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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Mai 2006; 18:12
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Wohnen/Post:

> Lehrbeispiel einer verfaulten Gesellschaft

Vom oeffentlichen Gut Hausbriefkasten zum neoliberalen Spielball privater
Profitinteressen!

Die Deregulierungs- und Zerstoerungswut gegenueber oeffentlich-rechtlicher
Grundversorgung durch die EU spiegelt sich deutlich in der Richtlinie
2002/39/EG des Europaeischen Parlaments, die zu einer Liberalisierung des
Marktes der Postdienste fuehren soll. Lobbyisten in diesem millardenschweren
Markt waren vor allem die bereits privaten Zustellungsfirmen und
insbesonders die Werbebranche, die sich einen wesentlich billigeren Zugang
zu den Brieffaechern der PostkundInnen erwarteten. Ein entscheidendes
Hindernis dazu bildete allerdings das heimische Monopol der Post auf die
Postkaesten. Um die Umsetzung der EU-Richtlinie in Oesterreich
durchzusetzen, also um die Zerschlagung des oeffentlich-rechtlichen
Postwesens zu beschleunigen, was offensichtlich auch im Interesse der
Regierung lag, wurde das Postgesetz entsprechend geaendert und per
Verordnung die naeheren Bestimmungen ueber die Gestaltung von
Brieffachanlagen festgelegt. Verschaerft - und in dem fuer diese Regierung
symptomatischen Eifer des vorauseilenden Gehorsams - wurde die Durchsetzung
dieser Verordnung noch dadurch, dass sie entgegen der EU-Richtlinie, die
fuer die Umruestung immerhin einen Zeitraum bis 2009 vorsah, in Oesterreich
unter Strafandrohung von 30.000 Euro pro Anlage zum 30. Juni 2006 umgesetzt
werden musste.

In dem Zusammenhang ist vielleicht die Groessenordnung interessant: von den
rund 1,7 Millionen Brieffaechern in Oesterreich befanden sich rund 1,1
Millionen im Eigentum der Post und rund 600.000 im Eigentum sonstiger
Privater. Fuer die Umstellung wurden mit allen Umbaumassnahmen zusammen rund
60 - 100 Euro pro Brieffach errechnet. Bereits 2004 gab es unter
Verfassungsjuristen eine heftige Diskussion um die Frage der Umsetzung
dieser Verordnung und zwar hinsichtlich der Frage der Eigentumsgarantie und
hinsichtlich der Frage der Kosten fuer die Errichtung dieser Briefanlagen.
Denn die bloss formalrechtliche Verpflichtung zur Errichtung solcher Anlagen
regelte noch lange nicht die Frage der Kosten. Mietrechtlich waren sich die
Juristen schnell einig, dass kraft des oeffentlichen Auftrags die Kosten
indirekt ueber die Hauptmietzinsreserve an die MieterInnen weitergegben
werden koennen. Haus- und WohnungseigentuemerInnen wurden allerdings mit den
Kosten direkt und sofort belastet. Was allerdings die JuristInnen
beschaeftigte war von Anfang an die Frage, wie die Durchsetzung gegenueber
dem Eigentumsschutz moeglich sei. Denn ein solcher gesetzlich verfuegter
Eingriff in Eigentumsrechte waere ja nur zulaessig, wenn ein oeffentliches
Interesse vorlaege und wenn er verhaeltnismaessig ist. Die Eigentumsfrage
konnte schnell beantwortet werden, weil auch die meisten JuristInnen dem
neoliberalen Trend folgen: das oeffentliche Interesse ergibt sich zwanglos
daraus, dass Oesterreich aus der gemeinschaftsrechtichen Verpflichtung die
Herstellung wettbewerbsmaessiger Verhaeltnisse auf dem Gebiet der
Postdienste zu gewaehrleisten hat. Ob der Eingriff allerdings der
Verhaeltnismaessigkeit entspricht, dass konnten die Juristen nicht klaeren,
sondern verwiesen schon damals auf eine Wertungsfrage, die nur der VfGH
beantworten koenne. Hier laesst sich bereits ein Konflikt zwischen dem
einfachen Privateigentum und den Verwertungsinteressen des europaeischen
Grosskapitals erkennen, ein Konflikt, der uns noch oefter beschaeftigen wird
und mit dem wir kreativ und progressiv umzugehen lernen muessen.


Die politische Klasse und die (ihre?) Medien

Am 23. April 2005 erschien im KURIER zu der Brieffach-Umstellung ein
Artikel, dass es nun einmal dieses Gesetz gibt und wir alle uns auf die
neuen Postkaesten einstellen muessten. Doch bereits am 7. Mai 2005 wurde der
Trend relativiert, weil offensichtlich Kritik (es ist anzunehmen aus der
Immobilienbranche, die ja auch ein grosser Inseratenkunde des KURIERs ist)
immer lauter wurde. Von der Mietvereinigung (SPOe-lastig) wurde das Gesetz
hingenommen, weil man nun den privaten Zustellern kaum den Zugang zu den
Haeusern verweigern koenne. Am 20. Mai 2005 berichtet der KURIER bereits von
"massiven Protesten gegen die neue Postverordnung".

Ende Mai gibt es die ersten oeffentlichen Proteste von Seiten betroffener
MieterInnen und auch eine Hauseigentuemerin, El, unterstuetzt die Proteste.
Ebenso gibt es innerhalb der KPOe die erste groessere Diskussion ueber das
Thema und eine Unterschriftenaktion dagegen.

Am 23. August 2005 erfolgt von der KPOe-Wien eine erste Presseaussendung,
weil von der OeVP im Wiener Wahlkampf versucht wird, in der Kosten- und
Eigentumsfrage den "schwarzen Peter" der SPOe zuzuspielen. Gleichzeitig
stellten wir die Frage, warum von der Stadtregierung bzw. WIENER WOHNEN
gegen diese Kostenbelastung nichts unternommen wird.

Am 7. September 2005 protestiert der Grazer KPOe-Gemeinderatsklub mit einer
scharfen Presseerklaerung gegen die EU-Hausbriefkaesten, am 15. September
2005 wird von der KPOe ein Aufruf zum Protest gegen die Willkuermassnahmen
der Regierung veroeffentlicht, dem sich schnell einige prominente
Persoenlichkeiten anschliessen. Das Thema spielt auch im Grazer Wahlkampf
der KPOe eine Rolle. Von Seiten einiger MieterInnen-Interessensgruppen
(Mietervereinigung, AK-Wien, OeVP-Mieterbund etc.) wird Kritik mit dem
Hinweis abgeblockt, dass es sich ja um ein zu exekutierendes Gesetz handelt.

Bis Ende 2005 erschienen von Seiten der KPOe mehrere APA-Aussendungen zum
Thema. Keine dieser Pressemitteilungen wurde von auch nur einem Medium
erwaehnt.

Am 5.1.2005 erscheint ein grosser Artikel im KURIER wonach Hausbesitzer sich
beim Verfassungsrichter gegen die neuen Postkasten zur Wehr setzen und zwar
in der Weise, dass sie nicht die Kosten tragen wollen, sondern diese direkt
an die MieterInnen weitergeben wollen, sind doch diese "ja auch die
eigentlichen Konsumenten der postalischen Dienstleistungen". Von der KPOe
und ihrem Mieterselbsthilfezentrum (MSZ) erfolgt eine Presseerklaerung dazu,
in der gefordert wird, "dass die Kosten der Umstellung diejenigen zu tragen
haben, die davon profitieren wollen. Also die Werbeindustrie und die
privaten, meist internationalen Zustell- bzw. Postdienste. Wir sprechen uns
damit auch gegen die von der EU erzwungene Liberalisierung der Postdienste
aus. Die Folgen derartiger Umstrukturierungen sind Qualitaets- und
Leistungsminderung, Personalabbau, Sicherheitsrisiken, Einschraenkung der
oeffentlichen Versorgung und das alles bei weiter steigenden Preisen." Die
KPOe ruft auch oeffentlich dazu auf, die eventuell ueberwaelzten Kosten
nicht zu bezahlen, sondern zu beeinspruchen.

Von den Medien erfolgte keine Berichterstattung.

Am 7.Februar 2006 kam eine Reaktion der SPOe. Sie will das Gesetz
"entschaerfen" und die Umruestung bis Jaenner 2008 aussetzen. Also keine
Zurueckweisung, sondern mehr Zeit fuer die Umruestung.


Der Erfolg hat viele Vaeter

Am 4. Mai 2006 kommt die ueberraschende Nachricht ueber die Medien: "Neue
Post-Brieffaecher: Hausbesitzer muss laut Richter nicht fuer die Errichtung
aufkommen, Eingriff in Eigentumsrecht verfassungwidrig, die Verpflichtung
gilt damit ab sofort als aufgehoben."

Die KPOe reagiert sofort mit einer Pressaussendung, in der sie darauf
hinweist, dass es die Proteste eines grossen Teils der Bevoelkerung waren,
die diese Entscheidung herbeigefuehrt haben. Interessant ist auch die
Stellungnahme des Oesterreichischen Haus- und Grundbesitzerbundes (OeHGB):
"Die Verpflichtung der Hauseigentuemer, auf ihre Kosten die Liberalisierung
des Postmarktes zu subventionieren, war ueberaus fragwuerdig".

In den sofort erscheinenden Stellungnahmen der Gruenen, der SPOe, der
Mietervereingung, des OeVP-Mieterbundes etc haben ploetzlich von Anfang an
alle diese Umruestung abgelehnt. Gerade von Wiener Wohnen kam ueberhaupt
kein Zeichen des Widerstandes, im Gegenteil: mit Hinweis auf die
Gesetzeskraft wurde bereits begonnen, die Umruestung bei fast allen
Gemeindebauten in Auftrag zu geben.

Die Freude soll allerdings den Blick nicht auf folgende Tatsache verstellen:
es stehen Milliardenprofite auf dem Spiel. Daher werden vor allem die Werbe-
und privaten Zustellerfirmen nicht locker lassen. Sie werden jetzt wohl den
Weg der Klage gegen einzelne HauseigentuemerInnen gehen, weil sie die
EU-Richtlinie nicht durchgefuehrt haben und sie keinen Zugang zu den (alten)
Briefkaesten fuer ihre Werbematerialien haben. Wir muessen uns auch darueber
im klaren sein, dass diese VfGH-Entscheidung reichlich spaet kommt und die
meisten HauseigentuemerInnen die Umruestung der Postkaesten bereits
durchgefuehrt haben.

Die zweite Sache ist aber die, dass die bisherigen Kosten der Umruestung
ersetzt werden muessen. Und da ist wohl die Bundesregierung gefragt.
Entweder es gelingt ihr, die Umruestungskosten auf die tatsaechlich davon
Profitierenden zu ueberwaelzen oder man muss sich tatsaechlich eine
Haftungklage gegen den zustaendigen Ministers, Hubert Gorbach, ueberlegen.
Interessant in diesem Zusammenhang wird sicher auch sein, wie sich jetzt die
Gemeinde Wien, insbesonders aber WIENER WOHNEN verhalten wird. Bei 220.000
Wohnungen handelt es sich um die riesige Summe von rund 22 Millionen Euro,
die bei Sanierungsvorhaben vor allem von den davon betroffenen MieterInnen
fehlen wird. Fuer MieterInnen-Organisationen ist jetzt besonders bei
§-18-Verfahren (Mietzinserhoehungs-Verfahren im Zuge von
Sanierungsmassnahmen) zu ueberpruefen, ob diese Kosten in der
Mietzinsreserve verrechnet wurden. Wenn man den HauseigetnuemerInnen jetzt
dezidiert klarmacht, dass diese Kosten auf jeden Fall die
Hauptmietzinsreserve nicht reduzieren duerfen, dann werden auch die
EigentuemerInnen Interesse daran haben, dass die Kosten ersetzt werden.
*Josef Iraschko, MSZ* (gekuerzt)


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