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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. September 2006; 16:50
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Grundeinkommen/Gruene/Debatte:

4)

> hoch die gespenster!

denn ohne polemik geht gar nichts -- eine antwort auf die drei reaktionen

danke, danke, danke! ehrlich, ich freue mich immer, wenn ich reaktionen auf
einen von mir geschriebenen text bekomme -- denn ohne feedback verhungert
man. aber: vor dem sommer habe ich eine aehnliche, allgemein um mich
schimpfende glosse zum thema grundeinkommen geschrieben -- und niemand hat
reagiert. denn ich hatte keine konkreten namen genannt. mache ich sowas aber
im wahlkampf und benenne dabei auch die gruenen, krieg ich heftigste
reaktionen. und da frage ich mich schon: wo liegen da die prioritaeten bei
markus, dieter und karl -- im inhaltlichen oder gehts doch wieder nur um die
partei?

okay, zur kritik: jetzt auf alle details dieser drei texte einzugehen, sehe
ich mich ueberfordert -- da koennte man ein buch schreiben. ich moechte mich
daher auf ein paar kleinigkeiten beschraenken: beispielsweise die genannten
zahlen! ich hab nichts davon gesagt, wie hoch so ein grundeinkommen sein
soll. und ich habe auch nicht erwaehnt, dass mir seit langem abgeht, dass
endlich mal eine krankenversorgung gefordert werden sollte, die fuer 100%
anstatt fuer 99% der bevoelkerung da ist. und dass man sich klar von den
rechten abgrenzen muss, deren konzepte eben in richtung flat tax und "armut
fuer alle, nur nicht fuer uns" gehen, scheint mir auch nicht erwaehnenswert,
da selbstverstaendlich.

doch wenn ihr mir sagt, ein solches konzept sei nicht finanzierbar und die
konzerne wuerden abwandern, dann ist das genau dasselbe, was euch die oevp
bei den eventuell kommenden koalitionsverhandlungen sagen duerfte, wenn ihr
mit eurem grundsicherungskonzept daherkommt.

herbert brunner, auch ein gruener, forderte einmal oeffentlich: "erhoeht die
steuern und treibt sie auch ein". aber das ist verdammt lang her. wo sind
diese forderungen heute? und jetzt sagt mir nicht, ihr habt sowas aehnliches
eh schon in irgendeinem papierl gefordert, von wegen steuerschlupfloescher
schliessen und so. das gilt nicht. sowas muss radikal formuliert und gross
rausposaunt werden.

und ja, wir haben die globalisierung -- na, dann muss man halt wieder das
boese wort "protektionismus" aussprechen. ich hab damit kein problem, die
gruenen eu- und wto-fans sehr wohl. es stimmt schon, das GEK wuerde
letztendlich einen totalumbau nicht nur des sozialstaates, sondern der
gesamten wirtschaftspolitik erfordern -- ja, stimmt! und?

aber um all das gings mir in dem text auch nicht, sondern um das
prinzipielle! ja, darum dass opinion leader wieder diese ganz, ganz argen
visionen von einem besseren leben haben muessen. dass der kapitalistische
staat uns das nicht freiwillig bescheren wird, wie markus anmerkt, ist schon
klar, aber wozu gibt es denn politische bewegungen, wenn wir eh nur das
fordern, was staat und kapital freiwillig herausgeben? hin und wieder muss
ein gespenst umgehen -- immerhin hat jenes, dass karl marx meinte und auf
dass markus anspielte, dafuer gesorgt, dass wir hierzulande ueberhaupt sowas
wie ein arbeits- und sozialrecht haben.

wenn dieter schrage, der sich wie ich als anarchisten versteht, eine
"grundsicherung" verteidigt, die den arbeitsamtlichen terror auch nicht im
mindesten angreift (oder sollte ich das im grundsicherungspapierl ueberlesen
haben?), dann verstehe ich das nicht. das ist genau jener
sozialdemokratische ansatz, der da sagt: "die arbeit hoch!". sollte es nicht
darum gehen, von einer politik abzugehen, die jeden, der arbeitsfaehig ist,
zur arbeit zwingt? wenn markus sagt, dass es selbstverstaendlich sei, dass
der terror am "AMS" abgeschafft werden muss, dann muss ich sagen, dass ich
ihm persoenlich abnehme, dass das fuer ihn selbstverstaendlich sei. ich
glaub das auch dieter uns karl. aber sorry, liebe leute, die gruenen in
ihrer gesamtheit sind laengst keine partei mehr, fuer die das gleiche gilt!

immerhin: wir sind uns also wohl einig, dass armutsbekaempfung im sinne von
wohltaetigkeit, die als gnade verstanden wird, es wohl nicht sein kann. wenn
wir schon einen rechtsstaat haben, dann soll er auch zu etwas nuetze sein,
das heisst, auch das recht auf menschenwuerdiges leben fuer jeden menschen
zumindest innerhalb seiner grenzen zu sorgen (von internationaler
solidaritaet jetzt mal gar nicht zu reden). umso mehr, als dass der reichtum
in diesem staat einer solchen forderung nun gar nicht entgegensteht -- was
markus ja nicht einmal bestreitet.

mein problem ist, dass die gruenen aus lauter angst, sie koennten
irgendeinen buergerlichen gruenwaehler verschrecken, keine radikalen
forderungen mehr aufstellen. das war der hauptpunkt meines textes -- und den
habt ihr geflissentlich ignoriert.

moeglicherweise ist das grundeinkommen wirklich nicht das gelbe vom ei. wenn
drei leute, die ich schaetze, mir sagen, dies sei bloedsinn, dann muss ich
wohl nochmal darueber nachdenken -- der streit ist immer meine lieblingsform
des nachdenkens gewesen. dennoch: das GEK ist in seiner symbolhaftigkeit
eine radikale forderung, um klarzumachen, dass man soziale, sprich:
wirtschaftliche ordnung auch ganz anders angehen kann. ich will hier eben
nicht eisern am grundeinkommen festhalten, denn die argumentation der drei
ist sicher nicht so ohne weiteres von der hand zu weisen. ebensowenig von
der hand zu weisen ist aber auch meine argumentation, dass sich von euch
gruenen keiner geruehrt haette, haette ich nicht so radikal das
grundeinkommen gefordert und die gruenen bepisst -- ecco! das ist der effekt
von radikalen forderungen.

okay, bitte, dann halt kein grundeinkommen. es kommt mir nicht auf das
konzept des grundeinkommens an, sondern darauf, was bei einem konzept zum
umbau des sozialstaates herauskommen soll.

wenn ihr partout kein GEK wollt, schoen, aber dann bitte auch keine
armutsbekaempfung nur fuer die "braven und anstaendigen", sondern entwerft
eine grundsicherung, die auch denen zugutekommt, die auf diesem arbeitsmarkt
keine arbeit finden koennen, die ihren eigenen forderungen an ein
menschenwuerdiges leben entspricht! und weiter: entwerft eine
grundsicherung, die denjenigen die oekonomischen existenzaengste nimmt, die
gar keine lust haben, "sich in den arbeitsprozess einzugliedern"! in eurem
forderungspapier steht: "Jeder Mensch soll auch in die Lage gesetzt werden,
fuer einen gewissen Zeitraum (zwei Jahre) voellig frei und ohne Not oder
zwingende Gruende Grundsicherung beanspruchen zu koennen". streicht einfach
"fuer einen gewissen Zeitraum (zwei Jahre)", fordert ein bissi mehr als die
laeppischen 800 euro und plakatiert diese forderung anstatt der gesichter
eurer beiden oberkapitalismusapologeten. dann werde ich diesbezueglich keine
kritik mehr aeussern. sagt: "weg mit der koppelung von arbeit und
oekonomischer absicherung!" so erspart ihr euch die forderung nach einem
revolutionaeren gesellschaftsumbau, aber es bleibt immer noch soviel, dass
die uebrigen parlamentsparteien, die industriellenvereinigung, die
kronenzeitung genauso wie standard und sogar der oegb gemeinsam ueber euch
herfallen! und dann ist das thema in der oeffentlichen diskussion und andere
opinion leader muessen reagieren. wenn ihr in diesem bereich wirklich
themenfuehrerschaft haben wollt, muesst ihr schon ein bissi schaerfer
formulieren, dann muesst ihr eben visionaer sein. warum glaubt ihr wohl,
sind die gruenen heutzutage nurmehr die feinstaubpartei?

wenn karl von der politischen umsetzbarkeit spricht, dann muss ich sagen:
ja, genau darum gehts! aber das ist nicht eine frage von legislaturperioden,
sondern von gesellschaftlicher akzeptanz -- beispielsweise kreiskys reformen
konnten auch nur durchgesetzt werden, weil ihn eine mehrheit in der
bevoelkerung unterstuetzte. das ist zum teil sicher auch der prosperitaet
dieser zeit zu verdanken, aber ohne politische aufbruchbewegungen wie den
68ern waere das nicht denkbar gewesen. dieser druck muss aufgebaut werden
und dazu bedarf es der agitation! nur wenn der meinungsdruck von unten
stimmt, kann man etwas veraendern -- dabei ist es herzlich egal, ob die
gruenen in der regierung sitzen oder nicht.

wollten die gruenen radikale forderungen aufstellen und an ihnen auch im
medialen sturm festhalten -- anstatt beim leisesten mailuefterl sich ins
niedrigenergiehaus zu verziehen -- dann waere ich davon ueberzeugt, dass
diese partei bereit ist, wieder auf konfrontationskurs zu gehen und dafuer
auch den grossteil ihres waehlerpotentials in der josefstadt zu
vergraulen -- ICH wuerde die gruenen wieder waehlen und ich waere nicht
allein.

aber damit sind wir bei dem, was ich geschrieben habe, fuer das die
grundsicherung ja nur ein beispiel unter vielen war: die gruenen wollen
regieren und nicht mehr, dass jemand ueber sie herfaellt, das ist das
problem! das wichtigste ist fuer die gruenen, so van der bellen, bei der
naechsten wahl dritte zu werden, als ginge es um ein pferderennen! das ist
die essenz meiner kritik!

wenn die gruenen nicht in der lage sind, radikale forderungen aufzustellen,
wozu sind sie dann gut? die sozialdemokratie gibt es schon. koennten wir
vielleicht darueber einmal reden?

und was die erdaepfeln angeht: ich bin fuer ein menschenrecht auf
rindsgulasch. auch fuer vegetarier. die muessen es ja nicht essen, aber die
wahlfreiheit sollten sie haben.
*bernhard redl*



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