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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Mai 2006; 18:28
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Glosse:
> Surreale Traeume
Letzte Woche hatte ich das Vergnuegen, einen alten Freund aus der 
politischen Szene zu treffen. Da wir beide gerade ziemlich beschaeftigt 
waren, vereinbarten wir einen Treffpunkt fuer den naechsten Abend. Dieser 
fand dann natuerlich auch statt, wir trafen uns in einem kleinen Cafe, wo 
mein Freund mich eigenartigerweise sofort in das Hinterzimmer zerrte. Er 
strahlte ueber das ganze Gesicht, mir blieb die Luft weg. Der ganze Raum war 
mit OeVP-, BZOe- und FPOe-Plakaten gespickt. Weiters gab es grosse 
Aufrufplakate mit den Vermerken ,Heil - Oesterreich erwache!' und ,Juden und 
Auslaender - raus!' Offensichtlich die Plakate von Neo-Nazi-Zellen, denn den 
Skinheads traut wirklich keiner zu, dass sie auch nur wenige Buchstaben 
lesen oder gar schreiben koennen. Bevor ich noch protestieren wollte, was 
das alles sollte, stachen mir auf weiteren Flugblaettern die grossgedruckten 
Zeilen: ,Schuessel und seine Skins', ,Bereit zum Angriff: OeVP und FPOe 
gegen Einwanderer' und so weiter ins Auge. Mein Freund lachte schallend und 
langsam begriff ich auch.
Da waren Plakate, wo Schuessel mit Mussolini gemeinsam fuer die Abschaffung 
der Sozialdemokratie und fuer den Kapitalismus kaempften, Schuessel stand 
dann hinter Pinochet und half ihm, der mit einer Maschinenpistole bewaffnet 
war, beim Einlegen des Patronenguertels. Und da waren OeVP-Plakate zu sehen, 
wo Schuessel mit Anzug und Krawatte in einem intimen Akt mit den Aposteln 
abgebildet war. Schliesslich war dann eines, wo Bischof Krenn gerade Jesus 
zu kuessen versuchte, der seinerseits sichtlich an dem derzeitigen Papst 
gefallen fand, dessen riesiger Stuhl auf Leichenbergen von AIDS-Toten 
wahrscheinlich aus dem suedlichen Afrika errichtet war. Die letzteren Bilder 
waren nicht ganz nach meinem Geschmack, doch mein Freund wischte saemtliche 
Bedenken mit einem schlagenden Beweis zur Seite. Das ganze war doch nur ein 
Traum, nichts mehr als eine Serie von Traeumen. Und Traeume sind doch nicht 
strafbar - oder? Also schrieb ich das in einer bekannten Zeitung. Der 
Staatsanwalt, vor dem ich dann stand, meinte kurz: ,Die oeffentliche 
Verbreitung strafbarer Handlungen, die Inhalt von Traeumen sein moegen, sind 
jedenfalls strafbar.'
Mein erster Anwalt argumentierte mehr auf wissenschaftlichem Niveau: 
,Traeume sind keinesfalls strafbar, denn ein Traum ist eine autonome 
neuronale Taetigkeit hoeherer Organismen. Der normal uebliche kausale 
Zusammenhang in der Hirntaetigkeit ist nicht erkennbar. Und wen soll es 
wundern, dass einer durch Traeume derartig erschuettert wird, dass er den 
Drang verspuert, den Inhalt dieser Traeume auch zu veroeffentlichen?' Ein 
zweiter Gutachter wurde beigezogen, der sich eher auf die schriftliche und 
scheinbar strafbare Ausfuehrung bezog. Er hatte dabei kuenstlerische Belange 
vorzutragen: den Surrealismus, der sich nicht so leicht vom Traumgebaren 
unterscheiden wuerde. Und dieses sei ja jedenfalls straffrei. Er, der 
Gutachter, belehrte das Gericht, dass eben dieser Surrealismus eine 
anerkannte kuenstlerische und literarische Bewegung des 20. Jahrhunderts war 
und noch immer ist, die sich vom psychoanalytischen Begriff des Unbewussten 
inspirieren laesst Der Traum ist nach seinen Aussagen das Reservoir des 
Unbewussten, das eine originaere kreative Quelle zur Ursache habe - und die 
Ausuebung einer surrealistischen Praxis koenne ja keinem ernsthaft 
abgesprochen werden.
Ich wurde schon am ersten Prozesstag frei gesprochen - die klagenden 
Parteien OeVP, die FPOe und die roemisch-katholische Kirche hatten die 
Kosten zu tragen. Was aber soll das Ganze, was soll es vermitteln? Von 
ueberall her kriechen die Ratten, um unser bis vor einigen Monaten noch 
halbwegs funktionierendes Sozialsystem zu zerstoeren, um es gaenzlich zu 
durchloechern - um alles zu verscherbeln, was nur irgendwie noch moeglich 
ist. Das Wahlvolk wird dabei zur Ablenkung, je naeher die Wahlen ruecken, 
schamlos gegen Zuwanderer verhetzt und akzeptiert dann sogar die schlimmsten 
Rueckschritte, wenn nur - ja wenn nur z.B. Herr Izmail Bergústàn mit seiner 
Familie dort bleibt, wo er ist, und wo er keine Zukunft mehr sieht. Wir 
geraten zur faschistischen Festung, wo wieder z.B. die Familie Bergùstàn 
mittlerweile in Abschiebezellen sitzt, deren Waechter ziemlich genau zu 
orten sind. Es sind dies einerseits die Bundesregierung samt den rechten 
Parteien, und andererseits gewisse Kirchenkreise, Medien wie die 
Kronenzeitung und schliesslich die aufgeheizte Bevoelkerung, deren letzter 
Abschaum die Skins darstellen. Aber keine Panik: wer dies alles fuer bare 
Muenze nimmt, traeumt ein bisschen. Und Traeumen, liebe Leute, ist ja nicht 
verboten. Traeumt mehr, liebe Leute! Traeumt, wo es geht und wie es geht 
und - verbreitet eure Traeume weiter. Ihr seid ja alle Kuenstler!
*Fritz Pletzl*
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