**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Juni 2006; 17:36
**********************************************************

OeGB/Kommentar der Anderen:

> "Die Kampfkraft rekonstruieren"

Eine Strukturreform ist das Ziel des OeGB-Vorsitzenden Rudolf Hundstorfer
nach der Krise durch die BAWAG-Spekulationsgeschaefte. Ob damit endlich
demokratische und transparente Strukturen geschaffen werden, ist die Frage.
"die linke - online" stellte sie Fritz Keller, langjaehriger
Gewerkschaftsaktivist und KIV-Personalvertreter.


die linke: Wer wann mit welchen Geldern durchgebrannt ist, wer welches
Penthouse bewohnt, wer welche Bilder verkauft hat, wer was gewusst hat -
diese Themen beherrschen die Medien. Was denkst du darueber?

Keller: Ich denke, dass bei dieser Form der Berichterstattung das
Wesentliche auf der Strecke bleibt. Und das Wesentliche ist die Frage, in
welchem Biotop diese Sumpfblueten gedeihen konnten. Dieses Biotop laesst
sich benennen, es heisst "Staatsgewerkschaft". Und zwar eine
Staatsgewerkschaft, die sich ab Anfang der 90er Jahre in einer permanenten
Krise befand. Der OeGB verlor seine grossen Bastionen, die Verstaatlichte
Industrie und den Konsum, er verlor mit diesen Bastionen eine grosse Zahl
von Mitgliedern. Gleichzeitig macht ihm auch der neoliberale Kurs in der
Wirtschaft zu schaffen, was ebenfalls zu Mitgliederverlusten fuehrte. Der
OeGB als ganzes, als Staatsgewerkschaft, war nicht in der Lage, eine
Umstrukturierung durchzufuehren. Umstrukturierung haette bedeutet, die
Teilgewerkschaften zu fusionieren, den Apparat entsprechend den neuen
Begebenheiten zu verkleinern. Genau dazu war die OeGB-Buerokratie nicht
imstande, sie griff zu der Loesung, sich um jeden Preis zu retten, und sei
es zum Preis von Spekulationsgeschaeften in der Karibik.

Die OeGB-Spitze griff zur Methode, den Schein ihrer politischen Macht
aufrecht zu erhalten. Das machte sie auf den verschiedensten Ebenen: Die
Teilgewerkschaften faelschten ihre Mitgliederzahlen, um eine Macht
vorzutaeuschen, ueber die sie nicht mehr verfuegten, sowohl gegenueber den
Unternehmern als auch gegenueber konkurrierenden anderen
OeGB-Teilgewerkschaeften. Sie faelschten Mitgliederzahlen, produzierten
"Karteileichen", mussten aber dadurch aber auch Mitgliedsbeitraege selbst
bezahlen, was wiederum dazu fuehrte, dass die entsprechenden Bilanzen der
Teilgewerlkschaften gefaelscht werden mussten, weil die Bilanzierung von
Mitgliedsbeitraegen nicht existierender Mitglieder legal nicht moeglich war.
Die Methode, sich gegenseitig etwas vorzuschwindeln begann also nicht bei
OeGB-Praesident Fritz Verzetnitsch, sie begann viel frueher auf der Ebene
der Teilgewerkschaften. Insgesamt lieferte die OeGB-Buerokratie nur einen
weiteren Beweis fuer die von KennerInnen der internationalen
Gewerkschaftsszene schon lange vertretene These, dass Apparate im Grunde nur
dann zu einer Reform an Kopf und Fuss erst dann bereit sind, wenn sie "aus
dem letzten Loch pfeifen".


die linke: Krise kann doch auch die Chance eines Neuanfangs bedeuten.

Keller: Kann schon, wenn man bereit ist, die Ursachen der Krise zu
analysieren. Verfolgt man aber die aktuelle Diskussion in der OeGB-Fuehrung,
dann muss man zu dem Schluss kommen, dass das Ziel der gegenwaertigen
Reformbestrebungen nicht ist, das Modell der "Staatsgewerkschaft" in Frage
zu stellen, sondern eine Art "Staatsgewerkschaft - neu" zu rekonstruieren.
Das bedeutet, dass man sehr wohl strukturelle Aenderungen machen wird,
vielleicht sogar - was fuer den OeGB ein immenser Fortschritt waere -
Geschlechterparitaet in Gremien einfuehren wird, kosmetische Operationen
nach aussen vornehmen wird, im Grunde aber das Konzept der
"Staatsgewerkschaft" nicht in Frage stellen wird. Das Problem dabei: das
Konzept der "Staatsgewerkschaft" wird von gesellschaftlichen Kraeften
ausserhalb des OeGB massiv in Frage gestellt. Jeder, der das nicht geglaubt
hat, der wurde von Bundeskanzler Schuessel bei den sogenannten Verhandlungen
zur Sanierung der BAWAG eines besseren belehrt. Spaetestens dann, als er den
OeGB aus sozialpartnerschaftlichen Gremien der Oesterreichischen
Nationalbank entfernte. "Gut", wird mancher Gewerkschafter sagen,
"vielleicht gibt es eine Loesung, die naechste Regierung ist vielleicht
wieder sozialdemokratisch oder eine Koalitionsregierung und wird den OeGB
als Verhandlungspartner auch ohne gefuellten Streikfonds wieder
akzeptieren". Dieses Konzept koennte vielleicht dann funktionieren, wenn
Oesterreich wie in den Hochzeiten der Sozialpartnerschaft in den 50er- und
60er-Jahren von Einfluessen von aussen abgeschottet waere. Das ist es aber
nicht, und auf der internationalen Szene zeigen sich zunehmend Kraefte, die
eine Sozialabbaukonzeption mit allen Mitteln durchsetzen wollen und dadurch
den Gewerkschaften Streiks aufzwingen. Im Grunde ist auch die von der EU mit
dem Lissabon-Abkommen von 1995 verfolgte Strategie, die USA wirtschaftlich
einzuholen und zu ueberholen nur erreichbar, wenn man einen Sozialabbau
vornimmt, der unter das Niveau der USA fuehrt.

Eine solche Konfrontationsstrategie war in den letzten Wochen und Monaten in
Deutschland erkennbar und hat ver.di einen Streik aufgezwungen. Eine solche
Konfrontationsstrategie war in Frankreich mit der Flexibilisierung der
Kuendigungszeiten erkennbar. In England fuehrten, von der oesterreichischen
Oeffentlichkeit weitgehend unbeachtet, 11 Gewerkschaften des Oeffentlichen
Dienstes den groessten Streik seit 1926 durch, und dabei wurde in einigen
Staedten wie Liverpool das oeffentliche Leben lahm gelegt. Ausloeser des
Streiks war der Versuch der Regierung Blair, das Pensionssystem der
Oeffentlich Bediensteten zu kippen.


die linke: Mit welchen alternativen Modellen koennte sich der OeGB
ausserhalb und innerhalb seiner Gremien beschaeftigen?

Keller: Da gaebe es zuerst einmal das Modell der US-Gewerkschaften: In den
USA haben sich die Gewerkschaften einen Schritt von ihrem traditionellen
Buendnispartner, der Demokratischen Partei, entfernt und versuchen nun eine
Art ausserparlamentarischer Opposition aller Entrechteten und
Benachteiligten der kapitalistischen Gesellschaft zu formieren. D.h. in
ihren Gremien sind nicht mehr allein die Maenner zwischen 50 und 60 Jahren
vertreten, sondern sie versuchen auch Frauen, auch radikale Feministinnen
einzubeziehen. Ebenfalls werden benachteiligte Ethnien, wie HispanierInnen
einbezogen. Sie versuchen, KonsumentenschuetzerInnen einzubeziehen, ebenso
studentische Initiativen, Dritte-Welt-Solidaritaetsinitiativen,
Fair-Trade-Iniitiativen und NGOs aller Art. Gleichzeitig haben sie eine
Offensive gestartet, um neue Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen, z.B. in
der groessten US-Handelskette "Wall Mart".

Ein anderes Modell ist das der franzoesischen und italienischen
Gewerkschaften, die ueber nur geringe Streikgelder verfuegen, die auch nicht
einheitlich organisiert sind, sondern in partei-orientierte Gewerkschaften
aufgesplittert sind, und die es trotzdem schaffen, Erfolge zu erringen, von
denen die oesterreichischen und deutschen GewerkschafterInnen nur traeumen
koennen. Es waere also zu hinterfragen, ob die Staerke einer Organisation
wirklich in ihrem buerokratischen Potenzial liegt, in der Zahl ihrer
Mitglieder auf dem Papier und nicht in ihrer Kampfkraft. Wobei die naechste
Frage zu stellen waere, naemlich wie diese Kampfkraft, ueber die die
oesterreichischen ArbeiterInnen ja einmal verfuegten, rekonstruiert werden
koennte. Die Frage "Wie kann das solidarische Bewusstsein unter Oesterreichs
Lohnabhaengigen wieder aktiviert werden?" ist fuer mich eine viel wichtigere
Frage, als wie dieses oder jenes Gremium des OeGB in Zukunft funktionieren
und zusammengesetzt werden soll. Wenn es naemlich gelingt, die Basis zu
Widerstandsaktionen zu aktivieren, dann werden sich die Veraenderungen in
nGremien von selbst einstellen. ###

Quelle: http://dielinke.at/Programm/index.php?area=1&p=news&newsid=90


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin