**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 5. September 2006; 19:06
**********************************************************

Asyl/Recht/Glosse:

> Wenn der Staat sich fuerchtet

Der Verfassungsgerichtshof hat kuerzlich den Antrag von Michael Genner,
Obmann des Vereins "Asyl in Not", auf (Teil)Aufhebung des § 115 des
Fremdenpolizeigesetzes ("unentgeltliche Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt")
als unzulaessig zurueckgewiesen. Genner hatte naemlich seiner Befuerchtung
Ausdruck verliehen, dass die Formulierung "Wer mit dem Vorsatz, das
Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender
Massnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europaeischen Union erleichtert, ist
vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis
zu 360 Tagessaetzen zu bestrafen." seinem Verein die dem Vereinszweck
entsprechenden Massnahmen verunmoeglichen wuerden.

Der VfGH wies dies zurueck, da Handlungen, die dem Vereinszweck von des
Rechtshilfevereins "Asyl in Not" entsprechen, nicht als tatbestandsmaessig
anzusehen waeren und somit keine unmittelbare Betroffenheit des
Antragsstellers gegeben waere, wodurch diesem auch kein Antragsrecht
zukommt.

Daraus ergibt sich zweierlei:

Erstens stellt damit der VfGH fest, dass auch die exzessive Nutzung von
Rechtsmitteln selbst von Rechtsbeistaenden, die keine Anwaelte sind, nicht
nach dem Gesetz belangbar ist. Eigentlich sollte dies logisch sein, denn die
Wahrnehmung eines vorhandenen Rechtsmittels sollte in einem Rechtsstaat
niemals einen Straftatbestand darstellen koennen - durch die Novelle, die
neben den betroffenen Aufenthaltsrechtsuchenden selbst auch Rechtsanwaelte
von der Strafbarkeit ausnimmt, kann aber sehr wohl impliziert werden, dass
die Bestimmungen sehr wohl auf nichtanwaltliche Rechtsbeistaende anwendbar
ist -- durch die Abweisung des VfGH ist damit festgestellt, dass auch
Nichtanwaelte den Betroffenen beistehen duerfen.

Zweitens allerdings kam der VfGH damit um die Fragestellung herum, ob es
sich bei der Bestimmung generell oder zumindest teilweise um eine
verfassungswidrige Rechtsnorm handelt - womit die Rechtsunsicherheit ueber
die Auslegung dieses Paragraphen weiterhin besteht.
Ausloeser fuer Genners Individualantrag war ein Verfahren gegen ihn. Er
hatte auf einer Veranstaltung der Gruenen in Innsbruck die Bevoelkerung
aufgerufen, Schutzraeume zu schaffen, um die Abschiebung von Traumatisierten
und Folteropfern zu verhindern. Ein solche Tat wird aber eben durch den §115
Fremdenpolizeigesetz mit Gefaengnis bedroht. Und damit ist auch der Aufruf
dazu strafbar ("Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen", §282
StGB). Die Staatsanwaltschaft Tirol leitet ein Verfahren ein. Und zog dann
ploetzlich "vorlaeufig" zurueck. Man moechte in dieser Causa nicht weiter
ermitteln -- wegen mangelnder Strafwuerdigkeit.

Dass die Justiz Genner jetzt doch nicht verfolgen will, erscheint auf den
ersten Blick verwunderlich. Doch ist es wohl nicht allein die Furcht der
Staatsanwaltschaft -- und der dahinterstehenden Politik -- Genner eine
politische Buehne und eine sichere Fahrkarte zum VfGH zu verschaffen, der
sich dann mit dem Fremdenpolizeigesetz befassen koennte. Hinter dem
Verfolgungsunwillen koennte auch stehen, dass Anfang der 90er Genner Justiz
und Bundesregierung eine derart peinliche Niederlage bescherte, dass man
sich seither nicht mehr mit ihm beschaeftigen will.

Im September 1990 hatte Genner per Flugblatt die Soldaten beim
Assistenzeinsatz an der Grenze zu Ungarn aufgefordert, den Befehl,
Fluechtlinge abzufangen und nach Ungarn zurueckzuschicken, zu verweigern.
Seine Argumentation: Ungarn habe die Genfer Fluechtlingskonvention nicht
ohne Vorbehalt unterzeichnet und sei daher kein sicheres Drittland. Damit
haetten die Soldaten das Recht und die Pflicht, den Befehl zu verweigern.
Die Staatsanwaltschaft brachte Genner wegen Aufforderung zum Ungehorsam vor
Gericht, Genner bestand jedoch auf einem Wahrheitsbeweis seiner Behauptung.
Das Aussenamt, vom Gericht befragt, behauptete, Ungarn habe die konvention
voll inhaltlich ratifiziert. Genner kam daraufhin mit einem Gutachten des
UNHCR, dem die Expertise des Aussenamts -- gelinde gesagt -- neu war und der
Genners Behauptung bestaetigte. Nun war das Hauptverfahren aber schon sehr
weit gediehen und nach abgeschlossener Beweisaufnahme waere eigentlich nur
mehr der Richterspruch faellig gewesen, der Genner freigesprochen haette.
Doch Staatsanwaltschaft und Gericht beschlossen offensichtlich, einen
Freispruch zu umgehen. Sie vertagten nochmal und endlich Anfang 1993
beendeten sie ein so gut wie abgeschlossenes Verfahren mit einer
Einstellung -- im Urteil haette das Gericht zum Schluss kommen muessen, dass
erstens das Aussenamt in einem Strafverfahren ein zumindest schlampiges
Gutachten erstellt haette -- was noch die freundliche Version gewesen waere.
Zweitens waere damit festgestellt worden, dass der Assistenzeinsatz an der
ungarischen Grenze tatsaechlich nicht als rechtskonform anzusehen ist -- und
das konnte nun wirklich niemand wollen.

Seither duerfte bei der Staatanwaltschaft resp. dem weisungsbefugten
Ministerium das ungute Gefuehl vorherrschen, dass es wenig opportun ist,
Michael Genner vor Gericht zu zitieren, da neben dem politischen Wirbel er
moeglicherweise auch noch gute Chancen haette, hoechstgerichtlich Recht zu
bekommen, was wohl Gesetzesaufhebungen bedeuten koennte.

Es waere schoen, wenn Politik und Justiz haeufiger engagierten Buergern
gegenueber derartigen Respekt haetten.
*Bernhard Redl*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin