allein die diversen Wenden in
Deutschland und Oesterreich. In Deutschland wurde unter Schwarzgelb massivst
alles demontiert, was noch an die alte DDR erinnern koennte und bei der
Gelegenheit wurde auch gleich der Sozialstaat in Deutschland beschaedigt.
Dann kam Rotgruen und die machten damit weiter, was letztendlich in Hartz IV
muendete. Und die Merkelregierung setzt jetzt genau dort fort, wo Schroeder
aufgehoert hat. Jetzt wird ueber eine Ampel spekuliert -- die wohl auch
keine andere Politik betreiben wird.

In Oesterreich begann Bruno Kreisky nach Ende seiner offiziellen Amtszeit
mit dem beruechtigten Mallorca-Paket den Sozialstaat, den auch er selbst zu
einer gewissen Bluete getrieben hatte, zum Welken zu bringen. Rotblau,
Rotschwarz, Schwarzblau und Schwarzorange setzten das Zerstoerungswerk fort.
Rotschwarz brachte jene Privatisierungen auf die Schiene, die Schwarzorange
nun exekutiert: Eben die Post, demnaechst die Bahn.

Schuld an allem ist natuerlich die EU, die das verlange, und die
Globalisierung -- wofuer niemand etwas kann, am allerwenigsten die
Politiker, die dafuer die rechtlichen Rahmenbedingungen schafften.

Also bleibt eigentlich nur die Wahlverweigerung. Nur: Die nimmt niemand
ernst, da wird kurz nach der Wahl ueber die "Politikverdrossenheit"
gejammert und dann weiter nach Plan vorgegangen. Und nicht einmal
Nichtwaehlen geht schwer. Bliebe nur mehr das Ignorieren des Staates, aber
dafuer gibts ja unsere demokratischen Polizeiknueppel, die uns dann
beweisen, wo die Freiheit aufhoert.

Doch halt -- und jetzt kommt der scheinbare 180 Grad-Schwenk, ausser der
Volkssedierung haben Wahlen schon eine bestimmte Bedeutung. Denn was
tatsaechlich die Gesellschaft veraendert, ist die oeffentliche Meinung --
nicht unbedingt bei Wahlen, sondern im alltaeglichen Umgang mit den
politischen Selbstverstaendlichkeiten. Keine Regierung kann auf Dauer gegen
den absoluten Widerwillen des Volkes regieren, ohne eine offene Diktatur zu
installieren -- die bekanntermassen in unserer heutigen hochentwickelten,
arbeitsteiligen und von Know-How abhaengigen Gesellschaft oekonomisch nur
die zweitbeste Loesung ist. Das Beispiel China mag dem entgegenstehen, doch
ist abzusehen, dass eine Fortsetzung des dort eingeschlagenen Weges auf
lange Sicht katastrophal enden wird.

Es geht also um den oeffentlichen Konsens. Dieser wird gebildet durch
Meinungstraeger. Doch in unserer medialen Landschaft kommt man nur vor, wenn
man "wer ist". Und daher ist es beispielsweise nicht unwichtig, wer
Bundeskanzler ist, bestimmt der doch in nicht unmassgeblicher Weise mit, was
diesen Konsens, das oeffentliche politische Bewusstsein also ausmacht. Hier
werden Selbstverstaendlichkeiten ex cathedra postuliert, die trotz allem
Geraunze langfristig geschluckt werden. Aus dieser Ueberzeugung heraus
verstehe ich Fritzens Wahlaufruf -- wenn man Schuessel nicht als
Bundeskanzler will, muss man SPOe waehlen, alles andere waere da sinnlos.
Deswegen muss man Gusenbauer nicht moegen, aus dem Obgesagten wird sowieso
klar, dass eine affirmative Wahlentscheidung ziemlicher Unsinn ist.

Die Gruenen zu waehlen waere, bei Zustimmung zu meinen Thesen, vollkommen
nutzlos, da ein Mandat mehr oder weniger fuer diese Partei nichts an ihrer
Publizitaet aendert und auch fuer die Kanzlerfrage vollkommen ohne Belang
ist.

Allerdings schliesse ich mich Fritzens Aufruf nicht an, da bekannt ist, dass
die Sozialdemokratie nur kurz vor den Wahlen zur Klassenkaempferin wird, um
noch am Wahlabend in ihre staatstragende Rolle zurueckzufallen. Das kennen
wir; oder mit Travnicek gesagt: Wir waehlen ja nicht zum ersten Mal.

Es kommt aber nicht nur auf den Kanzler an, sondern auch darauf, wer im
Parlament sitzt. Auch ein einzelner Abgeordneter, wenn er nur laut und
provokant genug ist, kann als Stoerer des Konsenses diesen veraendern. Und
als einzige Partei, die nicht der kapitalistischen Logik huldigt und
vehemment Antithesen vertritt, sehe ich die KPOe. Ich waehle sie, nicht weil
ich sie so toll finde, oder gar weil ich ihren Protagonisten vertraue,
sondern allein ihrer antithetischen Wirkung in der Oeffentlichkeit wegen. Es
ist ein Akt der Vernunft, nicht einer der blinden Liebe.

Vielleicht kommen die KPler auch diesmal nicht hinein, aber sie haben eine
Chance und dabei moechte ich sie unterstuetzen. Und selbst wenn es nach dem
1.Oktober keine KP-Abgeordneten im Parlament gaebe: Es ist immer noch die
sinnvollste Art, ungueltig zu waehlen, denn es zeigt wenigstens ein ganz
klein wenig an, dass man nicht dem kapitalistischen Konsens huldigt.
Immerhin.
*Bernhard Redl*


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