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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. September 2006; 19:05
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Wahlk(r)ampf 06:

> Soziale und wirtschaftliche Menschenrechte in Oesterreich:
> Mehr Zukunft nach den Wahlen?

Bereits im Juli 2006 startete FIAN Oesterreich, die oesterreichische Sektion
der Menschenrechtsorganisation fuer das Recht auf Nahrung, eine
Anfragenaktion fuer die wahlwerbenden Parteien. Die Vorsitzenden der
Parteien wurden gefragt, wie sie die Empfehlungen des UN-Sozialausschusses
in der kuenftigen Legislaturperiode umsetzen werden, ob sie konkrete
Aktionsplaene fuer die weitere Durchsetzung von wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Menschenrechten (WSK-Rechte) in Oesterreich haetten, und was
sie gegen die Aushoehlung der WSK-Menschenrechtsstandards zu unternehmen
gedaechten. Von den sechs angeschriebenen Parteien (KPOe, BZOe, FPOe,
Gruene, SPOe und OeVP), die um die Gunst der WaehlerInnen ringen, haben
vier - mehr oder weniger ausfuehrlich - Stellung bezogen. Von KPOe und BZOe
sind keine Antworten eingegangen.(1)
Eine Aussendung von FIAN.


Die Empfehlungen des UN-Sozialausschusses waren als Ergebnis der Pruefung
der beiden vorgelegten Berichte, des Regierungsberichts und des
Parallelberichts von NGOs wie FIAN, Asylkoordination,
Ludwig-Boltzmann-Institut fuer Menschenrechte und anderen, bereits im
Jaenner 2006 vorgelegt worden. Eine Reihe wichtiger Massnahmen wie die
Einfuehrung eines Grundeinkommens zur wirksamen Armutsbekaempfung oder die
Gleichstellung von AsylwerberInnen mit oesterreichischen
SozialhilfebezieherInnen werden der oesterreichischen Bundesregierung in
diesem politisch bindenden Dokument empfohlen. Die Ratifizierung der
Konvention ueber die Rechte von MigrantInnen und die Verankerung von
sozialen Grundrechten in der Verfassung sind ebenfalls dringende anstehende
Vorhaben, die von der neuen Regierung in Angriff genommen werden sollten.
Der Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen, Verabschiedung
eines nationalen Menschenrechtsaktionsplans und die Einrichtung einer
nationalen Menschenrechtsinstitution sollten in der naechsten
Regierungsperiode auf der Agenda stehen. In Oesterreich sind mehr als eine
Million Menschen armutsgefaehrdet, etwa eine halbe Million Menschen leben in
verfestigter Armut. Wenn mehr und mehr Menschen verfestigter Armut
ausgesetzt sind und eine wachsende Zahl von Menschen an den Rand der
Gesellschaft gedraengt wird, werden damit ihre wirtschaftlichen und sozialen
Menschenrechte verletzt..

Im Folgenden seien einige ausgewaehlte Aspekte der Stellungnahmen kurz
dargestellt, die vollstaendigen Texte sind unter http://www.fian.at zu
finden, wir empfehlen nicht nur Interessierten sich mit diesen zu befassen,
da einzelne weitere Aussagen sehr aufschlussreich sind:

"Ein Hemmnis fuer die Umsetzung des WSK-Paktes stellen (...) die Folgen
ungehemmter Globalisierung und Europaeisierung dar" fuehrt etwa die FPOe aus
und sie kann "nicht alle im Pakt festgehaltenen Items politisch
unterstuetzen". Mit der Stellungnahme spricht sich die "soziale
Heimatpartei" FPOe, sowohl gegen die ungehemmte Globalisierung als auch
gegen die Einmischung durch die EU (EuGH, Kommissionen u.a.) in "intime
nationale Entscheidungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik" aus.

Die Gruenen fuehren beispielsweise an, dass ihnen die Unterstuetzung von
AsylwerberInnen ein wichtiges Anliegen ist. Ihr Antrag zur Ratifizierung der
Konvention zum Schutz der Rechte von WanderarbeitnehmerInnen wurde von den
Regierungsparteien abgelehnt (bei Enthaltung der SPOe). Daneben setzen sie
sich u. a. fuer die Einrichtung eines nationalen Menschenrechtsinstitutes
ein und weisen ausdruecklich darauf hin, dass sie "an einer generellen
Festigung der Menschenrechte in Oesterreich grosses Interesse haben."

Die SPOe betont bereits eingangs in ihrer Stellungnahme, dass "Sozialpolitik
(...) Herzstueck, Basis und auch Ziel der sozialdemokratischen Politik
(bildet)". Neben den Modellen zu Beschaeftigungspolitik, bedarfsorientierter
Grundsicherung und Kinderbetreuung wird auf den Grundrechtskatalog der SPOe
verwiesen. Wie keine andere der stellungnehmenden Parteien betont die SPOe
die Bedeutung der Durchsetzbarkeit sozialer Grundrechte "es muessen Rechte
nicht nur verankert werden, sondern es muss gleichzeitig auch ein
Mechanismus der Rechtsdurchsetzung geschaffen werden". Gemaess dem
Verstaendnis der SPOe allerdings kann mit "der Foerderung von Frauen (...) die
Kinderarmut direkt bekaempft und die Spirale der "Vererbbarkeit von Armut"
durchbrochen werden".

Die OeVP hat als einzige Regierungspartei Stellung genommen und bezog sich
dabei in erster Linie auf die Empfehlungen des UN-Komitees fuer WSK-Rechte.
Sie sieht beispielsweise die bedarfsorientierte Grundsicherung bereits durch
das Ausgleichszulagensystem, Arbeitslosenversicherung sowie die
Sozialhilfeleistungen der Laender gegeben. Oder hinsichtlich der
UN-Konvention zum Schutz der Rechte von WanderarbeitnehmerInnen etwa, will
die OeVP Oesterreich "nur im Einklang mit europaeischen Partnern" festgelegt
sehen. Eine fortschreitende Aushoehlung von WSK-MR Standards kann die OeVP
nicht feststellen.

Bedauerlicherweise ist ueber weite Strecken das Verstaendnis fuer
menschenrechtliche Grundprinzipien und die Tatsache, dass Menschenrechte
oberste Staatenpflicht darstellen, zu vermissen. Unter anderem ist daher
etwa zu den Ausfuehrungen der FPOe prinzipiell festzuhalten, dass die
Artikel des WSK-Paktes nicht verhandelbar sind, und eine von vornherein auf
Diskriminierung aufbauende Umsetzung des Paktes zentralen
Menschenrechtsprinzipien widerspricht. Auf die Benachteiligung von
AsylwerberInnen in der Grundversorgung und die geforderte Gleichstellung
ging die SPOe leider nicht ein, die Frage bleibt also offen, ob ihre Politik
das menschenrechtliche Prinzip des sich ergebenden individuellen Anspruches
aus den Rechten - unabhaengig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Alter,
Ethnie, Religion u. ae. - durchzusetzen bereit ist. Obwohl im Wahlkampf der
Gruenen die Armutsbekaempfung in Oesterreich zentrales Thema ist, wird sie
nicht als menschenrechtliche Verpflichtung im Rahmen des WSK-Pakts
wahrgenommen bzw. dargestellt. Die OeVP etwa kann steigende Armutszahlen,
staerker werdende soziale Ausgrenzung, sinkende qualitative Standards des
Bildungssystems sowie nicht gesicherte Chancengleichheit im Zugang zum
Bildungssystem uvam. nicht mit der Aushoehlung von Standards sozialer
Grundrechte verbinden. Fuer eine Partei mit langjaehriger
Regierungsverantwortung scheint doch etwas unverstaendlich, dass sie dies
nicht mit der staatlichen Pflicht, einmal erreichte Standards sozialer
Menschenrechte zu gewaehrleisten, in Zusammenhang bringen kann bzw. will.

Mit den Stellungnahmen lassen die Parteien prinzipiell erkennen, dass den
WSK-Rechten sowie den Empfehlungen des UN-Sozialkomitees politische
Bedeutung zugemessen wird. Weitgehend stimmen die antwortenden Parteien mit
dem Komitee auch in der Frage der ueberein, WSK-Rechte in der Ausbildung der
Rechtsanwenderinnen staerker zu beruecksichtigen. WSK-Rechte werden in der
oesterreichischen Rechtsprechung, im Unterschied zu anderen europaeischen
Staaten, kaum als Rechtsquelle herangezogen.

Es muss generell als Erfolg der Arbeit von zivilgesellschaftlichen
Organisationen wie FIAN und deren KooperationspartnerInnen des
Parallelberichtes angesehen werden, dass vier von sechs Parteien sich mit
den Berichten zum WSK-Pakt und den Empfehlungen des UN-Sozialausschusses
auseinandergesetzt haben. "Die geradezu menschenverachtenden Untertoene, die
in diesem Wahlkampf immer wieder angeschlagen werden, verdeutlichen, welche
Menge an Arbeit noch zu leisten ist", meint Lisa Sterzinger,
Vorstandsmitglied von FIAN Oesterreich. (gek.)

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(1) Die Liste Hans Peter Martin war bei Beginn der Aktion noch nicht als
wahlwerbende Partei registriert. Bei der KPOe meinte man auf Anfrage der
akin, dass sie die Anfrage der FIAN vielleicht gar nicht bekommen haetten,
weil sie der Spamfilter gefressen haette. Auf allen Faellen sei ihnen das
Nichtanworten sehr peinlich und sie verweisen inhaltlich diesbezueglich auf
ihre Website.



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