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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Mai 2006; 15:39
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Asyl:

> Folter in Tschetschenien, Folter in Oesterreich

Herr A. sitzt im Gefaengnis in Eisenstadt. Er war bei mir, bevor er nach
Traiskirchen ging. Sein Bruder L. war auch mein Klient und hat Asyl
erhalten. Unter dem alten Gesetz. Als es fast noch so etwas wie einen
Rechtsstaat gab.

Seit 1. Jaenner gilt aber das neue, das Prokopgesetz. Ich sagte zu Herrn A.:
"Man wird Sie verhaften, wenn Sie nach Traiskirchen gehen. Es ist besser,
Sie tauchen unter. Vielleicht koennen wir Ihnen helfen dabei."

Herrn A.'s Frau war mit ihm gefluechtet; sie war im neunten Monat schwanger.
Herr A. sagte, sie muesse nach Traiskirchen, damit sie grundversorgt sei und
das Kind im Spital zur Welt bringen koenne. Und allein lasse er sie nicht
ins Lager gehen.

Ich riet ihm, zuerst Herrn K., einen bekannten Psychotherapeuten (Verein
Hemayat), aufzusuchen. Aus dessen psychotherapeutischem Bericht:

"Es zeigte sich ein zunaechst verschlossener Mann mit depressivem
Erscheinungsbild, der auf Nachfrage erklaerte, er sei wegen Schlafmangels
sehr erschoepft. Als Grund dafuer gab er an, nach dem Hinlegen von
Erinnerungen, spaeter auch von Albtraeumen geplagt zu werden. Sein Bruder
fuegte hinzu: Er schreie im Schlaf, sei dann nassgeschwitzt und
unorientiert.

"Inhalt der Albtraeume? Die Leiche seines anderen Bruders mit Folterspuren
und Einschuessen, Maskierte. Danach habe er Angst, sie kaemen auch zu ihm,
und er muesse sich ueber laengere Zeit beruhigen. Er habe zu Hause bekleidet
geschlafen, um jederzeit fliehen zu koennen. Hier habe er es anders
versucht, das gehe aber nicht, denn die Angst bleibe.

"Er selbst sei zweimal verhaftet worden, sei befragt und erniedrigt worden.
Er habe sich schon als Leiche gesehen, Todesangst ausgestanden. Beschreibt
Folter in einem Keller, der auch Toilette fuer die ihn Verhoerenden war.
(Der Bruder springt wortlos auf und eilt aus dem Zimmer). Handbetriebener
Stromgenerator, Schlagstock aus Gummi, Fusstritte. (Atmet schwer, hat
feuchte Augen).

"Weiters beschreibt Herr A. Herzschmerzen, taube Arme, Schwindelgefuehl und
schwache Beine, Atembeklemmungen, erhoehten Puls - alles in Zusammenhang mit
belastenden Erinnerungen. Er koenne nicht allein sein, besonders in der
Nacht. Beschreibt Einengung, Sinnverlust, Todessehnsucht. Es sei auch
moeglich, dass er ueber Selbstmord nachdenke. Schon das Geraeusch eines
Flugzeuges treibe ihn in Panik, sein Dorf sei stark bombardiert worden. Auch
der ueberraschende Anblick eines Polizisten versetze ihn in Schrecken.

"Diagnose: Herr A. beschreibt - und durchlebt waehrend der Sitzung -
sukzessive eine hoehergradige post-traumatische Belastungsstoerung zu Folge
serieller Traumatisierung."

Ich riet Herrn A. noch einmal davon ab, nach Traiskirchen zu gehen. Aber er
liess sich nicht umstimmen. Ich verstand ihn; ich hatte kein sicheres Spital
anzubieten fuer seine schwangere Frau.

Den psychotherapeutischen Bericht samt meiner Vollmacht schickte ich nach
Traiskirchen an die Erstaufnahmestelle und an die Fremdenpolizei. Herr A.
ging durch die vier Stationen der Traiskirchner "Asylstrasse": Daten
aufschreiben, Dokumente abgeben, Fingerprints, Handschellen. Die
Fingerabdruecke hatten ergeben, dass er schon in Polen war.

Herr A. sitzt im Polizeigefaengnis Eisenstadt. Seine Frau wurde ins Lager
aufgenommen, bald darauf brachte sie ihr Kind zur Welt. Unsere
Haftbeschwerde wies der "Unabhaengige" Verwaltungssenat Wiener Neustadt ab.
Rechtsanwalt Pochieser wird dagegen zum Verfassungsgerichtshof gehen.
*Michael Genner, Asyl in Not (gek.)*



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