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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. April 2006; 18:43
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prinzipielles/glosse:

> europas zukunft

ein wutausbruch in minuskeln

sie reden von demokratie und meinen die herrschaft der besseren leute. sie,
das sind die da oben. auch wenn es wie ein gemeinplatz klingt, man muss sie
sie so nennen. denn sie benehmen sich ja auch so. siehe nur die meldungen
der letzten woche: wenn der deutsche exkanzler und jetzige
Aufsichtsratsvorsitzender einer deutsch-russischen gas-gesellschaft gerhard
schroeder vladimir putin zum garanten fuer die demokratie in russland
erklaert oder wolfgang schuessel eine wahlempfehlung fuer den
rechtsstaatsdemontierer berlusconi abgibt, stellt sich gar nicht mehr die
frage, was diese leute unter demokratie verstehen.

demokratie aber, echte demokratie, eine gesellschaftsform, in der das volk
nicht nur einfach "buergerbeteiligt" wird, sondern tatsaechlich auf der
basis einer guten informationslage die geschicke der gesellschaft lenkt,
weil es das wissen und die mittel hat, seine delegierten in den hoeheren
etagen zu kontrollieren, ist die grundvoraussetzung fuer ein gutes leben
fuer alle. diese demokratie hatten wir noch nie, aber wir waren ihr schon
mal naeher. heute bewegen wir uns zurueck hin zu totalitaeren systemen in
laengst ueberwunden geglaubten ausmass. der "klassenvertrag", geschlossen
mittels "sozialer marktwirtschaft" und sozialpartnerschaft, der dem kapital
abgerungen worden ist, weil es sonst zu einer offenen auseinandersetzung mit
den sozialen bewegungen gekommen waere, die fuer das kapital schlecht haette
ausgehen koennen, wird gekuendigt.

dieses jugendarbeitsprekarisierungsgesetz in frankreich ist ein gutes
beispiel. es gibt ein jugendarbeitsproblem? na dann muessen wir schauen,
dass es den jugendlichen schlechter geht, damit sie sich leichter ausbeuten
lassen koennen. in deutschland macht die politik nichts anderes -- die
verschlechterungen von rot-gruen werden von schwarz-rot weiter verschaerft:
die problematik wird der familie umgehaengt -- wer unter 25 ist und
arbeitslosengeld II (also notstandsunterstuetzung) bezieht, muss weiterhin
bei den eltern wohnen. ziehen er oder sie aus, ist das geld weg. sinn und
zweck der aktion? druck durch das elternhaus zu erzeugen, um auch noch den
miesesten job anzunehmen? oder der versuch, menschen noch laenger im
kindesstadium zu halten; die rechtskommunitaristische wiedererschaffung des
familienverbandes? oder was?


die proteste von unten werden staerker -- bisweilen sind sie klar politisch
artikuliert, wie die jetzigen demos in paris. zum teil ist es aber auch ein
nicht erklaerter aufstand ghettoisierter jugendlicher, wie die unruhen in
den auslaendervierteln der franzoesischen hauptstadt oder auch die
gewalttaetigkeiten in einer hauptschule in berlin-neukoelln, wo voellig
perspektivenlose schueler ihre schule unfuehrbar machten. wenn man unsere
metropolen segregiert in reiche viertel und unterschichtsgegenden und dann
auch noch die kinder derjenigen, die als putzlappen der nation verwendung
finden, in schulen konzentriert, die als bildungspolitische sackgassen
konzipiert sind, darf man sich nicht wundern, wenn diese kids aggressiv
werden. was faellt der politik ein? "multi-kulti ist gescheitert" hoert man
dann -- ja, so betrachtet stimmt das, wenn man unter multikulti versteht,
den nord-sued-konflikt in verkleinertem massstab in unseren grossstaedten
nachzubauen.

es ist dabei voellig egal, wer an der regierung ist. in frankreich sitzt
eine buergerliche regierung, in deutschland loeste schwarz-rot rot-gruen ab,
in italien hat auch die letzte olivo-regierung den sozialstaat abzubauen
begonnen, damit berlusconi fortsetzen konnte, und in oesterreich hat
rot-schwarz nicht nur mit den verschaerfungen im sozialbereich angefangen,
sondern auch all diese privatisierungen auf die schienen gesetzt, die jetzt
exekutiert werden.

die politische klasse hat jedes interesse an den leuten verloren, die sie
mehrheitlich waehlen sollen. soziale konflikte interessieren sie nicht,
solange sie nicht ihre eigentliche klientel, das grossbuergertum und die
managerklasse veraergern -- schliesslich gehen sie tag fuer tag mit dieser
klasse um und wenn es mal mit der politik nicht mehr klappen sollte, winken
hochdotierte posten in diesem bereich.


das wird noch eine weile so weiter gehen. wir werden eine neue art des
faschismus erleben -- ein "pluralistischer" faschismus ohne SA und mit nur
wenig meinungsunterdrueckung, weil die ueberflutung mit propaganda so stark
sein wird, dass man die nebengeraeusche locker ueberdecken kann. und diese
propaganda sieht so aus, dass man total meinungsvielfaltsorientiert
oeffentlich darueber diskutiert, wie man den goettergleichen kapitalismus
moeglichst effektiv gestalten kann, damits "der wirtschaft gut geht".

fuer die paar, denen aber doch noch auffaellt, dass es ihnen nicht gut geht,
gibts die haiders, straches, le pens und blochers, die einen protest
formulieren, der aber leider halt auch systemgefaellig ist.

und selbst wenn das alles noch nicht reicht und sogar die gewerkschaften
nicht mehr in der lage sind, organisierte proteste zu kanalisieren, dann
muss man halt doch den polizeiknueppel einsetzen und im uebrigen das ganze
ignorieren -- denn ein paar demos tun ja niemandem wirklich weh. man
erinnere sich nur an finanzminister grasser, der vor laufenden kameras ueber
eine demo gegen die postprivatisierung amikal zu einem gewerkschafter
meinte: "na, und wann kommts ihr morgen vorbei?" -- ganz so als wollte er
ihn zu kaffee und kuchen einladen...


einstweilen bricht die gesellschaft auseinander und die angehoerigen der
verbitterten, weil marginalisierten mehrheit in ihrer voelligen
ideologischen desorientiertheit vereinzeln in den meisten faellen. und wenn
diese masse doch einmal wuetend wird, dann wuetet sie blind. wir brauchen
uns keine hoffnungen zu machen: die politischen proteste derzeit in paris
werden leider nicht die regel werden. nein, die brennenden autos in den
auslaendervororten dort, die gewalttaetigkeiten in der neukoellner schule
oder das auslaenderfeindliche mobbing von verkleinbuergerten proletarieren
und frustrierten polizisten hierzulande -- das ist europas zukunft.
*bernhard redl*



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