**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. April 2006; 18:10
**********************************************************
Kommentar der Anderen:
> Das Ende des Kapitalismus?
Ohne Kohle waere die erste industrielle Revolution nicht moeglich gewesen,
ohne Oel nicht die zweite. Diese Brennstoffe erlaubten eine flexible
Verwendung, sie foerderten die Mobilitaet und waren in allen Lebenslagen und
Arbeitsbereichen einsetzbar. An ihre Stelle treten allmaehlich erneuerbare
Energien: Wind- und Wasserkraft, Fotovoltaik, Biomasse, thermische Energie,
die Gezeiten. Keine dieser Energien kann jedoch den Anforderungen des
heutigen Kapitalismus gerecht werden. Ein Text von Elmar Altvater aus der
WoZ.
*
Alles auf Erden findet in den Grenzen von Raum und Zeit statt. Auch der
Kapitalismus hat einen Anfang und folglich auch ein Ende. Der Kapitalismus
ist historisch. Dies wird jedoch keineswegs allgemein akzeptiert, im
Gegenteil. Doch wo kein Ende ist, bleibt der Anfang im Dunkel: Kapitalismus
scheint heute zur inneren Natur der Menschen zu gehoeren, so wie der
Stoffwechsel mit der aeusseren Natur, als waere Kapitalismus eine condition
humaine. Geriete der Kapitalismus an Grenzen, hoerte der Metabolismus, der
Stoffwechsel, auf. Das waere das Ende der Menschheit, vielleicht sogar des
Lebens auf Erden.
Dieses Denkmuster ist keine blosse Spekulation, es charakterisiert einen
nach 1989 verbreiteten Diskurs. Das "Ende der Geschichte" sei erreicht, weil
paradoxerweise die moderne kapitalistische Gesellschaft mit ihren sozialen
und politischen Institutionen und Prozeduren (formale Demokratie, Markt,
Pluralismus) und mit ihren Theorien und Ideologien den Hoehepunkt der
sozialen Entwicklung des Menschengeschlechts markiere. Sie scheint
grenzenlos, ewig und daher geschichtslos zu sein.
Wer angesichts dieses weltweit vorherrschenden Diskurses das Ende des
Kapitalismus dennoch fuer moeglich haelt oder gar auf dessen Ueberwindung
politisch hinarbeitet, gilt als weltfremder Narr, der das Rad der Geschichte
drehen moechte, obwohl es zum Stillstand gekommen und seine Bewegung
blockiert ist. Die Geschichte ist am Ende, die "beste aller moeglichen
Welten" ist Wirklichkeit geworden. Wenn die Geschichte weitergehen und die
"beste aller moeglichen Welten" politisch gestaltet werden soll, muss auch
ueber das Ende des Kapitalismus nachgedacht und muessen Alternativen
entwickelt und erprobt werden. Reden wir also ueber das Ende des
Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Wie wir ihn kennen: Denn die Zukunft ist
offen, und wir wissen nicht, welche Gesellschaftsform diejenigen erstreiten,
die einen Ausweg aus dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen, finden muessen.
Die Uebereinstimmung von sozialer Formation, Technik, Markt und fossilen
Energietraegern, die seit der zweiten Haelfte des 18. Jahrhunderts entstand,
ist wesentlich fuer die menschheitsgeschichtlich einmalige Dynamik seit der
industriellen Revolution verantwortlich. Aber ist diese Konstellation fuer
immer gewaehrleistet? Der Historiker Fernand Braudel gibt uns hier einen
bedeutsamen Hinweis, wenn er schreibt: "Der Kapitalismus, davon bin ich
[...] ueberzeugt, kann nicht durch einen ,endogenen' Verfall zugrunde gehen;
nur ein aeusserer Stoss von extremer Heftigkeit im Verein mit einer
glaubwuerdigen Alternative koennte seinen Zusammenbruch bewirken". Man wird
sich also auf die intellektuelle und zugleich ganz praktische Suche nach den
aeusseren Erschuetterungen und den im Inneren der Gesellschaft
heranreifenden ueberzeugenden Alternativen machen muessen. Allerdings
erweitern wir das uns von Braudel aufgegebene Programm um die Suche nach den
im Inneren der Gesellschaften heranreifenden und sich zuspitzenden
Widerspruechen, die genauso wirksam die Grundlagen der Stabilitaet der
Entwicklung bedrohen koennen wie die aeusseren Anstoesse. Die inneren
Krisen - das sind heute die globalen Finanzkrisen mit ihren ganze Kontinente
erschuetternden Wirkungen. Die aeusseren Anstoesse - das sind die Grenzen
der Verfuegbarkeit fossiler Energietraeger und die aus ihrer Verbrennung
resultierenden Klimafolgen. Interne Alternativen, das sind gesellschaftliche
Initiativen fuer erneuerbare Energien und fuer die Verwirklichung
solidarischer Wirtschaftsformen.
Kapitalismus ohne Ende?
Aber die Stabilitaet der modernen kapitalistischen Gesellschaften darf nicht
unterschaetzt werden. Denn sie ist eine Folge der ausserordentlichen Dynamik
kapitalistischer Gesellschaften, und diese kann sich so recht entfalten, wie
die fossilen Energien mit Hilfe der neuen Techniken der industriellen
Revolution die begrenzten biotischen Energien von Mensch und Tier ergaenzen
und ersetzen. Denn die fossilen Energien - Kohle, Gas und vor allem Oel -
sind der kapitalistischen Produktionsweise hoechst angemessen. Fossiles
Energieregime und soziale Formation des Kapitalismus passen nahtlos
zusammen, und dies aus mehreren Gruenden. Erstens koennen fossile
Energietraeger anders als Wasserkraft oder Windenergie weitgehend
ortsunabhaengig eingesetzt werden. Sie koennen von den Lagerstaetten relativ
leicht zu den Verbrauchsorten gebracht werden, heute mit Hilfe von Pipelines
und Tankschiffen. Die oekonomische Geographie wird weniger von natuerlichen
Gegebenheiten, als von der Kalkulation der Rentabilitaet von Kapitalanlagen
an verschiedenen und miteinander konkurrierenden Standorten beeinflusst.
Zweitens sind fossile Energietraeger zeitunabhaengig, da sie leicht zu
speichern sind und 24 Stunden am Tag, und dies ueber das ganze Jahr
unabhaengig von den Jahreszeiten, genutzt werden koennen. Anders als die
biotischen Energien, die nur dezentral in zumeist kleinen Einheiten in
nuetzliche Arbeit umgesetzt werden koennen und in aller Regel nur dann, wenn
die Sonne scheint, erlauben die fossilen Energien Konzentration und
Zentralisierung oekonomischer Prozesse, wenn es das Rentabilitaetskalkuel
sinnvoll erscheinen laesst. Die fossilen Energietraeger koennen jedes
Groessenwachstum mitmachen, also mit der Akkumulation des Kapitals
mitwachsen. Drittens besitzen fossile Sekundaerenergien, vor allem die
Elektrizitaet und der Verbrennungsmotor, alle Vorzuege der Mobilitaet, der
Dezentralisierung, des flexiblen Einsatzes in allen Lebenslagen und
Arbeitsbereichen. Das reicht vom Kinderspielzeug, den Geraeten in einer
modernen Kueche und HobbyWerkzeugen bis zum PC oder Baukran und
Gelaendewagen. Die Potentiale der Arbeit werden enorm gesteigert. Auch die
Lebensformen in den Haushalten aendern sich radikal. Das elektrische Licht
kann die Nacht zum Tag machen und daher soziale Rhythmen von den
Naturgegebenheiten und Biorhythmen losloesen. Auch die Wucht politischer
Herrschaft kann gesteigert werden, nicht zuletzt weil sich auch das Militaer
der Potenzen der fossilen (und auch der nuklearen) Energietraeger zur
Steigerung der Destruktionskraft bedient.
Fetisch Wachstum
Wachstum sei "gut fuer die Armen", behaupten Weltbank-Autoren. An der
Wachstumsrate wird Regierungspolitik im internationalen Vergleich bewertet,
zum Beispiel seitens der OECD. Der Council of Economic Advisers des
US-Praesidenten hat in seinem "Economic Report of the President" im Jahre
2003 das sechste Kapitel ganz der Frage gewidmet, warum Wachstum im
Wesentlichen Vorteile bringt.
Einige "Pro Growth Principles" werden vorgestellt. Dazu gehoeren unter
anderen: wirtschaftliche Freiheit, Wettbewerb und Unternehmertum,
makrooekonomische Stabilitaet, Privatisierung, Offenheit fuer
internationalen Handel, auslaendische Direktinvestitionen und
Liberalisierung der Finanzstroeme. Das ist die neoliberale Agenda pur. Die
Weltoekonomie muss wachsen, lautet das Credo, das unzaehlige Male wiederholt
wird. Der Wachstumsimperativ ist also fest verankert in den oekonomischen
und politischen Diskursen. Je hoeher das Wachstum, desto weniger
wirtschaftliche, soziale und politische Probleme - und umgekehrt. Kein
Wunder also, dass auch im Koalitionsvertrag vom November 2005 "neues
Wachstum" als ein vorrangiges Ziel gilt. Man will nicht wahrhaben, dass das
oekonomische Wachstum nicht geometrisch, sondern linear ist und sich mit der
Zeit dem Grenzwert Null naturgesetzlich naehert. Wachstum wird zu einem
Element der Alltagswelt und des Alltagsverstaendnisses sowie zu einer
Selbstverstaendlichkeit, die ueberhaupt nicht selbstverstaendlich ist.
Dies laesst sich am Beispiel der globalen Krise der Automobilindustrie
darstellen: Die Entwicklung des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts waere gar
nicht denkbar ohne das Automobil. Das Auto ist das entscheidende Symbol fuer
Modernitaet, Wohlstand, Mobilitaet und Dynamik, es hat einen zentralen
Stellenwert bei der Ankurbelung von Wachstum und bei der Sicherung von
Wettbewerbsfaehigkeit von "Standorten". Die Automobil- und mit ihr
verbundene Industrien hatten ueber Jahrzehnte ueberdurchschnittliche
Zuwachsraten. Die Entwicklung einer eigenstaendigen Automobilindustrie gilt
als Schluessel der Industrialisierung schlechthin. Die Staedte, die
Kommunikations- und Transportstrukturen sind auf das Automobil
zugeschnitten, also auf Beschleunigung und Expansion. Das Automobil ist das
paradigmatische Produkt des fossilen Zeitalters.
Ohne Oel kein Auto, und ohne Auto nicht die Art von Mobilitaet, die das 20.
Jahrhundert und wenige Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts praegt - so lange die
Versorgung mit Oel reicht. Der Fossilismus hat sich mit dem Automobil und
allen seinen Begleiterscheinungen in den Lebenswelten eingenistet, zu einer
Kultur verdichtet. In jeder Plastiktuete ist er praesent, und jeder
Last-Minute-Flug ist ein (fossiles) Erlebnis - fuer die Generationen der
Oel-Bonanza jedenfalls, fuer spaetere Generationen nicht mehr. So kommt es,
dass die Wachstumsdynamik nicht nur aus den Investitionen stammt, sondern
auch aus dem Konsum. Wachstum wird zum Fetisch, dessen Lebenssaft aus
fossilen Energietraegern, vor allem aus Oel, besteht. Damit geht eine
paradoxe Verkehrung einher. In der Fruehzeit der kapitalistischen
Industrialisierung gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Nutzung
fossiler Energietraeger fuer den Antrieb des Systems industrieller Werkzeuge
auch eine Steigerung des Wachstums zur Folge. Ein gesellschaftlicher
Imperativ des Wachstums jedoch existierte in jener Epoche nicht, denn die
Gesellschaften waren nicht vollstaendig durchkapitalisiert. Es gab
nicht-kapitalistische Raeume, in denen das Gesetz von Profit, Akkumulation
und Zins keine volle Gueltigkeit hatte. Heute ist Wachstum in die
gesellschaftlichen Verhaeltnisse, in Produktion und Konsumwelt
gleichermassen, eingeschrieben. Die Finanzmaerkte spielen dabei eine immer
wichtigere Rolle. In der globalen Konkurrenz der Finanzplaetze naemlich
werden Renditen von Finanzanlagen verlangt, die 20 Prozent und mehr
betragen. So hohe Zuwaechse hat es ueber laengere Zeitraeume auch in den
Zeiten der Wirtschaftswunder nirgendwo gegeben.
Wenn das Wachstum zur Bedienung von Finanzanlagen unzureichend ist, muss es
gesteigert werden, oder/und es findet ein brutaler Prozess der Umverteilung
zu Gunsten der Finanzanleger auf globalen Maerkten statt.
Die Falle des Fossilismus
Die Wirkungsweise der globalen Finanzmaerkte fuehrt also zu einem hohen
Niveau der Realzinsen und Renditen, so dass ein enormer Druck auf
oekonomische und politische Akteure ausgeuebt wird, das reale Wachstum zu
steigern. Der dominante Wachstumsdiskurs bietet dabei die ideologische
Unterstuetzung. Das hohe Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei
Jahrhunderte seit der industriellen Revolution waere aber gar nicht denkbar
ohne die Ausbeutung (Extraktion) der fossilen Energietraeger.
Das Oel jedoch geht zur Neige. Niemand kann genau sagen, ab wann es nicht
mehr zur Verfuegung stehen wird. Doch spricht vieles dafuer, dass der
Hoehepunkt der weltweiten Oelfoerderung von bisher 944 Mrd. Barrel im
Verlauf dieses Jahrzehnts ueberschritten wird. Dann gibt es zwar immer noch
Oel, naemlich zwischen geschaetzten 748 Mrd. (ASPO) und 1149 Mrd. Barrel
(BP); die statistische Reichweite (Reserven dividiert durch den
gegenwaertigen Jahresverbrauch) betraegt etwa 40 Jahre. Die jaehrlich neu
gefundenen Lager sind wesentlich kleiner als die Jahresfoerderung, so dass
die Bestaende abnehmen und die Angebotskurve des Oels sich nach unten
neigt - und dies bei steigender Nachfrage. Die Kongruenz von Kapitalismus
und Fossilismus erweist sich nun als eine Falle. Das reale Wachstum kann gar
nicht so hoch sein, dass alle monetaeren Ansprueche (Renditen und Profite)
aus dem real produzierten Surplus und ohne illegitime und kriminelle
Aneignung befriedigt werden koennen. Denn fossile Energien haben immerhin
ein natuerliches Mass, naemlich ihre Verfuegbarkeit und die Tragfaehigkeit
der natuerlichen Sphaeren fuer die Verbrennungsprodukte, vor allem das CO2;
das gesellschaftliche System des Kapitalismus dagegen ist autoreferenziell
und daher masslos. Der Hoehepunkt der Erdoelfoerderung laesst sich fuer
einzelne Lagerstaetten, fuer Laender und die Welt insgesamt bestimmen. Die
USA haben den Scheitel ihrer Oelfoerderung (ihr "Peak Oil") bereits Anfang
der 70er Jahre ueberschritten. Sie koennen den inlaendischen Verbrauch mit
inlaendischer Foerderung nicht mehr decken. Die entstehenden Diskrepanzen
zwischen Angebot und Nachfrage koennen nur durch Importe ueberwunden werden.
Die Weltproduktion freilich hat ihren Hoehepunkt noch nicht erreicht, und
deshalb ist es moeglich, mit Hilfe eines Regimes des Freihandels und des
USDollars als Oelwaehrung auf die Ressourcen anderer Laender
zurueckzugreifen, auf die von Mexiko, Venezuela, des Nahen und Mittleren
Ostens etc. Das Regime des Freihandels kommt den reichen Oelimporteuren
zugute. Doch naehert sich erstens die Extraktion in vielen dieser Laender
ebenfalls dem Peak, und zweitens steigt die Nachfrage nach Oel in dem Masse,
wie aus Gruenden der Wettbewerbsfaehigkeit unter dem Regime des Freihandels
Wachstum in allen Laendern, die sich durch Liberalisierung und Oeffnung der
Maerkte daran beteiligen, erzwungen wird.
Oel wird also knapp und bei hoher Nachfrage entsprechend teuer. Oel
importierende Laender, insbesondere Entwicklungs- und Schwellenlaender,
muessen daher steigende Anteile ihrer Exporterloese fuer den Import des Oels
aufwenden. Fuer Oel exportierende Laender ist die Steigerung von Oelexporten
und -einnahmen nicht unbedingt von Vorteil. Denn der Oelreichtum foerdert
eine einseitige Ausrichtung der Oekonomie, beeinflusst die Terms of Trade zu
Ungunsten der Industrieproduktion, hemmt also eine ausgeglichene
Entwicklung, oeffnet der Korruption ein weites Feld und bietet eine offene
Flanke fuer Interventionen von aussen, wie besonders brutal und moerderisch
im Irak. Oelreichtum kann sich in einen Fluch verwandeln.
Der Mittlere und Nahe Osten ist in Zukunft entscheidend fuer die Versorgung
mit der immer knapper werdenden Ressource Oel, und daher wird diese Region
noch mehr zum Konfliktgebiet als schon in der juengeren Vergangenheit. Die
Konflikte um Oelressourcen werden daher nicht nur auf dem Markt, sondern
auch auf politischem Terrain ausgetragen: als Kampf um Territorien der
Oelfoerderung und der Logistik (Pipelines oder Tankerrouten), als
Auseinandersetzung um die Preisbildung und die Waehrung, in der die
Oelrechnungen ausgestellt werden. Ein neues "Great Game" um den Zugang zu
den Oelressourcen und um deren Verteilung wie am Ausgang des 19.
Jahrhunderts ist eroeffnet, dieses Mal nicht nur im Kaukasus und im Nahen
und Mittleren Osten, sondern in der ganzen Welt. Pipelineistan ist ueberall,
ist global. Angesichts der Defizite in Budget und Leistungsbilanz der USA
von jeweils vielen hundert Millionen US-Dollar und einer drohenden Abwertung
des US-Dollar ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass Oelexporteure dazu
uebergehen, den Oelpreis in Euro zu fakturieren. Der Krieg gegen den Irak
hat auch den Nebeneffekt gehabt, dass Tendenzen in diese Richtung (in
Venezuela, Irak, Libyen) zunaechst gestoppt worden sind. Aber sie kommen
wieder, wenn die USA ihr Zwillingsdefizit nicht reduzieren und sich nicht
aus dem irakischen Sumpf durch Rueckzug befreien koennen. Die USA bekaemen
ein riesiges Problem, wenn sie die steigenden Oelimporte nicht mehr in
US-Dollar begleichen koennten, sondern beispielsweise in Euro bezahlen
muessten.
Die Konflikttraechtigkeit des fossilen Regimes zeigt sich auch beim Umgang
mit den Emissionen, vor allem mit den Treibhausgasen. Der Treibhauseffekt
bedroht die Umwelt und Nahrungssicherheit, die Sicherheit der Behausung und
die Gesundheit der Menschen in aller Welt. Darueber hinaus hat er heute
bereits kalkulierbare oekonomische Kosten. Denn die Zahl der ungewoehnlichen
Wetterbedingungen und der Unwetter, die hohe Schaeden verursachen, nimmt in
aller Welt zu; seit den 60er Jahren hat sie sich verdreifacht.
Auf die dramatischen Folgen des moeglichen Klimakollapses richtet sich
inzwischen auch das Pentagon mit unilateralen Praeventionsmassnahmen ein.
Nicht vorbeugender Klimaschutz zur Vermeidung einer abrupten Klimaaenderung
ist die politische Linie der Bush-Cheney-Rumsfeld-Regierung, sondern die
militaerische Abwehr gegen die Folgen der klimatischen Aenderungen.
Insbesondere die zu erwartenden Migrationsstroeme sollen mit militaerischen
Mitteln abgefangen werden.
Der Unilaterialismus der Bush-Regierung ist nicht nur aggressiv, er verfolgt
vor allem die Herstellung exklusiver Sicherheit fuer jene in der "Heimat"
unter der Obhut des "Heimatschutz-Ministeriums" gegen die anderen aus
anderen Laendern.
Jenseits des Kapitalismus
Grenzen des Kapitalismus zeigen sich also ueberall. Wenn das Oel zur Neige
geht, koennte dies der externe Schock sein, den Fernand Braudel erwaehnte.
Die Welt koennte im Chaos versinken. Doch gibt es auch die ueberzeugenden
Alternativen, die im Innern der Gesellschaft heranreifen? Es gibt sie.
Soziale Bewegungen, die auf Alternativen zur kapitalistischen
Marktgesellschaft zielen, emanzipieren sich aus den Handlungslogiken, die
vom Markt vorgegeben werden. Gibt es mehrere Handlungslogiken, dann ist dies
bereits ein Hinweis darauf, dass der historische Pessimismus vom Ende der
Geschichte nicht gerechtfertigt ist. Tatsaechlich erhellt bereits der Blick
zurueck in die Geschichte des Wirtschaftens, wie unterschiedlich in
verschiedenen Kulturen und Geschichtsepochen Oekonomie und Gesellschaft
koordiniert wurden, wie facettenreich die Denk- und Handlungsmuster sind,
die sich in den immer wiederkehrenden, zur Routine gewordenen Handlungen
herausbilden. Erst im modernen Kapitalismus mit seinen globalen
Institutionen und in Folge der globalen Vereinheitlichung, betrieben gerade
auch von den internationalen Institutionen wie WTO und IWF, wird die
Diversitaet von Handlungslogiken auf ein dominantes Muster, naemlich das der
Aequivalenz, reduziert, theoretisch begruendet innerhalb der pensée unique*
des Neoliberalismus und praktisch durchgesetzt innerhalb des Systems der
Marktbeziehungen. Doch gibt es auch das Prinzip der Solidaritaet und
Fairness. Es ist den Prinzipien von Aequivalenz und Reziprozitaet
entgegengerichtet, denn es geht vom gesellschaftlichen Kollektiv und nicht
von Individuen und ihren marktvermittelten Beziehungen aus und kann nur in
organisierter Form zur Geltung kommen. Jeder leistet seinen solidarischen
Beitrag nach seinen Moeglichkeiten, das heisst unter Bedingungen der
Fairness. Solidaritaet setzt daher ein Bewusstsein von Gemeinsamkeit und
innerer Verbundenheit in einer Gesellschaft voraus, die in einer Kultur,
Ethnizitaet, Lokalitaet, Klasse oder einer die Klassen uebergreifenden
Lebenserfahrung begruendet sein kann, um ein grosses Problem, beispielsweise
Arbeitslosigkeit, Armut oder Rechtlosigkeit, gegenueber transnationalen
Unternehmen gemeinsam zu bewaeltigen. Moralisch ist, so Emile Durkheim, all
das, was eine Quelle von Solidaritaet gegen die "Triebe des Egoismus" und
die Entfremdungstendenzen werden kann. Daher verwendet E. P. Thompson den
Begriff der "moralischen Oekonomie". Diese hat ihre eigenen Kriterien fuer
das, was als legitim und sozial gerecht beurteilt wird, die sich nicht auf
das Aequivalenzprinzip zurueckfuehren lassen.
Die moralische Oekonomie ist eine praktische Antwort auf die "Entbettung"
des Marktes aus der Gesellschaft, also gegen die oekonomischen Sachzwaenge.
Daraus entwickeln sich die Konflikte mit den Maechten des Marktes, des
Weltmarktes zumal. Diese Konflikte haben immer eine politische Dimension.
Denn in den meisten Faellen sind Basisbewegungen gezwungen, sich gegen
Regierungen zu richten und in ihren Kaempfen Gegenmacht aufzubauen, indem
Territorien, Land und Fabriken, Kohlenminen und Erdoelfelder besetzt und
verwaltet und gleichzeitig Buendnisse mit zivilgesellschaftlichen
Organisationen und manchmal auch mit Teilen des Staatsapparats geschmiedet
werden. Die Ansaetze einer alternativen solidarischen Oekonomie entwickeln
sich gegen die dominanten neoliberalen Tendenzen der Unterwerfung der
Gesellschaften unter die Gesetze des globalen Marktes. Die generelle
Richtung ist eindeutig zu bezeichnen, und sie ist gut begruendet: Die
fossilen Energien muessen sehr schnell durch erneuerbare Energien ersetzt
werden, denn das Zeitfenster ist aufgrund des Umstands, dass der
Scheitelpunkt der Oelfoerderung sehr bald erreicht sein wird, nicht mehr
lange offen. Die erneuerbaren sind langsamer als die fossilen Energien, und
sie sind nicht unabhaengig vom Ort: die Windenergie, die Photovoltaik, die
Wasserstoffwirtschaft, die Wasserkraft, die thermische Energie, die
Gezeiten, die Biomasse. Keine dieser Energien kann die Bedingung der
Kongruenz von Energiesystem und Kapitalismus erfuellen, die in den
vergangenen zwei bis drei Jahrhunderten die menschheitsgeschichtlich
einmalige Wachstumsdynamik ermoeglicht hat.
Die globale Autogesellschaft ist der Hoehepunkt und gleichzeitig das
Memento, dass es auf diesem Wege trotz der immer staerker werdenden Wagen
nicht weiter geht. Am Ende des fossilistischen Kapitalismus kann nur ein
erneuerbares Energieregime weiterhelfen. Dem aber muss die soziale Formation
des Kapitalismus angepasst werden. Das ist eine tiefere und umfassendere
Revolution als es die franzoesische oder russische waren. Sie ist auch
schwieriger als die industrielle Revolution. Aber die ebenfalls
existierenden Ansaetze der solidarischen Oekonomie koennen die Verbindung
zur Bewegung fuer die erneuerbaren Energietraeger herstellen. Der
Kapitalismus verschwindet nicht von einem Tag auf den anderen wie der real
existierende Sozialismus im Verlauf einer "samtenen Revolution", aber er
wird ein anderer Kapitalismus werden als der, den wir kennen. (WOZ
20.04.2006)
*
Der Text in der WoZ und der hier abgedruckte sind identische Kuerzungen des
kompletten Textes. Er basiert auf einem Vortrag, den Altvater Anfang Januar
vor dem Berliner Bildungsverein Urania gehalten hat. Er wurde zuerst
abgedruckt in der Monatsschrift «Blaetter fuer deutsche und internationale
Politik» Ausgabe 02/2006. Die ungekuerzte Version findet sich unter:
http://www.woz.ch/artikel/newsletter/13243.html
----
* frz.: als Einheitsdenken, aber auch als Einheitsgedanken uebersetzbar
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin