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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Mai 2006; 18:34
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Kommentar der Anderen/Arbeit:
Am 19. und 20. Mai fand in Bern eine Tagung der Plattform "Denknetz" unter 
dem Titel «Gute Arbeit fuer alle - Illusion oder Programm?» statt.
Die WoZ druckte 15 Thesen dazu ab, die im Vorfeld der Tagung erstellt worden 
war. Wir drucken sie nach -- aus Verstaendnisgruenden ein wenig dem 
oesterreichischen Deutsch angepasst:
> Arbeit allein kann es nicht sein
1. Eine dauerhaft hohe Erwerbslosenquote bedroht die demokratischen 
Grundlagen der Gesellschaft. Sie setzt die Menschen unter existenziellen 
Druck, foerdert die Entsolidarisierung, schraenkt die 
Problemloesungsfaehigkeit der Politik bedrohlich ein (zum Beispiel 
Umweltschutz und Klimapolitik), foerdert die Machtkonzentration in den 
Haenden der Wirtschaftseliten und schwaecht die sozialen Sicherungssysteme. 
Sie bereitet den Naehrboden fuer Nationalismus, Rassismus und fuer 
autoritaere, repressive politische Stroemungen.
2. Gute Arbeit fuer alle ist deshalb ein zentrales gesellschaftspolitisches 
Ziel.
Es ist eng verknuepft mit einer breiten Palette von gesellschaftspolitischen 
Anliegen: Mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann, mit der Schaffung 
global gerechter Verhaeltnisse, mit der Friedenspolitik, mit der 
nachhaltigen Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei gilt es, 
die gesamte gesellschaftlich notwendige Arbeit gerecht zu verteilen, sei sie 
nun Erwerbsarbeit im engeren Sinn oder nicht direkt an den Erwerb gekoppelte 
Arbeit in der Kinderbetreuung, der privaten Pflege et cetera.
3. Es reicht nicht aus, Arbeit fuer alle anzustreben. Die Qualitaet der 
Arbeit muss genauso Beachtung finden wie die Quantitaet. Gute Arbeit heisst: 
Arbeit sichert die Existenz und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. 
Sie wird unter menschenwuerdigen Bedingungen erbracht, ist frei von 
Diskriminierungen und von Schaedigungen der physischen und psychischen 
Gesundheit. Die Arbeitenden haben ein Recht auf verbindliche Mitbestimmung 
bei der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen. Jeder Mensch hat Anrecht auf 
eine Arbeitsbiografie, die ihm die Entfaltung der eigenen Persoenlichkeit 
erlaubt.
Der Zwang zur Ausuebung jeder beliebigen Arbeit steht dazu im schaerfsten 
Widerspruch und wird von uns vehement zurueckgewiesen.
4. Wir verlangen eine soziale Grundsicherung fuer alle, die keine 
Erwerbsarbeit leisten, sei es, weil sie Leistungen in der unbezahlten Care 
Economy erbringen oder weil die Gesellschaft nicht in der I.age ist, 
genuegend gute Erwerbsarbeit fuer alle anzubieten. Diese soziale 
Grundsicherung muss auch die Teilnahme an der Gesellschaft und an der Kultur 
ermoeglichen, nicht nur das blosse materielle Ueberleben. Die Grundsicherung 
soll ein sozialversicherungsmaessig verankertes Recht sein, auf das die 
Betroffenen Anspruch haben. ES darf an keine Bedingungen geknuepft werden 
ausser an die Bereitschaft, eine der Qualifikation und den Moeglichkeiten 
der Betroffenen angemessene Arbeit aufzunehmen beziehungsweise Pflege- und 
Betreuungsarbeit zu leisten.
5. Demgegenueber lehnen wir das Konzept eines bedingungslos garantierten 
gesellschaftlichen Grundeinkommens (Minimaleinkommens) ab. Das Konzept gibt 
vor, es sei nicht mehr genuegend Erwerbsarbeit fuer alle vorhanden. Es 
verstetigt damit die Spaltung zwischen den Arbeitenden und den BezieherInnen 
von Sozialleistungen, statt auf die Ueberwindung dieser Spaltung abzuzielen. 
Es laeuft Gefahr, die bestehenden sozialen Sicherungssysteme zu unterlaufen. 
Und es kann dazu fuehren, dass heute bestehende Segregationen auf dem 
Arbeitsmarkt verhaertet werden: Wer heute schon ausgegrenzt ist, fuer den 
wird der Zugang zu guter Arbeit noch schwieriger, zum Beispiel fuer viele 
Jugendliche und Frauen.
Viel besser ist es, Arbeitszeitverkuerzungen fuer alle einzufordern und 
damit eine Orientierung auf geineinsame Ziele zu foerdern.
6. Die demografische Entwicklung bietet in den naechsten zwanzig Jahren 
guenstige Rahmenbedingungen, damit Vollbeschaeftigung wieder zu einem 
realistischen Ziel wird. Mittelfristig nimmt der Anteil der Berufstaetigen 
an den Bevoelkerungen praktisch in ganz Europa ab, was unbedingt fuer eine 
Ueberwindung der Massenarbeitslosigkeit genutzt werden muss. Deshalb ist 
Erhoehung des Rentenalters die «duemmste» aller moeglichen Strategien. Sie 
wird von neoliberaler Seite vor allem deshalb betrieben, weil diese ein 
hohes Interesse an der Aulrechterhaltung einer «natuerlichen 
Arbeitslosigkeit» (Milton Friedman) hat, um den Druck auf Loehne, 
Arbeitszeiten und Arbeitsintensitaet aufrechtzuerhalten.
7. Wenn die Produktivitaet der Arbeit steigt, dann ist die Verkuerzung der 
Arbeitszeit eine unausweichliche Erscheinung. Die Frage ist nicht ob, 
sondern in welcher Form sie verkuerzt wird: als Arbeitslosigkeit fuer einen 
Teil der Erwerbstaetigen oder als Arbeitszeitverkuerzung fuer alle.
Selbstverstaendlich treten wir fuer die zweite Variante ein. Angesichts der 
zunehmenden Intensivierung der Arbeit und der weit verbreiteten 
Flexibilisierung der taeglichen Arbeitszeiten draengen sich Verkuerzungen in 
folgenden Formen auf: die Viertagewoche als Standard, mehr Ferien (zum 
Beispiel acht Wochen fuer alle), bezahlte Sabbaticals, Elternurlaube, ein 
tieferes und flexibles Rentenalter.
Der verschaerfte globale Standortwettbewerb scheint gegen 
Arbeitszeitverkuerzungen zu sprechen. Allerdings werden die Zwaenge dieses 
Wettbewerbs uebertrieben:
Waeren sie so gross, wie von buergerlicher Seite normalerweise behauptet, 
dann waeren Unterschiede in der jaehrlichen Arbeitszeit von 
Vollzeitbeschaeftigten in der Groessen-ordnung von zwanzig Prozent innerhalb 
Europas gaenzlich unmoeglich. Trotzdem waere es von grossem Vorteil, 
Arbeilszeitverkuerzungen weltweit, zumindest aber europaweit durchzusetzen. 
Wir schlagen deshalb vor, eine entsprechende europaeische Kampagne zu 
entwickeln.
8. Parallel zur Arbeitszeitverkuerzung sind auch die Loehne zu sichern. Wir 
schlagen
deshalb eine europaeisch koordinierte Mindestlohnpolitik vor, wie sie in den 
entsprechenden Thesen anlaesslich der Denknetz-Tagung vom April 2005 
formuliert worden ist. Kernpunkt ist die Forderung nach einem 
Minimaleinkommen, das mindestens fuenfzig Prozent des Mittelwertes der 
Loehne des jeweiligen Landes erreicht.
9. Nichterwerbstaetigkeiten der Care Economy, beispielsweise 
Kinderbetreuung, private Pflege und Haushaltsfuehrung, sind sozial und 
wirtschaftlich staerker abzustuetzen. Die Ausrichtung substanzieller 
Kindergelder, die Schaffung von Elternurlauben und die Verkuerzung der 
Normalarbeitszeiten verbessern die Bedingungen, unter denen unersetzliche 
Betreuungsarbeit im innersten, privaten Beziehungsnetz der Menschen 
geleistet werden kann - von Maennern ebenso wie von Frauen. Parallel dazu 
ist das Angebot der familienergaenzenden Kinderbetreuung erheblich zu 
verbessern und allen Bevoelkerungsschichten zugaenglich zu machen. Dies 
fordert die soziale Integration der Kinder und mildert moegliche Nachteile, 
die auf den Herkunftsfamilien lasten, zum Bespiel nach einem Kulturwechsel 
bei ImmigrantInnen, bei ungenuegender Bildung, oder wenn beide Eltern voll 
erwerbstaetig sein muessen.
Die Sozialversicherungen sind so zu gestalten, dass die Taetigkeit in der 
Care Economy im Bezug auf die Bezugsberechtigung und den Leistungsumfang zu 
keinen Diskriminierungen fuehrt.
10. Ein zentrales Mittel der Bekaempfung von Arbeitslosigkeit ist eine 
beschaeftgungsorientierte Wirtschaftspolitik. Sie ist in ihrer klassischen 
Auspraegung antizyklische Wirtschaftspolitik und daempft beziehungsweise 
verhindert Wirtschaftskrisen durch die Vergabe von beschaeftigungswirksamen 
oeffentlichen Auftraegen, die Stuetzung der Kaufkraft, die Steuerung der 
Zinssaetze und der verfuegbaren Geldmenge. Diese Politik muss wieder viel 
staerker auf die Stuetzung der Beschaeftigung ausgerichtet und von einer 
dogmatisch fixierten Inflationsbekaempfung weggefuehrt werden. Letztlich 
kann eine Wirtschaftskrise oder eine Finanzkrise der Sozialwerke nur durch 
bessere Beschaeftigung und mehr Kaufkraft fuer die einkommensschwachen 
Schichten ueberwunden werden.
11. Eine solche beschaeftigungsorientierte Wirtschaftspolitik muss jedoch
kombiniert werden mit gesellschaftlich sinnvollen Zielen (zum Beispiel 
Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Regionalpolitik, nachhaltige 
Innovationsfoer-derung). Nur eine solche Verknuepfung verhindert 
unerwuenschte Nebenwirkungen oder gar lebensfeindliche Projekte wie die 
Foerderung der Ruestungsindustrie.
Staatliche Investitionsfoerderung ist klar an Nachhaltigkeitsziele zu 
binden, wie dies zumindest ansatzweise in den beschaeftigungswirksamen 
Investitionshilfeprogrammen der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts 
noch moeglich war. Die Verbindung von Beschaeftigungswirksamkeit und 
Nachhaltigkeit ist auch in vielen anderen Bereichen durchaus moeglich, so in 
der regionalen Wirtschaftsfoerderung, in der Industriepolitik, in der 
Energiepolitik. Gerade Letztere ist ein unruehmliches Beispiel, wie 
buergerliche Interessenvertreterinnen im Parlament fortschrittliche 
Loesungen zugunsten von Alternativenergietraegern konsequent abwuergen.
12. Der oeffentliche Dienst stellt in den entwickelten Laendern bereits 
heute einen
betraechtlicheil Anteil an der Gesamtwirtschaft. Hier wird gesellschaftlich 
unentbehrliche Arbeit geleistet, die nach demokratisch ermittelten Regeln 
gestaltet werden kann. Durch den Erhalt und Ausbau von Bereichen wie 
Bildung, Gesundheitsversorgung und familienergaenzende Kinderbetreuung 
koennen das Lebensniveau der Menschen und ihre beruflichen Qualifikationen 
wesentlich verbessert werden. Allgemein zugaengliche Infrastrukturen 
(Mobilitaet, Kommunikationsmittel, Energieversorgung, Wasserversorgung usw.) 
muessen nach den Geboten der Nachhaltigkeit entwickelt und umgebaut werden 
und gehoeren in den Besitz der Allgemeinheit.
Der Ausbau des oeffentlichen Dienstes ist in den so genannten 
Entwicklungslaendern eine erstrangige Aufgabe, die die Unterstuetzung durch 
die «entwickelten» Laender erfordert und eine Fuelle von Arbeit generiert.
Die oeffentlichen Dienste muessen zudem ausgeweitet werden auf Bereiche wie 
die Versorgung der Bevoelkerung mit Lebensrnitteln, Medikamenten und 
medizinischen Guetern, und die Zugaenglichkeit zu den Mitteln der 
Informationsgesellschaft ist weltweit zu verbessern.
13. Eine wichtige Option, den Einfluss der Demokratie auf Wirtschaft und 
Beschaeftigung zu staerken, ist die Etablierung einer offenen 
Bedarfsoekonomie, wie sie von einer Denknetz-Fachgruppe vorgeschlagen wird. 
Die offene Bedarfsoekonomie konzipiert die oeffentlich-demokratische 
Steuerung eines Teils der Privatwirtschaft. Den privaten Akteuren wird ein 
Set von oekologischen und sozialen Bedingungen auferlegt; im Gegenzug 
erhalten sie Investitionsbeitraege und Kredite aus einem demokratisch 
kontrollierten Akkumulationsfonds («Zukunftsbank»). Die offene 
Bedarfsoekonomie arbeitet mit offenen Patenten und Open-Source-Konzepten.
14. Dem globalen Standortwettbewerb setzen wir global gueltige, soziale und
oekologische Mindeststandards entgegen, wie sie durch die Deklaration der 
Menschenrechte und die Arbeit der ILO (International Labor Organisation) 
fundiert sind. Anstatt hinzunehmen, dass der Standortwettbewerb Druck in 
Richtung einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ausuebt, kann und 
soll mithilfe solcher Standards eine positive Dynamik ausgeloest werden. Die 
Zielrichtung ist klar: soziale Grundsicherung; Teilhabe an Gesellschaft, 
Bildung, Kultur; Gesundheit, Freiheitsrechte, Wuerde, Nachhaltigkeit und 
Diskriminierungsfreiheit.
15. In Europa droht eine Welle der Verschlechterung der Arbeitsverhaeltnisse 
und damit eine erneute Verschaerfung der Arbeitslosigkeit. In verschiedenen 
Laendern sollenArbeitszeitverlaengerungen durchgesetzt werden, so in 
Deutschland, Frankreich und der Schweiz.
Demgegenueber schlagen wir eine europaeische Konferenz «Gute Arbeit fuer 
alle» vor. Eine solche Konferenz versucht, gemeinsame Perspektiven zu 
entwickeln und den Menschenrechten in der Arbeitswelt zum Durchbruch zu 
verhelfen. Sie koennte die Arbeit der ILO und anderer relevanter Gremien 
kritisch begleiten. Sie muesste gemeinsames Handeln in globaler Sichtweise 
foerdern.
*Daniela Altorfer, Hans Baumann, Ruth Gurny, Anne Gurzeler, Colin Metzger, 
Andreas Rieger, Beat Ringger, Holger Schatz, Bernhard Walpen, Adrian 
Zimmermann*
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Weitere Informationen ueber das Denknetz gibt es unter
http://www.denknetz-online.ch.
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Alternativen zum herrschenden von der klassischen Oekonomie gepraegten 
intellektuellen und politischen Diskurs in der Schweiz. Sie wurde 2003 
gegruendet und hat heute etwa 400 Mitglieder.
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