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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. September 2006; 17:25
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Wahlk(r)ampf 06/Gruene/Glossen:
> Offener Brief an die Bundesgruenen
Andreas Khol hatte allen Grund zufrieden zu sein: Die oeffentliche 
Diskussion um Migration ist um ein Sandkorn im Getriebe, um einen wenn auch 
kleinen, aber hartnaeckigen Stachel aermer geworden. Als letzte der 
Parlamentsparteien akzeptieren mit dem Konzept eines Punktesystems nun auch 
die Bundesgruenen das Prinzip, dass Zuwanderung sich ausschliesslich nach 
den Beduerfnissen der Mehrheitsbevoelkerung zu gestalten habe. Eine 
Punkteverteilung soll jene mit einem Aufenthalt und Integrationsmassnahmen 
belohnen, die eine Ausbildung in einem Bereich vorweisen koennen, wo 
oesterreichische Arbeitskraefte fehlen, oder ueber anders benoetigte 
"Schluesselqualifikationen" verfuegen, wobei Van der Bellen vorsichtshalber 
anmerkte, dass momentan angesichts der Arbeitslosenzahlen der Bedarf an 
ZuwanderInnen gering sei. Kohl hatte recht, als er diesen Tag als eine Wende 
beurteilte: Es war ein schwarzer Tag, an dem auch die Bundesgruenen 
akzeptierten, MigrantInnen nach Qualifikation und Arbeitsmarktlage in 
"Nuetzliche" und "Unnuetze", in "Erwuenschte" und "Unerwuenschte" zu teilen. 
Wurden die Gruenen bisher - und oft zu Recht - als die FuersprecherInnen 
derer wahrgenommen, die keine Lobby und nicht einmal eine WaehlerInnenstimme 
haben, so haben sie sich mit diesem Konzept zum Sprachrohr der 
Mehrheitsbevoelkerung gemacht, die ein Westenthaler und eine Prokop noch 
allemal besser vertreten.
Freilich: Das Ausmass an Inhumanitaet, das der Politik von FPOe, BZOe und 
OeVP anhaftet, unterscheidet das gruene Punktesystem von deren rassistischer 
Propaganda und Praxis. Wohlgemerkt: das Ausmass an Menschenverachtung, nicht 
die grundlegende Praemisse, die nun allen Konzepten von Migrationskontrolle 
zugrunde liegt, auch der gruenen: Das Boot ist voll, und wir 
OesterreicherInnen bestimmen, wer eventuell noch auf der Ruderbank oder zum 
Putzen des Drecks Platz nehmen darf. Van der Bellen hat die Abschiebeplaene 
des BZOe kritisiert und zugleich die prinzipielle hegemoniale Ausrichtung 
des Umgangs mit NichtoesterreicherInnen uebernommen. Er hat eine besonders 
harte Form des Grenzregimes attackiert und das internalisierte Grenzregime 
verstaerkt, das die Gesellschaft teilt in Menschen mit oesterreichischem 
Pass, fuer die erst einmal gesorgt werden muesse, und in Menschen ohne 
oesterreichischen Pass, die dann drankommen, wenn noch was uebrig ist.
Und, liebe Bundesgruene, warum?
Ihr seid nicht in der Regierung und werdet es mit einer derart schnell nach 
rechts gerueckten OeVP auch hoffentlich in den naechsten Jahren nicht sein. 
Ihr wart nicht in der Situation, mit einem um jeden Preis pragmatischen 
Zuwanderungskonzept ein noch groesseres menschenrechtliches Debakel in der 
Migrationspolitik zu verhindern. Haette es geheissen: Entweder unser 
Konzept - oder das der anderen, dann waere Eure Vorgehensweise zumindest 
verstaendlich gewesen. Als Antwort auf eine mit Blick auf den Wahlkampf 
initiierte Debatte, in dem sich alle bemuehen, rechts von sich keinen Platz 
mehr zu lassen, war sie fatal.
Eure Aufgabe, wenn Ihr Euren eigenen Anspruch einer Menschenrechtspartei 
ernst nehmt, waere jetzt eine ganz andere, naemlich lautstark und konsequent 
dem momentanen Diskurs ueber MigrantInnen entgegenzutreten, die entweder nur 
mehr als Sicherheitsrisiko oder als Faktoren einer Kosten-Nutzen-Bilanz 
dargestellt werden. Eure Aufgabe waere es, kontinuierlich und hoerbar die 
menschenrechtswidrigen Asyl- und Fremdengesetze zu bekaempfen und die 
toedliche EU-Abschottungspolitik zu thematisieren. Eure Aufgabe waere es, 
nicht nur den absurden Zahlenspielen von FPOe und BZOe, die eine 
tatsaechlich gesunkene Migration in einen Zuwanderungsrekord verwandeln, die 
realen Fakten gegenueberzustellen (das blieb bisher in erster Linie 
kritischen Medien ueberlassen), sondern im immer haerter werdenden 
kapitalistischen Konkurrenzkampf und neoliberalen Offensiven die wirklichen 
Ursachen von Arbeitslosigkeit und Armutszunahme zu benennen.
Ja - vielleicht wuerde ein solcher Kampf sogar WaehlerInnenstimmen kosten - 
nicht viele, keine, die entscheidend sind, aber die eine oder andere 
vielleicht. Aber viel, viel schlimmer als der Verlust von ein paar Stimmen 
bei der naechsten Wahl ist es, wenn sich Menschen aufgrund Eures Auftritts 
in ihrer Ueberzeugung bestaetigt fuehlen, dass "das Boot eben voll ist", 
wenn sogar schon die Gruenen das einsehen, oder die anderen Parteien sich in 
ihrem Ausspielen von Arbeitslosen gegen MigrantInnen bestaerkt fuehlen, wenn 
sogar die Gruenen den Zusammenhang schon zugeben. Viel, viel schlimmer als 
der moegliche Verlust von ein paar WaehlerInnenstimmen ist der Verlust von 
bitter notwendigem Mut, sich der dominanten Stimmung entgegenzustellen, die 
MigrantInnen nur akzeptieren, wenn sie sich als Bereicherung praesentieren 
koennen, als brave Kinder, statt als Gesellschaftsmitglieder, die genauso in 
Probleme verstrickt sind wie diejenigen mit oesterreichischem Pass auch.
Dies sind die ganz realen Auswirkungen Eurer Fleissaufgabe, die keine 
einzige rassistische Praxis der jetzigen Regierung verhindert, aber deren 
Akzeptanz in der Bevoelkerung erleichtert.
Welcher Gesellschaft habt Ihr das Wort geredet? Einer, die versucht, von 
ethnisierenden Sprach- und Wahrnehungsmustern wegzukommen, oder einer, die 
diese Schranken perpetuiert?
Wir sagen nicht: Bis hierher und nicht weiter. Wir sagen: Zurueck hinter die 
rote Linie, die mit dem Punktesystem definitiv ueberschritten wurde.
Ihr seid in der Opposition - das ist eine Chance, nicht ein mittels 
unertraeglicher Pragmatismen zu ueberwindender Zustand. Als Parteimitglieder 
fordern wir Euch, liebe Bundesgruene, auf, endlich auch mit Verstand, 
Leidenschaft und Phantasie Opposition gegenueber der herrschenden Politik zu 
sein.
*Gerald Kuhn, Soziologe, Graz*
*Ines Astenberger, Historikerin, Graz*
*Und 20 MitunterzeichnerInnen*
(gefunden in: Augustin, August 2006)
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